Werkvergleich dantons tod agnes homo faber

Der Roman „Agnes“ aus dem Jahr 1998 von Peter Stamm erzählt aus der Sicht des namenlosen Protagonisten „Ich“ über dessen Beziehung zur jungen Physikerin Agnes.

Diese fordert ihn auf, eine Geschichte über sie zu verfassen, um ein gutes „Portrait“ von sich zu erhalten. Das „Ich“ schreibt bald jedoch nicht nur über vergangene Erlebnisse, sondern nimmt auch die Zukunft vorweg, was letztlich zum (vermeintlichen) Tod der Protagonistin seines Werks und seiner Freundin führt.

In der vorliegenden Textstelle, einem Ausschnitt aus Kapitel 11 des Romans, verbringen Agnes und das Ich einen Tag im Freien.

Zu diesem Zeitpunkt hat das Ich die „Portrait-Geschichte“ über Agnes schon so weit verfasst, dass er das Kapitel der Vergangenheit abgeschlossen hat und nun über die Gegenwart und Zukünftiges schreibt. In dieser Phase der Schreibarbeit hat sich das Ich schon so sehr in seine „Aufgabe“ vertieft, dass er seine eigentliche Arbeit, das Sachbuch über Luxuseisenbahnen, vernachlässigt, um intensiver an Agnes‘ Geschichte zu schreiben.

Schon hier kann man erste Komplikationen und Differenzen zwischen den beiden Protagonisten innerhalb ihrer Beziehung erkennen. So nehmen sie Vergangenes unterschiedlich wahr, oder erinnern sich auf verschiedene Weisen an Ereignisse.

Die vorliegende Szene beginnt mit einem Einschnitt der Natur. Zuvor hat es längere Zeit geregnet, nun werden die Wolken vom Wind verdrängt und die Sonne scheint wieder. Dieses frühlingshafte Erwachen der Natur und der Umgebung spiegelt den Neuanfang wider, den das Ich mit dem Vorgriff in die Zukunft innerhalb seiner geschriebenen Geschichte unternimmt. Im Gegensatz dazu steht die tatsächliche Jahreszeit. Wir befinden uns im Spätsommer. Der Herbst wird die milden Monate bald ablösen, die Zeit der Vergänglichkeit wird bald kommen. Vergleichend hierzu kann man den Verlauf der Beziehung zwischen Agnes und dem Ich sehen, welche ebenfalls zum Scheitern verurteilt ist. Ein auffälliges Motiv ist auch die Distanz und Fremde innerhalb der Liebesbeziehung. Sowohl physisch als auch psychisch besteht diese, einerseits gewollt, als Agnes gleich unten in der Eingangshalle wartet, um keine Zeit zu verschwenden, andererseits unbewusste, sodass die ungewollte Fremde zwischen den Protagonisten bemerkbar wird.

So ergibt sich eine kurze belanglose Auseinandersetzung über den bevorstehenden Tag. Agnes und das Ich sind verschiedenen gekleidet, da jeder für sich eine andere Vorstellung vom Wandern besitzt. Das führt dazu, dass die beiden auch optisch unterschiedlich und nicht zusammengehörig aussehen. Die Gespräche scheinen distanziert, vor allem durch die deskriptive Darstellung des Ichs. So werden wir nur selten Zeugen von Dialogen. Stattdessen werden die Gespräche indirekt wiedergegeben, wobei es verwunderlich ist, dass er uns, obwohl sie sich die meiste Zeit s „setzten und redeten“, nicht sonderlich viel davon mitteilt. Es scheint ihm unwichtig zu sein. Wenn wir einen Dialog zu lesen bekommen, sind sie häufig kurz angebunden oder für uns unschlüssig. Allgemein kann man schon hier die große Problematik der Beziehung, die Kommunikation, erkennen.

Das Ich bemerkt zwar einen äußerlichen Unterschied seiner Freundin, doch fällt ihm nicht von allein auf, was sie geändert hat. Und auch auf die Frage „Ist es schlimm?“ (Z. 19) gibt er ihr keine Antwort, sondern meint nur, dass er nicht glaube, dass dies der Grund sei (Z. 20). Hier zeigt sich die unterschiedliche Sichtweise. Eine zweite Frage von Agnes, was der Ich-Erzähler denn habe, weicht er ebenfalls aus und versucht sie nicht einmal zu beantworten, sondern übergeht diese einfach. Als er sich dann doch entschließt, ihr vom eigenartigen Gefühl der Nähe zu ihr zu erzählen, fragt Agnes wiederum eine Frage, die allerdings ebenfalls unbeantwortet bleibt, was dazu führt, dass sie keine Gespräche mehr anfangen („… wir sprachen den ganzen Abend kaum.“) und somit eine weitere Distanz aufbauen.

Insgesamt ist diese Passage sehr beschreibend aufgebaut. Das Ich teilt dem Leser mit, dass er Agnes als „fremd“ wahrnimmt, versucht aber dann wieder einmal nicht einen tieferen Grund zu finden, sondern erklärt nur, was er wahrnimmt, was sie an Kleidung trägt („Sie trug … schwere Schuhe…“).

Als sie an einer kleinen Lichtung ankommen, erwartet man gewöhnlicherweise einen intimen Moment der Beziehung. Doch wegen Agnes‘ Schlaf ist wieder keine Nähe sichtbar. Die schlafende Protagonistin und der sie beobachtende Ich-Erzähler zeigen hier ihre typische Rolleneinteilung innerhalb ihrer Beziehung auf. Sie schläft, ist also „machtlos“ und lenkbar. Er ist wach, kann aktiv handeln. Er sieht sie das „erste Mal“ (Z. 29) genauer an, „erkennt“ (Z. 25) seine eigene Freundin nicht. Hier wird der Sachbuchautor in ihm erkennbar. Er betrachtet sie, vergleicht sie mit der Natur. Diesem Vorgang empfindet er als „fremd, unheimlich“ (Z. 31) und sogleich ist es ein „wirkliches“ (Z. 32) Gefühl. Hier sieht man die ersten Vorzeichen für die psychische Machteinnahme des Ichs. Obwohl er sie nicht berührt, wird sie von ihm „eingehüllt“. Diese Macht empfindet er als „beängstigend“ (Z. 33) und gleichzeitig „berauschend“ (Z. 33). Das berauschende Gefühl wird ihn später einnehmen, sodass er seine „Macht“ als Autor voll ausnutzen und ausüben wird.

Zugleich wird das „Eigenartige“ in der Beziehung erkennbar, dass sich der Ich-Erzähler, sieht er Agnes genauer an, ihr fremd und nah zugleich fühlt. Dass das Ich sich seiner Freundin nahe fühlt, ist für ihn ein „seltsames Gefühl“ (Z. 43). Die langsam nahende, wenn nicht schon anwesende Abhängigkeit wird vor allem in Agnes‘ Reaktion sichtbar. Sie umklammert ihn aus Furcht er könne ihr entgleiten. Auf die Frage „Und bist du es noch?“ antwortet das Ich nicht, was darauf schließen lässt, dass er diesen Moment im wachen Zustand von Agnes nicht mehr spürt. Er fühlt sich ihr also verbunden sobald sie machtlos und lenkbar ist und er seine „Macht“ ausüben kann.

Insgesamt sieht man in dieser Szene die schon immer dagewesene, nun aber immer größer werdende Distanz. Kaum wörtliche Rede lässt uns die Fremde der beiden spüren und man wird immer weiter gezwungen, sich die Funktionsunfähigkeit der Beziehung einzugestehen.