Warum erinnere ich mich nicht an meine träume

“Ich hatte letzte Nacht einen wilden Traum” – diesen Satz höre ich mindestens ein paar Mal pro Woche von Freund:innen. An der darauffolgenden Gesprächsrunde kann ich mich nur selten beteiligen, denn: Ich träume nachts nicht. Als Kind hatte ich viele lebhafte Träume, viele davon waren Albträume, an die ich mich bis heute detailliert erinnern kann. Aber aus irgendeinem Grund hörten sie auf, als ich ein Teenager wurde. Jetzt, im Alter von 25 Jahren, kann ich mich morgens nur ganz selten an einen Traum erinnern.

Meine innere Uhr sorgt dafür, dass mein Körper jede Nacht und jeden Tag zur fast gleichen Zeit in den Schlaf findet und wieder aufwacht – unabhängig davon, ob ich einen Wecker nutze oder nicht. Ich schlafe grundsätzlich schnell ein, erinnere mich am nächsten Morgen aber nur noch an Dunkelheit. Mein Gehirn wandert während des Schlafs also nur selten in andere Gefilde ab, und Träume bleiben aus – zumindest soweit ich das weiß.

Wenn ich jemandem erzähle, dass ich grundsätzlich nicht träume, wird das automatisch als eine Eigenart abgetan. Lebhafte Träume gelten nämlich oft als Inspirationsquelle oder als klassisches Merkmal von Menschen, die von Natur aus kreativ sind. 

Deswegen frage ich mich ab und zu: Wenn ich nicht träume, ist dann etwas mit mir nicht in Ordnung? Kann das Ausbleiben von Träumen zu kognitiven Problemen in der Zukunft führen? Ich habe Schlafexpert:innen gebeten, mir bei der Beantwortung dieser Fragen zu helfen, damit ich meine Sorgen endlich ad acta legen kann.

Warum träumen wir überhaupt?

Meine Besorgnis über die Tatsache, dass ich mich nur selten an Träume erinnere, hängt mit einer grundlegenden Frage zusammen: Hat das Träumen irgendeinen körperlichen oder geistigen Nutzen, den der Schlaf selbst nicht hat? Laut Rafael Pelayo, Professor für Psychiatrie und Verhaltenswissenschaften am Stanford Center for Sleep Sciences and Medicine, haben Ärzt:innen Beweise für mehrere Hypothesen zu diesem Thema gesammelt. Träume, so Pelayo, haben laut Forschung mehrere Funktionen. Die wichtigste und erst kürzlich entdeckte Funktion vergleicht er mit einem kleinen Papierkorb, der unter dem Schreibtisch steht und geleert wird, wenn man nachts weggeht.

“Den ganzen Tag lang wird man mit Informationen bombardiert. Was uns hilft, uns an die Außenwelt anzupassen, ist die Fähigkeit, diese neuen Informationen aufzunehmen, sie in die zuvor gelernten Dinge zu integrieren und diese Verbindungen herzustellen”, erklärt der Experte. “Man muss sich also an einige Dinge erinnern, aber man muss auch einige Dinge vergessen. Träumen ist ein Zustand, in dem man sich erinnert, aber gleichzeitig auch vergisst.”

Was Rafael Pelayo damit meint, ist, dass unser Gehirn in der Lage sein muss, Informationen neu zu priorisieren, je nachdem, wie relevant sie zu einem bestimmten Zeitpunkt für uns sind. 

REM-Schlaf ist ausschlaggebend für Träume

Kelly Baron, Psychologin und Professorin in der Abteilung für öffentliche Gesundheit an der Universität von Utah, vertritt eine ähnliche Auffassung über den Sinn von Träumen, die meist während des REM-Schlafs auftreten: “Es wird angenommen, dass der REM-Schlaf an der Reaktivierung von Erinnerungen beteiligt ist und dazu beiträgt, die Verknüpfungen im Gehirn zwischen Kurzzeit- und Langzeitgedächtnis zu festigen”, erklärt sie.

