Wer ist der klabautermann

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Worttrennung:

Kla·bau·ter·mann, Plural: Kla·bau·ter·män·ner

Aussprache:

IPA: [klaˈbaʊ̯tɐˌman]Hörbeispiele: Klabautermann (Info)

Bedeutungen:

[1] nach mündlicher Überlieferung ein guter Schiffsgeist, der sein Schiff bis zum Untergang nicht verlässt

Herkunft:

seit dem Beginn des 19. Jahrhunderts bezeugt; zusammengesetzt aus Mann und Klabauter, vermutlich eine Ableitung von dem Verb kalfatern (abdichten), eventuell mit Beeinflussung von dem niederdeutschen lautnachahmenden Verb klabastern mit der Bedeutung „polternd umherziehen“[1][2]

Synonyme:

[1] Kalfatermann, Klabattermann

Beispiele:

[1] „Auch sein Landsmann gehörte der Klasse der Kobolde an, allerdings jener anderen Abteilung, die dem Wasser zugeordnet ist und die bei uns im Norden durch die Figur des Klabautermannes vertreten wird.“[3]

Übersetzungen[Bearbeiten]

[1] Wikipedia-Artikel „Klabautermann“[1] Digitales Wörterbuch der deutschen Sprache „Klabautermann“[*] Uni Leipzig: Wortschatz-Portal „Klabautermann“[*] The Free Dictionary „Klabautermann“[1] Duden online „Klabautermann“

Quellen:

  1. ↑ Dudenredaktion (Herausgeber): Duden, Das Herkunftswörterbuch. Etymologie der deutschen Sprache. In: Der Duden in zwölf Bänden. 4. Auflage. Band 7, Dudenverlag, Mannheim/Leipzig/Wien/Zürich 2006, ISBN 978-3-411-04074-2 , Seite 407.
  2. ↑ Ernst Jünger: Afrikanische Spiele. Roman. Klett-Cotta, Stuttgart 2013, ISBN 978-3-608-96061-7, Seite 120 . Erstausgabe 1936.

Der Klabautermann ist ein kleines graues Männchen mit meeresgrünen, gutmütigen Augen und einem langen roten Bart. Gekleidet ist er in einen alten, wettergegerbten Seemannsmantel, der mit Muscheln und allerhand Schätzen aus dem Meer behängt ist, dazu trägt er Gummistiefel und Südwester. Häufig raucht er Pfeife und fast immer trägt er einen Kalfaterhammer bei sich, um bei jeder Gelegenheit damit klopfen und poltern zu können.

Neuerdings sieht man ihn stattdessen immer öfter auch mal sein mobiles Muscheltelefon in der Hand halten. Das heißt — falls man ihn sieht. Denn Erwachsene können ihn im Allgemeinen überhaupt nicht sehen. Kinder hingegen haben damit kein Problem.

Lange Zeit war der Klabautermann als Schiffskobold und Schutzgeist der Seefahrer auf allen Weltmeeren unterwegs. Bei Gefahr stand er der Schiffsmannschaft hilfreich zur Seite, ansonsten trieb er gern Schabernack und lärmte und polterte nachts auf dem Schiff herum.

Aber er fühlt sich nur auf hölzernen Schiffen zu Hause, und da es auf dem Meer immer weniger hölzerne Schiffe gibt, schippert er jetzt den größten Teil des Jahres lieber mit einem alten Äppelkahn auf kleineren Gewässern wie Spree, Havel, Panke, Müggelsee, Scharmützelsee, Schermützelsee, Schlachtensee, Wannsee und Teltowkanal herum.

Ganz in der Nähe eines Berliner Springbrunnens, oder vielleicht sogar mitten drin, soll er sich ein gemütliches Koboldhäuschen eingerichtet haben. (Näheres dazu kann man herausfinden, wenn man an einer Stadtrallye auf den Spuren des Klabautermanns teilnimmt — der Berliner Brunnentour).

Wenn der Klabautermann nicht gerade mit dem Polieren seiner zahlreichen Goldtaler oder mit Herumpoltern beschäftigt ist, oder auf seinem Äppelkahn sitzt und Milch trinkt, oder mit seinem Kalfaterhammer losgezogen ist, um flink und unbemerkt eines der auf Berlins Spielplätzen so zahlreich anzutreffenden Kletterschiffe zu reparieren, dann trifft er sich am liebsten mit Kindern. Mit ihnen kann er sich ausgezeichnet unterhalten, viel besser als mit den modernen Seefahrern, die nicht einmal mehr richtiges Seemannsgarn spinnen können.

Seit seinem Rückzug aus dem Schiffskoboldgeschäft verwendet er daher seinen ganzen neckischen Koboldeifer vor allem dazu, sich zusammen mit seinem Freund Robert Mingau — dem Autor dieser Website und kongenialen Spielaktionserfinder — märchenhafte Erlebnisse und unvergessliche Abenteuer für Kinder in Berlin und Brandenburg auszudenken.

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Herbeirufung des Klabautermanns

Wer ist der klabautermann

Um den Klabautermann herbeizurufen, benötigt man ein wenig Talent auf dem Gebiet der Magie und eine magische Beschwörungsformel, also einen bestimmten Spruch, mit dem man ihn zum leibhaftigen Erscheinen zwingen kann.

Der Klabautermann ist nämlich kein Wesen aus Fleisch und Blut, sondern ein Geist, eine Spukgestalt, ein Kobold, und demzufolge gehorcht er bestimmten Koboldgesetzen. Wer diese kennt und sich zunutze macht, kann jeden Geist nach seiner Pfeife tanzen lassen.

Die folgenden Anleitungen gelten freilich nur für Kinder. Erwachsene haben leider keine Chance, denn sie können den Klabautermann sowieso nicht sehen. Außerdem funktioniert es bei ihnen, wie die meisten Dinge im Erwachsenen­leben, nur mit Geld. Statt den Klabautermann auf dem Wege der Magie zu beschwören, können sie ihn immerhin ⟶ zu moderaten Preisen engagieren.

Wer ist der klabautermann

Ganz einfach ist das Geisterbeschwören natürlich nicht. Es klappt nicht immer, schon gar nicht gleich beim ersten Mal. Eigentlich geht es nur bei Vollmond, in sternklaren Nächten, wenn der Wind vom Meer her weht, und wenn man dabei, möglichst barfuß und mit grün lackierten Zehnägeln, in der Nähe einer alten, knorrigen Eiche steht. Auch braucht man ganz bestimmte Muscheln und Seesterne, aus denen man zwischen den düsteren Schatten der Eichenäste ein magisches Pentagramm legt, ohne selbst hineinzutreten. Hierin wird der Klabautermann gebannt.

Die Zauberformel darf allerdings weder zu laut noch zu leise gesprochen werden, auch darf kein Auto- oder Flugzeuglärm, kein Handyklingelton, kein Krähengekrächz, kein Möwengekreisch und kein Babygeschrei die Zeremonie unterbrochen.

Klingt kompliziert? Wer will, kann es ja trotzdem mal versuchen. Hier sind vier Beschwörungsformeln zum Ausprobieren:

(Falls Sie an dieser Stelle keine magische Zauberbühne mit Beschwörungsformeln sehen, liegt das daran, dass Ihr Display zu klein ist, um diese anzuzeigen. Wenn Sie sehr neugierig sind, dann versuchen Sie es mal mit einem größeren Gerät).

Abschnitt überspringen
(Der virtuelle Vorhang der Zauberbühne mit den Beschwörungsformeln lässt sich leider nur mit einer Maus öffnen).

1. 2. 3. 4.

1.

Sehr günstig ist es, wenn sich maximal elf Klafter entfernt von dem Eichenschatten, den man als Ort der magischen Beschwörung gewählt hat, eine grüne, schmiedeeiserne Pumpe befindet, wie sie in Berlins Straßen und Parks häufig anzutreffen sind. Wenn das der Fall ist, benutzt man am besten diesen Spruch:

„Klabautermann, du alter Lump,
Komm her zu dieser grünen Pump!“

Das Ganze muss man entweder dreimal oder elfmal wiederholen und anschließend elfmal (nach dreimaligem Rufen) oder dreimal (nach elfmaligem Rufen) den Pumpenschwengel betätigen, bis der Klabautermann unversehens aus dem kühlen Nass des Wasserstrahls emporsteigt und in den Bannkreis hineingezogen wird.

2.

