Was gilt als die gleiche Krankheit?

Auch nach dem Urteil des Bundessozialgerichts vom 8 November 20051 ist nach Ansicht des Sozialgerichts Hamburg daran festzuhalten, dass „dieselbe Krankheit“ i.S.d. § 48 SGB V dann vorliegt, wenn es sich um ein im ursächlichen Sinne einheitliches Krankheitsgeschehen handelt. Das ist der Fall, solange die Krankheit nicht ausgeheilt ist und immer wieder zu behandlungsbedürftigen und/oder Arbeitsunfähigkeit bedingenden Krankheitserscheinungen bzw. Krankheitsbeschwerden führt.

Was gilt als die gleiche Krankheit?

Demgegenüber liegt nicht bereits dann „im Rechtssinne“ dieselbe Krankheit vor, wenn ein Versicherter an mehreren Krankheiten leidet, die unabhängig voneinander bestehen, jedoch innerhalb sich überschneidender Zeiträume auftreten und jede dieser Krankheiten für sich unabhängig von den anderen Arbeitsunfähigkeit bedingt. Die diesbezügliche Rechtsprechung des Bundessozialgerichts betrifft – über den dort entschiedenen Fall des zeitgleichen Vorliegens mehrerer Erkrankungen am Tag des Eintritts der Arbeitsunfähigkeit hinaus – allenfalls die vom Bundessozialgericht angeführten Fälle eines Unfallereignisses oder der Multimorbidität.

Nach § 48 Abs. 1 SGB V erhalten Versicherte Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, für den Fall der Arbeitsunfähigkeit „wegen derselben Krankheit“ jedoch für längstens 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, gerechnet vom Tage des Beginns der Arbeitsunfähigkeit an. Tritt während der Arbeitsunfähigkeit eine weitere Krankheit hinzu, wird die Leistungsdauer nach Abs. 1 Satz 2 der Regelung nicht verlängert. Für Versicherte, die im letzten Dreijahreszeitraum wegen derselben Krankheit für 78 Wochen Krankengeld bezogen haben, besteht gemäß § 48 Abs. 2 SGB V nach Beginn eines neuen Dreijahreszeitraums ein neuer Anspruch auf Krankengeld „wegen derselben Krankheit“ nur dann, wenn sie bei Eintritt der erneuten Arbeitsunfähigkeit mit Anspruch auf Krankengeld versichert sind (Nr. 1) und in der Zwischenzeit mindestens sechs Monate nicht wegen dieser Krankheit arbeitsunfähig waren und erwerbstätig waren oder der Arbeitsvermittlung zur Verfügung standen (Nr. 2).

Dieselbe Krankheit liegt vor, wenn es sich um ein im ursächlichen Sinne einheitliches Krankheitsgeschehen handelt. Das ist der Fall, solange die Krankheit nicht ausgeheilt ist und immer wieder zu behandlungsbedürftigen und/oder Arbeitsunfähigkeit bedingenden Krankheitserscheinungen bzw. Krankheitsbeschwerden führt. Es kommt dagegen nicht darauf an, ob die Krankheitserscheinungen stets in gleicher Weise und ohne zeitliche Unterbrechung fortbestehen. Dieselbe Krankheit kann auch dann noch fortbestehen, wenn Arbeitsunfähigkeit und/oder Behandlungsbedürftigkeit (vorübergehend) entfallen sind, also der ursprüngliche Leistungsfall bereits abgeschlossen ist. Für die Frage, ob die erneute Arbeitsunfähigkeit auf derselben Krankheit wie die vorangegangene Arbeitsunfähigkeit beruht, kommt es daher allein auf das Krankheitsgeschehen selbst an2. Erforderlich ist allerdings, dass eine identische Krankheitsursache vorliegt. Dass die gleiche oder eine gleichartige Krankheit nach ihrer Ausheilung später erneut auftritt (z.B. grippaler Infekt, Angina), reicht dagegen nicht aus. Hier bestehen keine Zweifel daran, dass die depressive Erkrankung und das Bandscheibenleiden des Klägers nicht eine identische Krankheitsursache haben. Die Beklagte macht dies auch nicht geltend. Sie ist vielmehr der Auffassung nach der neueren Rechtsprechung des BSG liege „im Rechtssinne“ auch dann dieselbe Krankheit vor, wenn ein Versicherter zeitgleich an mehreren Krankheiten leide und jede dieser Krankheiten für sich unabhängig von den anderen Arbeitsunfähigkeit bedinge.

