Wie hoch ist die Temperatur die nicht überschritten werden darf um die Ziele der Klimaabkommen zu erreichen?

Anfang November trat das im vergangenen Jahr verabschiedete Klima-Übereinkommen von Paris offiziell in Kraft, nachdem es deutlich mehr als die 55 notwendigen Unterzeichner-Staaten ratifiziert hatten. Das Abkommen sieht vor, den Anstieg der globalen Durchschnittstemperatur auf deutlich unter zwei Grad Celsius gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen. Als Zielvorgabe nennt das Übereinkommen sogar eine Erwärmung von nur 1,5 Grad Celsius, damit Risiken und Auswirkungen des Klimawandels reduziert werden.

Rechnet man heutige CO2-Emissionen in die Zukunft fort, so würde die 1,5-Grad Schwelle schon in wenigen Jahren überschritten werden. Um die Ziele von Paris dennoch zu erreichen, wird neben Emissionsreduktion auch über Möglichkeiten nachgedacht, in großem Maßstab Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernen. Doch inwieweit sind solche Maßnahmen wirklich geeignet, die ehrgeizigen Klimaziele zu erreichen? Welche Risiken und Nebenwirkungen beinhalten sie? Wie könnte man ihren Einsatz verantwortungsvoll regulieren? Mit diesen Fragen beschäftigten sich in der vergangenen Woche 80 Expertinnen und Experten aus ganz Europa und aus den USA während eines Workshops am Kieler Institut für Weltwirtschaft.

Organisiert hat den Workshop das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft geförderte Schwerpunktprogramm (SPP) „Climate Engineering – Risiken, Herausforderungen, Chancen?“. „Das Übereinkommen von Paris ist eine riesige Chance für einen tatsächlich wirksamen Klimaschutz. Wir müssen nun ganz schnell Konzepte entwickeln, mit denen das anvisierte Ziel auch erreicht werden könnte. Einen einfachen Weg scheint es nicht zu geben und wir müssen alle Ideen auf ihre Wirksamkeit, Risiken und Nebenwirkungen hin überprüfen“, sagt der Sprecher des SPP, Prof. Dr. Andreas Oschlies vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel.

Der erste Tag der Workshops war Techniken gewidmet, mit denen schon in der Atmosphäre befindliches Kohlendioxid wieder daraus entfernt werden kann. „Darunter fallen zum Beispiel auch großflächige Aufforstungsmaßnahmen, oder die Nutzung von Bioenergie“, erklärt Dr. Elmar Kriegler vom Potsdamer Institut für Klimafolgenforschung und Mitorganisator des Workshops. Doch Studien haben auch bei auf den ersten Blick risikoarmen Maßnahmen Probleme aufgezeigt: Aufforstungen zur Klimaregulierung haben nur einen begrenzten Effekt, und sie konkurrieren entweder mit Anbauflächen für Lebensmittel oder sie können im großen Maßstab die Oberfläche der Erde dunkler werden lassen. Das hätte eine erhöhte Wärmeaufnahme zur Folge. „Klimamodellsimulationen zeigen, dass Maßnahmen, die im kleinen Maßstab zunächst unproblematisch erscheinen, bei globalem Einsatz inakzeptable Nebenwirkungen haben können“, betont Professor Oschlies

Am zweiten Tag des Workshops wurden auch Technologien angesprochen, mit denen die Sonneneinstrahlung beeinflusst werden könnte. Hier ging es vor allem um die Frage, ob Feldforschung erlaubt sein sollte, um sich über die Machbarkeit, Regulierung und Nebenwirkungen solcher Technologien ein klareres Bild zu verschaffen. Das wäre nötig, um einzuschätzen, ob sie zu einem Plan B beitragen könnten, falls die Anstrengungen zur CO2-Reduktion nicht ausreichen sollten. Die Diskussion zeigte, dass hier schon für die Erforschung solcher Methoden erhebliche ethische, gesellschaftliche und rechtliche Fragen zu klären wären. In einer abschließenden Diskussion mit Stakeholdern und Entscheidungsträgern wurde deutlich, dass eine umfangreiche Verringerung des CO2-Ausstosses oberste Priorität haben muss. „Die CO2-Entnahme aus der Luft kann einen Aufschub der Emissionsverringerung nicht kompensieren. Vielmehr ist eine offensive Reduktion von Emissionen immer geboten, um die Ziele von Paris erreichen zu können, auch wenn Verfahren zur CO2-Entnahme zu Verfügung stünden“, resümiert Elmar Kriegler.

