Polizeibataillon 101 wenn normale männer töten

75 Jahre nach dem Ende des Hauptverfahrens des Nürnberger Prozesses wirft die Dokumentation einen Blick auf ein weiteres Verfahren, das Geschichte schrieb.

Videolänge:43 minDatum:25.01.2022:UTVerfügbarkeit: Video verfügbar bis 20.01.2027

Polizeibataillon 101 wenn normale männer töten

Deutsche Polizisten und Helfer in Zivil beaufsichtigen wie sich jüdische Frauen kurz vor ihrer Erschießung entkleiden. Von den ersten Kriegstagen an folgen der SS unterstellte Todeskommandos den Wehrmachtssoldaten auf ihrem Vormarsch gen Osten

© United States Holocaust Memorial Museum, courtesy of Instytut Pamieci Narodowej

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Am Morgen des 13. Juli riegeln seine Männer gemeinsam mit den anderen Reserve-Polizisten das Dorf ab. Dann treiben sie die jüdischen Bewohner auf dem Marktplatz zusammen und transportieren etwa 1500 von ihnen auf Lastwagen in den nahe gelegenen Wald. Seite an Seite gehen Polizisten und Opfer zu den vorher ausgesuchten Erschießungsorten, wo sich die Juden mit dem Gesicht zum Boden hinlegen müssen.

Wilhelm Trapp hält sich von den Exekutionen fern. Stattdessen dreht er Runden in seinem Büro und läuft in Jozéfów herum. Zu einem Untergebenen sagt er: „Mensch, solche Aktionen liegen mir nicht. Aber Befehl ist Befehl.“ Es ist ein Massaker. Zwar hat der Bataillonsarzt den Offizieren zuvor erklärt, in welchen Halswirbel ihre Männer schießen müssen, um einen Menschen sofort zu töten. Dennoch zielen einige Polizisten zu hoch und fügen den Opfern nicht immer tödliche Verletzungen zu. Die Schützen werden angewiesen, die Bajonettspitze ihres Gewehrs direkt auf dem Nacken des Opfers aufzusetzen, um die Tötungen zu präzisieren.

„Fehlschüsse wurden nun zwar weitgehendst vermieden, es trat aber eine andere schreckliche Folge ein“, berichtet ein Hauptwachtmeister. „Durch den dadurch bedingten Nahschuss traf das Geschoss mit derartiger Rasanz den Schädel des Opfers, dass oftmals der Schädel oder zumindest die ganze hintere Schädeldecke abgerissen wurde und nun Blut, Knochensplitter und Gehirnmasse durch die Gegend spritzten und die Schützen beschmutzten.“

Immer häufiger wenden sich vereinzelte Polizisten an ihre Vorgesetzten mit der Bitte um Ablösung. Einer gibt an, dass er „sehr weichlich veranlagt“ sei. Ein anderer, eigentlich Schneider von Beruf, bekommt eine Frau und ihre Tochter zugeteilt, die aus Kassel stammen. „Mir war die ganze Sache jetzt so zuwider, dass ich zu meinem Zugführer ging und ihm erklärte, dass mir übel sei und ich nicht mehr könne und um meine Ablösung bäte.“

Viele Schützen fühlen sich "beschmutzt" und "besudelt"

Doch die meisten der Polizisten befolgen den Befehl widerstandslos. Es sind nicht unbedingt ihre Opfer, an die sie in diesen Stunden denken, sondern sie selbst. Sie fühlen sich „beschmutzt“, „besudelt“ und „mit den Nerven runter“. Und sobald ein Mensch beginnt, sich selbst als Opfer seiner Taten zu sehen, scheint alles andere möglich: Mord, Massenmord, die Auslöschung ganzer Bevölkerungsgruppen.

Wer nicht hinterfragt, entweder weil er nicht will oder weil er aufgrund mangelnder Bildung oder einer rigiden Erziehung nicht dazu in der Lage ist, dem fällt es anscheinend leicht, sich von seiner Tat zu distanzieren. Ich konnte nicht anders, ich musste den Befehlen folgen – so lautet später die Rechtfertigung der meisten Mitglieder des Bataillons. Und wenn ich es nicht getan hätte, dann eben ein anderer: „Ich war der Meinung, dass ich die Angelegenheit überwinden könnte, und die Juden auch ohne mich ihrem Schicksal nicht hätten entgehen können.“

Wolfgang Hoffmann versichert: „Die Frage der Schuld ist hier eine der Feldpostnummer. Wenn andere an unserer Seite gewesen wären, so hätten sie sich ebenso wenig aus der Verstrickung lösen können wie wir!“ Am späten Abend des 13. Juli 1942 sind 1500 Menschen tot. Die Leichen bleiben im Wald vor Jozéfów zurück. Zur Nachtmahlzeit essen die Männer des Bataillons wenig, dafür trinken sie umso mehr. Über die Ereignisse wird nicht weiter gesprochen.