Dieser Auffassung kann so nicht gefolgt werden. Für die Frage, ob ein Anspruch auf Krankengeld verlängert wird, bedarf es dieser Ausdehnung des Begriffes derselben Krankheit ohnehin nicht, da § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V ausdrücklich bestimmt, dass eine hinzugetretene Erkrankung die Anspruchsdauer nicht verlängert. Die Auffassung der Beklagten führt aber im Gegenteil de facto zu einer Verkürzung des Anspruchs auf Krankengeld durch eine hinzugetretene Erkrankung, nämlich dann, wenn wie im vorliegenden Fall, aufgrund der nunmehr hinzugetretenen Erkrankung bereits zuvor innerhalb der Blockfrist für die die Arbeitsunfähigkeit aktuell begründende Erkrankung Krankengeld gezahlt worden ist. Eine derartige Auslegung verstößt sowohl gegen den eindeutigen Wortlaut als auch gegen den Sinn und Zweck des Gesetzes. Denn der Gesetzesgrundsatz ist die Gewährung von Krankengeld ohne zeitliche Begrenzung, vgl. § 48 Abs. 1 Satz 1. Halbsatz, der zweite Halbsatz, also die Beschränkung auf 78 Wochen innerhalb von je drei Jahren, stellt gewissermaßen schon eine Ausnahme von diesem Grundsatz dar und dient ausschließlich der finanziellen Entlastung der Krankenkassen bei Dauerleiden, die zutreffender dem Risikobereich der Rentenversicherung zuzuordnen sind3.

Folgte man dieser Auffassung, so wäre darüber hinaus die Vorschrift des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V obsolet, da eine hinzutretende Erkrankung ausnahmslos in jedem Fall mit der bereits bestehenden „dieselbe Krankheit“ bilden würde und sich eine Begrenzung auf eine Leistungsdauer von 78 Wochen bereits aus § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V ergeben würde. Schließlich führte die Auffassung der Beklagten zu erheblichen Rechtsunsicherheiten, weil der Berechtigte stets fürchten müsste, dass eine anderweitige frühere Erkrankung erneut auftritt und den Anspruch durch die nunmehr vorgenommene Anrechnung früherer Krankengeldbezugszeiten kurzfristig beendet. Sogar eine rückwirkende Beseitigung des Anspruchs wäre in diesem Fall denkbar.

Dies ist wie dargelegt weder mit dem Gesetzeswortlaut noch mit dem Sinn und Zweck der Regelung vereinbar und wird nach Auffassung der Kammer auch vom BSG so nicht vertreten. Zwar führt das Bundessozialgericht4 aus, dass ein „Hinzutreten während der Arbeitsunfähigkeit“ im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V unter Berücksichtigung von Wortlaut, Systematik sowie nach Sinn und Zweck der Regelung auch dann vorliegt, wenn zeitgleich mit dem Vorliegen oder Wiedervorliegen einer zur Arbeitsunfähigkeit führenden ersten Erkrankung unabhängig von dieser Krankheit zugleich eine weitere Krankheit die Arbeitsunfähigkeit des Versicherten bedingt. Es reicht insoweit aus, dass die Krankheiten zumindest an einem Tag zeitgleich nebeneinander bestanden haben5. Das Eingreifen des § 48 Abs. 1 Satz 2 SGB V erfordert es demgegenüber nicht, dass zwei Krankheiten bei dem Versicherten im Falle bestehender Arbeitsunfähigkeit in der Weise aufeinander treffen, dass eine zweite Krankheit einer schon zuvor eingetretenen und fortbestehenden ersten Krankheit zeitlich nachfolgt.

Diese Ausführungen des Bundessozialgerichts beziehen sich jedoch auf die dem dortigen Urteil zugrunde liegende Fallkonstruktion, dass beide Erkrankungen am selben Tag auftreten. Dies war hier unstreitig nicht der Fall. Zwar führt das Bundessozialgericht in derselben Entscheidung weiter aus, Sinn und Zweck des § 48 Abs. 1 SGB V geböten vor diesem Hintergrund die oben dargestellte Auslegung, wie auch ein Vergleich seiner Regelungsalternativen zeige. So kann es für den häufig anzutreffenden Fall, dass ein Versicherter zeitgleich an mehreren Krankheiten leidet und jede Krankheit für sich unabhängig von den anderen, noch daneben bestehenden Leiden Arbeitsunfähigkeit bedingt, keinem Zweifel unterliegen, dass die Gesamtheit dieser Leiden trotz ihrer Verschiedenheit im Einzelnen gleichwohl im Rechtssinne als „eine“ einheitlich zu beurteilende Krankheit anzusehen ist; allein das zeitgleiche Bestehen mehrerer erstmals und dann erneut Arbeitsunfähigkeit bedingender Krankheiten bewirkt nämlich nicht, dass es sich in einem solchen Fall bei einer Betrachtung im Zeitablauf nicht mehr um „dieselbe(n)“ Krankheit(en) im Sinne von § 48 Abs. 1 Satz 1 SGB V handeln würde und stattdessen eine Leistungserweiterung Platz griffe.

