Als der Sohn von Katharina Nagel 2011 von einer Reise aus Australien zurückkehrte, spürte sie schnell, dass es dem 23-Jährigen nicht gut ging. Zeitweise war er kaum ansprechbar. Die Familie fand, dass er den Bezug zur Realität verlor. „Die Situation war sehr beängstigend. Wir wussten ja nicht, was das ist. Niemand in unserer Familie hat je so etwas gehabt“, berichtet die Mutter aus dieser Zeit vor zehn Jahren. Ihr Sohn erkrankte an einer Psychose – so schwer, dass ihn die Symptome bis heute nicht losgelassen haben. Show
Schizophrenie in jungen JahrenLisbeth* erlebt immer wieder Episoden des Wahns, seit sie in jungen Jahren an Schizophrenie erkrankt ist. Dann ruft sie ihre Freundin Sabine Heffner* an. „Lisbeth sieht manchmal Männer, die sie verfolgen. Dabei stehen da nur Bäume“, berichtet Heffner. Seit Jahrzehnten begleitet sie ihre Freundin, und sagt doch: „Ich weiß viel zu wenig über die Erkrankung. Es wäre hilfreich, wenigstens erste Anzeichen erkennen zu können. Aber auch dann wüsste ich oft nicht, was ich tun soll.“ Umfeld kann in der Krise helfenWährend wir sofort Pflaster zur Hand haben, wenn ein Freund sich das Knie aufgeschlagen hat, wissen die wenigsten, was zu tun ist, wenn die Wunde eine seelische ist. Dabei erkrankt jeder Dritte in Deutschland mindestens einmal im Leben psychisch. Freunde, Familie oder enge Arbeitskollegen sehen die Anzeichen meist schnell – und zögern doch oft. Sie befürchten, in ein Wespennest zu treten, alles zu verschlimmern. Experten sind sich aber einig: Das soziale Umfeld kann seelischen Stress abpuffern, in Krisenzeiten helfen. Umgang mit psychisch kranken AngehörigenWie können Angehörige psychisch Kranken helfen? In welchen Situationen sollten sie aktiv werden? Ab wann ist professionelle Hilfe angeraten, unter welchen Umständen muss ein Notdienst oder gar die Polizei gerufen werden? Die Grenzen sind nicht immer ganz klar. Dennoch gibt es Anzeichen, wann welche Unterstützung ratsam ist. Lieber unter vier AugenFriedrich Kiesinger. © picture-alliance/ ZB Verändert sich ein Freund, Familienmitglied oder Arbeitskollege plötzlich und deutlich in seinem Verhalten oder im äußeren Erscheinungsbild, können dies Zeichen einer Krise oder psychischen Erkrankung (siehe Erste Hilfe) sein. Dann gilt: „Ein offenes Gespräch kann sehr entlastend sein“, sagt Friedrich Kiesinger, leitender Psychologe beim Berliner Krisendienst. Er rät, die beobachteten Veränderungen direkt anzusprechen, vorwurfsfrei. Hilfe nicht aufdrängen„Ich sollte jemandem nur meine Hilfe anbieten, wenn ich das ernst meine und bereit bin, Zeit zu investieren“, sagt Kiesinger. Selten lasse sich ein Problem in zehn Minuten lösen. Auch sollte der Rahmen stimmen. „Sprechen Sie denjenigen nicht vor anderen auf mögliche Probleme an, lieber unter vier Augen“, sagt der Psychotherapeut. Ablehnung nicht persönlich nehmenCornel Binder-Krieglstein gibt Kurse zur „Ersten Hilfe bei psychischen Erkrankungen“. © Binder-Krieglstein Doch wie beginnen? „Ein schlichtes ‚Wie geht es dir? ‘ wäre ein guter erster Satz“, sagt Cornel Binder-Krieglstein, Psychologe aus Österreich. Seit rund zehn Jahren bietet er dort Kurse zur Ersten Hilfe bei psychischen Erkrankungen an. Darin lernen Laien, wie sie anderen in seelischer Not beistehen können, und auch, wie sie ein erstes Gespräch führen können. Es hilft, ein paar Regeln zu befolgen. „Bevor Sie ins Gespräch gehen, sollten Sie sich Ihre Rolle bewusst machen: Sie möchten Mitgefühl zeigen und unterstützen! Dann formulieren und handeln Sie so“, rät Binder-Krieglstein. Geduld mitbringenNicht förderlich ist es, ungefragt Ratschläge zu geben. Beschwichtigende Floskeln wie „Das wird schon wieder“ oder „Reiß dich zusammen“ verletzen und signalisieren, dass das Leid nicht ernst genommen wird. Der Helfende sollte sich mit seiner Lebensgeschichte zurückhalten, er steht nicht im Mittelpunkt. Als Zuhörer muss er Geduld mitbringen: Der andere braucht meist Zeit zum Erzählen, Weinen, Schweigen. Zurückhaltung bei BerührungenAuch zu viel körperliche Nähe ist nicht ratsam. Eine Hand auf der Schulter kann Trost spenden, eine Umarmung ist – außer bei engen Freunden – lieber zu vermeiden. Es kann auch sein, dass der andere gar nicht mit einem sprechen möchte. Dann sollten Helfer sich im Umgang mit einem psychisch Kranken nicht aufdrängen. „Nehmen Sie das nicht persönlich. Signalisieren Sie, dass Sie trotzdem da sein