Um 1865, als Mathilde Franziska Anneke sich endgültig in Milwaukee niederließ, war die Stadt kaum dreißig Jahre alt. In dieser für die Geschichte einer Siedlung kurzen Zeit war aus dem ehemaligen Indianerdorf eine wirtschaftlich und kulturell blühende Stadt geworden.[1] Eine Beschreibung von 1852 lautet: »Milwaukee liegt in einer schönen Gegend. Es liegt am
Einfluß des Milwaukee Rivers in den See; die linke und rechte Seite dieses Flusses ist 3 1/2 Meilen lang mit Häusern, zum Teil mit Palästen besät, von beiden Seiten mit ziemlich hohen Bergen begrenzt, von wo aus man eine schöne Aussicht auf die Stadt und eine herrliche Fernsicht auf den See hat. Ein anderer Teil der Stadt liegt am Menommonee River, einem kleinen Flusse. Die größten Schiffe können auf dem Milwaukee bis in das Herz der Stadt fahren.«[2] Das Klima Milwaukees ist allerdings nicht gerade als ideal zu bezeichnen. Was Mathilde Anneke darüber bemerkte, trifft nicht nur für ein vereinzeltes Jahr zu:
Wie kaum ein anderer Ort in den Vereinigten Staaten bildete Milwaukee einen Anziehungspunkt für einwandernde Deutsche. Es war
eine Stadt, wo die deutsche Sprache für Geschäftsleute und freie Berufe eine unumgängliche Notwendigkeit war. »Die mächtig emporstrebenden Brauereien, der enorme Lederhandel Milwaukees und mit ihm die Schuhfabriken, der Wagenbau, zum großen Teil die Eisenwerke, der Handel mit Schmucksachen und Juwelen, alle diese Geschäftszweige lagen fast ausschließlich in deutschen Händen, und unwillig wandte sich mancher Yankee von Wisconsin ab, wo die ihm nicht sympathischen Deutschen eine so hervorragende
Rolle spielten.«[3] Die deutsche Presse war führend in der Zahl ihrer Publikationen wie in der Zahl ihrer Leserschaft. Und so lesen wir in dem Bericht eines Deutsch-Amerikaners: »Milwaukee war der einzige Ort, wo ich es fand, daß sich die Amerikaner mit dem Deutschlernen abgeben und deutsche Sprache und Sitte ein wenig mehr Fuß zu fassen sich erkühnte. Sie finden Wirtshäuser und Bierkeller und Billiards und Kegelbahnen, sowie deutsches Bier, was sie alles hierzulande nicht
häufig finden können. Der Dutchman (so heißen die Amerikaner spottweise die Deutschen) spielt hier eine selbständigere Rolle - hat Bälle und Conzerte und Theater - natürlich gegen Deutschland nicht zu vergleichen-und brachte es sogar dazu, daß die Gesetze deutsch gedruckt wurden. Er wirft bei den politischen Wahlen ein starkes Gewicht in die Waage. So viel finden Sie dem Deutschen nirgends zugestanden als eben in Wisconsin...«[4] HEIMWÄRTS
Als Mathilde Franziska Anneke »heimwärts« - nun in entgegengesetzter Richtung - zog, hatte sich in den Vereinigten Staaten politisch eine grundlegende Veränderung vollzogen. Nach Lincolns Ermordung rückte der Vizepräsident Andrew Johnson in die erste Stelle im Weißen Haus
auf. Er bemühte sich, den von Lincoln vorgezeichneten Plan im Wiederaufbau der Staaten sowie in der Normalisierung der Verhältnisse zu den Südstaaten zu verwirklichen. Seine erste und wesentlichste Forderung war, daß die Südstaaten das 13. Amendment zur Konstitution ratifizierten, das der Kongreß am 1. Februar 1865, noch vor dem Zusammenbruch der Rebellion erlassen hatte und das die Aufhebung aller Sklaverei zum Inhalt hat. Die Radikalen, die die Mehrheit im Kongreß darstellten, waren aber mit
den auf Mäßigung und Konzilianz ausgerichteten weiteren Maßnahmen des Präsidenten den Südstaaten gegenüber nicht einverstanden. Zwischen Kongreß und Präsident baute sich allmählich ein Gegensatz auf, der beinahe dazu führte, daß der Präsident abgesetzt wurde. Erstaunlicherweise stellte sich Fritz Anneke in seinen Briefen auf seiten Johnsons, auf Seiten der Mäßigung, gegen die Regierung der »Radikalen«, zu denen damals auch Carl Schurz gehörte. Ob Fritz Annekes Ansichten auf objektiver
Beurteilung oder auf Opposition zu Carl Schurz beruhten, wird sich nicht feststellen lassen. Er sprach sich aber auch positiv für die Regierung Bismarcks aus - sehr im Gegensatz zu Mathilde -, wozu er sich zehn Jahre vorher wahrscheinlich nicht hätte entschließen können. Fritz Anneke lebte um diese Zeit in St. Louis, wo er bei deutschen Zeitungen als Journalist tätig war. Im Jahre 1869 übersiedelte er nach Chicago und schrieb dort für die Illinois Volkszeitung, gab kurz darauf den Zeitungsberuf
auf und verwaltete hinfort die »Deutsche Gesellschaft«, welche neu ankommende deutsche Einwanderer betreute.
