Das Baby wächst seit fünf Monaten im Bauch der 30-Jährigen. Zwei Fehlgeburten hat sie bereits hinter sich; jetzt ist sie froh, dass sie bereits die Hälfte der Schwangerschaft geschafft hat. Bis auf einen Schwangerschaftsdiabetes geht es der Frau gut.
Doch mit einem Mal plagen sie Rückenschmerzen. Zunächst hält die Frau das für ganz normal, schließlich klagen vier von fünf Schwangeren über Beschwerden in der Wirbelsäule. Aber die Schmerzen im unteren Rücken nehmen zu. Nach zwei Wochen sucht sie einen Arzt auf, der ihre Lendenwirbelsäule und die umliegenden Muskeln untersucht. Er ist der Meinung, die verhärteten Muskeln seien schuld und spritzt ein Schmerzmittel in die Muskulatur links neben der Lendenwirbelsäule.
Ein Hinweis im Blut
Der Effekt ist beeindruckend, die Frau entspannt und glaubt, alles sei gut. Das Gegenteil ist der Fall, ein paar Tage später sind die Qualen wieder da, schlimmer als zuvor. Sie kann sich kaum noch bewegen und hat Fieber - das findet sie nicht mehr normal. Sie kommt in die Notaufnahme einer Hamburger Klinik.
Die Ärzte dort denken ähnlich wie der erste Mediziner: Rückenschmerzen in der Schwangerschaft sind normal, eine veränderte Haltung der Wirbelsäule, Hormonumstellungen oder weicheres Bindegewebe können schuld sein. An eine andere Ursache denken die Ärzte nicht, die Frau bekommt Schmerzmittel und kann noch am selben Tag nach Hause.
Die Medikamente helfen - allerdings wiederum nur kurz, bevor die Schmerzen mit voller Wucht zurückkehren. Weit unten im Gesäß sitzen sie und strahlen ins linke Bein aus. Die Schwangere bittet in einer zweiten Klinik um Hilfe und wird abermals mit Schmerzmitteln nach Hause geschickt.
Zwei Wochen nachdem ihr der erste Arzt die Schmerzspritze gegeben hat, stellt sie sich nachts in der Rettungsstelle eines dritten Krankenhauses vor. Sie ist mittlerweile in der 26. Schwangerschaftswoche, erstmals seit dem Beginn der Beschwerden nimmt ihr jemand Blut ab. Das wegweisende Ergebnis: Die Werte weißer Blutzellen und eines Eiweißes, die beide bei einer Entzündung im Körper ansteigen, sind deutlich erhöht.
Immer wieder Hoffnung, immer wieder Schmerzen
Die Ärzte wollen jetzt wissen, was sich im Rücken der Frau abspielt. Sie schieben sie in eine Kernspinröhre (MRT) und lassen Längs- und Querschnittbilder ihrer Lendenwirbelsäule anfertigen. Dabei werden Magnetfelder aufgebaut und keine Röntgenstrahlen eingesetzt, so dass die Untersuchung für das Ungeborene nach heutigem Stand des Wissens ungefährlich ist.
Die Aufnahmen liefern endlich einen Grund für die hartnäckigen Schmerzen der Schwangeren: Eine große Eitermenge hat sich in den Muskeln links neben dem dritten, vierten und fünften Lendenwirbelkörper abgekapselt. Die Frau hat einen sogenannten Abszess, der sich über mehrere Muskeln erstreckt. Entstanden ist er mit hoher Wahrscheinlichkeit durch die Schmerzspritze, die ihr der erste Arzt gegen die Rückenschmerzen gegeben hat.
MRT-Bilder der Patientin: Die weißen Flecken links neben der Wirbelsäule (im Bild rechts) gehören dort nicht hin.
Foto: UKEDie Mediziner handeln: Sie beginnen eine Therapie mit zwei Antibiotika, die nach gewissenhafter Abwägung in der Schwangerschaft gegeben werden dürfen. Die Ärzte hoffen, dass die Medikamente gegen den unbekannten Erreger der Infektion wirksam sind. Und tatsächlich: Die Schmerzen nehmen ab, die Entzündungswerte gehen zurück.
Aber nur für vier Tage, dann steigen die Entzündungswerte wieder an. Die Ärzte wissen, dass ihre Therapie nicht ausreicht. Sie verlegen die Patientin ins Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), wo Ärzte um Josephine Berger die Schwangere und ihr Ungeborenes untersuchen, wie sie im Hamburger Ärzteblatt (pdf S. 26) berichten .
Ein gesunder Junge
Die UKE-Mediziner haben keinen Zweifel: Die Frau muss operiert, der Abszess geöffnet und der Eiter entfernt werden. Weil ein chirurgischer Eingriff Wehen auslösen und das Kind schlimmstenfalls schon auf die Welt kommen könnte, beginnen die Ärzte in Absprache mit den Gynäkologen eine sogenannte Lungenreifetherapie. Dafür spritzen sie der Schwangeren ein Kortikoid, um die Entfaltung der Lunge nach der Geburt zu erleichtern.
Jetzt können die Chirurgen operieren. Sie setzen einen Schnitt in die Haut und die betroffenen Muskeln. Eitrig-blutiges Sekret entleert sich schwallartig. Nachdem sie die zähe Flüssigkeit ganz entfernt haben, verschließen die Ärzte die Wunde und überwachen ihre Patientin auf der Intensivstation. Sie hat den Eingriff mit ihrem Kind gut überstanden.
Doch die Blutwerte werden nicht besser, eine MRT der Wirbelsäule zeigt, dass sich erneut Eiter angesammelt hat. Die Patientin muss erneut operiert werden. Auch dieses Mal überstehen die Schwangere und ihr Ungeborenes den Eingriff, die Operation ist erfolgreich: Als sich die Patientin erholt hat, darf sie nach Hause. Erst Wochen später kommt ihr Junge gesund und termingerecht zur Welt.