werden, wenn der andere Hilfe braucht“, sagt Binder-Krieglstein. Wann professionelle Hilfe wichtig istAb einem bestimmten Punkt ist es sinnvoll, dem Betroffenen professionelle Hilfe anzuraten. Etwa, wenn er in eigenen Versuchen, das Problem zu lösen, mehrfach gescheitert ist. Oder wenn sein Leid groß ist oder es ihm schwerfällt, den Alltag mit Arbeit, Freizeit und Beziehungen zu leben. Angehörige können allerdings auch die Erfahrung machen, dass sich ein psychisch Kranker nicht helfen lässt. Angebote recherchierenWer zu professioneller Hilfe rät, kann Betroffene besser unterstützen, wenn er sich vorher schlau gemacht hat, welche Angebote es gibt. Ist der Betroffene dafür offen, kann der Angehörige auch Optionen durchsprechen – Selbsthilfegruppen, Beratungsstellen, Hausarzt, Facharzt oder Psychotherapeut – oder bei der oft beschwerlichen Suche nach einem Therapeuten helfen. Dennoch: Jeder hat das Recht, sich in seelischen Krisen keine Hilfe zu suchen. Akute Krisen meisternBei dieser Regel gibt es allerdings Ausnahmen: Freunde und Angehörige können nur wenig tun, wenn ein Mensch akut in einer Krise steckt, in der er droht, sich umzubringen, oder in Wahn versunken Mitmenschen gegenüber sehr aggressiv ist. Dann sollten sie unbedingt Profis hinzuziehen – um den Erkrankten und sich selbst zu schützen. Viele stürzt das in ein Dilemma: Sie wollen dem Freund, Familienmitglied oder Kollegen helfen. Gegen seinen Willen einen Psychiater oder die Polizei zu rufen, kann sie aber das Vertrauen des anderen kosten. Helfer von außen können beruhigenSabine Heffner fuhr einmal, als Lisbeth wahnerfüllt anrief, gleich zu ihr. Ihre Freundin öffnete nicht, wütete in ihrer Wohnung. Heffner machte sich große Sorgen. „Da wusste ich, das muss ich abgeben an jemanden vom Fach“, sagt sie. Sie rief eine psychiatrische Ambulanz an. Die Mitarbeiter kamen und sprachen mit Lisbeth durch die geschlossene Tür, bis sie öffnete und Hilfe annahm. Psychiater um Rat gefragtKatharina Nagel wandte sich an den Arzt ihres Sohnes, als dieser immer kränker wurde, aber nicht einsah, dass er eine Behandlung brauchte. Der Psychiater riet ihr zu einem gesetzlichen Betreuer. „Ein solcher Betreuer ist immer dann nötig, wenn jemand seine Angelegenheiten in verschiedenen Lebensbereichen nicht selbst regeln kann“, erklärt Rechtsanwalt Rolf Marschner (Interview Jeder kann eine Betreuung anregen). Im Notfall helfen sozialpsychiatrischer Dienst und PolizeiDroht ein Mensch, sich selbst oder andere zu verletzen, schlägt er im Wahn um sich oder ist sehr erregt, ist der sozialpsychiatrische Dienst ein wichtiger Ansprechpartner. In allen Bundesländern gibt es ihn, oftmals ans Gesundheitsamt angegliedert. Im Notfall zieht er die Polizei hinzu. Ist die Situation akut sehr stark aufgeheizt und gefährlich, sollten Angehörige direkt den Notruf wählen (So finden Sie professionelle Hilfe). Wichtig: Geht es dem Betroffenen wieder besser, kann ein offenes Gespräch über diese Akutsituation ratsam sein – und für die Zukunft versöhnlich wirken. * Namen von der Redaktion geändert. Wie kann man einem psychisch kranken Menschen helfen?Es ist hilfreich, dem psychisch Erkrankten gut zuzuhören und ihm Zeit zu geben, seine Probleme und seine Sicht der Dinge zu erklären. Zeigen Sie Interesse an seiner Sichtweise und versuchen Sie, Verständnis für ihn und seine Probleme aufzubringen. Vermeiden Sie es dagegen, ihm gute Ratschläge zu geben.
Wie erkenne ich ob jemand psychisch krank ist?Folgende Anzeichen können auf eine psychische Erkrankung hindeuten:. Albträume.. Angst.. Innere Unruhe.. Libidoverlust.. Rückenschmerzen.. Schlafstörungen.. Stimmungsschwankungen.. Stress.. Warum wird jemand psychisch krank?Psychische Erkrankungen haben vielfältige Ursachen. Sie können die Folge schwerer körperlicher Erschöpfung, einer gescheiterten Beziehung oder lang dauernder Arbeitslosigkeit sein. Psychische Störungen können auf einer genetischen Veranlagung beruhen oder nervliche Ursachen haben.
Kann man jemanden in die Psychiatrie einweisen lassen?Menschen können gegen ihren Willen in eine Psychiatrie eingewiesen und festgehalten werden – allerdings nur nach richterlichem Beschluss. Pro Jahr verzeichnen die Psychiatrien bundesweit etwa 800 000 stationäre Behandlungen, davon etwa 130 000 im Rahmen einer „Unterbringung“. So werden Zwangseinweisungen auch genannt.
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