Woher kommt der Spruch Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt?

In der Alltagssprache ist der Gebrauch von Redewendungen üblich. Manches „geflügelte Wort“ ist literarischen Ursprungs. Einer der Urheber ist Friedrich Schiller. Mit dem Wort „schillern“ hat er allerdings nichts zu tun.

Karin Hempel-Soos:
„Wer ist geeigneter als Schiller, irgendwo benutzt zu werden: von ‚der hohlen Gasse‘, von ‚der Mann muss hinaus ins feindliche Leben‘, oder so, und ‚drinne waltet die züchtige Hausfrau‘ und, und, und, und. Also, Schiller können Sie gebrauchen von der Bäckerblume bis zur Regierungserklärung.“

Sprecher:
Die 2009 verstorbene deutsche Schriftstellerin Karin Hempel-Soos fasst in einem Satz zusammen, wo Redewendungen, die aus Werken des deutschen Dichters und Dramatikers Friedrich Schiller stammen, überall verwendet werden können: von der Bäckerblume bis zur Regierungserklärung. Die „Bäckerblume“ ist eine Zeitschrift, die Kunden in Bäckereien kostenlos zur Verfügung gestellt wird. Mit ihren Nachrichten aus dem Bäckerhandwerk, Kochrezepten, einem Wochenhoroskop und Kreuzworträtseln gilt sie als Beispiel für ein Unterhaltungsheft ohne hohen literarischen Anspruch. Mit ihrem Vergleich will Karin Hempel-Soos verdeutlichen, dass die Bedeutungen, die hinter Redewendungen stecken, in verschiedenen Lebenssituationen ihre Gültigkeit haben – wie beispielsweise die Redewendung: „Durch diese hohle Gasse muss er kommen.“ Sie stammt aus dem Drama „Wilhelm Tell“. Als der Schweizer Freiheitskämpfer Wilhelm Tell sie ausspricht, wartet er auf einem Felsen auf den tyrannischen Landvogt Hermann Gessler, um ihn zu töten. Unter ihm schlängelt sich zwischen den Felsen ein sogenannter Hohlweg durch. Das Zitat wird gern als Synonym für das Warten auf jemanden, aber auch für Bedrohung und Gefahr verwendet. Weitere Schillerzitate findet man auch im „Lied von der Glocke“. In dem umfangreichen Gedicht, das Schiller im Jahr 1799 vollendet hat, lobt er die Werte des bürgerlichen Lebens. Die Glocke steht als materielles Symbol für alles, was im menschlichen Leben passieren kann.

Rezitator:
„Von der Stirne heiß
Rinnen muss der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben,
Doch der Segen kommt von oben.“

Sprecher:
Wie geschickt der Glockengießer auch arbeiten mag, wie stolz er auf sein Werk auch ist, so weiß er doch, dass der Segen von oben kommt, dass seine Arbeit von oben – also von Gott – gutgeheißen wird. In Abänderung des eigentlichen Satzes wird heute auch gerne gesagt: „Alles Gute kommt von oben“, wenn es beispielsweise plötzlich kräftig zu regnen beginnt. Weiter heißt es:

Rezitator:
„Jetzt Gesellen, frisch!
Prüft mir das Gemisch,
Ob das Spröde mit dem Weichen
Sich vereint zum guten Zeichen.
Denn wo das Strenge mit dem Zarten,
Wo Starkes sich und Mildes paarten,
Da gibt es einen guten Klang.
Drum prüfe, wer sich ewig bindet,
Ob sich das Herz zum Herzen findet!
Der Wahn ist kurz, die Reu ist lang.“

Sprecher:
So wie der Glockengießer eine ideale Verbindung der Materialien finden muss, damit die Glocke gut klingt, sucht auch ein junger Mensch nach dem idealen Partner. Wenn er ihn gefunden hat, dann sollte er prüfen, ob es die richtige Verbindung ist: Drum prüfe, wer sich ewig bindet. Denn oft ist man imWahn, sehr verliebt, und geht eine dauerhafte, ewige, Beziehung ein, die man später bereut. Manchmal nämlich können Weiber zu Hyänen werden. Auch dieses Zitat aus dem „Lied von der Glocke“ ist heute noch gebräuchlich. In dem Gedicht bezieht es sich auf Revolutionärinnen, die gnadenlos sind, keine Hemmungen und keine Scheu kennen. In der Alltagssprache wird die Redewendung abschätzig für Frauen verwendet, die sehr aggressiv sind. Schiller, der die bürgerliche Gesellschaft idealisierte, hielt an der feste Rollenverteilung zwischen Mann und Frau in der Familie fest. So heißt es:

Rezitator:
Der Mann muss hinaus
Ins feindliche Leben
,
Muss wirken und streben
Und pflanzen und schaffen,
Erlisten, erraffen,
Muss wetten und wagen,
Das Glück zu erjagen …
Und drinnen waltet
Die züchtige Hausfrau
,
Die Mutter der Kinder,
Und herrschet weise
Im häuslichen Kreise …“

