Was ist der unterschied juden witz

Licensed Unlicensed Requires Authentication Published by De Gruyter 2013

Jüdischer Humor als Zeichen von Jewishness im deutschen Film und Fernsehen

Lea Wohl von Haselberg

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    Was ist der unterschied juden witz

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    „Zwei Juden an einem Tisch und schon lachst Du Dich kaputt.“

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    Bitte beachten Sie, dass dieses Programm hauptsächlich auf Deutsch präsentiert wird.

    Louis Kaplan bestellt ein vielfach umgepflügtes Feld, das spätestens seit Sigmund Freuds Behandlung des jüdischen Witzes in seiner Studie Der Witz und seine Beziehung zum Unbewussten von 1905 zu einer regelrechten Wissenschaft geworden ist: Zu Beginn des 20. Jahrhunderts erschien eine ganze Reihe von mal philosophischen, mal psychoanalytischen, mal soziologischen Abhandlungen, die allesamt zum Ziel hatten, den Zauber oder Gehalt dessen zu erklären, was den Schreibern Rätsel aufgab: das »vielgestaltige Wesen des jüdischen Witzes«.

    Diesen kulturhistorischen, politisch-literarischen und geistesgeschichtlichen Verwicklungen geht Kaplan nach. Er erzählt eine vor allem jüdisch-deutsche Geschichte von Assimilation und Ausgrenzung, Emanzipation und Übernahme kultureller »Codes« und nicht zuletzt vom Antisemitismus, der an der unbestimmten Grenze zwischen »jüdischem Witz« und »Judenwitz« wuchs und gedieh.

    Das 19. Jahrhundert und das erste Drittel des 20. Jahrhunderts sind in deutschsprachigen Ländern voll von Witzbüchern, Kabarettstücken und ganzen Vaudeville-Programmen, die eine je unterschiedliche Art dessen vorstellen, was als »jüdischer« Schalk und Scherz vorgestellt – oder dafür gehalten worden ist. Der Vorwurf an die Adresse der jüdischen Schwank- und Witzerzähler lautete zu jeder Epoche gleich: dass sie nämlich mit ihren selbstironischen oder gegen sich und andere Juden gerichteten Späßen den Antisemiten Waffen an die Hand gäben. Noch in den 1960er-Jahren entbrannte um das Erfolgsbuch Der jüdische Witz von Salcia Landmann eine öffentliche Kontroverse um die Frage, ob Landmanns Anthologie nicht in plumpester Weise antisemitische Klischees reproduziere.

    Der Geschichte des Antisemitismus in Deutschland und Europa zum Trotz haben sich die verschiedenen Varianten jüdischer Komik ihre Widerständigkeit bewahrt: In ihren modernen Formen in der Populärkultur unserer Tage (etwa den filmischen Husarenstücken von Sacha Baron Cohen oder Jon Stewarts The Daily Show) erkennt Kaplan die bittere Ironie jüdischer Witzbücher aus den 1920er-Jahren wieder – wie auch der zeitgenössische jüdische Humor in den USA ein wichtiger Bezugspunkt des Buches ist.

    Im chronologischen Fortschreiten durch sein üppiges Material (neben Texten vor allem Bilder und Karikaturen) ordnet Kaplan uns das Wissen um eine Kulturtechnik, die so nur unter den Bedingungen der Diaspora entstehen konnte.

    In sechs Kapiteln besieht Kaplan die Weimarer und die österreichische Republik (1918–1933), das Dritte Reich (1933–1945) und die Zeit nach der Shoah (1945–1964) und präsentiert uns zentrale Texte und Schlüsselstellen in der Geschichte jüdisch-deutschen Kulturtransfers.

    Das Interview ist das zweite in einer INFOREL Interview-Serie, die mit AutorInnen des Sammelbands «Blasphemie. Anspruch und Widerstreit in Religionskonflikten» geführt wird. Die Serie soll einen Einblick in interdisziplinäre Reflexionen und Debatten zu Religion in der heutigen Welt bieten. Passend zu unserem Interview unterhält sich Erik Petry in einer Gesprächsrunde am Ende der «Woche der Religionen» über «Humor im Judentum: Von Scholem Alejchem bis heute». Der Anlass findet am 13. November 2022 statt.


    INFOREL: Herr Petry, in Ihrem Artikel «Ich darf das, ich bin Jude.» im Sammelband sprechen Sie vom jüdischen Witz vs. dem Judenwitz – was ist der Unterschied?