Hat man ein Schälchen Milch zur Verfügung, dann kann man dieses an einem der fünf Zacken des magischen Pentagramms aufstellen und rufen:

„Klabautermann, Klabauterknilch,
komm her und schlabber deine Milch!“

Noch besser klappt es womöglich mit einem Milcheis am Stiel, mit oder ohne Schokoladenkruste. Das legt man, natürlich ohne Verpackung, auf einen Teller, stellt ihn ebenso wie die Milch in den magischen Kreis und ändert den Spruch ein klein wenig ab:

„Klabautermann, Klabauterschnuckel,
komm her, ich hab für dich ’nen Nuckel!“

Der Klabautermann ist ein Leckermaul und wird sich, wenn er nicht gerade etwas anderes zu tun hat, nicht lange bitten lassen.

3.

Eine gute Erfolgschance hat man auch, wenn man entweder drei oder elf alte Schiffslaternen auftreiben kann. Diese zündet man an und stellt sie in drei bis elf Schritt Entfernung voneinander in einer exakt parallel zur Milchstraße, quer über den Eichenschatten verlaufenden Linie auf. Dann provoziert man den Klabautermann, indem man lauthals ruft:

„Klabauter, du lauter,
versuchs doch, du Pupsloch,
du Rotbarschbulette,
du Rotbart, ich wette,
du wirst es nicht schaffen,
mit Pusten und Paffen,
mit Husten und Prusten
mein Licht auszupusten!“

Der Klabautermann wird daraufhin sicher zeigen wollen, wie gut er bei Puste ist. Aber Achtung! Es könnte passieren, dass er zu dem Kind, das ihn so herbeigelockt hat, erst einmal ziemlich unfreundlich ist. Wer wäre das nicht, nachdem ihn jemand mit so frechen, respektlosen Worten angesprochen hat!

4.

Nur für sehr, sehr erfahrene Magier, die einen echten Zauberermantel mit weiten Ärmeln besitzen und noch dazu keine Angst vor Quallen haben, gibt es noch diese sehr komplizierte, aber auch besonders wirksame Beschwörungsformel:

„Hokus Pokus Fidibus,
Neptun, Nereus, Nautilus,
Holter Polter Spiritus,
Glibberquallen-Tortenguss.
Lirum Larum, Warum? Darum!
Karavellum Kalamarum,

Lari Fari, Schifflein, fahre,
Mare, maris, mari, mare,
Non scholae sed vitae discimus
Klabauta nauta primus,
Karausche, Karnickel, Klavier,
Klabautermann, zeige dich mir!“

Dabei muss man am Meeresstrand stehen, im Idealfall unterhalb einer eichenbewachsenen Steilküste, und dort seinen magischen Muschelkreis in den Sand gelegt haben. Zusätzlich muss man elf tote Quallen in den weiten Ärmeln des Zauberermantels verstauen und diese im Rhythmus der Worte „Lirum Larum, Warum? Darum!“ (Quallen 1-4); „Mare, maris, mari, mare“ (Quallen 5-8) sowie „Karausche, Karnickel, Klavier“ (Quallen 9-11) einzeln hinaus ins Meer schleudern. Außerdem darf man sich bei dem ganzen Zauberspruch auch noch kein einziges Mal versprechen!

Es gibt darüber hinaus noch ein paar weitere wirksame Beschwörungsformeln, aber mehr können wir an dieser Stelle nicht verraten. Das würde gegen die guten Sitten des magischen Geheimwissens verstoßen.

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Schätze im Besitz des Klabautermanns

Wer ist der klabautermann

Viele Jahrhunderte lang hat der Klabautermann als Schiffskobold die Meere und Ozeane durchquert. Von der Ostsee bis zur Karibik, vom Kap der Guten Hoffnung bis zum Amundsengolf, von den Osterinseln bis zum Ärmelkanal gibt es kaum eine Küste, Klippe oder Insel, die er nicht wie seine Westentasche kennt.

Auf seinen unzähligen Reisen hat es ihn natürlich des Öfteren auch auf Schatzinseln verschlagen, oder er fand versunkene Schiffe mit kostbaren Ladungen – Gold, Diamanten, Perlen, Rubine, Juwelen, Smaragde. Und genau wie alle anderen Kobold- und Zwergengestalten liebt der Klabautermann derlei funkelnde Schätze abgöttisch.

Mit Hilfe verwandter Kobolde und Wassergeister schleppte er so manche prall gefüllte Schatztruhe in geheimnisvolle Grüfte und Grachten, auch wenn ihm der Meeresgott Neptun manchmal dabei in die Quere kam und die edelsten Fundstücke für seine eigenen Schatzkammern reklamierte, jene von durchsichtigen Tiefseemonstern bewachten schillernden Gemächer im Innersten seiner prunkvollen Paläste am Meeresgrunde, deren unvorstellbare Pracht keines Menschen Auge je gesehen hat.

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Wer ist der klabautermann

Nicht selten segelte er auch mit Piraten übers Meer, und die benahmen sich meistens ziemlich roh und ungeschliffen. Sie waren eigentlich andauernd betrunken. Dadurch war es für den Klabautermann ein Leichtes, ihnen einen guten Teil der Beute abzuluchsen und in eines seiner Geheimverstecke zu bringen.

Auch ein alter Brauch der Schiffsbauergilden vermehrte den Reichtum des Klabautermanns: Extra für ihn legten die Zimmerleute und Schiffsbaumeister, bevor der Großmast in das Bodengebälk eines neu erbauten Segelschiffes hineinversenkt wurde, ein blankes Goldstück in die Höhlung, auf der der Fuß des Mastes zu stehen kommen sollte. Für den Klabautermann gehörte es zu den leichtesten Übungen in Magie, dieses Goldstück in die Taschen seines Seemannsmantels hineinzuzaubern, obwohl es natürlich nach menschlichem Ermessen unmöglich war, ohne einen Kran oder Flaschenzug den schweren Mast anzuheben und die Münze hervorzuholen. Wenn der Mast dann bei einem heftigen Sturm einmal abbrach und das Fehlen des Goldstücks offenbar wurde, dann wunderten sich jedes Mal die wenigen Matrosen, die nicht an den Klabautermann glaubten — aber das waren ohnehin nur ganz, ganz wenige.

Wer ist der klabautermann

All das führte dazu, dass der Klabautermann mit der Zeit sagenhafte Reichtümer anhäufte. Es wird vermutet, dass er einen Teil davon in einem unterirdischen Labyrinth, das nur von seiner Berliner Springbrunnen-Koboldhütte aus erreichbar ist, versteckt hat. Das Beste daran ist: Er nimmt dort manchmal einfach eine Schatztruhe heraus und versteckt sie an einem anderen Ort, wo sie dann von schlauen und mutigen kleinen Schatzsuchern entdeckt werden kann. Er weiß nämlich ganz genau, was für begeisterte Schatzsucher die meisten Kinder sind und wie sehr auch sie die vielen glänzenden Goldtaler lieben. Erst recht, wenn sie herausfinden, dass man diese unter ganz bestimmten Umständen — auch essen kann!

Jawohl! Bei dieser Gelegenheit werden alle eines Besseren belehrt, die glauben, man könne Geld nicht essen. Durch Klabautermanns neckischen Schabernack verwandelt sich der heiligste Götze unseres Zeitalters im Munde der Kinder auf mystische Weise in süße Nahrung! Wer es nicht glaubt, der kann es auf einer ⟶ Schatzsuche mit dem Klabautermann gerne einmal selbst ausprobieren.

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Ausführlicher Lebenslauf des Klabautermanns

Vorbemerkung

Wer ist der klabautermann

Das Leben des Klabautermanns zu erforschen ist kein leichtes Unterfangen, reicht doch sein mythisches Wandeln und Wirken Jahrtausende in die Vergangenheit zurück. Bei so einer langen Lebensspanne ist es klar, dass auch der Klabautermann selbst allenfalls Bruchstücke seiner Biographie aus dem Gedächtnis rekonstruieren kann.

Der hier wiedergegebene Lebenslauf orientiert sich am aktuellen Forschungsstand, das heißt, er verknüpft die wenigen Fakten, die aus den lückenhaften und unzuverlässigen Quellen hervorgehen, mit den teilweise recht kühnen Hypothesen der ⟶ wissenschaftlichen Klabautermannkunde zu einem biographischen Puzzle, das sicher an vielen Punkten einer von gewissenhaften Klabautermannforschern erst noch zu leistenden Revision bedarf.