Matthew Walker, Professor für Neurowissenschaften und Psychologie an der University of California, Berkeley, vertritt diese Theorie. In seinem Buch “Das große Buch vom Schlaf” geht er näher auf seine Erkenntnisse über die Vorteile des Träumens ein. Zusammengefasst: Er setzt das Träumen mit einer emotionalen Therapie gleich.

“Träumen hat die Fähigkeit, Menschen dabei zu helfen, ihre emotionale Reaktivität zu deeskalieren. Das liegt daran, dass der emotionale Inhalt von Träumen mit einem Rückgang des Noradrenalins (ein Stresshormon) im Gehirn einhergeht”, schreibt er im “Greater Good Magazine” der UC Berkeley. Mit anderen Worten: Träumen “ermöglicht es uns, beunruhigende Erinnerungen in einer sichereren, ruhigeren Umgebung zu verarbeiten”, und hilft dem Gehirn, “große Teile des erworbenen Wissens zu verarbeiten und dann übergreifende Regeln und Gemeinsamkeiten herauszufinden”, wie Pelayo und Baron zusammenfassen.

Einige Schlafexpert:innen sagen also, basierend auf den wissenschaftlichen Erkenntnissen, dass wir in gewisser Weise träumen müssen – oder zumindest den REM-Schlaf für unsere kognitiven Funktionen benötigen.

Aber warum träumen manche Menschen nicht?

Vielleicht hast du schon mal was vom REM-Schlaf gehört. REM steht für “Rapid Eye Movement” (auf Deutsch: schnelle Augenbewegung). Das ist die “leichte” Schlafphase, in der wir am meisten träumen. Normalerweise durchläuft man nachts mehrere REM-Zyklen, in denen deine Augen zucken, du schwerer atmest und deine Muskeln sich entspannen. Das kennst du zum Beispiel kurz nach dem Einschlafen oder vor dem Aufwachen, wenn dein Körper plötzlich zuckt. Der letzte REM-Zyklus der Nacht, der in den letzten Stunden des Schlafs stattfindet, also meist früh am Morgen, ist laut Pelayo die Zeit, in der die meisten Träume entstehen.

Aus diesem Grund sagt er, dass Menschen wie ich, die sich nicht an viele Träume erinnern, die Länge und den Zeitpunkt des REM-Schlafs untersuchen lassen sollten, um herauszufinden, woran das liegt. Nach seiner Logik ist weniger REM-Schlaf ausschlaggebend dafür, ob man viel träumt. Es gibt jedoch einen wichtigen Unterschied zwischen überhaupt nicht träumen und sich einfach nicht an seine Träume erinnern zu können. Baron erklärt: “Einige Menschen haben wahrscheinlich REM-Schlaf, auch wenn sie sich nicht an ihre Träume erinnern.”

Ich schlafe durchweg sieben oder acht Stunden pro Nacht, und mein Schlaf ist meist ungestört, trotz der vielen Autohupen und Sirenen, die nachts in meiner Nachbarschaft ertönen. Außerdem ist die Zeit, zu der ich einschlafe (in der Regel Mitternacht), und die Zeit, zu der ich aufwache (sieben oder acht Uhr morgens), ebenfalls ziemlich konstant. Wie ich bereits erwähnt habe, hat meine innere Uhr meinen Körper fest im Griff. Also bin ich der Meinung, dass ich eigentlich genügend REM-Schlaf habe.

Nachdem ich Pelayo davon erzählt habe, versichert er mir, dass ich wahrscheinlich häufig träume, ich aber zur “falschen Zeit” aufwache, die dafür sorgt, dass ich mich nicht an diese Träume erinnere. Er erzählt mir von der Arbeit von William Dement, dem Gründer des Schlafforschungszentrums in Stanford, um das Ganze besser zu erklären. William Dement war einer der Forscher, die schon früh eine Verbindung zwischen Träumen und REM-Schlaf herstellten, und seine Studien zeigen, dass sich Menschen in der Regel nur dann an einen Traum erinnern, wenn sie während des Traums aufwachen.

