Der ort wo saures kräutchen niemals dampfer sichtet

«Uwe, Pip und Ringelnatz» hiess das Mittwochsprogramm der Mendelssohn-Musikwoche Wengen. Es ging um Ringelnatz, den deutschen Dichter der besonderen Art.

Publiziert: 23.08.2018, 19:58Aktualisiert: 23.08.2018, 20:52

Der ort wo saures kräutchen niemals dampfer sichtet

Mit dem Seemann Kuttel Daddeldu: Musiker Wieslaw Pipczinsky und Schauspieler Uwe Schönbeck stellten den Dichter Joachim Ringelnatz in der Kirche Wengen vor.

Anne-Marie Günter

Gescheiterter Gymnasiast, Seemann, Schlangenträger, Kabarettist, Schriftsteller, skurriler Blödeldichter, Liebender, genialer Lyriker, manchmal Hungerleider, von den Nazis verboten: Joachim Ringelnatz (1883 bis 1934) ist gewissermassen ein Antipode von Felix Mendelssohn, der ein Wunderkind war und in seinem kurzen Musikerleben viel Erfolg hatte.

In einer wohlklingenden Konzertreihe stellte Schauspieler und Tenor Uwe Schönbeck an der Mendelssohn-Musikwoche in Wengen diesen Ringelnatz vor. Wort- und stimmgewaltig. Bereits wie er den Geburtsort «Wurzen an der Muhr» aussprach, liess Komplizierteres erahnen.

Der junge Hans Gustav Bötticher, später Ringelnatz, flog vom Gymnasium, weil er sich von einer Südsee-Frau ein Tattoo stechen liess. Es war der Dank dafür, dass er den im Leipziger Zoo ausgestellten Samoanerinnen den Familien-Weihnachtsschmuck geschenkt hatte. Klein, mit Riesennase und ausgeprägtem Kinn, hatte es Ringelnatz auch in seiner kurzen Seemannslaufbahn nicht leicht.

Kuttel Daddeldu

Erfolg hatte er mit seiner Kunstfigur Kuttel Daddeldu, einem saufenden Seebären. Dieser gräbt Alwine, seine erste Geliebte, in ihrem Heidegrab immer wieder ein und aus, bis «ihre Nase blauer Saft» ist. Im «Rotkäppchen», das er seinen Enkeln erzählt, frisst die Grossmutter Wolf, Kind und auch den Jäger.

Uwe Schönbeck gestaltete sowohl die Passagen, in denen er aus dem Leben von Ringelnatz erzählte, wie auch die vorgestellten Gedichte mit mitreissender Dramatik; Ironie und heiterer Fatalismus fanden dabei im Einmanndrama ihren Platz. Etwa in der ­Geschichte vom Sauerampfer am Bahndamm.

«Sah Eisenbahn um Eisenbahn, Sah niemals einen Dampfer.» Oder in der von den beiden Hamburger Ameisen, die wegen müder Beine bereits in Altona auf eine Australien-Reise verzichten.

Daddeldu, wie er hätte aussehen können, hatte Schönbeck als Figürchen auf dem Lesetisch. «Pip» aus dem Programmtitel war Wieslaw Pipczinsky, ein aus Polen stammender Musiker, überzeugter und begabter Grenzgänger zwischen U- und E-Musik.

Er untermalte – und es hätte ruhig etwas mehr sein dürfen – einzelne der Gedichte am Piano. Feinfühlig verstärkte er zum Teil mit bekannten Melodien ihre musische und heiter-melancholische Seite.

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28 Mittwoch Mai 2014

… nein, von einem Sauerampfer wie in dem Gedicht von Joachim Ringelnatz soll hier nicht die Rede sein.

Arm Kräutchen

Ein Sauerampfer auf dem Damm
Stand zwischen Bahngeleisen,
Machte vor jedem D-Zug stramm,
Sah viele Menschen reisen.

Und stand verstaubt und schluckte Qualm
Schwindsüchtig und verloren,
Ein armes Kraut, ein schwacher Halm,
Mit Augen, Herz und Ohren.

Sah Züge schwinden, Züge nahn.
Der arme Sauerampfer
Sah Eisenbahn um Eisenbahn,
Sah niemals einen Dampfer.

(Joachim Ringelnatz – 1883 – 1934)

Vielmehr möchte ich die tollen gelben Kamillebüsche zeigen, die hier direkt am Bahndamm stehen. – Die sehen zwar auch niemals einen Dampfer, aber dafür dürfen sie die auf den Zügen transportierten neuen VWs vorbeiziehen sehen. Da haben sie schon mehr Abwechslungs als der arme Sauerampfer in Ringelnatz‘ Gedicht.

Der ort wo saures kräutchen niemals dampfer sichtet
Der ort wo saures kräutchen niemals dampfer sichtet
Der ort wo saures kräutchen niemals dampfer sichtet
Der ort wo saures kräutchen niemals dampfer sichtet

Edit: Es könnte sich bei den Pflanzen auch um das giftige Jakobskreuzkraut handeln, wie Renate in ihrem Kommentar sehr treffend anmerkt. Die Blüten beider Pflanzen sehen sich sehr ähnlich. Danke, Renate, für den Hinweis!