Kapitelübersicht

  • 1. Einordnung des Klabautermanns innerhalb des Reiches der Geister
  • 2. Altertum: Ein keltischer Gott
  • 3. Die erste Metamorphose: Verwandlung in einen Baum
  • 4. Die zweite Metamorphose: Wiedergeburt in Koboldgestalt
  • 5. Das Leben als Schiffsgeist
  • 6. Der Klabautermann verlässt das Meer
  • 7. Ein neues Leben als Genius des Spiels
  • 8. Geschichtsphilosophische Dimensionen
  • ↓ Lebenslauf lesen (Kapitel 1)

❶ Einordnunginnerhalb des Reiches der Geister

Wer ist der klabautermann

Das Handbuch der Germanischen Mythologie von Wolfgang Golther (Leipzig, 1895) ordnet den Klabautermann unter den „Gestalten des Volksaberglaubens“ in die Gruppe der Elbe und Wichte ein und bescheinigt ihm eine enge Verwandtschaft mit verschiedenen Kobolden oder Hausgeistchen wie den Heinzelmännchen, Heimchen, Wolterkens, dem niedersächsisch-friesischen Puk bzw. Nis Puk und den niederländischen kaboutermannetjes. Zur gleichen Linie zählen auch Schreckgespenster wie Butzemann, Pötz, Pöpel, Hullenpöpel und Pulterklaes, die zeitweise unter anderem als angsteinflößende Begleiter des Heiligen Nikolaus berüchtigt waren, aber auch die heutzutage weithin bekannten Weihnachtswichtel und nicht zuletzt sogar der ⟶ Weihnachtsmann selbst.

Golther führt überzeugende Belege dafür an, dass der Klabautermann kaum Gemeinsamkeiten mit Wassermännern, Nixen oder andern Geschöpfen des Meeres aufweist und insofern nicht etwa zu den Wassergeistern gezählt werden kann. Seine geringe Körpergröße, das neckische Wesen, die Vorliebe, Menschen durch Poltergeräusche zu foppen, die gelegentliche Unsichtbarkeit und das Lieblingsgetränk Milch — all diese Merkmale machen ihn vielmehr zu einem typischen Vertreter der Hausgeister oder Kobolde. Kurz gesagt:

„Was der Kobold fürs Haus, das ist der Klabautermann fürs Schiff.“

Die Begründer der ⟶ wissenschaftlichen Klabautermannkunde, Professor Mingau und Dr. Kienspan, stellen die Zuordnung zu den Kobolden keinesfalls infrage. Es gelang ihnen jedoch, die Lebensgeschichte des Klabautermanns über jene Epoche hinaus zu verfolgen, in der ihn der Volksaberglaube in Koboldgestalt gekannt und verehrt hat. Einerseits nämlich schlägt sein Lebensweg in jüngster Zeit eine ganz neue Richtung ein, andererseits führt die Spur seines mythischen Wirkens und Wandelns noch mehrere Jahrhunderte weiter zurück: bis in die Antike.

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❷ Altertum: Ein keltischer Gott

Wer ist der klabautermann

Bronzestatue des Sucellus im Musée nationale d'archéologie, Saint-Germain-en-Laye
Foto: PHGCOM [Public domain]
Quelle: Wikimedia Commons

Durch vergleichende religionswissenschaftliche und mythologische Studien gelangten Prof. Mingau und Dr. Kienspan zu der Überzeugung, dass der Klabautermann nicht nur ein Verwandter, sondern unmittelbar identisch mit dem keltischen Wald- und Fruchtbarkeitsgott Sucellus sei. Dieser wurde im antiken Gallien verehrt, vorwiegend im Gebiet zwischen Mosel, Rhône und der heutigen frankophonen Schweiz, und er stammt seinerseits von einer Dryade — einer griechischen Baumnymphe (genauer: Eichennymphe) — ab.

Der Name Sucellus geht auf die indogermanische Wurzel *keldos zurück, mit der Bedeutung treffen oder zuschlagen, die sich z.B. auch im griechischen klao (zersplittern, brechen) und im litauischen kalti (hämmern) wiederfindet. Aus dem gleichen Stamm leitet sich das norddeutsche klabastern oder klapaustern (klopfen, poltern) her, aus dem wiederum der Name des Klabautermanns abgeleitet ist, desgleichen das Wort kalfatern (abdichten/flicken von Schiffswänden) und das für diese Arbeit gebräuchliche Werkzeug: der Kalfaterhammer.

Genau wie die hier abgebildete Bronzestatue zeigen die meisten erhaltenen bildlichen Darstellungen Sucellus mit einem merkwürdig überdimensionierten Hammer in der rechten Hand, dessen Funktion nicht endgültig geklärt zu sein scheint. Gelegentlich wird er als Instrument gedeutet, mit dem der Gott, der auch Herr über Leben und Tod war, Menschen den Tod bringen oder Tote wieder zum Leben erwecken konnte. Möglich erscheint aber auch, dass er ihn in erster Linie zum Poltern und Lärm machen benutzt hat. Die frappierende Ähnlichkeit mit dem Kalfaterhammer, der später zum typischen Attribut, Standardwerkzeug und Polterinstrument des Klabautermanns werden soll, ist jedenfalls klar zu erkennen.

Den Weg der Verwandlung des keltischen Gottes des Altertums in eine neuzeitliche, norddeutsche Sagengestalt, rekonstruiert die wissenschaftliche Klabautermannkunde wie folgt:

Nach der Eroberung Galliens durch die Römer wurde Sucellus zunächst mit römischen Göttern (Silvanus oder auch Pluto) gleichgesetzt. Mit diesen Göttern musste er fortan seinen Lebensunterhalt — also die ihm dargebrachten Opfergaben — teilen. Mit dem Beginn der Christianisierung hörte seine Verehrung gänzlich auf. Im frühen Mittelalter wanderte er dann als ein vazierender (unbekannt und arbeitslos gewordener) Gott durch ganz Europa.

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❸ Die erste Metamorphose: Verwandlung in einen Baum

Wer ist der klabautermann

Am Ende seiner langen Wanderfahrt, wahrscheinlich um das Jahr 1111, gelangte Sucellus schließlich an die Ostsee, in einen Wald unweit der Weichselmündung und der Stadt Gedanum oder Gyddanze, dem späteren Danzig.

Dort soll er dann in den Stamm einer Eiche eingefahren sein, um mit ihr „ein Holz“ zu werden und die Leiden eines Baumlebens am eigenen Leib zu erfahren — (das ist die christlich beeinflusste Version der Geschichte). Oder aber er verwandelte sich in einen ganzen Wald bzw. wurde zum Geist dieses Waldes — (das wäre die schiffsbautechnisch realistischere Version).

Dazu muss erklärend angemerkt werden, dass Sucellus als Waldgott von jeher in engem Zusammenhang mit Bäumen und Holz stand. Wenn seine Mutter eine Dryade war, so erscheint es vollkommen plausibel, dass er von ihr auch die Fähigkeit zur Metamorphose von Menschen- in Baumgestalt geerbt haben könnte.

(Die Dryaden und andere Nymphen setzten diese Fähigkeit gewöhnlich ein, um den sexuellen Übergriffen olympischer Götter wie Apollon, Hermes oder Zeus zu entkommen, wie man es beispielsweise in der Geschichte von Phoebus und Daphne im 1. Buch der Metamorphosen des Ovid nachlesen kann).

Seit dem Hochmittelalter, der Blütezeit der Hanse, taucht nun die Figur des Klabautermanns in den Sagen verschiedener Regionen entlang der deutschen Nord- und Ostseeküste auf. Stets wird er in enger Verbindung mit dem Schiff, auf dem er sich aufhält, speziell mit dem Holz dieses Schiffes, dargestellt.

Wer ist der klabautermann

Nach baltischen und ostpreußischen Versionen der Sage ist der Klabautermann die Verkörperung der Seele eines toten Kindes, das im Bauholz des Schiffes steckt – möglicherweise eines Kindes, das durch einen Spalt in Eichen gesteckt wurde, um einen gebrochenen Arm oder ein gebrochenes Bein zu heilen, und dann darin stecken blieb, oder eines ungetauft gestorbenen Kindes, das unter einem Baum begraben wurde. Nach anderen Quellen kann es sich auch um die Seele eines Menschen handeln, der vom Baum erschlagen wurde oder sich daran erhängt hat.

Eine mehr patriarchalisch orientierte Version behauptet wiederum, der Geist des Schiffsbaumeisters sei durch ein bestimmtes Ritual in das Schiffsholz gelangt, und wache dann, wenn das Schiff auf hoher See sei, als Schutzgeist und Klabautermann über die Seeleute.