In einem Interview mit dem “Sleep Review Magazine” von “The Journal for Sleep Science” aus dem Jahr 2016 beschreibt Dement seine Studie, in der er erstmals einen Zusammenhang zwischen Traumunterbrechung und Traumerinnerung herstellte: “Aus den Aufwachphasen ging eindeutig hervor, dass sich die Versuchspersonen in etwa 80 Prozent der Fälle an einen lebhaften Traum nach dem Aufwachen erinnern, wenn sie träumen”, sagt er.

Bedeuten keine Träume schlechten Schlaf?

Der Punkt ist: Wenn du dich, so wie ich, für eine:n gute:n Schläfer:in hältst und trotzdem nur selten träumst, dann verschläfst du sie wahrscheinlich einfach. Es geht also nicht darum, ob du träumst oder nicht, sondern ob du gut und genug schläfst. “Ich habe noch nie eine:n Patienten:in gesehen, der/die nur wegen mangelnder Träume gekommen ist”, sagt Baron, “sie leiden normalerweise unter Schlaflosigkeit und dem Gefühl, dass ihre Schlafqualität insgesamt schlecht ist. In ihrem Fall ist ein Mangel an Träumen eher die Folge von schlechtem Schlaf.”

Und wenn man nicht träumt, weil man keinen qualitativ hochwertigen REM-Schlaf hat, kommen andere gesundheitliche Probleme ins Spiel: “Menschen [die keinen REM-Schlaf haben] können müde sein, sie können unter Schlafentzug leiden, und sie haben sehr große Stimmungsschwankungen”, sagt Pelayo.

Außerdem haben die Ergebnisse von Studien einen Zusammenhang zwischen schlechter Schlafqualität und einem erhöhten Risiko für Herzkrankheiten, Fettleibigkeit und sogar Alzheimer festgestellt. Aus diesem Grund sollten Menschen, die über einen längeren Zeitraum hinweg Schwierigkeiten mit dem Schlafen haben, einen Arzt aufsuchen.

Dieser Trick hilft dir dabei herauszufinden, ob du nachts träumst

Pelayo hat eine einfache Methode, um herauszufinden, ob du deine Träume einfach nur verschläfst. Nämlich, indem du dafür sorgst, dass du in deiner REM-Schlafphase aufwachst. Der Kauf eines Schlaftrackers kann dir dabei helfen herauszufinden, ob und wann du deinen REM-Schlaf hast, sagt der Experte. Wenn du einmal herausgefunden hast, zu welchen Zeiten du dich in der REM-Schlafphase befindest, musst du nur noch einen Wecker auf diese Uhrzeit stellen. “Das Wichtigste ist, dass du versuchst, deinen Schlaf zu unterbrechen”, sagt er, “dann solltest du dich auch besser an deine Träume erinnern können.”

Und da die meisten Träume in den letzten Stunden des Schlafs stattfinden, musst du wahrscheinlich nicht viel früher aufstehen als sonst, um einen Traum zu erwischen, bevor er zu Ende ist: “Wenn du weißt, dass du REM-Phasen hast, kannst du deinen Wecker einfach eine Stunde früher stellen”, sagt Pelayo. Wenn ich über die wenigen Träume nachdenke, an die ich mich erinnern kann, ergibt das alles einen Sinn. Das sind immer die Träume, die völlig abrupt enden. Die Träume, bei denen ich das Gefühl habe, um vier oder fünf Uhr morgens komplett verwirrt aus dem Tiefschlaf gerissen worden zu sein. Eben die Zeiten, in denen ich ungeplanterweise aufgewacht bin.