Sprecher:
Schillers grundsätzliche Feststellung: „Der Mann muss hinaus ins feindliche Leben“ und„Drinnen waltet die züchtige Hausfrau“sind immer noch geläufig. Im Zeitalter der Emanzipation ist beides aber lediglich noch ironisch gemeint. Ein weiteres Thema bei Schiller: die Treue. Im dritten Teil der „Wallenstein“-Trilogie fällt folgender Satz:

Rezitator:
Daran erkenn ich meine Pappenheimer.“

Sprecher:
Zehn Reiter in voller Ritterrüstung aus dem Regiment des Grafen von Pappenheim bekunden dem berühmten kaiserlich-böhmischen Feldherrn Wallenstein ihre Treue – im Gegensatz zu anderen Regimentern, die Wallenstein die Gefolgschaft verweigern, weil sie ihn für einen Landesverräter halten. Wallenstein lobt die Ergebenheit dieser Reiter, wenn er sagt: „Daran erkenne ich meine Pappenheimer.“ Volkstümlich geworden ist dieses Zitat in einer veränderten Form. Wer sagt: „Ich kenne meine Pappenheimer“, will damit sagen: „Ich weiß genau, mit wem ich es wirklich zu tun habe. Ich habe die Leute durchschaut, weiß besser Bescheid als du.“ Diese Wendung wird im Gegensatz zum Ursprung des Zitats in abschätzigem Sinne gebraucht. Es gab eine Zeit, in der Schillerzitate aus der Mode kamen. In den 1950er Jahren war das Publikum übersättigt. Der „Wilhelm Tell“ wurde zum meist parodierten Stück Schillers. Erst in den 1990er Jahren, als sich die damalige Sowjetunion auflöste und Deutschland wiedervereinigt wurde, erlebten die Werke des Dichter wieder eine Art Comeback. Der deutsche Literaturwissenschaftler Rüdiger Safranski, Autor einer Biografie über Schiller, beschreibt den Dichter so:

Rüdiger Safranski:
„Schiller war eben ein Genie der Klarheit. Und er wollte jeden Gedanken, jede Idee bis an die Grenze des Sagbaren der Deutlichkeit vortreiben. Manchmal gelingt es ihm, so deutlich zu werden, dass es schön wird.“

Sprecher:
Rüdiger Safranski meint, Schiller sei in seinen Worten deutlich, klar, gewesen, habe Ideen sehr genau ausgedrückt. Er sei an dieGrenze des Sagbaren gegangen. Wenn man allerdings von schillernden Worten spricht, so handelt es sich allenfalls um ein Wortspiel. Das erst im 15. Jahrhundert bezeugte Verb „schillern“ ist mit dem Verb „schielen“ verwandt und bedeutet „in mehreren Farben“ glänzen. Lange Rede, kurzer Sinn:uneindeutig – also schillernd – war der Dichter keinesfalls. Übrigens: Auch dieses geflügelte Wort geht auf Schiller zurück. Ursprünglich hieß es: „Was ist der langen Rede kurzer Sinn?“ und stammt aus „Wallenstein“. Obwohl sie also einige Jahrhunderte alt sind, sind die geflügelten Worte Schiller’schen Ursprungs immer noch alltagstauglich.




Fragen zum Text

Bevor ein Paar heiratet, sollte es den Spruch beherzigen: …
1. Was lange währt, wird endlich gut.
2. Drum prüfe, wer sich ewig bindet.
3. Erlaubt ist, was gefällt.

Ich kenne meine Pappenheimer ist abgeleitet aus …
1. „Das Lied von der Glocke“.
2. „Wilhelm Tell“.
3. „Wallenstein“.

Will jemand etwas zusammenfassen, kann sie/er sagen: …
1. Lange Rede, kurze Antwort.
2. Kurze Rede, langer Sinn.
3. Lange Rede, kurzer Sinn.


Arbeitsauftrag
Hier sind weitere Zitate aus Werken Friedrich Schillers. Erkläre deren Bedeutung:

1. Die Axt im Haus erspart den Zimmermann.
2. Der kluge Mann baut vor.
3. Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.
4. Nur ein verzweifelter Spieler setzt alles auf einen einzigen Wurf.
5. Geld macht den Mann nicht.
6. Ich bin mein Himmel und meine Hölle.

Was dem bösen Nachbarn nicht gefällt?

«Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt.» Wie recht er hatte, der grosse Friedrich Schiller.

Wer singt das Lied Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben?

Roland KaiserEs kann der Frömmste nicht in Frieden leben / Künstlernull

Kann man nicht in Frieden leben?

"Es kann der Frömmste nicht in Frieden leben, wenn es dem bösen Nachbarn nicht gefällt." Funktion und Wirkung der Sentenzen in Schillers Tragödie "Wilhelm Tell"