Der wahre Kern all dieser mythischen Überlieferungen besteht offenbar in der engen Verklammerung von Klabautermann und Schiffsbauholz, die in Wirklichkeit in der Holz- oder Waldwerdung des Sucellus ihren Ursprung hat. Es ist das Verdienst der wissenschaftlichen Klabautermannkunde, mit ihrer Theorie der zwei Metamorphosen erstmals eine einleuchtende Erklärung für diese in den Sagen überlieferten Zusammenhänge auf der Grundlage historischer Fakten geliefert zu haben.

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❹ Die zweite Metamorphose: Wiedergeburt in Koboldgestalt

Wer ist der klabautermann

Die aufblühende Stadt Danzig übernahm 1224 das lübische Recht und wurde Hansestadt. Von hier aus wurden vor allem Holz und Korn in den gesamten Nord- und Ostseeraum geliefert. Ein maßgeblicher Teil des Holzes, das in verschiedenen Hansestädten wie Lübeck, Hamburg, Bremen oder Stralsund für den Bau von Koggen verwendet wurde, stammte also ab dem 13. Jahrhundert aus den Wäldern des pruzzischen und pommerellischen Danziger Hinterlandes.

Auch Sucellus-Klabautermanns teilte das Schicksal dieser Wälder und wurde — sei es nun in konkreter Holzlichkeit oder eher in symbolischer Form — mit kräftigen Axthieben gefällt, anschließend verkauft, verschifft, und in erster Linie als Schiffsbauholz verwendet. Er „steckte“ also im Holz der Schiffe, und auf hoher See erwachte er zu neuem Leben.

Selbstverständlich wurden Schiffe und Bauholz mit der Zeit auch über den von der Hanse dominierten Nord- und Ostseeraum hinaus exportiert, so dass der Wirkungsradius des Klabautermanns nicht auf diesen beschränkt blieb. Vielmehr war er in späteren Jahrhunderten auf allen Weltmeeren zu Hause.

Wie ging nun der Akt der Wiedergeburt des Sucellus als Klabautermann aus dem Holz eines Schiffes konkret vonstatten?

Es lässt sich leicht vorstellen, dass der schaukelnden Bewegung des Schiffes auf den Meereswellen die Funktion von Geburtswehen zukam — jedenfalls schaukelt der Klabautermann auch heute noch für sein Leben gern.

Wer ist der klabautermann

Sobald ein Schiff auf hoher See war und schön schaukelte, kroch der Klabautermann irgendwo im Laderaum aus dem Holz einer Planke oder eines Spants. Dabei nahm er eine seinem heutigen Aussehen offenbar recht ähnliche Koboldgestalt an, die uns in zahlreichen — allerdings nicht in allen Punkten übereinstimmenden — Beschreibungen und Abbildungen überliefert ist.

Auf einen besonderen Begleiteffekt dieser Geistergeburt, wie etwa das Auflodern einer Flamme, welches bekanntlich zu beobachten ist, wenn ein Flaschengeist aus seiner Flasche herausfährt, gibt es im Falle des Klabautermanns leider keinerlei Hinweis.

Prinzipiell ist wohl davon auszugehen, dass die Epiphanie des Klabautermanns sich zu verschiedenen Zeiten auf verschiedenen Schiffen vollzog, sodass eigentlich mehrere Klabautermänner, die jeweils individuell mit einem Schiff verbunden waren, entstanden. Allerdings führt eine solche Vorstellung leicht in die Irre, denn keinesfalls kann der Klabautermann als typisches Mehrzahlwesen betrachtet werden, wie andere koboldartige Männchen, etwa Trolle, Wichtel, Elfen, Schlümpfe oder Heinzelmännchen.

Wer ist der klabautermann

Es wäre also unangemessen, von einer Multiplikation des Sucellus zu sprechen; andererseits gibt es sehr wohl Quellen, die von angeblich belauschten Gesprächen zweier oder mehrerer Klabautermänner berichten.

Der Klabautermann selbst hält sich natürlich für ein einzigartiges Individuum, doch die Tatsache, dass er über Jahrhunderte hinweg eine so allgemeine Bekanntheit unter Seefahrern erlangt hat, scheint eher für die Existenz mehrerer Zwillingsbrüder zu sprechen.

Vielleicht muss man sich eine auf mystische Weise gleichzeitige, parallele Gegenwart eines einzigen Klabautermanns auf verschiedenen Schiffen vorstellen, der in jeder seiner Fragmentgeburten ein mit sich selbst identisches Ganzes war? Ein kniffliges Thema, das nur darauf zu warten scheint, zwischen den Koryphäen rivalisierender klabautermann­kundlicher Strömungen spitzfindige Debatten auszulösen, das aber für das weiter reichende Erkenntnis­interesse der wissenschaftlichen Klabautermannkunde letztlich von untergeordneter Bedeutung ist.

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❺ Das Leben als Schiffsgeist

Wer ist der klabautermann

War der Klabautermann also auf einem Schiff aus den Planken herausgekrochen und zu leiblicher Existenz gelangt, so richtete er sich auch gleich häuslich ein und trat mit der Schiffsmannschaft in Kontakt.

Vermutlich war er für die Seefahrer des Mittelalters noch weitestgehend sichtbar und lebte mit ihnen in einer mehr oder weniger gleichberechtigten Gemeinschaft zusammen. Seine Unsichtbarkeit für Erwachsene bildete sich erst im Laufe der folgenden Jahrhunderte allmählich heraus.

Selbst für den sichtbaren Klabautermann scheint es jedoch typisch gewesen zu sein, dass er sich den Matrosen mit besonderer Vorliebe durch Poltern bemerkbar machte.

Es heißt auch, dass er nachts allerlei nützliche Arbeiten verrichtete: er stopfte Löcher im Schiffsrumpf (unter Verwendung des Kalfaterhammers), flickte Segel und Kleider, reparierte Töpfe und Werkzeug, oder staute die Ladung nach. Dabei polterte und lärmte er oft so laut herum, dass die Seeleute nicht schlafen konnten, besonders, wenn diese ihn am Tag zuvor geärgert hatten.

Wer ist der klabautermann

Auch soll er sich mit (wohl überwiegend im unsichtbaren Modus ausgeteilten) Püffen und Kniffen an denjenigen Matrosen gerächt haben, die ihn alle Arbeit allein tun lassen wollten und selbst auf der faulen Haut lagen.

Ob er mit einigen Kapitänen persönliche Unterhaltungen über Gott und die Welt führte — der Klabautermann selbst glaubt, sich daran zu erinnern — unterliegt gewissen Zweifeln. (Man muss hier sowohl auf klabautermännischer Seite als auch in den Kapitänsmemoiren, die von solchen Gesprächen berichten, mit einem hohen Anteil an Seemannsgarn rechnen).

Auf jeden Fall führte er auf den meisten Schiffen ein gutes Leben. Die Seemänner wussten, dass er ihr Schiff vor Brand, Strandung und anderen Gefahren behütete. Solange der Klabautermann an Bord war, konnte das Schiff nicht sinken.

Daher behandelten sie ihn stets gut und stellten bei allen Mahlzeiten einen Extra-Teller für ihn auf, auf dem ihm von allem das Beste serviert wurde. (Er war als Feinschmecker bekannt und als ehemaliger Gott daran gewöhnt, Opfergaben entgegenzunehmen).

Besondere Mühen verwandte so mancher Schiffskoch darauf, so lange wie möglich frische Milch für den Klabautermann vorrätig zu halten, die er sich am liebsten in mehreren kleinen Schälchen, überall auf dem Schiff verteilt, servieren ließ.

Während der gesamten Epoche der Segelschifffahrt reiste der Klabautermann auf diese Weise über die Weltmeere, in glücklicher Vereinigung mit der Besatzung seines jeweiligen Schiffes, das er nur verließ, wenn es unterging. Von einem bestimmten historischen Zeitpunkt an war das dann auch der einzige Moment, in dem er überhaupt noch für die Schiffsmannschaft sichtbar wurde.

So berichtet Heinrich Heine 1826 von seiner Reise auf die Insel Norderney (erschienen im 2. Teil der Reisebilder), was ihm der „wackere Steuermann“ seines Schiffes vom Klabautermann zu erzählen wusste:

„Auf meine Frage, ob man ihn nicht sehen könne, erhielt ich zur Antwort: nein, nein, man sähe ihn nicht, auch wünsche keiner ihn zu sehen, da er sich nur dann zeige, wenn keine Rettung mehr vorhanden sei. (...) wenn der Sturm zu stark und das Scheitern unvermeidlich würde, setze er sich auf das Steuer, zeige sich da zum erstenmal und verschwinde, indem er das Steuer zerbräche“.