5. Mai Marys Todeskunde in Mathilde Krieges Brief vom 3. Mai. 6. Belletristisches Journal vom 21. April mit schwarzem Rande - Marys - Lincolns Tod. Fritz Anneke ... Ich begrüße Dich und Percy und Hertha und Cäcilie auf amerikanischem Boden. Ich setze voraus, daß Ihr am 31. Juli oder 1. August in New York oder viel mehr in Hoboken, wo die Bremer und Hamburger jetzt landen (angekommen seid), ungefähr um dieselbe Zeit, um die der atlantische Telegraph uns die ersten direkten Botschaften von Europa bringen wird ... Mathilde Mein lieber Fritz! Mathilde Deinen zweiten lieben Brief empfing ich, da ich beschäftigt war mit unserer Abreise von New York. Die Schwierigkeiten der Landung und Wiederabreise überstiegen alle anderen der Seereise. Die Kosten waren immense und erschöpften alle meine Ersparnisse. Ich
habe allein $ 39 für Umfrachten zu zahlen gehabt. Fritz Anneke Meine
liebe Mathilde, Mathilde Deine kühnen Voraussetzungen haben mich traurig gemacht. Ich sehe, wie wenig Du mich kennst. Wie solltest Du auch! Von meinem inneren Leben weißt Du nichts. Ich glaube auch nicht, daß Du Dich jemals dafür
interessiert hast. Unser Gedankenaustausch - wenn jemals unser Briefwechsel ein solcher genannt werden kann - ist so karg geworden in den letzten Jahren, daß nicht selten meine heißen Tränen auf die kalten Zeilen niedergefallen sind. Du hast Deinen Freund, Deine Freundin - ich habe die meine verloren. Wie Mary habe ich kaum jemanden lieb gehabt, werde niemals wieder jemand lieb haben. - Aber wofür das sagen. Die zwanzig Jahre, die Mathilde Franziska Anneke in Milwaukee lebte, widmete sie völlig ihrem Beruf sowie ihren kulturellen und sozialpolitischen
Bestrebungen. Obwohl sie später zwischendurch immer wieder zur Feder griff, war es in den ersten Jahren ihrer Rückkehr nach Milwaukee vor allem die Schule, der sie sich mit aller Energie zuwandte und in der sie die Grundlage für ihre weitere Zukunft erblickte. Sie konnte sich nun der Unterstützung ihrer Kinder erfreuen, obwohl Percy in seiner wiederholten Auflehnung gegen die Hausordnung eines Mädchenpensionates noch einige Probleme bereitete. Er hatte seine theoretische Ausbildung abgeschlossen
und war ins Berufsleben eingetreten. Hertha half tüchtig in Schule und Haus mit. Mathilde Franziska Anneke Die unterzeichnete Vorsteherin des Milwaukee Töchter Instituts hat es sich zur Aufgabe gemacht, durch liebevolle Erziehung und gründlichen Unterricht den ihr anvertrauten Töchtern eine möglichst harmonische Ausbildung zu Theil werden zu lassen.
Trotz ihres Erfolgs als Lehrerin, trotz der äußersten Sparsamkeit im Hauswesen, konnte sich Mathilde Franziska Anneke vorerst nicht von ihren Geldnöten befreien. Fritz Anneke scheint gelegentlich, sicher jedoch nicht regelmäßig zum Unterhalt beigetragen zu haben. Er hatte niemals eine sichere Stelle und wechselte wiederholte Male seinen Arbeitsplatz. Man wird nicht fehl gehen anzunehmen, daß seine Situation durch seinen eigenartigen Charakter bedingt war. Oft versuchte er, auch Mathilde von ihren fest gesetzten Zielen abzubringen. Aber Mathilde war klug genug zu erkennen, daß Erfolg nur durch Beständigkeit errungen werden kann. Und letzten Endes hat sich dies bei ihr auch bewährt. Nur dauerte es seine Zeit, bis ihr Werk endlich Zinsen trug. Auf vielerlei Weise versuchte sie, zusätzlich etwas Geld zu verdienen. Sie gab Privatstunden, hielt Vorträge, schrieb auch wieder ab und zu und wurde schließlich sogar Versicherungsagent. Die getreue Cilly unterzeichnete die erste Police. Auch im Malen versuchte sie sich. Sie soll auf flache Steine farbige Bilder gemalt haben, die ihr Mann in St. Louis in Souvenirgeschäften verkaufte. Aus ihren Briefen an Fritz Anneke im Jahre 1868 erfahren wir, daß sich damals schon eine Gruppe von Eltern zu einem Verein »Levana« zusammengeschlossen hatte, um die Schule auf eine finanziell gesunde Grundlage zu stellen. Einige Jahre später entstand ein neuer Schulverein, denn anstelle der »Levana« wird nun der Verein »Hera« genannt. Und es scheint, daß dieser mit größerem Erfolg auftrat. Verschiedene Zeitungsnotizen berichten über die Gründung des Vereins und über allerlei Programme, die zugunsten des Vereins in den öffentlichen Sälen und Theatern Milwaukees stattfanden. Mathilde Mein lieber Fritz! Mathilde Mein lieber Fritz! Fritz Anneke ... Meine Beschäftigung wird mir nachgerade immer mehr zuwider, was teils darin seinen Grund hat, daß ich gar nicht absehe, wie wir jemals wieder beisammen sein sollten, teils darin, daß sie anstrengend und unbefriedigend ist. Um sechs Uhr bin ich in der Regel auf, oft früher, selten später. Gegen sieben trete ich meine Reise nach dem Redaktionslokal an, die über eine halbe Stunde dauert, und arbeite ununterbrochen bis fünf, bisweilen auch bis halb sechs oder sechs. Dann wieder eine halbe Stunde Reise, und wenn ich Nachtdienst habe, muß ich zudem um halb acht wieder auf dem Redaktionslokal sein, Korrekturen lesen und dann auf dem Redaktionstelegrafen notieren. Vor ein Uhr bin ich selten damit fertig. Oft wird es halb 2 oder 2, dann habe ich, da man um diese Zeit keinen Straßenbahnwagen mehr fahren kann, eine Stunde zu marschieren, so daß ich fast nie vor, oft erst um drei mich zur Ruhe legen kann. Das ist drei Mal jede Woche. An den übrigen drei Tagen bin ich müde genug, um in der Regel sehr früh zu Bett zu gehen. Ich sehne mich nämlich jetzt nach dem Sonntag, als dem einzigen Rasttag, mehr als je ... Mathilde Mein lieber Fritz! Fritz Anneke Vor einiger Zeit schon wurde mir bestimmt angedeutet, daß in der Redaktion der etwa vier Monate alten Volkszeitung eine Veränderung eintreten soll und daß man mich als Chefredakteur wünsche. Ich habe jetzt dem Lokalen jenes Blattes, der früher beim Anzeiger war, und dem Generalagenten, einem mir gut bekannten Ex-Kapitän gesagt,
