Das patriarchat der dinge warum die welt frauen nicht passt

Rebekka Endler: Das Patriarchat der Dinge. Warum die Welt Frauen nicht passt

WIE F�R M�NNER GEMACHTES DESIGN UNSER LEBEN BESTIMMT

Unsere Umwelt wurde von M�nnern f�r M�nner gestaltet. In 'Das Patriarchat der Dinge' �ffnet Rebekka Endler uns die Augen f�r das am Mann ausgerichtete Design, das uns �berall umgibt. Und sie zeigt, welche mitunter lebensgef�hrlichen Folgen es f�r Frauen hat. Unsere westliche Medizin ist beispielsweise�- mit Ausnahme der Gyn�kologie�- auf den Mann geeicht: von Diagnoseverfahren und medizinischen Ger�ten bis hin zur Dosierung von Medikamenten. Aber auch die Dummys f�r Crashtests haben den m�nnlichen K�rper zum Vorbild�- und damit das ganze Auto samt Airbags und Sicherheitsgurten. Der �ffentliche Raum ist ebenso f�r M�nner gemacht: Architektur, Infrastruktur und Transport, sogar die Anzahl �ffentlicher Toiletten oder die Einstellung der Temperatur in Geb�uden.
Wer �berlebt einen Herzinfarkt? Wer friert am Arbeitsplatz und f�r wen ist er gestaltet? F�r wen sind technische Ger�te leicht zu bedienen? F�r wen ist das Internet? Das Patriarchat ist Urheber und Designer unserer Umwelt. Wenn wir uns das bewusst machen, erscheinen diese Fragen pl�tzlich in einem neuen Licht.

�Rebekka Endler hat ein wichtiges Pl�doyer f�r ein Umdenken im Design, in der Medizin und in der Konzeption unseres Alltags geschrieben.� Kristian Teetz, REDAKTIONSNETZWERK DEUTSCHLAND

�Das Buch l�dt einfach dazu ein, die eigene Umwelt auch mal genauer zu betrachten, zu hinterfragen und vielleicht auch ein bisschen zu ver�ndern.� Katharina Mild, RADIO BREMEN

�Der Mann ist das Ma� aller Dinge. Wer's nicht glauben kann sollte das angemessen w�tende und herrlich humorvolle Buch von Rebekka Endler lesen� Barbara Knopf, B5 KULTUR

�Rebekka Endler hat [...] eine beeindruckende Bandbreite an Beispielen recherchiert.� Max Bauer, SWR2 AM MORGEN


Autor*in / Hrsg.: Rebekka Endler
Details: Einbandart: gebunden
Umfang: 336 S.
Format (T/L/B): 2.9 x 21.2 x 14.2 cm
Gewicht: 493 g
Erscheinungsdatum: 12.04.2021

Durchschnittliche Artikelbewertung

Das patriarchat der dinge warum die welt frauen nicht passt
© Dumont Verlag
Inhalt

Der Mann ist das Maß aller Dinge. Wortwörtlich.

Wie für Männer gemachtes Design unser Leben bestimmt.

Unsere Umwelt wurde von Männern für Männer gestaltet. In Das Patriarchat der Dinge öffnet Rebekka Endler uns die Augen für das am Mann ausgerichtete Design, das uns überall umgibt. Und sie zeigt, welche mitunter lebensgefährlichen Folgen es für Frauen hat. Unsere westliche Medizin ist beispielsweise – mit Ausnahme der Gynäkologie – auf den Mann geeicht: von Diagnoseverfahren und medizinischen Geräten bis hin zur Dosierung von Medikamenten. Aber auch die Dummys für Crashtests haben den männlichen Körper zum Vorbild – und damit das ganze Auto samt Airbags und Sicherheitsgurten. Der öffentliche Raum ist ebenso für Männer gemacht: Architektur, Infrastruktur und Transport, sogar die Anzahl öffentlicher Toiletten oder die Einstellung der Temperatur in Gebäuden.

Wer überlebt einen Herzinfarkt? Wer friert am Arbeitsplatz und für wen ist er gestaltet? Für wen sind technische Geräte leicht zu bedienen? Für wen ist das Internet? Das Patriarchat ist Urheber und Designer unserer Umwelt. Wenn wir uns das bewusst machen, erscheinen diese Fragen plötzlich in einem neuen Licht.