„Ob wir wollen oder nicht, wir müssen über Methoden zur CO2-Entnahme aus der Luft ganz konkret nachdenken. Die zwei Tage des Workshops haben uns jetzt einen guten Überblick über mögliche Wirkungen, Risiken und Nebenwirkungen verschiedener Ideen dazu gegeben. Die von der Gesellschaft zu treffende Entscheidung über den besten Weg wird nicht einfach sein. Wir Wissenschaftler müssen dafür eine transparente und solide Informationsbasis liefern“, sagt Andreas Oschlies.

Kontakt:
Jan Steffen (GEOMAR, Kommunikation & Medien), Tel.: 0431 600-2811, presse(at)geomar.de 

Professor Elmar Kriegler ist Leiter der Abteilung Transformationspfade am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung. Für den Weltklimarat (IPCC) war er in der Arbeitsgruppe III Autor des Kapitels „Langfristige Transformationspfade“. Der Bericht der Arbeitsgruppe erschien im April 2022.

Herr Professor Kriegler, gibt es noch eine Chance, das 1,5 Grad-Ziel aus den Pariser Klimaabkommen zu erreichen?

Wenn wir auf das 1,5 Grad Ziel kommen wollen, müssen wir die nächsten Jahre die Treibhausgasemissionen dramatisch senken, und selbst dann werden wir mit 50 Prozent Wahrscheinlichkeit zwischenzeitlich leicht darüber sein. Für den IPCC Bericht haben wir uns die Klimaschutzpläne angesehen, zu denen sich die einzelnen Länder im Pariser Abkommen bis 2030 verpflichtet haben. Selbst wenn das alle einhalten würden, kämen wir lediglich auf eine Stabilisierung der Emissionen über die nächsten zehn Jahre. Das reicht bei weitem nicht, die 1,5 Grad zu halten, dafür müssten die globalen Emission bis 2030 um 35 bis 60 Prozent sinken.

Aber es werden noch nicht einmal die Zusagen aus Paris eingehalten?

Aufgrund der schwierigen geopolitischen Situation mit hohen Energiepreisen greifen manche Länder kurzfristig nochmal auf Kohle zurück. Aus Mangel an Gas behalten sie die Kohleinfrastruktur bei oder bauen sie sogar aus. Es wird schwer, die dann wieder loszuwerden. Für Deutschland ist der Kohleausstieg bis 2038 beschlossen. Das ist viel zu langsam, um das ambitionierte 1,5 Grad Ziel zu halten. Wir gehen davon aus, dass er bis 2030 notwendig wäre.

Dabei erkennen alle Länder die Bedeutung dieser Ziele an?

Die Politik hat die Dringlichkeit lange nicht erkannt. In den letzten zwei Jahren hat sich das etwas geändert, auch durch Fridays For Future. Der IPCC Bericht erhält seine Bedeutung dadurch, dass alle Staaten der „Zusammenfassung für politische Entscheidungsträger“ zustimmen. So erkennt etwa auch Australien an, dass wir global so schnell wie möglich aus der Kohle aussteigen müssen, obwohl es stark darin investiert hat.

Kohlekraftwerke wie hier bei Berlin tragen entscheidend zu den globalen CO2-Emissionen bei. Deutschland plant den Kohleausstieg bis 2038 – viel zu spät, wie Elmar Kriegler meint.

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Bei über 1,5 Grad kann es zu Kettenreaktionen kommen

Was passiert, wenn wir deutlich über die 1,5 Grad kommen?

Die Klimaschäden sind schon deutlich spürbar und in bestimmten Jahren dramatisch, etwa mit Feuern und Hitzewellen. Hitze, Sturm und Starkregenereignisse werden uns in den kommenden Jahren verstärkt begleiten. Mit jedem Zehntel Grad Erwärmung werden sich diese Effekte deutlich verstärken.

Erwarten uns dann auch Kettenreaktionen, die sogenannten Tipping-Points?

Tipping-Points sind großskalige Veränderungen im Klimasystem. Wenn sie einmal gekippt sind, kann man sie kaum oder gar nicht rückgängig machen. Dazu zählt etwa das Abschmelzen des Grönlandeisschildes, das einen Anstieg des Meeresspiegels von sechs Metern bedeuteten würde, oder in ähnlicher Größenordnung des westantarktische Eisschildes. Die Wissenschaft ist sich hier noch nicht sicher, aber es ist nicht auszuschließen, dass diese Tipping-Points relativ bald erreicht werden können, auch bereits zwischen 1,5 und 2 Grad.