daß ich zur Verfügung stehe, wenn mein politisches Programm angenommen wird. Habe aber bis zur Stunde nichts Bestimmtes gehört, was mir dadurch erklärt wird, daß der Eigentümer der Zeitung schon seit drei Monaten krank ist. Ich werde sehen, daß ich heute zu einem bestimmten Entscheid komme, damit ich mich nach einer andern Beschäftigung umsehen kann, wenn es mit jener nichts sein sollte. Mathilde Mein lieber Fritz! Fritz Anneke Meine liebe Mathilde, Fritz Anneke Was aus Europa, besonders aus Deutschland werden wird, läßt sich gar nicht voraussehen. An die Republik glaube ich nicht. In Deutschland selbst sind gar keine Anzeichen dafür. Gustav Struve, dieser wahnsinnige Häring, drückt aus bloßem Preußenhaß den infernalsten aller deutschen Tyrannen, den Hessen-Kurfürsten, an sein Bruderherz. Blind und Konsorten sind großmäulige Faselhände, die über den Preußenhaß nicht hinaus können. Und doch ist in Preußen das einzige Heil für Deutschland zu suchen, mag man noch so schlecht von Wilhelm, Bismarck, etc. denken. Bismarck ist der einzige in Europa, der es mit Louis aufnehmen und der ihm sogar Nüsse zu knacken geben kann ... Mathilde Lieber Fritz! Mathilde Mein lieber Fritz! Mathilde ... Das sehr ungleiche Verhältnis des Konsums zwischen mir und
meiner Partnerin hat zu einzelnen unangenehmen Erörterungen Veranlassung gegeben. Es ist wahr, ich lebe mit meinen drei Kindern, von denen Tilly und Hertha den Unterricht nebenbei erhalten, während Cilly nur eine Person ist. Ich habe indes alles, was Du uns gesandt hast, in das gemeinschaftliche Unternehmen hineingelegt, mich aufs Äußerste beschränkt in privaten Anschaffungen und selbst Percy von seinem Einkommmen so viel wie möglich existieren lassen. Freilich reicht das längst nicht hin für
sein Mittagmahl (2 Schilling), seine Kleidungsstücke, seine Schuhe besonders, und sein Taschengeld, und nun endlich für sein Zimmer usw. Bei Freunden sollte das nie zur Sprache kommen. Einer sollte es dem andern überlassen, stillschweigend auszugleichen. Aber das ist nicht die Weise des Fräulein Cäcilie, und ihre Unzartheiten haben mich oft tief verletzt. Die Kinder bedürfen viel Schulbücher, Kleidungsstücke, alles kostet einen enormen Preis, und wie sparsam ich auch gewaltet und geschaltet
habe, ist leicht zu ermessen. Die Schulgeschichten an den Nagel zu hängen, fällt mir nicht ein. Ich habe mit großen Mühen ein Probejahr darin ausgehalten, ich sehe für meine alten Tage, wenn ich mich fort und fort weiterbilde für das Fach, einige Aussicht auf Selbständigkeit. Du weißt, wie dies mein Streben ist. Ich mag nicht gerne so armselig ewig leben. Dir wird es, wie die Erfahrung hinreichend gelehrt hat, nicht leicht, selbst das Notwendigste zu erringen, ich sollte daher das eben
Geschaffene so schnell wieder preisgeben? O nein, das würde ein sehr großes Unrecht sein. Das bereits erworbene Inventar ist nach einem Jahr unser Überschuß. Will Cäcilie sich trennen, so führe ich auf eigene Faust mein Institut fort, und wer weiß, vielleicht nicht schlechter. Wir können ja dann Teilung halten. Nach ihrem mißglückten Versuch ins female College wird ihr die Lust vergangen sein. Mir besteht sie aber auch nicht zu lange, mit ihr weiter zu arbeiten. Ich warte nur den besten
Zeitpunkt für die Separation ab.... Ich freue... mich indessen des Guten, daß unseren Kindern in dem jedenfalls guter Unterricht zuteil wird. Cäcilie Kapp Lieber Fritz! Mathilde Lieber Fritz! Fritz Anneke ... Zündt arbeitet wieder bei der Westlichen Post, aber nur provisorisch bis das Blatt andere Hilfe gefunden hat. Sie haben
ihm offeriert, daß er ganz wieder eintreten solle, jedoch nicht anders als unter den früheren Bedingungen, d. h. jede Nacht bis drei Uhr büffeln und am Tage auch noch büffeln, und zwar gegen einen Hungerlohn von höchstens $ 1300. Der Generalmajor Schurz, welcher zusammen mit den Eigentümern vielleicht $ 40 000 aus dem Blatte herausschlägt, hat auseinandergesetzt, daß die Bedingungen gut genug seien und anderen bewilligt werden können. Natürlich. Es gibt ja der literarischen Proletarier noch
genug in der Welt, die sich den Vorschriften der Typenbesitzer fügen müssen, um sich den blassen Hunger vom Leibe zu halten. Mathilde Percy hat mir ein silbernes Schild mit meinem Namen auf die Haustür machen lassen. Das hatte ich mir längst gewünscht und war nötig. Mathilde ... Ich habe jetzt ein größeres Haus in Aussicht, wofür ich 800 Dollar zahlen soll. Es ist viel, aber ich kann auch 18 Pensionärinnen darin aufnehmen. Lange habe ich gezögert, auf eine Vergrößerung hinzuarbeiten. Allein es wird doch notwendig sein. Ich habe nur gleich zu agitieren, damit ich
von allen Seiten her die Anstalt besetzt habe. Cilly Kapp werde ich nicht veranlassen, ihre Stellung in Vassar aufzugeben und mir als Directrice zu helfen. Ich glaube, wir arbeiten besser jeder für sich. Mathilde Lieber Fritz! German, French, English August 1868 Mathilde ... Ich stecke noch mitten in der Übergangszeit zur »zweiten Jugend« und habe viel darunter zu leiden. Auch spüre ich, was ich in meinen jungen Jahren zu viel auszuhalten gehabt habe, das an meiner ursprünglichen Kraft doch gezehrt hat. Die Sorgen und oft übermäßigen Arbeiten der Gegenwart sind auch nicht eben geeignet, meine Lebenskräfte zu schonen. Die Ausdehnung meines Unternehmens, ohne die allergrößte materielle Hilfe, im Gegenteil noch unter der Bürde allerlei Auflagen von außen - ist ein sehr gewagtes Ding, und wie auch die Aussichten für den Anfang des nächsten Schuljahres (1. September) brillant sein könnten und sicher sind, so ist doch das Durchkommen bis dahin ein mir völlig ungelöstes Rätsel. Das ewige Rechnen, das bange Summieren, das Soll und Haben, die Frage ob dieses oder jenes zu wagen, macht mich jetzt förmlich krank. Das hier bevorstehende Sängerfest würde mir vielleicht manche neue Schülerin zuführen, aber ich wage es nicht, nur Programme oder Anzeigen drucken zu lassen, wage es nicht notwendige Anordnungen in dem Arrangement des Hauses usw. zu treffen, dem Ganzen so denjenigen Anstrich zu geben, der lockend und verheißend wirken könnte. Ich würde Dich bitten, mich mit etwa hundert Dollar zu unterstützen, wenn ich nicht dächte, Du hättest vielleicht selbst noch Ausgaben, die keinen Aufschub erleiden. Im Herbst bin ich sicher, sogar Überschuß zu haben. Aber allein was hilft's!
