Gab es bei der spanischen grippe eine impfung

Anfang Mai haben Tausende Nutzerinnen und Nutzer eine Grafik über die Spanische Grippe geteilt. Damals hätten die ungeimpften Menschen überlebt, nicht die Geimpften, heißt es in den Postings. In dieser Zeit gab es allerdings noch gar keine Impfung gegen die Spanische Grippe. Überlebt haben dementsprechend tatsächlich nur ungeimpfte Menschen, weil es  auch gar keine geimpften Personen gab.

Tausende Nutzerinnen und Nutzer haben die Ungeimpften-Behauptung auf Facebook als Text-Meme geteilt (hier, hier). Darin steht: "Übrigens bei der spanischen Grippe haben die Ungeimpften überlebt und nicht die Geimpften! Nur mal so zur Info!"

Gab es bei der spanischen grippe eine impfung
Facebook-Screenshot: 11.05.2021

Verbreitende von Falschinformationen ziehen immer wieder andere Krankheiten heran, um Corona oder die Impfungen dagegen anzugreifen. AFP hat sich in der Vergangenheit etwa mit einem Vergleich der Gefährlichkeit von Grippe und Corona auseinandergesetzt, ein angeblich größeres Corona-Risiko nach Grippeimpfungen überprüft oder hier widerlegt, dass Grippeimpfungen nicht zu positiven Corona-Tests führen. AFP außerdem bereits widerlegt, dass die Impfung gegen die Spanische Grippe 50 Millionen Menschen getötet habe. In diese Reihe an irreführenden Aussagen gehört auch das aktuell verbreitete Posting zu den ungeimpften Überlebenden.

Spanische Grippe

Gegen Ende des Ersten Weltkriegs brach 1918 auf der ganzen Welt eine Influenza aus, die unter dem Namen "Spanischen Grippe" bekannt wurde. Das Robert Koch-Institut (RKI) nennt diese in einem Bericht von 2007 "die schwerwiegendste Influenzapandemie des vergangenen Jahrhunderts". Verursacht wurde die Pandemie von einem H1N1-Virus, einem Influenza-A-Virus. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) und das RKI schätzt die Zahl an weltweiten Toten auf 20 bis 50 Millionen, die amerikanischen Centers for Disease Control and Prevention (CDC) auf mindestens 50 Millionen. Das sind mehr Tote als im Ersten Weltkrieg. Laut CDC infizierte sich rund ein Viertel der Weltbevölkerung mit der Spanischen Grippe. Kranke litten unter Fieber, Husten, Kopf- und Gliederschmerzen, für viele endete die Erkrankung mit einer bakteriellen Lungenentzündung und dem Tod.

Die angebliche Massenimpfung

Für die Spanische Grippe gab es damals allerdings keinen Impfstoff und dementsprechend auch keine groß angelegten Impfkampagnen, wie sie zurzeit gegen das Coronavirus laufen. Volker Hess ist Leiter des Instituts für Geschichte der Medizin und Ethik in der Medizin an der Charité Berlin. Am 4. September 2020 schrieb er AFP: "Es hat damals keine Grippe-Impfung gegeben. Man wusste nicht einmal, worum es sich bei dieser neuen Krankheit genau gehandelt hat." Er erklärte: "Wie wir ja gerade erleben, braucht die Entwicklung eines Impfstoffes eine gewisse Zeit – auch damals."

Während der Pandemie der Spanischen Grippe stand die Impfstoffforschung noch am Anfang. Gegen Pocken, Tollwut, Typhus, Cholera und Pest gab es in den USA zwar bereits Impfungen, so die CDC in einer Übersicht, nicht aber gegen die Grippe. Um die Zeit der Spanischen Grippe 1918/1919 vermuteten Wissenschaftler überhaupt erst, dass nicht Bakterien, sondern Viren hinter der Grippe stehen könnten, so ein Beitrag über die Geschichte der Grippeimpfung im "Journal of Preventive Medicine and Hygiene". Impfungen gegen Bakterien, die als schuldig vermutet wurden, linderten zwar teilweise bakterielle Folgeinfektionen, wie diese Studie im "Journal of Infectious Diseases" nahelegt. Eine Impfung gegen das Grippevirus selbst war das aber noch nicht.

Drei englischen Forschern gelang es 1932/1933 dann erstmals, das Influenza-A-Virus zu isolieren. Erst Mitte der 1930er-Jahre fanden die ersten klinischen Versuche mit Grippeimpfstoffen statt. In den Folgejahren entdeckten Forschende, dass das Grippevirus gut in befruchteten Hühnereiern wächst, aus denen sie es entnehmen und zu Impfstoff verarbeiten konnten.

Erst am Ende des Zweiten Weltkriegs wurden damit dann größere Menschenmengen geimpft. Harald Salfellner ist Medizinhistoriker und Autor des Buches "Die Spanische Grippe: Eine Geschichte der Pandemie von 1918". Er schrieb am 7. September 2020 an AFP: "1942 wurde in Amerika ein bivalenter Impfstoff aus inaktivierten Viren vom Typ A und Typ B lizenziert, in größeren Studien überprüft und zum zivilen Einsatz freigegeben. Die Massenherstellung von Grippeimpfstoffen setzte in den Vereinigten Staaten um 1944 ein."

Andere Hilfsmittel

Die massenhafte Verbreitung von Impfstoffen erfolgte also erst Jahrzehnte nach dem Ausbruch der Spanischen Grippe 1918/1919. Stattdessen versuchten sich die Menschen mit anderen Maßnahmen zu schützen. Salfellner berichtet von seiner Einschätzung nach nutzlosen Empfehlungen wie der Verabreichung von Chinin, dem Trinken von Whiskey oder der Spülung von Mund und Rachen mit Hypermangan bis hin zum Verzehr von Zwetschgenkuchen. Außerdem empfahlen Gesundheitsämter damals Maßnahmen, die auch heute wieder empfohlen werden, etwa "den Verkehr mit Familien zu vermeiden, in denen die Grippe ausgebrochen war und sich von Versammlungen sowie überfüllten und schlecht gelüfteten Räumen fernzuhalten. Aber die Verwendung von Mund-Nasen-Schutz in Mitteleuropa war die Ausnahme", so Salfellner.

Fazit: Theoretisch stimmt die Aussage im Posting, es überlebten tatsächlich nur die Ungeimpften. Der Behauptung fehlt aber wichtiger Kontext: Geimpfte Personen gab es noch gar nicht, erste Impfungen gegen die Grippe wurden erst lange nach Ausbruch der Spanischen Grippe entdeckt und zur Massenproduktion weiterentwickelt. Es konnten also gar keine Geimpften überleben, weil es diese schlicht noch nicht gab.