Wenn verstorbene nicht loslassen

Wenn verstorbene nicht loslassen

Qualifizierte Trauerbegleitung hilft Trauernden nach dem Tod eines geliebten Menschen. Das konnte bereits im Jahr 2013 im Rahmen einer umfassenden Studie, an der 680 trauernde Menschen teilnahmen, empirisch nachgewiesen werden,.
„Am schlimmsten ist es, wenn man sich nicht verabschieden kann“, zitierte der Leiter des Forschungsprojektes „TrauerERLeben“, Prof.Dr. Michael Wissert von der Hochschule Ravensburg-Weingarten in Berlin einen häufig geäußerten Satz der befragten Studienteilnehmern. Dies bestätigt auch unsere Erfahrung, weswegen der kompetent vorbereitete Abschied am offenen Sarg ein zentrales Thema in unserem Unternehmen ist. Wir wissen, dass Menschen, die sich bewusst und gut begleitet von ihrem Verstorbenen noch einmal verabschieden können, einen guten Start in einen gesunden Trauerprozess haben. Aber warum ist das so? Warum ist es nicht besser, den Verstorbenen so in Erinnerung zu behalten wie er im Leben war? Ganz einfach, weil man realisieren muss, was passiert ist, erst dann kann man mit der Verarbeitung beginnen.

Die erste Reaktion von Angehörigen, nachdem sie vom Tod einer nahestehenden Person erfahren, ist nämlich der Schock. Angehörige können in dieser ersten Phase nicht wahrhaben, dass der Verstorbene wirklich tot ist.

Sie können einfach nicht fassen, was passiert ist und fühlen deshalb auch nichts. Gefühlstaubheit ist typisch für diese erste Phase. Einerseits ist das ein Schutzmechanismus unserer Psyche, denn wenn wir schon im ersten Moment den vollen Umfang des traumatischen Ereignisses und seiner Konsequenzen für unser Leben erfassen würden, wäre das nicht aushaltbar. Andererseits führt eine Fixierung in diesem Zustand der Betäubung auch dazu, dass Trauerarbeit blockiert wird. Der Schock zu Beginn ist zwar eine gesunde Reaktion, aber nach und nach muss dieser Schockzustand aufgelöst werden, denn wenn der Tod nicht realisiert wird, können keine Trauergefühle aufbrechen. Dann kann der Trauerprozess nicht wirklich beginnen, dadurch kann Trauer nur erschwert oder verzögert stattfinden und die Gefahr ist groß, dass Trauer als an sich gesunder Heilungsprozess in Krankheit entgleist.


Der persönliche Abschied am offenen Sarg ermöglicht es also, die Realität des Todes wirklich zu „begreifen“. Bei der Begleitung von Abschiednahmen ist es wichtig, dass auch der körperliche Kontakt zum Verstorbenen gefördert wird. Abschiede gehen im Leben ja unter normalen Umständen auch mit Körperkontakt einher: Wir geben einander die Hand oder umarmen und küssen uns zum Abschied. Freilich hat uns Covid19 hier gezwungen, Abstriche zu machen und Körperkontakt sehr einzuschränken, gleichzeitig hat uns die Corona-Krise aber auch sehr klar gemacht, wie wichtig Körperkontakt in Phasen belastender Lebensereignisse für uns ist. Der letzte Abschied macht hier keine Ausnahme. Im Gegenteil, es ist ja der letzte und insofern ist er besonders wichtig! Durch das Wahrnehmen der Kälte und der Hüllenartigkeit des Leichnams wird der Tod sehr bewusst, es wird klar: Dieser Mensch ist tot. Er schläft nicht. Er ist kalt. Er kommt nie wieder zurück. Diese Erfahrung ist zwar sehr schmerzhaft, aber nur so kann ein gesunder Prozess der Bearbeitung beginnen. Diese Wahrnehmung macht es außerdem auch möglich, dass Angehörige leichter loslassen können. Das Aufbrechen der Trauergefühle und die allmähliche Lösung aus dem Schockzustand wird von den Angehörigen schlussendlich nicht als belastend, sondern als erleichternd erlebt, sie werden ruhiger. Das gilt für Erwachsene wie für Kinder und selbstverständlich auch für Menschen mit Behinderung.

Besonders wichtig ist der Abschied nach einem plötzlichen Tod durch ein körperliches Ereignis wie Herzversagen oder aber durch Unfall, Naturkatastrophen, Suizid oder Gewalt. Auch der Tod eines Kindes, das Versterben eines Kindes im Mutterleib, eine Fehlgeburt, haben bei den unmittelbar Betroffenen oftmals einen erhöhten Bedarf an Trauerbegleitung zur Folge und gerade in diesen traumatischen Lebenssituationen hilft der Abschied sehr. Wir begleiten Angehörige dabei gerne. 