ISBN-Nummer: 978-3-8321-7091-2
Seiten: 336 Seiten
Verlag: Dumont Verlag, Köln
Erscheinungsjahr: 2021

  • Leseprobe „Das Patriarchat der Dinge… Warum die Welt Frauen nicht passt.“ (PDF, 1 MB)

targmat:na

Das Literaturportal „targmat:na“ präsentiert ausgewählte, deutschsprachige Neuerscheinungen, die von einer Expert*innen-Jury zur Übersetzung ins Arabische empfohlen werden.

Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 06.05.2021

Wie für ihn gemacht
Warum es dringend nötig ist, die Welt nicht mehr nur für Männer zu gestalten
Rebekka Endler ist wütend. Sehr, sehr wütend. Kaum eine Seite in ihrem Buch kommt ohne Ausrufezeichen aus, gerne auch in der Variante eines Interrobangs, der Mischung von Ausrufe- und Fragezeichen. Sie schreibt in Versalien, um ihren Erregungszustand zu verdeutlichen, in die Fußnoten packt sie eine Extraportion Ärger. Warum? Weil der Mann, schreibt sie, vor allem der weiße Cis-Mann, das Maß aller Dinge sei: „Männlich ist die Norm, weiblich die Abweichung von der Norm.“
Diese Norm bestimmt, wie unsere Welt geformt, gestaltet und gedacht wird, wie Autos gebaut, die Klimaanlagen eingestellt, die Medikamente entwickelt und die Richterroben geschneidert werden. Was das für mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung bedeutet, das führt die Autorin, Journalistin und Podcasterin aus Köln dann so akribisch und ja, empört aus, dass ziemlich schnell klar wird: Diese Wut stünde diesem Teil der Weltbevölkerung sehr gut.
Wut könnte die Voraussetzung dafür schaffen, dass sich an der falsch verstandenen Norm etwas ändert. Oder, wie Endler schreibt: „Wenn die Nasenscheidewand so schief ist, dass der Mensch nicht mehr atmen kann, muss die Nase erst gebrochen werden, bevor es besser wird.“
Was Rebekka Endler in „Das Patriarchat der Dinge. Warum die Welt Frauen nicht passt“ so umtreibt, hat schon andere vor ihr bewegt. Unter dem Titel „Nicht mein Ding“ zeigte im Frühjahr 2019 die Ulmer Hochschule für Gestaltung eine Ausstellung über Gender im Design und machte klar, dass die Pinkisierung kompletter Spielwarenabteilungen und Modegeschäfte mehr ist als ein Farbtrend. Im vergangenen Jahr erschien „Unsichtbare Frauen. Wie eine von Daten beherrschte Welt die Hälfte der Bevölkerung ignoriert“ von Caroline Criado-Perez. Die britische Feministin und Betreiberin der Website „The Women’s Room“ erklärte in ihrem Buch, welche fatalen Auswirkungen es hat, dass der Startpunkt für einen Großteil der Entwicklungen und Forschungen auf Studien basiert, die vor allem mit männlichen Probanden durchgeführt werden.
Der Gender-Data-Gap kann gerade in der Medizin mitunter tödliche Folgen haben: Wenn eine Frau unter 50 einen Herzinfarkt erleidet, ist ihre Sterbewahrscheinlichkeit doppelt so hoch wie für einen Mann aus der gleichen Altersgruppe. Nicht etwa, weil Herzinfarkte bei Frauen tödlicher sind, sondern weil sie nicht erkannt werden. Die Symptome bei weiblichen Patienten sind andere als bei männlichen, das medizinische Personal ist aber auf die männlichen Symptome geeicht. „Es ist mir nie in den Sinn gekommen, dass ‚weiblich‘ vielleicht das gefährlichste Label von allen ist“, zitiert Endler im Buch Elisabeth Finch. Die Drehbuchautorin der Serie „Grey’s Anatomy“ thematisierte in einer Folge einen weiblichen Herzinfarkt, um auf die fatale Bildungslücke aufmerksam zu machen. Finch selbst hatte einen seltenen Knochenkrebs, der lange nicht erkannt wurde, weil ihr Arzt in ihren Beschwerden eine Neurose sah, die es mit Antidepressiva zu behandeln galt.