    Erik Petry: Ein jüdischer Witz ist für mich in erster Linie ein intelligentes Spiel mit Sprache. Es ist ein Spiel mit den kleinen Schwächen einer Person, ohne aber jemals eine Person oder Kultur ins Lächerliche zu ziehen.
    Sobald ein [vermeintlicher] Witz brutal ist, auf eine Person einschlägt, ist es kein jüdischer Witz mehr, sondern Klamauk. Das ist der Unterschied zum sogenannten Judenwitz, der eine Blossstellung des jüdischen Volkes – seit dem Zweiten Weltkrieg zumeist mit Bezug zum Holocaust oder zu antisemitischen Vorurteilen gegen jüdische Personen – darstellt.

    Sie schreiben auch über den unechten jüdischen Witz – können Sie das genauer erklären?

    Bei einem unechten jüdischen Witz geht es in der Pointe des Witzes nicht um Eigenschaften, die aus dem jüdischen Kontext stammen. Die Figur des «Juden» wird lediglich genutzt, um einen «Fremden» zu haben, der [vermeintlich] von aussen auf die Schwäche der eigenen Kultur hinweist, um damit einen Witz herauszuarbeiten.

    Die Figur des «Juden» wird in unechten jüdischen und Judenwitzen also genutzt, um einerseits das jüdische Volk als «die Anderen» auszumachen und andererseits sich selbst als homogene Gruppe in Gegenüberstellung darzustellen?

    Ja. Es wird eine Gegenidentität zur jüdischen Identität gebildet. In jüdischen Witzen wird hingegen mit dieser jüdischen Identität gearbeitet: Die US-amerikanische Komikerin Sarah Silverman z.B. macht durchaus auch Witze über Tabuthemen wie den Holocaust. Sie begründet dies aber mit ihrer eigenen Identität als Kind von Shoah-Überlebenden – «Positionality» ist also aus der Debatte nicht wegzudenken, die Person kann nie ganz vom Witz gelöst werden.

    Ein schönes Beispiel für mich ist dieser jüdische Witz:
    Kommt ein Mann nach Wien ins Kaffeehaus. Er ruft den Ober: «Bringen Sie mir bitte den ‘Völkischen Beobachter’ und einen Kaffee.» – «Hören Sie, den ‘Völkischen Beobachter‘ gibt es nicht mehr.» Der Mann nickt. Am nächsten Tag kommt er wieder in das gleiche Kaffeehaus und bittet den Ober abermals um den ‘Völkischen Beobachter’ und einen Kaffee. Er bekommt wieder zur Antwort, dass es den ‘Völkischen Beobachter’ nicht mehr gibt. Am dritten Tag fragt der Mann den Ober ein weiteres Mal: «Bringen Sie mir bitte den ‘Völkischen Beobachter’ und einen Kaffee.» – «Mein Herr, ich habe Ihnen schon zwei Mal gesagt, dass es den ‘Völkischen Beobachter’ nicht mehr gibt.» Sagt der Mann: «Ich weiss, aber ich kann das nicht oft genug hören.»

    Der oder die AutorIn bzw. ErzählerIn eines Witzes spielt also eine Rolle. Wie sieht es denn mit dem Medium des jüdischen Witzes aus?

    Jüdische Witze sind häufig am besten, wenn sie erzählt werden, also mündlich weitergegeben werden. Dazu muss man erwähnen, dass die jiddische Sprache eine grosse Rolle bei der Entstehung des jüdischen Witzes spielte. Sie eignet sich besonders gut für Humor. Jiddisch wurde vor allem in Osteuropas Schteteln gesprochen und war für Jüdinnen und Juden die Umgangssprache. Für Gottesdienste wurde das Hebräische gebraucht. Das osteuropäische Jiddisch wurde im westlichen Judentum oft eher abschätzig als «Jargon» bezeichnet, und von MigrantInnen möglichst bald abgelegt. Im jüdischen Witz, aber auch im antisemitischen Judenwitz, hat es sich jedoch als kultureller Marker gehalten.

    Wer darf denn nun Witze über Juden und Jüdinnen machen?

    Ich versuche es mal so zu formulieren: «Über einen jüdischen Witz darf jeder lachen, einen Judenwitz darf keiner machen.»
    Man muss darüber hinaus sehen, dass es einen gesellschaftlichen Wandel davon gibt, was als humorvoll gesehen wird. Wo früher homophobe – oft Hand in Hand mit Judenwitzen, weil das Lächerlich-Machen von Minderheiten als lustig empfunden wurde – und frauenfeindliche Witze gang und gäbe waren, wird das heute vom Publikum nicht mehr goutiert. Der Holocaust als Ganzes stellt aber einen Zivilisationsbruch dar, der den Umgang mit Witzen über jüdische Personen nicht mehr gleich wie noch in den 20er Jahren zulässt.

    Zur Person

    Erik Petry
    Geboren 1961; Wissenschaftlicher Mitarbeiter/Stellvertretender Leiter des Zentrums für Jüdische Studien an der Theologischen Fakultät und der Philosophisch-Historischen Fakultät der Universität Basel.

    Zum Sammelband Blasphemie