Ich würde der Summe erst in vier Wochen bedürfen; wenn ich darauf rechnen könnte, so gebrauchte ich jetzt getrost den Vorrat. Schreib mir umgehend darüber. Laß mich aber gleich die Gewißheit haben, daß Du dadurch nicht geniert bist und daß Du Dir keine Entbehrungen auflegen mußt... Mathilde ... Die hiesigen Freunde meines Instituts - ihre Zahl vermehrt sich langsam - haben sich in den Kopf gesetzt, mir ein Ehrengeschenk an Geld zu machen, das ich für die Interessen des Instituts verwenden soll. Ich
habe mich geäußert, daß ich ein solches allerdings gerne akzeptieren werde, N.B. nicht für meine persönlichen Interessen, aber daß ich dafür alle Lehrmittel, deren ich habhaft werden könne, anschaffen wolle. Gegen Weihnacht soll sich die Geschichte realisieren. Ich komme auch noch zu einem zweckmäßigen Gebäude, wenn ich nur ruhig fortgehe auf meinem Weg. Mathilde ... Die Propaganda der Levana ist zwar fanatisch. Aber Rom ist ja nicht an einem Tage erbaut. Ich muß Geduld noch ein wenig haben. Die Frauen werden schon bauen, oder kaufen. Mathilde ... Die Levana geht in ihrem Streben dem festen Ziele zu, mir ein Haus zu bauen, eventuell zu kaufen. Ihr erstes Eröffnungsfest, eine kleine gemütliche Soiree, brachte 120 Dollar Reinertrag. Wäre das Lokal viermal so groß
gewesen, es hätte das Fest viermal so viel gebracht. So war aber der Anfang ein ganz gelungener und sicher der kleine Erfolg. Der Vorstand hat mir gestern in Optima Forma die Mitteilung gemacht, daß hundert Dollar mir zugewiesen worden seien für die Anschaffung von Lehrmitteln, wie z. B. eines Globus (25 Dollar), Karten und Anschauungsbücher aus den verschiedenen Bereichen, wie Du mir z. B. aus dem Esslingschen Verlag die reizende Probe zugesandt hattest... Mathilde Mein lieber Fritz, Fritz Anneke ... Der ehemalige Kamerad, Carl Schurz, wird wahrscheinlich in den Senat... der Vereinigten Staaten hineinschlüpfen,... aber wie?... Mit Schimpf und Schande bedeckt in den Augen jedes redlichen Menschen, auf dem Wege der gemeinsten Drahtzieherei mit Hilfe von Lug und Trug, von Bestechung, Fälschung und was sonst noch alles für Schwindel dazu gehört. Um solchen Preis möchte ich selbst nicht Präsident der Vereinigten Staaten werden. Das habe ich in vielen Kreisen offen ausgesprochen. Einer der gemeinsten Schufte und Schwindler, Staatssekretär Rodman, der schon seit Jahren von allen anständigen Mitgliedern der eigenen Partei, der sogenannten radikalen, verachtet wird, ist das Hauptwerkzeug des Herrn Schurz. Der Anzeiger hatte aufrichtig die Kandidatur von Seh urz unterstützt, hat ihn aber bei Zeiten gemahnt, der hervorragenden Stellung, die er einnehme, sich würdig zu zeigen, sich über den Standpunkt des gemeinen Parteischwindlers und Drahtziehers zu erheben und als Mann von Grundsätzen, als ein wahrer Staatsmann aufzutreten. Vergebens. Der Knabe Carl will vor allem andern das Ziel seines Ehrgeizes erreichen, und daher ist ihm kein Mittel zu schlecht. Dafür hat er sich aber bereits die Verachtung aller redlichen Leute erworben. Ich schicke Dir den heutigen Anzeiger und empfehle Dir einige Artikel auf der Seite vier und das Gedicht auf Seite acht. Außerdem lege ich einen Ausschnitt aus dem Republican bei. Wie die Neue Welt gegen Herrn Schurz los geht, wirst Du gesehen haben. Mathilde Deinen lieben Brief vom 15., auf den ich so lange schon mit Schmerzen gewartet, habe ich heute endlich bekommen. Du bist - wie Percy seinerzeit zu unserem unvergeßlichen Fritz sagte - mein einziger Freund, und ich wünsche oft mit Dir zu verkehren, oft von Dir zu hören. Mathilde ...Was ist es denn eigentlich, was Schurz alles in Deinen Augen verbrochen hat? Wir werden hier nichts gewahr. Die Rodman-Geschichte habe ich nicht ganz begriffen. Es handelt sich dabei um die Fälschung oder Unterschlagung der Ballots, allein doch gerade nicht zu Gunsten Schurz'? Wenn
gegen ein solches Verbrechen Schurz als Journalist und Politiker nicht entschieden auftrat, so war das eine Unterlassungssünde, die ich ihm durchaus verzeihe in einem Moment, wo er vor der Wahl stand und es sich darum handelte, alle Stimmen, die schlechten wie die guten, sich zu sichern. Schurz, fern davon, Aristiden zu sein. Es ist der immer siegende Themistokles, der freilich seinem Lande noch zu beweisen hat, was er Großes und Gutes für dasselbe zu vollenden vermag. Daß er niemals entschieden
mit seiner Ansicht, die er jedenfalls hat, hervortritt, das ist eben seine Diplomatie, wodurch es möglich wird und er sich Fundament schafft. Nun auf festem Fundament stehend, muß er beweisen, was er zu leisten, was zu wirken vermag. Ich sehe mir die Sache freilich nur von meinem kleinen Zimmer aus an, aber ich glaube so viel einzusehen, daß man in dieser Welt, um es noch zu etwas zu bringen, man zu dem Prinzip des Schweigens sich in vielen Fällen bekennen muß. Fritz Anneke Herr Schurz ließ sich