Rund 500 Polizisten ermorden insgesamt 38 000 Juden

Es ist das erste von mehreren Massakern, die Angehörige des Reserve-Polizeibataillon 101 zwischen Juli 1942 und November 1943 im besetzten Polen verüben. Die rund 500 Polizisten ermorden in dieser Zeit 38 000 Menschen jüdischen Glaubens und deportieren mehr als 45 000 weitere in das Vernichtungslager von Treblinka.

Nach Kriegsende kehren die meisten Männer des Reserve-Polizeibataillons 101 nach Deutschland und in ihre alten Berufe zurück, darunter auch Wolfgang Hoffmann. Er leitet in den Fünfziger Jahren unter anderem die erste Hundertschaft der Hamburger Bereitschaftspolizei.

Erst zu Beginn der Sechziger Jahre werden die Taten des Reserve-Polizeibataillons 101 im Zuge von Vorermittlungen gegen die Beteiligten der „Aktion Reinhardt“ – so lautete der Tarnname für die systematische Ermordung der Juden im besetzten Polen – Bestandteil einer strafrechtlichen Untersuchung durch die Hamburger Staatsanwaltschaft. Nur wenige Angehörige der Bataillone mussten sich nach 1945 vor Gericht verantworten. Was das Reserve-Polizeibataillon 101 betrifft, so können die ermittelnden Staatsanwälte auf den erhaltenen Dienstplan zurückgreifen.

Nach der Vernehmung von mehr als 166 der ehemaligen Polizisten des Bataillons werden im Herbst 1967 14 Männer, darunter Wolfgang Hoffmann, angeklagt, weil sie von Ende Juni 1942 bis Anfang 1943 „im Distrikt Lublin fortlaufend an der Judenvernichtung teilnahmen und hierbei die Verschleppung in die Massenvernichtungslager, sowie Massen- und Einzelerschießungen jüdischer Menschen, darunter Frauen, Kinder, Greise, Kranke und Gebrechliche, durchführten.“

Zu Haftstrafen kommt es nur in drei Fällen

Nur drei der Angeklagten werden nach Abschluss des Verfahrens zu Haftstrafen verurteilt: Wolfgang Hoffmann ist einer von ihnen. Die Vernehmungsprotokolle der Staatsanwaltschaft, aufgeschrieben rund 20 Jahre nach den Taten, sind zwar problematische aber auch unschätzbare Dokumente der Täterforschung. Sie geben Hinweise, wie aus ganz normalen Männern Mörder werden konnten. Und sie zeigen, wieso die allermeisten die Befehle selbst dann noch ausgeführt haben, als ihnen doch längst deutlich geworden sein musste, dass Verweigerer keinerlei Konsequenzen zu erwarten haben.

Was diese Männer vereint, sind vor allem ihre Taten. Es ist der schlechteste denkbare Grund, aber es ist ein Grund. In der Gruppe bestärken sie sich gegenseitig, dass ihr Morden einen Sinn hat; sei es nur der, dass es die anderen schließlich auch tun.

Es liegt im menschlichen Wesen, sich an Mehrheiten zu orientieren. 80 bis 90 Prozent der Polizisten waren im Laufe des Einsatzes an den Tötungen beteiligt. Fast allen fiel es zumindest anfangs schwer. Doch den Männern war es wichtiger, innerhalb ihrer Truppe anerkannt zu werden, anstatt sich durch Verweigerung so wenig Schuld aufzuladen wie möglich.

„Mir war es damals nicht angenehm, Juden erschießen zu müssen. Ich hatte bei diesen Vorgängen ein ungutes Gefühl und dachte mir, dass das wohl nicht ganz richtig sein könne“, sagt ein Polizist aus. „Ich glaubte mich aber an die erteilten Befehle halten zu müssen; denn damals war Befehl eben Befehl.“

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