Fehldiagnosen, falsche Dosierungen, gravierende Nebenwirkungen – die Liste an Auswirkungen von männlich genormter Medizin ist lang. Ob sich auch die Hirnvenenthrombose, die der Covid-Impfstoff von Astra Zeneca bei jüngeren Frauen sehr selten auslösen kann, dazugesellt, wird sich noch zeigen. Klar ist, dass gendersensible Medizin nicht nur Leben retten kann, sondern auch sehr viel Leid ersparen würde. Doch der Forschungsbereich steht unverständlicherweise weder in der Politik noch bei der Pharmaindustrie auf der To-do-Liste.
Aber auch jenseits der Medizin machen Beispiele sprachlos. Auch weil so offensichtlich ist, wie leicht sich daran etwas ändern ließe. Etwa auch an der Tatsache, dass Autofahren für Frauen deutlich gefährlicher ist als für Männer. Einfach weil die Fahrzeuge weder für Fahrerinnen noch für Beifahrerinnen vorgesehen sind.
Über Jahrzehnte prüfte die Autoindustrie die Sicherheit von Autos nur mit einem einzigen Dummy: „Sierra Sam“, 1,77 Meter groß, 75,5 Kilogramm schwer. Erst seit einigen Jahren gibt es einen weiblichen Dummy – der aber nicht der weiblichen Anatomie entspricht: „Sie ist einfach nur ein kleiner Typ auf dem Beifahrer:innensitz“, schreibt Endler. Wagt man es als Frau, die standardmäßige Sitzposition zu verändern, sprich, den Sitz näher ans Armaturenbrett zu schieben, schnellen die Prozentzahlen einer höheren Verletzungswahrscheinlichkeit nach oben. Mit 80 Prozent mehr sind die Beine als Körperteile am meisten gefährdet. Dreimal häufiger als Männer erleiden Frauen ein Schleudertrauma.
Nichts, was Design nicht ändern könnte, wie auch die schwedische Ingenieurin und Expertin für Fahrzeugsicherheit Astrid Linder im Buch erklärt: „Die Regel sollte sein: Schutzmaßnahmen müssen so gestaltet werden, dass der am wenigste robuste Teil der Bevölkerung geschützt wird.“
Diesen Ansatz, von den Schwächsten in der Gruppe statt von den Stärksten und Fittesten auszugehen, bräuchte es in vielen Bereichen der Gestaltung. Allen voran bei der Stadtplanung. Bürgersteige werden oft nur abgesenkt, wo sie Autofahrern in die Quere kommen, und nicht etwa dort, wo es den Bedürfnissen der Rollstuhlfahrer, Eltern mit Kinderwagen und Benutzern von Rollatoren entspräche. Ampelschaltungen setzen ein zügiges Schritttempo voraus, Alte, Kranke und Kinder müssen sich nicht selten anhupen lassen. In den Städten fehlt es an Sitzgelegenheiten zum Ausruhen genauso wie an öffentlichen Toiletten – gerade für all diejenigen, die kein Pissoir benutzen können. (Was in Amsterdam schon mal die Gerichte beschäftigt hat, allerdings mit wenig Auswirkung.) Das alles sagt viel darüber aus, für wen der öffentliche Raum gedacht ist – und für wen nicht.
„Kann eine Raumtemperatur im Büro ‚sexistisch‘ sein?“, zitiert Endler einen Artikel aus der New York Times und erklärt dann, warum kühlere Zimmertemperaturen – in den USA sind es für Büroräume standardmäßig 21 Grad – bei Frauen nicht nur ihr Wärmeempfinden stören: „Kreative Arbeit, lernen, sprechen, alle intellektuellen Fähigkeiten sind quasi auf Eis gelegt, wenn Menschen frieren, da der Körper seine Ressourcen schont und in den Rumpf umleitet, wo außer dem Gehirn alle lebenswichtigen Organe arbeiten. (...) Es ist also nicht nur der weibliche Körper, sondern auch die weibliche Produktivität, die leidet.“ Passend zu den Temperaturen sind auch die Büromöbel in der Regel auf Männer ausgelegt, dabei stellten Studien fest, „dass aufgrund der Unterschiede im Becken- und Rückenbereich der Geschlechter sowie der unterschiedlichen Nutzung von Arm- und Rückenlehnen Sitzen nicht gleich Sitzen ist“.