gestern abend eine Serenade nebst Fackelzug bringen, und in seinem Organ, an dessen Spitze er noch immer als Chefredakteur steht, läßt er sich heute so selbstverherrlichen und selbstvergöttern, wie ich noch nie in diesem Genre etwas gesehen habe. Würde Herr Schurz sich im Senat bemühen, wahrhaft Gutes und nur Gutes zu leisten, ich könnte ihm die infamen Mittel, mit denen er hineingeschlüpft ist, vergeben; aber ich kann einem solchen politischen Schwindler nichts Gutes mehr zutrauen. Er ist zu
tief verstrickt in die Maschen des Schwindels, als daß er sich - selbst wenn auch guter Wille da wäre - daraus losmachen könnte. Mathilde In dem letzten Winter ist mir diese traurige Stadt immer öder erschienen. Kein Frühling, keine Natur, nur der See mit seiner wilden Brandung, nur die hübschen freundlichen Häuser, gleich kleinen Villen, in welchen die vom Glück bevorzugten Leute recht brillant wohnen können. Von Menschen nichts, noch von einiger liebe zur Kunst, Bildung, fortschreitender Intelligenz. Nichts von Anregung, weder für Geist noch für Gemüt. Meine Verwandten, dem allgemeinen Verhängnis erliegend, fruchtlos kämpfend mit täglichen Sorgen, werden für mich mehr und mehr unumgänglich. Für Percy keine Aussicht für Weiterkommen oder Fortentwicklung seiner herrlichen natürlichen Anlagen. Das alles ist wohl hinreichend, einem Leben und Aufenthalt von der trübsten Seite erscheinen zu lassen. So wäre ich ihm auch schon entflohen, wenn ich Jugendmut noch genug in mir verspürt hätte, noch einmal mich auf neues Ringen und Wagen einlassen zu können, das das bescheidenste Los für die nächstfolgende und spätere Zukunft verhieße. Ich habe hier viel errungen. Ist's gleich auch lange nicht befriedigend und kompensierend für die großen Anstrengungen, so ist es doch ein Fundament, das sich neu nicht so bald wieder aufbauen läßt. Es gehen überall wie hier Jahre dazu, das Vertrauen als Lehrerin, die Liebe der Kinder sich zu erringen, die Einrichtungen zu treffen. Hat man dazu nicht ein wenig Kapital, so ist man dem Zufall preisgegeben, der gar zu schlimm oft mit uns gespielt hat. Immer noch habe ich zwar hier Gegner und Neider zu bekämpfen. Im Augenblick tritt der im vorigen Jahr Milwaukee lebewohl sagende Peter Engelmann wieder auf, unterstützt von seinen Anhängern, die ihm die Gebäude der sogenannten englisch-deutschen Akademie frei überlassen, und verspricht der mit der Realschule verbundenen Höheren Töchterschule seine besondere Aufmerksamkeit zu widmen - Jedoch auch ich habe in der Levana eine Phalanx hinter mir, die treu zu mir steht und ihre kooperative Wirksamkeit in einer Subsidie von hundert Dollar bar und in Geschenken für die Schule bewiesen hat. Diesen Betrag von hundert Dollar hoffen sie im Jahr drei oder viermal wiederholen zu können und außerdem an einem Fonds schaffen zu helfen, der mir einmal zu einem Gebäude verhilft. Du siehst hieraus und außerdem aus der stetigen Teilnahme der Schülerzahl (50), daß das Werk einen kräftigen Halt in sich erlangt hat und daß nur Unfälle besonderer Art es mir wieder zerstören könnten. Wie hart ich daran gearbeitet habe, das ahnst Du nicht. So könnte ich nicht wieder von vorne anfangen. Und nichts wird geschaffen, ohne sein Lebensblut, sein Bestes, daran zu setzen. Mathilde Mein lieber Fritz! Mathilde ...Wenn man nichts im Leben hat als Plage und Arbeit und bittere Sorgen hinterher, so ist das Leben nicht mehr viel wert. Du
entnimmst aus meinem Briefe, daß ich mich schwer von Milwaukee trennen kann und meine Aussichten besser... Ich weiß nicht, ob ich wirklich so unklar schrieb. Ich wünsche nur, irgendwo zu sein, wo ich arbeiten kann und meine Arbeit belohnt wird, auf daß ich leben kann, wie es einem gebildeten Menschen zukommt. Hier bin ich voll Sorgen. Nun soll ich gar noch gesagt haben, daß ich die Miete für ein I laus wollte garantiert haben. Ich habe nichts gewollt als 25 bis 30 Schüler oder wenigstens die
Miete gesichert haben. Mathilde ...Ich werde fortwährend eingeladen, Konventionen abhalten zu helfen (natürlich gegen Honorar). Solange ich Lehrerin sein muß, kann ich schwerlich an direkte Propaganda denken. Mein Lehrstand leidet auch furchtbar unter dem Druck der sogenannten schlechten
Zeit. Verluste und Abzüge sind an der Tagesordnung. Heinzen besuchte mich gestern. Er spricht heute Abend in der Turnhalle. Daß er mich gepriesen hat, wegen meiner Beteiligung an der Frauensache, weißt Du. Sein Pionier bleibt sich treu. Mathilde Lieber Fritz! Fritz Anneke Liebe Tilla, Mathilde Mein lieber Fritz! Mathilde Lieber Fritz! Mathilde ...Sag mir doch, wer ist dieser Zukunftsmann, Redakteur des Turnerorgans »Zukunft«,
