Wenn die gondel trauer tragen

„Wenn die Gondeln Trauer tragen“ ist einer der erlesenen Filme, die unser Auge in besonders eindringlicher Weise schulen. Nicolas Roeg schärft unseren Blick für das Detail und  bringt uns das Übersinnliche näher, um es mit dem Realen zu messen. Ein Ergründen von Bildkompositionen, das der parallelen Erkenntnissuche hilfreich zur Seite steht, freilich unter der Vorrausetzung, dass der Rezipient dem Gesamtwerk aufgeschlossen gegenübersteht. Andernfalls macht eine Sichtung keinen Sinn, denn laut John Baxter „heißt sehen glauben“ und „nichts ist - wie es scheint“.

Oberflächlich betrachtet ist Roegs Film ein von zahlreichen Fragezeichen durchzogenes Konstrukt, welches allerdings bei genauer Betrachtung eine präzise Vorgehensweise dokumentiert und schlussendlich das Gesehene absolut plausibel erscheinen lässt. Der Regisseur bietet dem Rezipienten zahlreiche Verweise, die ihm ein Chargieren zwischen Imagination und Realität verdeutlichen; Mosaiksteine bzw. Fragmente, die er (der Rezipient) abspeichert und zum gegebenen Zeitpunkt zusammenfügen kann. Kann: denn es kann auch sein, dass er das System des Films nicht akzeptiert und ihn im schlimmsten (!) Fall auf die lang ausgespielte Sexszene reduziert.

„Don´t look now“ bietet bereits zum Auftakt einen radikalen Schnitt, der Vergangenheit und Gegenwart explizit trennt. Die Szene in der John Baxter die tote Christine in den Armen hält (dabei erinnert mich Sutherlands Mimik stets an Edvard Munchs Schrei-Gemälde) und ins Leere läuft. Ein dramatischer, ausschlaggebender Punkt, der mit Lauras erwiderndem Verzweiflungsschrei unterbrochen wird. Dieser rigorose Abbruch (der zugleich als Aufbruch in das Venedig der Gegenwart fungiert) stärkt die Wirkung der eingangs ausführlich beschriebenen Szene, deren Relevanz im weiteren Verlauf immer wieder betont wird.

„…als hätte er gewusst was passiert war.“ (Laura Baxter)

Das Ehepaar Baxter will das Trauma der schrecklichen Ereignisse überwinden und zieht vorübergehend in die Lagunenstadt, wo John seiner geplanten Restaurationsarbeit nachgeht. In einem Restaurant kommt es zu einem Zusammentreffen mit den beiden Schwestern Wendy und Heather, die Laura mitteilen, dass sie die kleine Christine soeben zwischen dem Ehepaar sitzen sahen. Dem Mädchen gehe es gut und es blickt aus einer parallelen Welt zu ihren Eltern. John zeigt sich erbost, Laura hingegen fasziniert und neugierig. Bereits die(se) Erstbegegnung der drei Frauen wird vom Kameramann, Anthony B. Richmond, in besonderer Weise hervorgehoben. Stets lenkt er den Blick auf die reflektierenden Glasflächen, welche am Ort der Zusammenkunft installiert sind, und offeriert anhand der Spiegelbilder die Existenz einer parallelen Welt.

„…es ist wie eine Stadt in Aspik, von einer Abendgesellschaft übrig gelassen und alle Gäste sind fort und tot. Sie fürchtet diese Stadt.“ (Wendy über Heather)

Der Schauplatz dieses großartigen Films ist ein Venedig, das sich als die Kehrseite urlauberischer Werbebroschüren vorstellt. Richmond kitzelt mit seinen Bildkompositionen den düsteren Zauber der Lagunenstadt hervor, die von einem getrübten Firmament umschlossen ist. Ein Grauschleier, hinter dem ein undefinierbares Etwas lauert, das jederzeit sein Refugium verlassen kann, um das kleinste Anzeichen von Glückseligkeit mit seinen satanischen Krallen zu vernichten. Langsam tastet sich der Zuschauer (den Protagonisten folgend) durch labyrinthartige, schmale Gassen, die eine immer stärker werdende Neugier hervorrufen. Die Neugier auf das Unbekannte, das Undefinierbare - das Andere, das sich im dunklen Herzen der Stadt vorborgen hält und von unheilverkündenden Grachten durchzogen ist.