Ob Cockpits von Flugzeugen, schusssichere Westen, Fahrradsessel oder Fußballschuhe: Ihnen allen ist die weibliche Anatomie fremd. Und Richterroben, die für einen Mann von „stattlich-imposanter Statur“ entworfen wurden, sehen bei Juristinnen nicht selten unfreiwillig komisch aus, wie die Anwältin Asha Hedayati im Buch berichtet: „Eine sitzende Robe strahlt Sicherheit, Souveränität und Kompetenz aus. Ich hingegen sehe darin nicht souverän, sondern winzig aus. Immerhin trage ich immer hohe Schuhe dazu, damit die Robe nicht ganz so aussieht wie ein Kartoffelsack.“
Das Suggerieren von fehlender Kompetenz, von Angewiesensein auf Hilfe implizieren auch Geräte, die sich gezielt an Frauen richten: Für sie gibt es „Haushaltshilfen“, für ihn „Elektrowerkzeug“. „Die ,Beherrschung‘ männlich codierter technischer Gerätschaften kommt einer Machtausübung gleich, während der ,Bedienung‘ weiblich codierter Haushaltsgeräte bloß eine unterstützenden Funktion innewohnt.“ Ob es Zufall ist, dass Siri als weibliche Stimme willig auf Befehle wartet?
Es ist die klar feministische Perspektive auf das Design und all seine Verästelungen, die diese eklatante Fehlstellung, den blinden Fleck auf dem Skizzenblock der Gestalter zutage fördert. Wobei ja nicht nur Frauen außer Acht gelassen werden, wenn nur ein gesunder, mittelalter weißer Mann als Ausgangspunkt für den Entwurf genommen wird. Alte und Kranke fallen nicht darunter, Menschen mit anderer Hautfarbe und Transgender auch nicht. Schuld an diesem Missstand dürfte nicht zuletzt die Vorstellung eines universellen Designs sein, eines Design, das sich an alle richtet und allen gerecht werden will – was genau zu den haarsträubenden Ungerechtigkeiten führt.
Gut möglich, dass die Norm auch deswegen so viele Jahre nicht hinterfragt wurde, weil Frauen und andere „Minderheiten“ im Design lange ein Nischendasein führten, sie wie im Bauhaus zu Randbereichen wie Textil und der Keramik abkommandiert wurden, während Männer das Industriedesign eroberten. Bis heute sind die Stars der Szene männlich. Doch zumindest das ändert sich langsam. Genauso wie in den Ausstellungshäusern endlich den Gestalterinnen die Aufmerksamkeit zuteil wird, die sie verdienen: Zeitgenössische Designerinnen wie Hella Jongerius bekommen große Einzelausstellungen, aktuell im Berliner Gropius-Bau. Im Museum für angewandte Kunst in Wien hat gerade die Ausstellung „Die Frauen der Wiener Werkstätten“ eröffnet, und im Herbst werden im Vitra-Design-Museum zum ersten Mal die Designerinnen der hochkarätigen Sammlung vorgestellt.
Nur sollte man nicht den Fehler machen, Design von Frauen mit Design für Frauen zu verwechseln. Letzteres wird sich einzig und allein ändern, wenn der Markt das einfordert. Womit wir wieder bei der Wut wären. Denn: Wütende Kundinnen kaufen nicht.
LAURA WEISSMÜLLER
Kann denn die
Raumtemperatur im
Büro „sexistisch“ sein?
Rebekka Endler:
Das Patriarchat der Dinge. Warum die Welt
Frauen nicht passt,
336 Seiten,
DuMont, Köln 2021,
22 Euro.
„Männlich
ist die Norm, weiblich die Abweichung
von der Norm“:
Jahrzehntelang prüfte die Autoindustrie die Sicherheit nur mit männlichen Dummys. Auch das Design von Fußballschuhen
und Richterroben
orientierte sich lange Zeit ausschließlich
an den Körpermaßen des Mannes.
Illustration: Rebekka
Endler/DUMONT, Bearbeitung SZ; Fotos: imago (2), getty images
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