der sich mit Deiner Bekanntschaft brüstet, Göbel heißen und beim Anzeiger Lokalritter gewesen sein soll, der mittlerweile mich so heftig angebellt hat, mir mein katholisches Kirchengebetbuch vorgeworfen usw. usw., daß Mathilde Wendt für mich in die Schranken getreten ist. Pionier hat ihren Artikel, der recht brav war, abgedruckt. Die Geschichte spielte schon vor 14 Tagen, ich vergaß, Dich danach zu fragen. Mathilde Mein lieber Fritz, Mathilde In diesem Klima zu leben ist mehr, als ich jetzt vertragen kann - trotz Stimmrecht, das uns jetzt in naher Aussicht steht. Wisconsin erste Staat, der die Bill im Senat so glänzend passieren läßt. Was das Haus tun wird, steht zu erwarten. Unsere natürlichen Gegner drücken auf deren Handlung, was möglich ist. Mathilde In Minnesota werden also die Frauen im Herbst stimmen. Zunächst haben sie selbst über ihr Sein oder Nichtsein zm entscheiden. Ich fürchte nicht, daß wenn sie zur Urne treten, auch mit einem entscheidenden Ja eintreten. Was hier noch werden wird, ich weiß es nicht. Man bekommt ja keinen vernünftigen Menschen hier zu Gesicht, bei dem
man sich nur etwas Belehrung über die Situation verschaffen könnte. Mathilde Unser liebes Herthali begießt ihren Salat. Sie würde eine glückliche Farmerin sein. O daß uns doch ein kleines Besitztum zuteil würde. Ein Häuschen mit Pferd und Kuh und nichts wie Erdbeer- oder andere Beeren-Pflanzungen. Fritz Anneke Daß Du die hiesige Weiberrechtskonvention nicht mitgemacht hast, brauchst Du nicht zu bedauern. Es muß eine sehr lahme, matte und erfolglose Affaire gewesen sein. Da scheint in St. Louis ein ganz anderer Zug dahinter zu stehen. Die Aufforderung, die Du gesehen haben wirst, war von 215 Männern und Frauen unterzeichnet, darunter die hervorragendsten amerikanischen Richterund Advokaten und manche der namhaftesten Deutschen und Deutsch-Ungarn. Sogar Frau Dänzer, die Gattin von Carl Dänzer war dabei, während er in seiner Zeitung die Sache bekämpft. Mathilde Es ist früh morgens. Hertha ist schon seit 5 Uhr im Fluß baden und jetzt zum Markt gefahren, um sich nach dem Stand der frischen Gemüse, die wir auch bis jetzt noch nicht kennengelernt haben, zu erkundigen, damit wir an unsern Festtagen, wenn Du bei uns bist, darin gründlich schwelgen können. Heute werden wir ein Vorspiel davon haben, die erste rechte Portion Erbser». Percy macht den Kaffee. Ein Mädchen haben wir nicht. Hertha lernt Haushaltung fürs erste. Tagebuch-Eintragung
Mathilde ... Paul hat noch nicht einmal an seine Familie geschrieben. Es ist herzzerreißend, wie die arme Fanny sich durchschlagen muß, um mit den Kindern durchzukommen. Mathilde Lieber Fritz! Fritz Anneke Die Versammlung am letzten Sonntag war die schönste, die ich seit 48 Jahren gesehen; eine Begeisterung, wie sie fast noch nie da war. Ich sollte auch eine Rede halten, kam aber erst als dritter oder vierter an die Reihe und lehnte ab. Ich bin auch beim Ausschuß und habe daher sehr viel zu tun. Mathilde Ich denke, die Deutschen und Franzosen kommen heute oder morgen zur Schlacht, mit der hoffentlich der Tanz zu Ende sein wird. Es ist ja doch nur ein Aderlaß der Völker, mal wieder zu Gunsten der Tyrannen. Fritz Anneke Deine Ansichten über den deutsch-französischen Krieg teile ich nicht. Louis tritt freilich als frecher Despot auf, da er in seinem Interesse Hunderttausende abschlachten läßt. Aber Deutschland mußte den Fehdehandschuh aufnehmen; es handelt sich um die Erhaltung der Integrität des deutschen Landes und der Selbständigkeit des deutschen Volkes. Mag da nun ein Wilhelm an der Spitze stehen, oder wie der Kerl sonst heißt, das macht keinen Unterschied; wenn er nur die Sache Deutschlands würdig vertritt. Und das tut der alte Herr. Mathilde Butz hat recht, lieber
Fritz,
Nächstes Mal mehr davon für Freund Butz. Mathilde Siehst Du bald ein, lieber Fritz, daß ich über Deinen Freund, den »Heldenkönig«, von vornherein ein richtiges Urteil gehabt und der borussischen Niedertracht bis auf den Grund geschaut habe?! Wie froh bin ich, daß Du zu keiner offenen Demonstration in Deinem blinden Vertrauen veranlaßt warst. Ich würde mich totärgern, wenn sie
auch Dir die Verblendung vorzuwerfen hätten. Ich für mein Teil habe Entschuldigung in meinem Herzen für Dich. Cäcilie Kapp aus Vassar Morgens sechs Uhr tönt die erste Schreckensglocke. Um 3/4 vor 7 Uhr hinunter zum Frühstück. Um Viertel nach sieben von da in die Kapelle, um halb acht Uhr zurück in mein Zimmer, das unterdessen gelüftet und Bett gemacht ist. Noch ein Blick in die Bücher. Um acht Uhr in den zweiten Korridor, vier Stunden hintereinander: Seniorenklasse, 17 Schülerinnen,
Literaturgeschichte, z. Zt. Faust. Nach 40 Minuten eine kleine Pause, dann Nr. 2, Anfangsklasse, 28 Schülerinnen, dann Nr. 3 Französisch, 42 Schülerinnen, Nr. 4 wieder eine Anfangsklasse, 29 Schülerinnen. Dann ausruhen, Studium, um ein Uhr Mittagessen bis fast zwei Uhr. Dann ein Schläfchen oder ein Spaziergang oder Lesen, Studium. Um 4 V4 Nr. 5, Klasse C mit 34 Schülerinnen, um 5 Uhr Nr. 6, Klasse B mit 26 Schülerinnen. Macht zusammen sechs Klassen und 176 Schülerinnen. Um sechs Uhr Tee, halb