Bei diesen Ausführungen des Bundessozialgerichts handelt es sich zum einen um ein obiter dictum, welches weder die Entscheidung trägt, noch eine Entscheidungshilfe für konkrete andere Fallgestaltungen bietet. Zum anderen präzisiert das Bundessozialgericht unmittelbar im Anschluss an diese Passage, um welche Fälle es sich nach Auffassung des Senats handelt: Erleidet ein Versicherter etwa bei einem schweren, sich in einem Sekundenbruchteil realisierenden Unfallereignis zusammenhanglos Gesundheitsschäden in mehreren Körperregionen, sind die Voraussetzungen für die Leistungsdauer des Krankengeldes daher nicht gesondert anhand jedes einzelnen gesundheitlichen Defizits zu ermitteln, sondern es kommt auf eine Gesamtwürdigung der Beeinträchtigungen an, sodass es auch hier insgesamt bei der Anspruchshöchstdauer von 78 Wochen innerhalb einer Blockfrist von drei Jahren verbleibt. Gleiches gilt bei Versicherten, bei denen wegen des Nebeneinanders verschiedener gravierender akuter oder chronischer Leiden von Anfang an eine Multi- oder Polymorbidität bzw. Polypathie besteht6; denn in Bezug auf die Anspruchsdauer des Krankengeldes behandelt das Gesetz den Versicherten, der von vornherein an mehreren Krankheiten leidet und der deshalb arbeitsunfähig ist, nicht anders als denjenigen, bei dem „nur“ ein einziges Leiden die Arbeitsunfähigkeit auslöst.

Hieraus erhellt, dass „eine Krankheit im Rechtssinne“ dann vorliegen soll, wenn ein traumatisches (Unfall-) Geschehen eine Vielzahl auch medizinisch kaum voneinander zu trennenden und Gesundheitsschäden verursacht oder wenn derartige vielfältige Gesundheitsschäden ohne äußeres Ereignis akut oder chronisch im Sinne einer Polymorbidität von Anfang an nebeneinander bestehen. Ein solcher Fall liegt hier unzweifelhaft nicht vor. Bei den Erkrankungen des Klägers handelt es sich um zwei voneinander unabhängige Grunderkrankungen, die ohne weiteres medizinisch und zeitlich gegeneinander abgrenzbar sind.

Sozialgericht Hamburg, Urteil vom 18. Februar 2011 – S 48 KR 835/10

  1. BSG, Urteil vom 08.11.2005 – B 1 KR 27/04 R[↩]
  2. BSG, Urteil vom 12.10.1988 – 3/8 RK 28/87[↩]
  3. Meyerhoff in: jurisPK SGB V, § 48 Rn. 9[↩]
  4. in BSG, Urteil vom 08.11.2005 – B 1 KR 27/04 R [↩]
  5. so im Ergebnis auch: LSG NRW, Urteil vom 15.05.2001 – L 5 KR 77/00 = EzS 90/258; vgl. ferner z.B.: Schmidt in: H. Peters, Handbuch der Krankenversicherung Bd. 2, § 48 SGB V Rdnr. 46; Schulz, WzS 1985, 36, 38; Berchtold, Krankengeld, 2004, S 173 Rdnr 622; offen lassend: Just in: Wannagat, SGB V, § 48 Rdnr 9[↩]
  6. vgl. zu dieser Fall-Problematik besonders: Vogl, Die Leistungen 1982, 289, 293 f.[↩]

Welche Zeit muss zwischen der gleichen Krankheit liegen?

Sechs-Monats-Frist Liegen zwischen zwei Arbeitsunfähigkeiten wegen derselben Krankheit mindestens sechs Monate, so besteht ein neuer Anspruch auf sechs Wochen Entgeltfortzahlung. Dies gilt auch, wenn innerhalb der sechs Monate Arbeitsunfähigkeit wegen einer anderen Erkrankung besteht.

Wie oft darf man wegen der gleichen Krankheit krank sein?

Wird ein Arbeitnehmer nach Ablauf von sechs Monaten erneut aufgrund derselben Krankheit krankheitsbedingt arbeitsunfähig, entsteht ein neuer Entgeltfortzahlungsanspruch von bis zu sechs Wochen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EFZG).

Wer muss bezahlen wenn die gleiche Krankheit innerhalb 6 Monaten wieder auftritt?

Sechs-Monats-Frist Wird der Arbeitnehmer wegen derselben Krankheit wiederholt arbeitsunfähig, erhält er während der erneuten Arbeitsunfähigkeit – ohne Anrechnung der früheren Bezugszeit – das Arbeitsentgelt möglicherweise für weitere sechs Wochen.

Welche Diagnosen werden zusammengerechnet?

Vorerkrankungen werden nur angerechnet, wenn sie auf derselben Grunderkrankung beruhen. Die Vorerkrankung darf dabei nicht länger als sechs Monate zurückliegen. Dabei kommt es nicht allein auf den Diagnoseschlüssel an: Es muss ein ursächlicher Zusammenhang bestehen.