Das Phänomen der Unsichtbarkeit des Klabautermanns für Erwachsene muss spätestens zu diesem Zeitpunkt also fest in der Alltagserfahrung der Seeleute verankert gewesen sein. Wahrscheinlich hat es sich sogar schon viel früher, mit dem allmählichen Schwinden (oder, wie Prof. Mingau und Dr. Kienspan präzisieren würden, der zunehmenden Psychologisierung und Fiktionalisierung) des sogenannten Aberglaubens herausgebildet, und hatte bereits im 18. Jahrhundert sein endgültiges Stadium erreicht.

Die Verbindung zwischen dem plötzlichen — der generellen Regel widersprechenden — Anblick des Klabautermanns mit dem bevorstehenden Tod des betreffenden Seemanns oder dem Untergang des Schiffs findet sich in mehreren weiteren zeitgenössischen Quellen wieder, unter anderem in der 1888 von P.G. Heims herausgegebenen Sammlung Seespuk. Aberglauben, Märchen und Schnurren.

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❻ Der Klabautermann verlässt das Meer

Wer ist der klabautermann

Porträt eines kleinen Jungen im Matrosenanzug
Gemälde um 1900
(Anonym, signiert "Kra") [Public domain]
Quelle: Wikimedia Commons

Mit dem Aufkommen der Dampfschifffahrt und der Verwendung anderer Schiffsbaumaterialien als Holz verschwand der Klabautermann — auch der unsichtbare — nach und nach von den Schiffen und aus der Lebenswelt der Seefahrer. Der nun folgende Abschnitt seines Lebens stand im Zeichen einer im 19. Jahrhundert einsetzenden Entwicklung, die bis in die Gegenwart reicht und sogar immer deutlicher und extremer wird: der Infantilisierung der Seefahrermythologie.

Piraten, Walfänger, Seejungfrauen, grausame Kannibalen, glückliche Ureinwohner von Südseeinseln und eben auch der Klabautermann hielten mehr und mehr Einzug in Kinderzimmer und Kindergärten. Statt draußen im Sturm, auf dem offenen Meer, spielten ihre Abenteuer sich zunehmend in Kinder- und Jugendbüchern, auf Neuruppiner Bilderbögen, und einige Menschenalter später dann auf der Leinwand oder Mattscheibe ab. Piraten- und Seefahrergeschichten beflügeln heutzutage die Phantasie jedes Kindes, während Erwachsene sich meist achselzuckend davon abwenden, womit auch das vom Klabautermann so bedauerte Aussterben der Fähigkeit, Seemannsgarn zu erzählen, direkt zusammenhängt.

Als Zeugnis dieser Infantilisierungstendenz lässt sich beispielhaft Christian Morgensterns Gedicht „Klabautermann“ (enthalten in den 1905 erstmals erschienenen Galgenliedern) anführen:

„Klabautermann
Klabauterfrau,
Klabauterkind
im Schiffe sind.
Die Küchenfei
erblickt die drei.
Sie schreit: O Graus,
das Stück ist aus!

Den Pudel Pax -
den Kaufmann Sachs -
sie alle frißt
der Meerschoßdachs.
Klabautermann,
Klabauterfrau,
Klabauterkind
wo anders sind“.

Wer ist der klabautermann

Meeresungeheuer — Buchillustration aus dem Werk "Cosmographia" von Sebastian Münster (1488-1552).
Colorierter Holzschnitt, wahrscheinlich von dem Schweizer Künstler Urs Graf (⟶ hier weitere Infos zum Bild).
Quelle: Reusable Art [Public domain]

Interessant ist hier zunächst die (wahrscheinlich erstmalige) Erwähnung von Klabauterfrau und Klabauterkind, welche dem Klabautermann in seiner Zeit als Schiffskobold niemals angedichtet wurden, sondern eben erst nach seiner Ankunft in einem domestizierten, bürgerlichen Milieu als passende Lebensgefährten für ihn empfunden werden konnten.

(Der Klabautermann selbst streitet heute zwar vehement ab, jemals Ehegatte und Vater gewesen zu sein — womit freilich nichts bewiesen ist. Er mag seine Gründe haben, dieses oder jenes Abenteuer, in das sein langes, wandlungsreiches Leben ihn führte, zu verleugnen. Verdächtig ist jedenfalls, dass ein rothaariger Kobold namens Pumuckl, der in den 1980er Jahren zum deutschen Fernsehstar wurde und dessen Abenteuer die Kinderbuchautorin Ellis Kaut bereits seit 1961 schriftlich festhielt, sich wiederholt auf seine Abstammung vom „Klabauter" berief).

Auch der Rest des Morgenstern-Gedichtes führt die Leser:innen in eine Welt weit abseits der rauen, stürmischen Gewalt des Meeres. Das vermeintliche Schiff, auf dem sich die Klabauterfamilie befindet, ist ansonsten nur von einer Küchenfee, einem Pudel und einem Kaufmann bevölkert – klischeehaften Vertretern des Alltagspersonals einer wohlbehüteten bürgerlichen Kinderstube um 1900.

Von dem aus alten Sagen und Seefahrergeschichten überlieferten Klabautermann bleibt hier nur ein einziges Motiv übrig: der Glaube, dass bei seinem Anblick das Schiff dem Untergang geweiht sei. Aber selbst dieser Untergang wird jedes ernst zu nehmenden Schreckens beraubt. Denn als Äquivalent eines alles verschlingenden, fürchterlichen Seeungeheuers tritt in der zweiten Strophe lediglich ein possierliches Wortgetüm in Erscheinung, das allzu ausschließlich Christian Morgensterns manieristischem Reimfetischismus entsprungen ist: der Meerschoßdachs.

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❼ Ein neues Leben als Genius des Spiels

Wer ist der klabautermann

Vielleicht ist nun der Eindruck entstanden, man müsse die hier skizzierte Entwicklung als dekadent ansehen und den Verlust der Seetauglichkeit des Klabautermanns in jeder Hinsicht bedauern. Der Klabautermann selbst empfindet seine Neuorientierung der letzten 111 Jahre allerdings ganz und gar nicht als negativ.

Seinem geselligen Wesen gemäß passte er sich ohne jedes Ressentiment dem Universum der kindlichen Phantasie an, in dem er nun heimisch wurde, und das sich ihm im Vergleich zur Welt der Seefahrer sogar als überaus erfrischendes, inspirierendes Umfeld darstellte, in dem er seine dem Spiel, dem Lärm und dem Schabernack zugeneigten Koboldqualitäten freier und vielseitiger als je zuvor entfalten konnte.

Die „Kinderversion“ des Klabautermanns war von Anfang an alles andere als ein billiger Abklatsch eines authentischen maritimen Originals. Auf Grund der besonderen Seelenverwandtschaft zwischen ihm und den Menschenkindern, die sich ja allein schon daran zeigt, dass Kinder ihn ohne jede Vorbedingung jederzeit sehen können, geht der Klabautermann bis zum heutigen Tag voll und ganz in seiner Rolle als Abenteuererfinder, Phantasiereiseleiter, Flaschenpostautor, Krachkapellendirigent, charmanter Unterhalter, Spielgefährte, Maskottchen und geheimer Verbündeter der Kinder auf.

Wer ist der klabautermann

Um es ein wenig pathetisch zu sagen: gerade in dieser neuen Rolle entdeckte er, nach jahrhunderte-, ja jahrtausendelanger Wanderfahrt als keltischer Gott, pommerellischer Baum, Schiffsgeist, Kobold und Sagengestalt, endlich seine wahre Berufung.

Im Sommer 2011, rund 900 Jahre nach seiner Holzwerdung an der Weichselmündung, ließ der Klabautermann sich vorerst endgültig an seinem neuen Wohnsitz in der Nähe eines Berliner Springbrunnens nieder.

Seitdem kommt es immer mal wieder vor, dass erstaunte Eltern in Berlin und Brandenburg ihre Kinder erzählen hören, sie hätten ein merkwürdiges Männchen mit rotem Bart auf einem alten Baumstumpf am Ufer der Panke sitzen sehen. Oder der Klabautermann stehe direkt vor ihrer Nase an der Reling der BVG-Fähre von Wannsee nach Kladow, oder er befinde sich gar mitten in ihrem Kinderzimmer, um mit seinem Kalfaterhammer beim Bau eines Piratenschiffes zu helfen. Manche Kinder treiben es auch noch mehr auf die Spitze und behaupten, sie seien heute etwas müde, weil sie in der Nacht mit dem Klabautermann und seinen sieben privaten Piraten eine kleine Seereise zu dieser oder jener Schatzinsel unternommen hätten.