Christine Pernlochner-Kügler und Team Bestattung und mehr I. Neumair

Leistungen

Thanatologie - Thanatopraxie

Rechtliches

Die I. Neumair Bestattung und mehr GmbH ist Ihr Tiroler Ansprechpartner für traditionelle Bestattungen und moderne Verstorbenenversorgung (Thanatopraxie), Trauerfeier- lichkeiten, Trauerbegleitung und Seminare mit Sitz in Innsbruck.

„Du musst auch mal loslassen“ – diesen Satz hören die Angehörigen von verstorbenen Menschen recht oft. Loslassen, um das eigene Leben neu ausrichten zu können. Das ist Blödsinn. Denn viel tröstlicher als das Loslassen ist das Verbundensein – und das zeigt auch die Trauerforschung.

Continuing Bonding: innerlich mit dem Verstorbenen verbunden bleiben

Viele traditionelle Trauermodelle setzen auf das Loslassen im Trauerprozess: „erfolgreich“ sei demnach Trauerarbeit erst dann, wenn sich der Hinterbliebene emotional vom Verstorbenen losgelöst habe. Nur so könne sich der Hinterbliebene wieder mit neuen Lebenszielen beschäftigen oder neue Beziehungen eingehen.

Für viele Trauernde ist dieser Anspruch des Loslassens wahnsinnig schmerzvoll und fühlt sich so an, als ob die verstorbene Person keinen Platz mehr im Leben des Hinterbliebenen bekommen soll.

Seit Ende der 1980er Jahre wird dieser Ansatz aber in Frage gestellt; denn viele Menschen empfinden es als heilsam, die Beziehung zum Verstorbenen auch über den Tod hinaus beizubehalten. Das hat auch die Trauerforschung bzw. Trauerpsychologie erkannt. Diese innere Verbundenheit aufrechtzuerhalten ist der Fokus des Trauermodells Continuing Bonding.

Es ist ein beziehungsbasiertes Modell. Das bedeutet, es geht um das Wir. Die meisten Erfahrungen, die wir im Alltag machen, sind Wir-Erfahrungen. Wir Menschen sind beziehungsbezogene Menschen, wir leben in Beziehungen mit anderen Menschen – mal mehr oder weniger intensiv.

Identität wächst aus der Beziehung mit anderen

Diese Beziehungen haben eine Auswirkung auf unsere eigene Identität, denn andere Menschen prägen uns und unser Sein. Zurecht fragen Hinterbliebene nach dem Tod eines geliebten Menschen: „Wer bin ich ohne Dich?“. Je intensiver und enger die Beziehung zum Verstorbenen ist, desto wichtiger ist sie für unsere Identität und desto schmerzlicher ist der Verlust.

Wenn ein geliebter Mensch stirbt, dann müssen wir erst lernen, mit dem Verlust umzugehen. Wir müssen lernen, wie wir ohne diesen Menschen weiterleben können. Das ist eine Mammutaufgabe.

Denn mit dem Tod eines geliebten Menschen stirbt auch die gemeinsame Zukunft oder vielmehr die Idee einer gemeinsamen Zukunft mit allen Träumen, Wünschen und Plänen. Je konkreter dieses Zukunftsbild in unserer Vorstellung ist, desto schlimmer ist der Verlust für uns. Unser Leben verändert sich. Die Ohnmacht über diese Veränderung macht uns zu schaffen.

Die Beziehung zu einem anderen Menschen – wenn sie positiv und bedeutsam ist – gibt uns ein Gefühl von Sicherheit. Liebevolle Zuwendung, Zusammengehörigkeit, Nähe – all das lässt uns ruhiger werden und uns sicher fühlen. Genau diese Gefühle sollen beim Continuing Bonding bei der Trauerarbeit helfen, den Verlust zu verarbeiten. Es ist ganz wichtig, dass der Hinterbliebene den Tod der geliebten Person annimmt und eben nicht verdrängt oder gar verleugnet. Nur dann kann sich die innere Beziehung zum Verstorbenen auch über den Tod hinaus entwickeln und tröstlich sein. Der Verstorbene bleibt ein Teil des eigenen Ich – und dieses Gefühl tut uns gut.

Wege, um die Verbindung aufrecht zu erhalten

Die Trauerforschung beschäftigt sich mit der Frage, welche Ausdrucksformen diese Verbindung im Kontext von Continuing Bonding annehmen kann. Wie gelingt das?