sieben Kapelle, dann 20 Minuten silent time - dann separates Drillen von spät Eingetretenen - Reporte machen und auf den folgenden Tag präparieren. Dann Bibliothek und Zeitung lesen, hier und da Besuche machen oder annehmen, eine Vorlesung, musikalischer Abend beim Präsidenten. Um zehn Uhr dann ins Bett. Samstag und Sonntag frei, Frühstück erst um acht Uhr. Cäcilie Kapp Ich freue mich, daß die Equipage Deinen Kindern, namentlich sie Hertha solche Seligkeit bereitet. Natürlich ein Wagen und Pferd zur Disposition - es ist ja königlich - es vertritt jetzt wohl die Stelle von Weißkirchs berühmtem Pony? Hast Du es denn gekauft? oder gefunden - oder geerbt? Mathilde ... Wenn ich jetzt nicht Lichtblicke genug aufzuweisen habe, dann weiß ich's nicht. Ich habe eben einer Schülerin ein Testimony ausgestellt. Sie ist viereinhalb Jahre in meiner Schule herangebildet und ist nun, ohne ein weiteres College besucht zu haben, tüchtig befunden worden, die Stelle einer Lehrerin an der High School einzunehmen mit 600 Dollar. Das junge Mädchen ist 17 Jahre alt. Mathilde Lieber Fritz! Fritz Anneke Liebe Mathilde, Mathilde Lieber Fritz, Mathilde Werden diese Zeilen Dich erreichen und wie? Welch ein furchtbares Unglück führt uns alle mehr oder minder heim! Wirst Du verschont bleiben? Ich zittre vor Angst und Schrecken um Dich - um alle, die von dieser Feuersbrunst betroffen wurden. Wenn Du kannst, gib ein Lebenszeichen. Mir ist, als müßte ich selbst zu Dir eilen, lieber guter Fritz. Fritz Anneke Liebe Mathilde, Cäcilie Kapp Einziger
Tildusch! Cäcilie Kapp Cäcilie zitiert Mathilde, die ihr vorwirft, Cilly lägen die Westermanns Monatshefte mehr am Herzen »als unser ganzes Unglück, das mich Tag und Nacht an der Maschine nähen ließ«. - Mathilde Lieber Fritz! Fritz Anneke Auf Deinen lieben Vorschlag, nach Milwaukee zu kommen, um in Eurer Mitte zu weilen, kann ich nicht eingehen. Ich will die deutsche Gesellschaft nicht im Stiche lassen, wenn auch unter ihren Direktoren und Mitgliedern noch so große Lumpen sind. Verdienen könnte ich jetzt als Notar ein schönes Stück Geld. Aber es geht nicht für meine Stellung und widerspricht den Statuten und ich verzichte deshalb darauf. Am Sonntag ist Versammlung des Verwaltungsrats, und ich denke, man
wird mir das gegenwärtig in meinen Händen befindliche Geld der Gesellschaft, $ 60,00, bewilligen. Keine einzige deutsche Gesellschaft hat bis zur Stunde meine wiederholten Anfragen, ob sie uns helfen wollen, beantwortet. Mathilde Ich war mit Percy und Fanny in Janauscheks Medea, dieser unvergleichlichen Vorstellung, so groß in englisch wie in deutsch. Eine herrliche Übersetzung der Grillparzerschen Dichtung. Mathilde Das erste Heft mit dem barocken Roman Anton in Amerika der deutsch-amerikanischen Wochenhefte ist erschienen. Steiger schickte es mir. Eine dumme Wahl, die er zu Anfang getroffen hat; es sieht überhaupt aus, als ob es an Material fehle. Unsere Beiträge würden als belletristische eine Zierde sein gegenüber dem Heckerschen Quark in den Reden. Beiläufig habe ich von dem großen Gesellschaftsretter noch nichts gehört. Grillparzers Tod ist von Brachvogel recht würdig behandelt. Ich habe auch solche Achtung vor dem Dichter der Medea - viel höhere wie vor Schiller, der kein einziges Weib gekannt und geschildert hat. Wie groß, wie wahr dagegen Medea. Ich trug seit der Nachricht von seinem Tode stets die Worte mit mir herum:
In der Dichtung Grillparzers (in Medea) liegt der Weiber ganzer heutiger Kampf - ach nein, schon Kampf von Anbeginn. Cäcilie Kapp ... Liebchen, ich will mein Testament gerichtlich machen, ehe ich gehe. - Alles, was ich diesseits des Ozeans besitze, gehört Dir - die 2000 Dollar Lebensversicherung, hundert Dollar in der Bank. Beide Kopien hat Frau Hinkel. Alle Bücher, Kleidungsstücke, Decken usw. usw. Nur die schwer zu versendenden Dinge,
wie zwei ziemlich wertlose Sofas, die zwei Bronzebüsten für Frau Hinkel - ich werde Dir die Anschrift zusenden - das Meer ist kein Spaß, obschon allerdings die amerikanischen Eisenbahnen es noch bei weitem weniger sind... Im Sommer 1872 nahm Fritz Anneke Urlaub von der Deutschen Gesellschaft in Chicago und fuhr nach Deutschland, um seine alternde Stiefmutter zu sehen. Im Jahre vorher war sein Vater gestorben. Nach 24 Jahren betrat Fritz Anneke zum ersten Mal wieder deutschen Boden. Über seine Eindrücke und Erlebnisse berichtet er in mehreren Briefen an Mathilde. Dortmund, 30. Juli 1872 Hoboken, 15. Oktober 1872* Heute Nachmittag lief die »Silesia« hier ein. Die Auspackerei der Baggage und die Schnüffelei der Zöllner nahmen so viel Zeit in Anspruch, daß ich erst jetzt dazu komme, Dir einige Zeilen zu schicken. Übermorgen denke ich meine Reise nach Chicago fortzusetzen und Sonntag Abend hoffe ich bei Euch zu sein. Wenn möglich, werde ich meinen Urlaub nochmals um eine Woche verlängern lassen. Mehr
mündlich. Tausend Grüße von Zeitungsnotiz vom 10. Dezember 1872 (keine weiteren Angaben)
Caspar Butz Liebe Freundin! Cäcilie Kapp Mathilde, Fritz' jäher Tod hat mich sehr ergriffen. ... Ach, Mathilde, wie demütig, wie bescheiden, wie weich wird man, wenn man recht tief hinabsieht in sein eigen Herz und sieht, wie viel besser und ehrlicher und wahrer andere waren, die tausendfach verkannt wurden und sich