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❽Geschichts­philosophische Dimensionen

Aus der Perspektive der wissenschaftlichen Klabautermannkunde bildet der spielerische Umgang des Klabautermanns mit den Kindern, wie er sich in seiner jüngsten Lebensphase herausgebildet hat, nun sogar die Keimzelle einer historisch neuen Stufe der Beziehung zwischen Geistern und Menschen.

So schreiben Prof. Mingau und Dr. Kienspan in ihren Grundrissen einer Theorie des Polterns (zitiert aus dem unveröffentlichten Manuskript):

„Mit dem Absterben des seemännischen Volksglaubens und dem Bedeutungsverlust des Holzes als Schiffsbaumaterial scheint es besiegelt, dass auch der Klabautermann für den Menschen in Bedeutungslosigkeit versinkt. Aber das Gegenteil ist der Fall. Kinderaugen sehen den Klabautermann – und sie sehen ihn richtig. Weder als Schreckgespenst sehen sie ihn, das man aus lauter Angst lieber nicht genauer betrachtet, noch auch als gütigen Schutzgeist, von dessen Wohlwollen man abhängig ist und dessen Fürsorge man bedarf, sondern als Spielgefährten, dem man auf gleicher Augenhöhe begegnet und dessen geheimnisvolle Unsichtbarkeit für Erwachsene ihn zum natürlichen Verbündeten der eigenen, kindlichen Partei macht. Jenseits des Schabernacks unsichtbarer Püffe und polternder nächtlicher Ruhestörungen, jenseits des Schreckens und Grauens, mit dem der Anblick des Klabautermanns für den abergläubischen Seemann verbunden war, dem er den sicheren Tod verhieß, entfaltet sich hier zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit ein gleichberechtigtes und symmetrisches Nebeneinander von Geist und Mensch. Fast unbemerkt sprießt aus dem scheinbar verseuchten, versiegelten, erodierenden Boden eines Zeitalters ökologischer Krisen der Keim eines unbefangenen, herrschaftsfreien Dialogs, der den Menschen nicht zurück zur Natur, sondern allererst hin zu einem geistreichen Einklang mit ihr, zu einem endlich einmal substanziellen Gespräch mit ihren Geistern führt“.

Um die wissenschaftlichen Grundlagen näher kennenzulernen, auf denen diese auf den ersten Blick vielleicht etwas überzogen wirkende Interpretation beruht, lesen Sie bitte auch den nächsten Artikel: ⟶ „Die wissenschaftliche Klabautermannkunde“.

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Die wissenschaftliche Klabautermannkunde

Wer ist der klabautermann

Die wissenschaftliche Klabautermannkunde ist eine noch recht junge, interdisziplinäre Forschungsrichtung, die von Professor Mingau (einem entfernten Verwandten des Autors dieser Website) und seinem Mitarbeiter Dr. Gerd Kienpsan begründet wurde.

Maßgeblich für eine Neuausrichtung der Klabautermannforschung, die zuvor lediglich als wenig profiliertes Randgebiet der Nord- und Niederdeutschen Volkskunde, der Kultur- und Religionsgeschichte, der Germanistik oder der Vergleichenden Mythologie betrachtet worden war, war das Privileg der persönlichen Bekanntschaft dieser beiden Wissenschaftler mit dem Klabautermann.

Auf der Grundlage akribisch dokumentierter Interviews rekonstruierten Mingau und Kienspan zunächst den ⟶ Lebenslauf des Klabautermanns von der Antike bis zur Gegenwart.

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Darüber hinaus gelangten sie zu einer Fülle neuer Informationen, aus denen sie innovative Hypothesen zur Erklärung der Unsichtbarkeit des Klabautermanns für Erwachsene bzw. seiner Sichtbarkeit für Kinder ableiteten.

Das Hauptaugenmerk der beiden Forscher galt schließlich der speziellen Form der Kommunikation des Klabautermanns durch Rumpeln und Poltern. Dieses Phänomen wird in ihrem bisher unveröffentlichten Hauptwerk Grundrisse einer Theorie des Polterns ausgiebig analysiert.

Um die wissenschaftliche Klabautermannkunde hier auf dieser Internetseite vorzustellen, bat ich die beiden Autoren, für mich eine „kurze, am besten auch für Kinder verständliche Einführung“ in ihre Poltertheorie zu schreiben. Denn ich muss gestehen, dass das eigentliche, rund 800 Manuskriptseiten umfassende Werk, das noch dazu als 1. Band (ohne Hinweis darauf, wie viele Folgebände noch angedacht sind) herausgegeben werden soll, nicht gerade als leicht verdauliche Lektüre zu bezeichnen ist.

↓ Mehr Details zur wissenschaftlichen Klabautermannkunde

Wer ist der klabautermann

Von der Antwort der beiden Klabautermannforscher war ich tatsächlich äußerst angetan. Im Hinblick auf seine Verständlichkeit für Kinder lässt der gelieferte Text zwar sicher noch zu wünschen übrig. Mir selbst aber hat diese „Kinderversion“ immerhin ein grundlegendes Verständnis für den philosophischen Horizont des Werkes eröffnet — im Gegensatz zu der für Laien allzu gründlichen Analyse der semantischen, semiotischen, kulturhistorischen, rituellen, ontologischen, phänomenologischen, parapsychologischen, xylophonetischen, rhythmischen und medientheoretischen Aspekte des Polterns und deren jeweiliger Anteile am Eigenleben des Unsichtbaren, die die Seiten des eigentlichen Werkes füllt.

Das Fazit: Der Klabautermann scheint gleichsam den Bauplan eines kühnen Theoriegebäudes in der Hand zu halten, das sich zusammen mit den wegweisenden Erkenntnissen Professor Mingaus über die Literatur und Dichtung der Bäume zu einem grandiosen Puzzle fügt und das uns Menschen implizit dazu auffordert, unser Verständnis der Natur, ihrer Geister und unserer Rolle als Gesprächs- (oder Polter-)Partner derselben völlig neu zu überdenken.

Mit freundlicher Genehmigung der beiden Verfasser gebe ich die erwähnte Einführung in die Mingau-Kienspansche Poltertheorie hier im vollen Wortlaut wieder:

„Klabautermannkunde ist eigentlich keine große Wissenschaft, denn sie ist kinderleicht. Jedenfalls für Kinder. Die brauchen sich einfach nur mit dem Klabautermann zu unterhalten und können ihn alles fragen, was sie über ihn wissen wollen.

Nur für Erwachsene ist das Ganze so kompliziert, weil sie den Klabautermann ja nicht sehen können. Er ist für sie unsichtbar, außer wenn sie auf einem Schiff sind, das gerade untergeht und für dessen Mannschaft es keine Rettung mehr gibt. Dann sehen die Erwachsenen auch endlich den Klabautermann, aber dann ist es für sie natürlich zu spät, sich mit Klabautermannkunde zu beschäftigen.

Damit die Erwachsenen also, auch ohne Schiffbruch zu erleiden, etwas über den Klabautermann erfahren können, gibt es die wissenschaftliche Klabautermannkunde.

Zwei Wissenschaftler haben herausgefunden, dass sie mit dem Klabautermann ganz normal sprechen können, obwohl er ein für sie unsichtbarer Geist ist. Daraufhin haben sie ihm ganz viele Fragen gestellt, sich die Antworten genau aufgeschrieben und darüber nachgedacht, warum es sich mit all den Dingen, die der Klabautermann erzählt hat, und mit seiner Sichtbarkeit oder Unsichtbarkeit gerade so verhält und nicht anders. Außerdem haben sie noch viele Bücher über den Klabautermann und über alle möglichen anderen Sachen gelesen, zum Beispiel über Poltergeister, Spuk und Geisterbeschwörung, über Seemannsbräuche, Kobolde, keltische Götter, Springbrunnen, Sprachtheorie, Philosophie und so weiter und so fort.

Dann haben sie selbst ein Buch geschrieben, das heißt: Grundrisse einer Theorie des Polterns (oder abgekürzt: die Mingau-Kienspansche Poltertheorie). Darin dreht sich alles um das Poltern, denn das ist normalerweise das einzige, was Erwachsene vom Klabautermann mitbekommen. Und die beiden Verfasser versuchen zu beweisen, dass zwischen dem Poltern und der Unsichtbarkeit eines Geistes ein Zusammenhang besteht.