Kann der Mensch mit Veränderungen dieser Dimensionen überhaupt noch umgehen?

Es gibt Grenzen der Anpassung. Bei einem Anstieg der Meeresspiegel käme es zu großen Migrationsströmen. Trotz Schwankungen hat sich die Menschheitsgeschichte in den letzten 10.000 Jahren in einem relativ stabilen Klima abgespielt. Jetzt erhitzt sich der Planet. In Deutschland werden wir mehr Tropennächte bekommen, was den Ruf nach Klimaanlagen groß werden lässt. In andern Gegenden können die Temperaturen über 50 Grad steigen, dann kann man dort nur noch in Innenräumen mit hohem Energieaufwand leben.

Wir müssen unsere Mobilität neu denken

Die ZEIT“ titelte, der letzte Klimabericht des IPCC sei ein „Aufruf zur Revolution“. Stimmen Sie zu?

Die Frage ist, was damit gemeint ist. Es gibt die Diskussion, inwieweit sich unser Gesellschaftssystem revolutionieren muss. Klar ist, dass wir unsere Art zu wirtschaften, Energie und Land zu nutzen, neu denken müssen. Das gilt auch für den Transportsektor. Daneben ist auch eine Änderung des Konsumverhaltens entscheidend und technologische Innovation.

Wie können wir uns Änderungen in der Mobilität vorstellen?

Elektromobilität ist hilfreich, wenn wir es schnell schaffen, auf emissionsfreie Stromerzeugung umzustellen. Aber es bringt nichts, große Limousinen, die vorher Benzin getankt haben, durch Strom tankende Limousinen zu ersetzen. Wir brauchen intelligente Konzepte, bei denen sich Menschen Fahrzeuge teilen. Wir müssen den Öffentlichen Nahverkehr bedarfsgerecht strukturieren, etwa mit elektrischen Kleinbussen, die flexibel einsetzbar sind.

Ist das 9-Euro Ticket hilfreich, damit mehr Leute den Nahverkehr (ÖPNV) nutzen?

Das 9-Euro Ticket führt zunächst dazu, dass Personen verstärkt vom Auto auf den Öffentlichen Nahverkehr umsteigen. Aber es ist nur auf drei Monate angelegt. Es ist fraglich, ob das hilft, die strukturellen Probleme im ÖPNV zu lösen. In der Hauptstadt Estlands, Tallinn, ist der Nahverkehr für alle freigegeben, finanziert durch eine Abgabe aller Bürger. Der kostenlosen ÖPNV bietet die nötige Nachfrage, um in die Infrastruktur zu investieren.

Um die Klimaziele noch zu erreichen, ist dringend eine Verkehrswende notwendig. Statt Millionen Verbrennern auf den Straßen braucht es intelligente Lösungen, etwa auch Konzepte, bei denen sich Menschen Fahrzeuge teilen, so Kriegler.

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Welche weiteren Möglichkeiten gibt es, schnellstmöglich unsere Treibhausgasemissionen zu reduzieren?

Eine wichtige Entwicklung besteht darin, dass wir verstärkt auf CO2-Preise setzen. Sie geben das Signal, dass uns der Klimawandel teuer zu stehen kommt. Ein höherer Preis bedeutet einen schnelleren Ausstieg aus den fossilen Brennstoffen. Es wird derzeit diskutiert, den Emissionshandel auf europäischer Ebene auch für den Transport und Gebäudesektor einzuführen, das ist jetzt trotz starken politischen Widerstands vom EU Parlament beschlossen worden, es bedarf aber noch der Zustimmung des Europäischen Rates.

Würde eine höhere CO2-Bepreisung das Leben für die Verbraucher nicht auch deutlich teurer machen?

Ja und deswegen ist es ganz wichtig, das mit einer Ausgleichspolitik zu verbinden. Nach einem klassischen Vorschlag werden die Einnahmen aus der CO2-Bepreisung oder Teile davon pro Kopf an die Bevölkerung zurückzugeben. Das hat eine positive Wirkung für die ärmeren Haushalte, denn sie zahlen absolut gesehen weniger für CO2 als reiche Haushalte, die vermehrt fliegen, die mehr Kilometer fahren, die CO2-intensivere Produkte kaufen. Für die ärmeren Haushalte könnte unter dem Strich noch ein Plus dastehen. Im Koalitionsvertrag ist das unter dem Stichwort „Klimageld“ vorgesehen.

Kommt das Geld denn tatsächlich bei den Menschen an? Wir sehen bereits jetzt eine Teuerung...