keine Lebensstellung schaffen konnten, weil eben Combinationen und Anklagen in ihnen waren, die es nicht dazu kommen ließen - wie z. B. Fritz. Sind andere zu loben, weil sie es zu etwas brachten? Sie konnten nicht anders, ihre Natur trieb sie dazu, es zu etwas zu bringen - wir sind Barbaren in unserer Beurteilung. Ach, Tildusch, ich bin beständig im Geiste bei Dir gewesen die ganze Woche - Gott im Himmel, ihn so wiederzusehen!... Seit Fritz Annekes Ableben werden die Quellen, die über Mathildes weiteres Schicksal Kunde geben, spärlicher. Vor allem liegen nur sehr wenige, von Mathilde selbst geschriebene Zeugnisse vor und betreffen mehr ihr öffentliches als ihr privates Leben. Aus Cäcilie Kapps Briefen können wir indirekt einige Schlüsse ziehen, ebenso aus verschiedenen Zeitungsartikeln aus jenen Tagen, die teils in der Sammlung deponiert, teils in der Städtischen Bibliothek greifbar sind. Am aufschlußreichsten ist der Bericht, der von Hertha Anneke-Sanne in der Heinzenbiographie [12] geboten wird. Dennoch bleiben Lücken offen oder Berichte unvollständig. So liest man zum Beispiel im Milwaukee Sentinel vom 3. Oktober 1879 folgende Nachricht:
Aus dem Briefverkehr, den Mathilde Anneke mit Sybille Heß führte, geht hervor, daß Sybille Heß mit Ferdinand Lingenau wiederholt über Mathilde Anneke gesprochen hatte. Hertha Anneke-Sanne erwähnt die Erbschaft aber mit keinem Wort. Somit bleibt diese Frage ungeklärt. Susan B. Anthony Meine liebe Frau Anneke, Elizabeth Cady Stanton Liebe Frau Anneke, In diesen letzten Jahren ihres Lebens erfuhr Mathilde Anneke endlich die Genugtuung, ein eigenes Haus mit Grund und Boden zu besitzen, was sie sich ihr Leben lang gewünscht hatte. Im Jahre 1879 sandte ihr Friedrich Hammacher $ 500; dafür erstand sie ein Hektar Land an der »Whitefish Bay« im Norden der Stadt, später wurde ein weiterer Hektar dazu gekauft. Es war jene Gegend, wo auch die Lüddemann-Farm lag, zu der die Familie so gern ihre Wochenendausflüge gemacht hatte. Auf diesem Stückchen Land baute Fritz Silier, ein Dichter und Freund Mathildes, für den Preis von $250... ein... einfaches Sommerhäuschen.... Sie nannte ihren Besitz »Waldfrieden«. Während der Sommermonate erfreute sie sich dort an der Aussicht auf den See, dem Blick in den Wald, der Stille ihres Plätzchens. Für den Winter erwarb die Familie im Jahre 1882 ein Haus in der Stadt, in der Cambridge Avenue Nr. 871. Die Straße läuft in einreihiger Häuserfront entlang dem Menommee Fluß, der auch heute noch weidenbewachsen dahinfließt und ein friedlicher Nachbar ist. Cäcilie Kapp Geliebte Mathilde, Auch mit ihrer Schule
hatte Mathilde Anneke Erfolg. Nicht nur aus Milwaukee oder Wisconsin meldeten sich nun die Zöglinge, sondern auch aus entlegeneren Gebieten der Vereinigten Staaten kamen die Schülerinnen, um in »Madam M. F. Anneke's German French and English Academy«, bzw. im »Milwaukee Töchter-Institut« die erlesene Erziehung zu genießen, die vielerorts gepriesen wurde.
Banner und Volksfreund, DER FRAUENVEREIN »HERA«
25. Januar 1875
1878
Und im Milwaukee Herold stand zu lesen:
Brief einer Schülerin Innigstgeliebte Lehrerin! Die ehemalige Schülerin Hermine Baumgarten schrieb 1905
Natürlich hatte Mathilde Anneke die Schule vor allem mit der Absicht gegründet, durch diese einen Lebensunterhalt zu finden. Sie hätte jedoch Geist und Ziel ihres Lehr- und Erziehungsprogrammes niemals finanziellen Vorteilen untergeordnet. Als »freisinnig« und »fortschrittlich« waren sie und ihre Anstalt bekannt. Als eine der ersten in der Mädchenerziehung legte sie auf Mathematik und Naturwissenschaften großen Wert. Die Beschreibung einer Chemieprüfung durch eine Milwaukeer Zeitung gibt Zeugnis für die gründliche Ausbildung auf diesem Gebiet. Vor allem aber war es ihr darum zu tun, diese neue Generation junger Frauen auf einen weiteren Wirkungsbereich mit höheren Lebensaufgaben als »Kinder, Kirche, Küche« vorzubereiten. Und sie zögerte auch nicht, den jungen Mädchen ein Selbstbewußtsein einzupflanzen, das Anspruch auf freie und gleiche Entwicklung mit dem Manne fordert. Denn es war Mathilde Anneke klar, daß die Gleichberechtigung der Frauen in allen Sparten des Daseins nur über eine gleichwertige Ausbildung zu erzielen war. Für diese vermittelte sie mit ihrer Schule die Grundbedingungen. Mit ihrem Töchter-Institut brachte sie zur praktischen Anwendung, wofür sie mit der Feder und auf den Tribünen kämpfte: Was in der Frau nicht länger unterdrückt werden kann, was frei sein will unter allen Umständen ... ist der natürliche Durst nach wissenschaftlicher Erkenntnis ... Wissen um des Wissens willen zu suchen ... um Ideen, Folgerungen und alle höheren Dinge ... Dies hatte Mathilde Anneke in ihrer Rede auf der Tagung des Jahres 1869 gefordert. Auf beiden Gebieten, im kleinen Bereich ihrer Schule und auf der größeren Ebene des politischen Lebens wirkte sie bis in ihr hohes Alter im Sinne ihrer Überzeugungen. |