Sie vergleichen die Unfähigkeit der Erwachsenen, den Klabautermann oder andere Poltergeister zu sehen, mit dem Verhalten einiger Florentiner Professoren vor 400 Jahren, die sich zunächst geweigert hatten, durch das neu erfundene Teleskop des Galileo Galilei zu schauen, schließlich aber selbst dann, wenn sie hindurchschauten, die von Galilei entdeckten Jupitermonde nicht sahen, weil diese in ihrem Weltbild keinen Platz hatten.

Wie die Geschichte zeigt, war es schon immer so, dass Menschen jahrhundertelang aus verschiedenen Gründen für bestimmte Phänomene blind waren, bis eines Tages die Wissenschaft ein einleuchtendes Modell oder ein sogenanntes Naturgesetz zum Vorschein brachte, wodurch etwas zuvor Unsichtbares oder Undenkbares plötzlich für beinahe jeden zu etwas ganz Offensichtlichem wurde.

Die Ursache der Unsichtbarkeit des Klabautermanns für Erwachsene, so zeigen die beiden Klabautermannforscher weiter, liegt darin, dass er (ohne es selbst zu wissen) durch sein Poltern zu ihnen spricht und dass sie unbewusst Angst davor haben, das in der „Poltersprache“ Gesagte zu verstehen. Denn die Botschaft würde nicht zu ihrem Selbstbild passen und polternd an den Grundfesten ihrer Kultur rütteln.

Dieser psychische Effekt des Polterns ist für die Poltertheorie so zentral, dass er mit einem besonderen, neuen Fachbegriff benannt wurde, der da lautet: die skopotaraktische Polterperzeption.

Skopotaraktisch ist aus dem Griechischen abgeleitet und soll bedeuten, dass eine Störung oder Verwirrung (τάραξις) der Sehorgane von Erwachsenen auftritt, wenn sie das Rumpeln und Poltern des Klabautermanns oder eines anderen Poltergeistes vernehmen. Allerdings muss der Klabautermann gar nicht erst poltern, um für Erwachsene unsichtbar zu sein. Und manchmal poltern auch Menschen herum, ohne dass sie deshalb unbedingt unsichtbar werden.

Die Mingau-Kienspansche Poltertheorie untersucht nun in ihren beiden Hauptteilen „Die Geister im Poltern“ und „Das Poltern im Geiste“ ganz genau alle nur möglichen Polterszenarien. Dabei zeigt sich unter anderem, dass es auch ein Poltern ohne Geräusche geben kann, ganz so, wie es in der Physik Schallfrequenzen gibt, die für das menschliche Ohr nicht wahrnehmbar sind.

Das wichtigste Ergebnis all dieser Untersuchungen ist die Schlussfolgerung, dass das Poltern eine Art Sprache ist, also aus Zeichen mit einer ganz bestimmten Bedeutung besteht, und nicht nur aus zufällig aneinandergereihten Tönen. Nur dass keiner diese Sprache versteht — weder Erwachsene noch Kinder, und noch nicht einmal Poltergeister wie der Klabautermann.

Bis jetzt jedenfalls. Die beiden Klabautermannforscher sind aber fest davon überzeugt, dass es eines Tages mit wissenschaftlichen Methoden gelingen wird, die Poltersprache zu entziffern. Auf diese Weise hoffen sie, weit mehr über das Wesen des Klabautermanns erfahren zu können, als das, was sich aus anderen Quellen ergibt — also entweder aus den persönlichen Berichten des Klabautermanns, aus dem heute längst ausgestorbenen Seemannsgarn alter Seefahrer oder aus überlieferten Sagen und Legenden, in denen das, was über den Klabautermann erzählt wird, meist mit überkommenen Moralvorstellungen und Wertungen vermischt ist.

Es geht in der ganzen Poltertheorie nämlich eigentlich darum zu zeigen, dass der Klabautermann und vielleicht auch andere Poltergeister eine historische Mission haben. Eine historische Mission ist eine Aufgabe, die man hat, obwohl man selbst meistens gar nichts davon weiß und auch nichts unternimmt, um sie zu erfüllen, aber irgendwann nach langer Zeit zeigt sich dann, dass man eben doch genau das getan hat, was zur Erfüllung der Aufgabe notwendig war. Worin nun die historische Mission des Klabautermanns bestehen soll, das klingt, wenn man es zum ersten Mal hört, sicher überraschend, vielleicht sogar etwas verrückt:

Der Klabautermann ist ein Dolmetscher zwischen den Kulturen der Bäume und der Menschen.

Dazu muss man wissen, dass der eine der beiden Klabautermann­forscher, Professor Mingau, außer dem Klabautermann und seinem Gepolter auch die Literatur und Dichtung der Bäume erforscht. Er hat sogar als erster Wissenschaftler entdeckt, dass es eine Literatur der Bäume überhaupt gibt, und damit eine neue wissenschaftliche Disziplin begründet: die Baumphilologie.

Aber was hat das mit dem Klabautermann zu tun? Die Mingau-Kienspansche Poltertheorie erklärt es so:

Obwohl wir uns das heute noch nicht vorstellen können, werden sich eines Tages einmal Menschen und Bäume miteinander unterhalten können, und möglicherweise werden sie sich dazu der Poltersprache bedienen. Bis dahin ist es noch ein langer Weg, der Klabautermann kennt aber schon jetzt sozusagen beide Seiten. Er ähnelt in seiner Koboldgestalt den Menschen und kann denken, sprechen, fühlen, schmecken, sich bewegen und Schabernack treiben wie sie. Aber er ist aus dem Holz der Schiffe geboren, und davor war er ein keltischer Wald-, Wein- und Fruchtbarkeitsgott, der nach seiner ⟶ 1. Metamorphose sogar selbst eine Zeitlang das Leben eines Baumes (oder mehrerer Bäume) geführt hat.

Gegenwärtig ist allerdings davon auszugehen, dass der Klabautermann und andere Poltergeister die Poltersprache, genau wie wir Menschen, lediglich unbewusst „plappern“.

Im häufigsten Fall tritt das Poltern als scheinbar zufällige Begleiterscheinung des Arbeitens oder des Hantierens mit Gegenständen auf, von denen in der Regel mindestens ein Teil aus Holz ist.

Nun hat aber schon vor rund 200 Jahren der Philosoph Georg Wilhelm Friedrich Hegel die Rolle des Werkzeugs beim Arbeiten sehr genau untersucht und festgestellt, dass sich in jedem Werkzeug eine List der Vernunft verbirgt, denn es wirkt nicht nur auf das bearbeitete Objekt ein (um es „zweckmäßig zu vernichten“), sondern auch auf den Arbeitenden, von dem es Geduld, Fleiß und Geschick verlangt und dem es dadurch ermöglicht, seine unmittelbare Begierde vom Objekt (dem erwünschten Ergebnis der Arbeit) abzulenken und sich stattdessen als „entäußertes Arbeitssubjekt“ zu entfalten. Auch wenn wir heute Gründe haben, daran zu zweifeln, ob die professionelle, qualifizierte Wertarbeit, die durch solch eine Entäußerung entsteht, wirklich vernünftig ist — dem Werkzeug, das zwischen Arbeitendem (Mensch, Klabautermann oder Poltergeist) und bearbeiteter Materie vermittelt, scheint noch eine weitere List innezuwohnen:

Mit welcher Absicht oder aus welchem Versehen auch immer ein Instrument oder Werkzeug betätigt wird, es wirkt sehr oft nebenbei als Polterinstrument und lässt den aufmerksamen Beobachter aufhorchen. Das Geräusch des Polterns ergibt einen Überschuss, der weder im Ergebnis der Arbeit (oder des sonstigen mutwilligen oder unfallbedingten Polteraktes) noch in den Folgen für das arbeitende oder anderweitig polternde Subjekt aufgeht. Die Mingau-Kienspansche Potertheorie identifiziert diesen Überschuss als die Stimme des Holzes, die man auch intuitiv deutlich von anderen Arten des Lärms, etwa dem Quietschen von Eisenbahnbremsen, dem Donnern von Flugzeugmotoren, dem Tosen des Meeres oder dem Geschrei von Möwen unterscheiden kann.

Nicht umsonst wird von allen möglichen Geräuschen gerade das Poltern immer wieder von Menschen als unheimlich empfunden. Ein Poltern und Rumoren nachts im Dunkeln ist und bleibt besonders geeignet, um abergläubische Vorstellungen von gruseligem Geisterspuk zu wecken.