Spoiler-Alert: Ich KANN träumen

Zum Glück habe ich durch Rafael Pelayos Weckertrick herausgefunden, dass ich tatsächlich REM-Zeiten und demnach Träume habe, die ich bisher einfach verschlafen habe. Wenn du einen Schlaftracker verwendest, um deinen REM-Schlaf zu messen, rät Baron jedoch, die Werte mit Vorsicht zu genießen: “Ich glaube, die Verwendung von Schlaftrackern verleitet die Menschen dazu, sich direkt Sorgen zu machen, dass sie nicht genug REM-Schlaf bekommen”, warnt sie. Selbst wenn dein Tracker sagt, dass du weniger als der Durchschnitt bekommst, bedeutet das nicht gleich, dass du ein Schlafproblem hast. Es kann Schwankungen geben, wie viel REM-Schlaf eine Person bekommt, selbst bei einer:m gesunden Schläfer:in.”

Ist es schlimm, sich nicht an Träume erinnern zu können?

Dass man aufgrund von Schlafmangel scheinbar nicht träumen “kann”, mag für Expert:innen ein Grund zur Besorgnis sein – aber was ist mit dem Verschlafen von Träumen? Kann ich immer noch all die emotionalen und kognitiven Vorteile von Träumen nutzen, wenn ich mir kaum bewusst bin, dass ich sie überhaupt habe? Auf Nachfrage versichern mir Pelayo und Baron, dass es völlig normal sei, Träume zu verschlafen und sich nicht an sie zu erinnern.

“Ob du dich an deine Träume erinnerst oder nicht, ist eigentlich kein Zeichen dafür, ob dein Schlaf gesund ist”, sagt Baron. Pelayo fügt hinzu, dass es vor allem darauf ankommt, dass ich überhaupt gut schlafe: “Wenn du morgens erholt aufwachst, dann hast du ziemlich wahrscheinlich gut geschlafen, und daran ist nichts falsch.”

Ich seufze erleichtert auf. Ich werde mich bestimmt nicht mehr zu unchristlichen Zeiten wecken lassen, nur um mich öfter an meine Träume erinnern zu können, aber zumindest kann ich beruhigt sein, weil ich jetzt weiß, dass sie dann stattfinden, wenn sie stattfinden sollten. Wahrscheinlich werde ich auch weiterhin bei all den Diskussionen über Träume nicht mitreden können, aber zum Glück verpasse ich (angeblich) das Träumen an sich nicht. Puh.

Wie kann ich mich wieder an meine Träume erinnern?

Legen Sie einen Notizblock und Schreibzeug neben das Bett, um Trauminhalte direkt nach dem Erwachen aufschreiben zu können. Lassen Sie sich in den traumintensiven REM-Phasen wecken. Diese Leichtschlafphasen finden etwa 90 Minuten nach dem Einschlafen sowie in den frühen Morgenstunden statt.

Was bedeutet es nicht zu träumen?

Warum nicht zu träumen ein Gesundheitsrisiko anzeigen kann So zeigt die Studie, dass mangelndes oder ausbleibendes Träumen ein Anzeichen für REM-Schlafmangel sein könnte. Naiman sammelte hierfür Daten über die Ursachen und Ausmaße von Traumverlusten in der REM-Schlafphase.

Was bedeutet es wenn ich mich an einen Traum erinnern?

Im Laufe der Nacht ändert sich die Dauer der einzelnen Schlafphasen. Die zu Beginn der Nacht dominierenden Tiefschlafphasen werden kürzer, während die REM-Phasen an Länge zunehmen. Somit steigt mit zunehmender Schlafdauer die Chance, aus einer REM-Phase aufzuwachen und sich an das Geträumte zu erinnern.

Warum merken wir nicht dass wir träumen?

Damit hat er jede Menge Zeit zu Träumen. Das, was wir träumen, halten wir während des Traums meist für echt. Während man träumt, merkt man also normalerweise nicht, dass man träumt. Wahrscheinlich ist sogar, dass man sich am nächsten Morgen nicht mal mehr an den Traum erinnern kann.