  • Besuchen Sie gemeinsam mit Familie und Freunden Orte, die Sie die Verbindung zur verstorbenen Person spüren lassen. Das kann eine Parkbank sein, das Lieblingscafé, ein Urlaubsort oder eben auch das Grab.
  • Tragen Sie einen Gegenstand bei sich, der Sie an den Verstorbenen erinnert. Das kann ein Schlüsselanhänger sein oder ein kleiner Talisman, aber auch ein Foto im Geldbeutel oder ein Schmuckstück, das Sie tragen. Bei Gegenständen stehen die Hinterbliebenen oft vor der Herausforderung: was darf oder soll ich weggeben und was behalte ich? Viele Angehörige entscheiden sich auch bewusst gegen einen Gegenstand, da es ihnen (noch) zu schwer fällt, die Wirklichkeit des Verlusts anzunehmen
  • Schauen Sie sich Fotos an, sprechen Sie mit Freunden und Familie über den Verstorbenen, besuchen Sie gemeinsam das Grab. All das trägt dazu bei, dass die verstorbene Person in das Hier und Jetzt integriert wird – auch wenn er oder sie nicht mehr physisch da ist, die innere Verbindung wird auf diese Weise gestärkt. Dem Hinterbliebenen tut es gut zu wissen, dass andere Menschen an die geliebte Person denken und die Erinnerung aufrechterhalten.
  • Erzählen! Erzählen Sie von gemeinsamen Erlebnissen, erzählen Sie die Geschichte des Verstorbenen, erzählen Sie, worüber Sie zusammen gelacht, diskutiert oder geplaudert haben. Im Erzählen findet Gedenken statt. “Gedenken bedeutet, Nein zu sagen zum Vergessen. Wer gedenkt, lebt nicht nur in einer Welt und nicht nur in einer Zeit. Gedenken bewirkt, dass die Vergangenheit den Lauf der Zukunft formen kann. Wer gedenkt, der anerkennt, dass die Zeit Spuren hinterlässt und alle Ereignisse miteinander zusammenhängen“, zitiert Diana Staudacher in ihrem Aufsatz den Schriftsteller Elie Wiesel.
Wenn verstorbene nicht loslassen

Dieses Gedenken geht weit über das bloße Erinnern hinaus, denn es geht beim Gedenken um genau dieses Wir: alles, was die Erinnerung an einen Mensch ausmacht, hat mit uns selbst zu tun – es geht also um uns selbst: wer wir sind, was wir erlebt, durchlebt haben und wie der verstorbene Mensch uns in unserem Sein geprägt hat. Das Gedenken ist ein tiefer Ausdruck von Liebe: wir wollen den Verstorbenen nicht aufgeben, auch wenn er nicht mehr vor uns steht. Wir bleiben ihm oder ihr treu – auch über den Tod hinaus.

Und darum geht es mir auch in meinen Trauerreden. Meine Trauerfeiern stehen ganz im Zeichen des Lebens. Ich will nicht nur reden, sondern erzählen, damit Sie gedenken und eine tiefe Verbindung spüren können. Damit Sie Kraft finden und Sicherheit empfinden. Dadurch helfe ich Ihnen, die Traurigkeit zu überwinden und Platz zu machen für den Trost.

Sie müssen nicht loslassen. Sie dürfen in Verbindung bleiben.

Wenn verstorbene nicht loslassen

Quellen:
In diesem Blogbeitrag habe ich mich auf den Aufsatz „Continuing Bonds“ – ein beziehungsbasiertes Trauer-Modell von Dr. Diana Staudacher bezogen, erschienen im Magazin pflegen Palliativ Trauern Ausgabe Nr. 54/2022 sowie auf den Aufsatz von Heidi Müller und Hildegard Willmann: Über den Tod hinaus Vom Lösen und Fortsetzen der Bindung zum Verstorbenen

Soll man Verstorbene loslassen?

Werden Schmerz und Trauer hingegen bewusst durchlebt, so kann sich aus dem Abschied schließlich etwas Neues, Positives entwickeln. „Im Loslassen liegt immer eine große Chance – die Möglichkeit eines Neubeginns“, bestätigt Gassner-Briem. „Wenn wir eine Tür schließen, besteht die Chance, dass eine neue Tür aufgeht.

Wie merke ich ob ein Verstorbener bei mir ist?

Besonders wenn das Verhältnis zu der verstorbenen Person sehr nah war, kann es auch nach dem Tod zu Situationen kommen, in dem das Gefühl entsteht, der Verstorbene würde einen anfassen - dabei sind es sanfte Berührungen, leichtes Streicheln oder Umarmungen, die wahrgenommen werden.

Was tun wenn man den Tod eines Menschen nicht verkraftet?

Wer einfach mit jemandem reden möchte, egal zu welcher Uhrzeit, kann sich auch an die Telefonseelsorge wenden (0800 111 0 111 oder 0800 111 0 222). Vielen Menschen hilft aber auch ihr starker christlicher Glaube. Dort finden Trauernde Unterstützung.

Wie lange vermisst man Verstorbene?

Das berühmte Trauerjahr hat ausgedient. Viele Trauernde brauchen länger als ein Jahr, mit dem Tod umgehen zu können – vor allem dann, wenn es sich um einen Verlust eines besonders engen Angehörigen handelt wie den eines Kindes, eines Geschwisterkindes oder eines Elternteils in jungen Jahren.