Verborgen unter diesen vagen Angstvorstellungen liegt aber eine noch viel tiefere unbewusste Angst. Dank ihrer poltertheoretischen Einsicht in die Ursprünge dieser Angst vor dem Schock des Verstehens gelingt es der wissenchaftlichen Klabautermannkunde, die Skopotaraxis (Unfähigkeit zu sehen), wie wir sie bei Begegnungen von Erwachsenen mit dem Klabautermann beobachten können, überzeugend als psychischen Abwehrmechanismus überforderter Polterperzipienten zu erklären.

Das Poltern ist ferner ganz objektiv eine durchaus gruselige Art von Sprache, auch und erst recht für einen Geist wie den Klabautermann, der selbst aus Holz (wieder-)geboren wurde. Als die Stimme des Holzes ist das Poltern für ihn eine Stimme aus dem Jenseits. Sie will ihn daran erinnern, dass in dem toten Holz, auf das er klopft oder mit dem er herumpoltert, vielleicht ein Urahn oder ein ungeborener Bruder von ihm steckt.

Auf dieser direkten Verwandtschaft der „Geister im Poltern“ mit dem Klabautermann als lebendigem Poltergeist beruht eben die Hoffnung der wissenschaftlichen Klabautermannkunde, mit Hilfe des Klabautermanns am ehesten zu einem Verständnis der Poltersprache gelangen zu können — und umgekehrt, mit Hilfe der Poltersprache zu einem besseren Verständnis des Klabautermanns, seiner Unsichtbarkeit und seiner Metamorphosen.

Die beiden Verfasser der Poltertheorie betonen aber auch mit Nachdruck, dass sich die Botschaft der Poltersprache nicht etwa nur an Poltergeister oder Holzmännlein, sondern ganz wesentlich auch an uns Menschen richtet. Laut und vernehmlich, manchmal geradezu mit dem Holzhammer, dringt sie in unsere Ohren, um in uns die Erinnerung an gemeinsame Wurzeln wachzurufen, die auch unsere Seelen mit denen der Bäume und Pflanzen verbinden. Dabei wartet sie mit einer Geduld, einem langen Atem, einer rhythmischen Penetranz, die ganz der unbeirrbaren, Jahr für Jahr sich erneuernden Lebensart einer Pflanze entsprungen zu sein scheinen, darauf, dass wir ihr Herz und Verstand öffnen.

Wir sind aufgerufen, in der Poltersprache ein erlernbares Kommunikationsmittel zu erkennen, das unentbehrlich ist, wenn wir je die Kluft zwischen Tier- und Pflanzenreich und ihren jeweils am höchsten entwickelten Vertretern, den Menschen und Bäumen, überwinden wollen. Einmal entziffert und erlernt, wird die Klarheit dieser neuen Sprache unser Denken endlich in die Lage versetzen, die unselige Unterscheidung zwischen Kultur und Natur, die ideologische Grundlage und zugleich die Achillesferse all unserer technischen Weltmanagement-Praktiken, in das Reich der Mythen und Legenden zu verbannen.

Es bleibt, bei allen Bemühungen der wissenschaftlichen Klabautermannkunde, bisher letztlich ein Rätsel, warum die skopotaraktische Polterperzeption, nur bei Erwachsenen wirkt, warum also der Anblick des Klabautermanns für Erwachsene unmöglich ist, während Kinder ihm klar in die Augen sehen können. Für den wissenschaftlichen Fortschritt ergibt sich daraus eine paradoxe Situation (man könnte hier auch von einer Aporie sprechen):

Wirksame Instrumente zur Sichtbarmachung des Klabautermanns sind durchaus bekannt und weit verbreitet — nämlich Kinderaugen. Doch im Gegensatz zu Galileis Teleskop können diese Instrumente auch von den aufgeschlossensten erwachsenen Forschern unmöglich verwendet werden.

Vielleicht aber sind es gerade solche scheinbaren Paradoxe, durch die die List der Vernunft wirkt: nicht nur, wie im Falle der polternden Werkzeuge, indem sie das Augenmerk (oder vielmehr Ohrenmerk) der Forschung auf das Poltern lenkt, sondern indem sie den Klabautermann gerade in seiner Unsichtbarkeit als vielleicht einzigen verfügbaren Schlüssel für die wissenschaftliche Erschließung der Poltersprache erkennbar — nein: erhörbar — werden lässt.

Der Klabautermann ist sich seiner wichtigen Dolmetscherrolle bewusst und hat die Herausforderung der Wissenschaft angenommen. Das Projekt der Entzifferung der Poltersprache wird die Menschheit in Zukunft nicht mehr loslassen. Unser von allen guten Geistern verlassener Geist wird sich im Zuge dieses Vorhabens auf lange ignorierte Wurzeln besinnen und mit der Zeit mehr und mehr Halt an ihnen finden.

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English Summary by H. W. Longfellow (1807-1882)

Wer ist der klabautermann

A full-rigged clipper ship. Drawing from the children’s magazine "Harper’s Young People" (February 3, 1880 edition). Source: Reusable Art [Public domain].

The poem below is the first of four parts of “The Musician’s Tale: The Ballad of Carmilhan”, which in turn forms part of the cycle Tales of a Wayside Inn, Part second, first published in 1863.

In just a few romantic yet concise verses, Henry Wadsworth Longfellow presents the main themes and motifs of the oral and written tradition surrounding Klabautermann.

I'm glad to have found such a classic English summary of my subject, so if your knowledge of German is rather basic, and by some strange coincidence you have still come to my website, please enjoy reading this short literary introduction to Klabautermannkunde (Klabautermann Studies).

The Ballad of Carmilhan

At Stralsund, by the Baltic Sea,
Within the sandy bar,
At sunset of a summer's day,
Ready for sea, at anchor lay
The good ship Valdemar.

The sunbeams danced upon the waves,
And played along her side;
And through the cabin windows streamed
In ripples of golden light, that seemed
The ripple of the tide.

There sat the captain with his friends,
Old skippers brown and hale,
Who smoked and grumbled o'er their grog,
And talked of iceberg and of fog,
Of calm and storm and gale.

And one was spinning a sailor's yarn
About Klaboterman,
The Kobold of the sea; a spright
Invisible to mortal sight,
Who o'er the rigging ran.

Sometimes he hammered in the hold,
Sometimes upon the mast,
Sometimes abeam, sometimes abaft,
Or at the bows he sang and laughed,
And made all tight and fast.

He helped the sailors at their work,
And toiled with jovial din;
He helped them hoist and reef the sails,
He helped them stow the casks and bales,
And heave the anchor in.

But woe unto the lazy louts,
The idlers of the crew;
Them to torment was his delight,
And worry them by day and night,
And pinch them black and blue.

And woe to him whose mortal eyes
Klaboterman behold.
It is a certain sign of death!
The cabin-boy here held his breath,
He felt his blood run cold.

Longfellow, Henry Wadsworth. The Musician's Tale: The Ballad of Carmilhan.
H. W. Longfellow [online resource], Maine Historical Society, Accessed April 16, 2021.
⟶ www.hwlongfellow.org/poems_poem.php?pid=2056

In part four of the poem, "Klaboterman" reappears, this time on board the ghost ship Carmilhan. Longfellow seems to mix the story of Klabautermann with another famous sailors’ legend: The Flying Dutchman. If you would like to read more, you can follow the link above to the Maine Historical Society website on Longfellow.

Warum heißt der Klabautermann Klabautermann?

Der Klabautermann, Kalfatermann oder Klabattermann (von niederdeutsch klabastern „poltern“, „lärmend umhergehen“ oder von ebenfalls niederdeutsch kalfatern „mit Pech und Werg abdichten“) ist im seemännischen Aberglauben ein Schiffsgeist oder Kobold, der – meist unsichtbar – den Kapitän bei Gefahren warnt und gerne ...

Was trägt ein Klabautermann immer mit sich?

Ihr Aussehen wird genauso vielgestaltig beschrieben wie das der anderen Kobolde auch. Dazu tragen sie aber immer den "Kalfathammer", mit dem sie klopfen, um auf drohendes Unheil oder Schäden am Schiff hinzudeuten und mit dem sie bei Reparaturen auch selber Hand anlegen.

Wie groß ist ein Klabautermann?

Das hochwertige Seil mit einem Durchmesser von 8 mm wird hierbei zu einem ‚Klabautermann' geknotet, der dann einen Durchmesser von guten 6 cm hat. Übrigens gibt es den ‚Klabautermann' auch in einer kleineren Variante.