Was weiße über rassismus wissen sollten

Was weiße über rassismus wissen sollten

In Ihrem sehr persönlichen ersten Buch „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ geht Alice Hasters Fragen rassistischen Strukturen an Hand von Beispielen aus ihrem Leben als Schwarze Frau in Deutschland nach. Sehr anschaulich und greifbar erklärt sie dabei, wie Alltagsrassismus wirkt.

„Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“ ist 2019 im Verlag hanserblau erschienen und liest sich wie eine Mischung aus Autobiographie und Sachbuch. Gegliedert ist das Buch in die Bereiche Alltag, Schule, Körper, Liebe und Familie sowie einen Glossar. Die Autorin führt ihre Leser*innen durch persönliche Erlebnisse, die geprägt sind von rassistischen Erfahrungen und setzt diese in einen historisch-theoretischen Kontext. Dadurch werden individuelle Erfahrungen mit Strukturen verknüpft, die erklären, wo Rassismus seine Wurzeln hat und wie daraus rassistische Vorstellungen reproduziert werden.

Die Macht von Worten.

Rassismus passiert auf unterschiedlichen Ebenen und kann sich unter anderem in Form von Wortmeldungen oder bestimmten Begriffen äußern. Diese müssen nicht einmal bewusst rassistisch gemeint sein, implizieren und reproduzieren jedoch trotzdem Rassismen. Im Kapitel „Doppelt oder halb“ skizziert Alice Hasters, was die Frage „Wo kommst du her?“ für von Rassismus betroffene Personen bedeutet. Es sei eben keine unschuldige Frage nach der Herkunft, die aus reinem Interesse und Neugierde gestellt werde. Hasters stellt fest: „Die eigentliche, versteckte Frage hinter >>Wo kommst du her?<< ist: >>Warum bist du Schwarz?<< oder >>Wie Schwarz bist du?<<“ (S. 25). Außerdem sei die Frage nach der Herkunft, wenn sie von weißen Menschen an nicht-weiße Menschen gestellt werde, eine sehr intime und schaffe ein Ungleichgewicht, denn „Ich muss mich erklären, ich muss Dinge über meine Familiengeschichte offenbaren. Mein Gegenüber muss das nicht (…)Sie will auch wissen, warum man denn jetzt in Deutschland ist, fordert also eine Art Rechtfertigung“ (S. 24).

Geschichte und Gegenwart.

Ein Aspekt, der sich durch das gesamte Buch zieht, ist der Geschichtsbezug. Ob rassistische Vorkommnisse der jüngsten Geschichte aus Popkultur oder Sport, deutsche Kolonialverbrechen und ihre fehlende Aufarbeitung oder rassistisches Denken in der Aufklärung – Hasters zeigt auf, dass Rassismuserfahrungen nicht nur individuell sind, sondern auf einem historisch gewachsenen und (weiter)entwickelten System bauen. Dieses System ist Jahrhunderte lang gewachsen, und bestimmt die Gegenwart. So meint Hasters: „Hamburg, Amsterdam, London, Lissabon, Brüssel und Paris zum Beispiel wären nicht so prachtvolle Städte, mit derart schönen Regierungssitzen und Kirchen, ohne den in der Kolonialzeit erbeuteten Reichtum. Die willkürlichen Grenzen zwischen afrikanischen Ländern, die auf der Berliner Konferenz gezogen wurden, bestehen zum großen Teil heute noch. Die unfairen Machtverhältnisse, die die Kolonialmächte hinterlassen haben, waren und sind immer noch Auslöser für Bürgerkriege im globalen Süden.“ (S.63).

Von Individualität und Systematik.

Hasters gelingt es in ihrem Buch, die historische Systematik von Rassismus und Diskriminierung in ihren alltäglich auftretenden Formen darzustellen. Dadurch wird die Thematik sehr verständlich und anschaulich, auch für (weiße) Leser*innen, die sich möglicherweise bisher noch nicht allzu viel mit Rassismus, dessen Geschichte und den damit verbundenen Theorien beschäftigt haben. Einen besonderen Beitrag stellt die Begriffsarbeit dar, die Hasters leistet. Konzepte wie Blackfacing, Cultura Appropriation, Colorism oder White Supremacy werden im medialen Diskurs häufig verwendet, oft jedoch nicht oder nicht ausreichend erklärt. Hasters geht nicht nur im Detail auf diese Begriffe ein, sondern verortet sie auch in ihrem historischen sowie gesellschaftspolitischen Kontext – und zeigt anhand von konkreten, oft persönlichen Beispielen, wo diese Konzepte in der eigenen Lebensrealität verortet sind.

Rassismus ist kein Randproblem.

Rassismus wird gerne mit dem sogenannten „rechten Rand“ assoziiert, von dem sich viele weiße Menschen distanzieren. Hasters zeigt jedoch, wie tief rassistische Denk- und Verhaltensmuster in einer weißen Mehrheitsgesellschaft verankert sind, auch bei Menschen, die sich selbst als „nicht-rassistisch“ bezeichnen würden. Dennoch haben weiße Menschen Privilegien gegenüber Schwarzen Menschen. Dass viele dieser Privilegien gar nicht als solche wahrgenommen werden, bestätigt ihre Existenz. Weiße Menschen werden nicht primär als weiß wahrgenommen, sondern als Individuum – denn weiß werde noch immer als die Norm angesehen, Schwarz als die Abweichung. Zu dieser privilegierten Position kommen Handlungen von Seiten weißer Menschen, die von ihnen selbst wohl nicht als rassistisch beschrieben werden würden, es aber durchaus sind. Menschen leben nicht in einem Vakuum, sondern werden in einer Gesellschaft sozialisiert, die rassistisch historisch gewachsen und geprägt ist. Rassistische Vorurteile und Annahmen, aber auch Vorstellungen davon, wer Teil der „Wir-Gruppe ist“ und wer nicht, werden über verschiedene Kanäle vermittelt. Ob soziale oder klassische Medien, Kunst und Kultur, Bildung und Politik: rassistische Bilder werden, bewusst wie auch unbewusst, ständig öffentlich reproduziert und prägen dadurch Diskurse und Gedankenbilder, gegen die weiße Menschen aktiv ankämpfen müssen um sie ablegen zu können. Hasters teilt nicht nur tiefe Einblicke in persönliche Erlebnisse mit ihrer Leser*innenschaft, sondern leistet mit ihrem Buch auch niederschwellig zugängliche Bildungs- und Aufklärungsarbeit.

Anmerkung: In diesem Artikel wird, wie auch in „Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen, aber wissen sollten“, Schwarz groß geschrieben, da es sich nicht auf eine vermeintliche Hautfarbe bezieht sondern auf eine in einem global rassistisch wirkendem Gefüge zugeschriebene gesellschaftspolitische Position. Weiß wird kursiv geschrieben, da es sich ebenfalls nicht um die Beschreibung einer tatsächlichen Hautfarbe handelt, sondern um die (soziale) Position in einer hierarchischen, rassistisch geprägten Gesellschaft, und zwar weit oben. Beide Begriffe sind demnach gesellschaftliche Konstruktionen.

Die Autorin ist Mitglied im Online-Redaktionsteam. Reaktionen bitte an

„Was weiße Menschen nicht über Rassismus hören wollen aber wissen sollten“ im Hanser Literatur Verlag
Interview mit Alice Hasters in der Zeit