Die Politik muss Vertrauen schaffen, damit die Menschen ihr wirklich glauben, dass sie die Zumutungen der Transformation kompensiert. Man kann die höheren Preise für Energie und Fleisch nicht wegreden, aber man muss die ärmeren Haushalte in den Blick nehmen. Die Klimapolitik kann das Versagen der Sozialpolitik nicht auslöffeln.

Die wichtigste Maßnahme ist die Reduktion der CO2-Emissionen

Welche Rolle spielt der Fleischkonsum für den Klimawandel?

Der Fleischkonsum leistet einen entscheidenden Beitrag zu den menschengemachten Emissionen. Rinder und Schafe stoßen große Mengen Methan aus. Zudem werden große Flächen für die Erzeugung von Futtermitteln genutzt, die stattdessen aufgeforstet werden könnten und mit denen wir auch die Biodiversitätskrise angehen könnten.

Welche technischen Möglichkeiten gibt es, die CO2-Konzentration zu reduzieren?

Am einfachsten ist es, Bäume und Wälder zu pflanzen oder Moore wieder zu vernässen. Das bindet viel CO2. Es gibt auch ausgefeiltere technische Vorschläge zur Nutzung von Bioenergie, bei dem das dabei entstehende CO2 im Boden verpresst wird. Kalk könnte CO2 aus dem Ozean absorbieren. Es gibt eine lange Liste von möglichen Verfahren. Die Frage ist vor allem, wie schnell man sie in großem Maßstab anwenden kann und welche Nachteile sich dabei ergeben.

Welches Potenzial haben solche Technologien?

Die wichtigste Maßnahme bleibt weiterhin die Reduzierung der Treibhausgasemissionen. Technologien zur Entnahme von CO2 können nur eine ergänzende Rolle spielen. Man kann sie nicht in beliebigem Maß hochfahren. Sie sind sehr investitionsintensiv und brauchen Zeit. Bis 2050 kann man so maximal 100 Milliarden Tonnen CO2 aus der Atmosphäre ziehen. Zum Vergleich: Derzeit emittieren wir 40 Milliarden Tonnen jährlich. Die Technologien könnten bis 2050 also bestenfalls den Ausstoß von 2,5 Jahren kompensieren, auf lange Sicht mehr.

Welche Maßnahmen würden Sie sich jetzt wünschen?

Es ist wichtig, mutige und der Herausforderung angemessene Maßnahmen auf allen Ebenen umzusetzen, dazu gehört ein hoher CO2-Preis. Auch eine Reduktion des Fleischkonsums und eine Umstellung des Mobilitätsverhaltens sind sehr wichtig, sowie technologische Innovationen um schneller Emissionsneutralität zu erreichen. Wir müssen jetzt um jedes Zehntel Grad ringen, um so nah wie möglich an den 1,5 Grad zu bleiben.

Das NATIONAL GEOGRAPHIC Magazin 9/2022 ist seit dem 26. August im Handel erhältlich.

Wann wird 1,5 Grad erreicht?

Was vor ein paar Jahren noch als nahezu ausgeschlossen galt, halten Experten jetzt für möglich - sie warnen: Die weltweite Erwärmung könnte bis 2026 erstmals über der Marke von 1,5 Grad liegen. Wetterexperten der Vereinten Nationen rechnen mit einem neuen Hitze-Rekordjahr bis 2026.

Was passiert wenn das 2 Grad Ziel nicht erreicht wird?

Bei einem globalen Temperaturanstieg von 2 Grad Celsius könnten erste Elemente des Klima- und Erdsystems kippen: Ein Großteil der Korallenriffe wäre gefährdet, Permafrostböden würden tauen, das Eis in der Arktis weiter schmelzen und das Meer weniger CO₂ aufnehmen (mehr dazu hier).

Wie viel dürfen wir jährlich freisetzen um das Klimaziel von maximal 1,5 Grad Erderwärmung zu erreichen?

420 Gigatonnen CO₂ können wir ungefähr noch ausstoßen, wenn wir die Erderwärmung bis 2100 auf 1,5°C begrenzen wollen.

Können wir das 1,5 Grad Ziel erreichen?

Der im Oktober 2018 veröffentlichte Sonderbericht 1,5 °C globale Erwärmung des IPCC kommt allerdings zu dem Ergebnis, das 1,5-Grad-Ziel sei noch erreichbar. Dazu müsste der CO2-Ausstoß der Menschheit noch lange vor 2030 deutlich zu sinken beginnen und ab etwa dem Jahr 2050 netto null Emissionen erreichen.