Hier greift Roeg gar den Forschungen des Japaners Masaru Emoto voraus und nutzt die Fähigkeit des Wassers Informationen aus jeglichen Quellen aufzunehmen. Der Regisseur kombiniert diese Gabe mit der Spiegelungskraft des Wassers und der Möglichkeit Informationen weiterzuleiten. So schwingt der Film (mithilfe der beschriebenen Eigenschaften) zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Imagination und lässt diese Ausdrücke im Zentrum, John Baxter, kollidieren. Christine kurz vor ihrem Tod - real und imaginär, sowie der Gnom im roten Regenmantel, dessen mörderisches Dasein Baxter ignoriert, da er den Zwerg nur aufgrund seiner Kleinwüchsigkeit und seines knallroten Regencapes registriert und ihn einzig mit seiner verunglückten Tochter assoziiert. Diese Ignoranz ist schlussendlich der wesentliche Ansporn für einen in den tiefsten Sphären der Hölle lauernden Zynismus seinen Schlund zu verlassen, um John Baxter in denselben herunterzuziehen.

„Die Idee des Doppelgängers gibt es in der Literatur, von Dostojewski bis zum Film, vielleicht, weil man so den moralischen und den amoralischen Aspekt der Dinge visualisieren kann.“ (Andrzej Zulawski)

Wer einen Film gern nach Verweisen und Metaphern durchforstet, der wird bei den „Trauertragenden Gondeln“ viel Freude haben. Kniestrümpfe, die von Knallrot in ein Weiß mit Blutflecken transformieren, drei goldene Mosaiksteine, die in Dreiecksform auf dem Boden landen…, die Liste kann beliebig weitergeführt werden, würde allerdings einerseits den Rahmen sprengen, andererseits dem Rezipienten der Möglichkeit berauben seinen Blick weiter zu schärfen, um Zusammenhänge selbst zu ergründen.

Demzufolge verabschiede ich mich aus einem von schwarzer Romantik nur so strotzenden Venedig und hoffe, dass ich die Leute, die diesen grandiosen Film immer noch nicht kennen sollten, zu einer Erstsichtung motivieren konnte. Lasst euch von Anthony Richmonds grandiosen Bildern und Pino Donaggios bravourösem Soundtrack verzaubern und taucht ganz tief ein, in Nicolas Roegs – sorry, ich muss das abgenutzte Wort nutzen – Meisterwerk.

Fazit: Roegs „Wenn die Gondeln Trauer tragen“ bietet ein fesselndes Spiel zwischen Imagination und Realität, dessen finaler Clou alle Fragen per resümierenden Blick des Hauptprotagonisten klärt und ein durchweg schlüssiges Gesamtkonstrukt präsentiert. Ein Film, der einen festen Platz in meinem Herzen, sowie innert meiner Top 25 Filme besitzt. Wer diese Ansicht nicht teilen mag, der darf trotzdem zugeben, dass er das Antlitz des Gnoms niemals vergessen konnte!

Wie endet Wenn die Gondeln Trauer tragen?

Wenn die Gondeln Trauer tragen ist also ebenfalls ein religiöser Film“ und weiter: „Ihr [Lauras] abschließendes selbstbewusstes, in sich selbst gründendes Lächeln erklärt sich daraus, dass sie weiß, dass Tochter und Mann zwar tot sind, aber in einer anderen Dimension, gleichsam hinter der Glasscheibe, weiterleben. “

Wer schrieb Wenn die Gondeln Trauer tragen?

Daphne du MaurierWenn die Gondeln Trauer tragen / Autor der Filmgeschichtenull

Wo läuft Wenn die Gondeln Trauer tragen?

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