Warum geht man nicht ans Telefon?

Smartphones werden heute kaum noch zum Telefonieren verwendet. Foto: Henning Kaiser/dpa

Erst wusste kaum einer, wie man richtig telefoniert. Dann ließen die Menschen bei einem Anruf alles stehen und liegen. Heute haben Textnachrichten und Apps das Telefonklingeln entmachtet, findet unser Autor Peter Glaser.

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Stuttgart - Anfangs wusste niemand genau, wie man telefoniert. Alexander Graham Bell wollte, dass die Leute Gespräche mit „Ahoi!“ beginnen, nicht mit „Hallo“, das sei unhöflich. Die Menschen sagten dann aber doch lieber Hallo, und es entstand eine Kultur rund ums Telefon. Experten für gutes Benehmen versuchten Frauen daran zu hindern, Einladungen zum Abendessen am Telefon auszusprechen, gaben aber schließlich ebenfalls nach. Die neuen Konventionen erfüllten den Raum zwischen den Telefonierenden und dem Telefongerät, einem Kunststoffklotz mit Wählscheibe zum Verrühren der Nummern und einem Spiralkabel, um den mit riesiger Geschwindigkeit eintreffenden elektromagnetischen Dingern genug kleine Loopings zum Abbremsen zur Verfügung zu stellen.

Vor dem Haus, in dem ich aufgewachsen bin, stand ein schwarzbraun imprägnierter, hölzerner Telefonmast, der in der Sommerwärme unverwechselbar nach Telefonmast duftete, und manchmal kamen Techniker und kletterten mit sichelförmigen Steigeisen wie Rieseninsekten auf den Mast und lehnten sich dann oben in den Gurt, den sie um sich und den Mast gelegt hatten. Coole Akrobaten, die dafür sorgten, dass das Fernsprechen weiterhin nur so flutschte durch den Draht.

Wesentliches Element der Telefonkultur war die Übereinkunft, dass Kommunikation, die mit Maschinenhilfe transportiert wird, eine geheimnisvolle Zunahme an Wert erfährt und Vorrang genießt. Wer in der Warteschlange vor einem Schalter stand, konnte sich jederzeit davon überzeugen, dass der Beamte dahinter, sofern es klingelte, alles liegen und stehen lassen und ans Telefon gehen würde. Hätte man sich vorgedrängelt und ihm eine Münze hingelegt, um sofort dranzukommen, man wäre belächelt worden.

Viele kleine Dinge haben das Telefonklingeln entmachtet

Ein klingelndes Telefon war ein Imperativ. Beeilung! Was, wenn es etwas Wichtiges war? In den Achtzigern begann die Telefonkultur langsam zu erodieren. Anrufentgegennehmer – sie beantworten keine Anrufe – milderten die Angst ab, Fundamentales zu versäumen. Fax war stummes Telefonieren.

Mit der Rufnummernanzeige hatte nun jeder einen Butler, der das Visitenkärtchen entgegennahm und sagte: „Ich werde nachsehen, ob die gnädige Frau da ist.“ Es gibt heute einfach viel mehr Kommunikationsmöglichkeiten. Textnachrichten und die damit verbundenen Multimedia-Variationen sind wunderbar – Wörter gemischt mit Emojis, Fotos, Gifs, Videos, Links. SMS macht Spaß und ist fast so unmittelbar wie ein Anruf, aber nicht ganz. Man kann sich zwischendurch kurz ein Ei braten, niemand wird es als unhöflich empfinden – auch nicht die grußlose Beendigung der Kommunikation. Und es gibt noch Twitter, Facebook, Instagram, E-Mail, Facetime und einige andere. Viele kleine Dinge haben das Telefonklingeln entmachtet.

Smartphones heißen nicht so, weil sie Telefone sind, sondern weil die Leute wissen, was ein Telefon ist. Das war vor allem in den Anfangsjahren wichtig. Ein Mobiltelefon ist ein Telefon ohne Wählscheibe und Spiralkabel. Aber beim Smartphone tritt das Telefonieren beiseite, als eine Anwendung von vielen. Jeder möchte etwas Neues, aber niemand eine unbekannte Welt, vor allem nicht, wenn sie ein paar Hundert Euro kostet. Also tun alle weiterhin so, als würden sie sich neue Telefone kaufen, obwohl sie immer weniger damit telefonieren. Keiner geht mehr ans Telefon. Es gibt mit den kleinen Maschinen zu viel anderes zu erkunden.

Früher haben wir stundenlang telefoniert, heute fühlen wir uns von einem unerwarteten Anruf bedrängt. Telefonanrufe kommen immer zur falschen Zeit. Wie aber kam es, dass wir das Telefonieren im Kommunikationszeitalter verlernt haben?

Warum geht man nicht ans Telefon?

Ein Anruf wird als Angriff gesehen. Dann lieber ignorieren.

Chris Iseli

16 Anrufe in Abwesenheit. Innerhalb von elf Minuten. Entweder muss etwas furchtbar Schlimmes passiert sein oder Sabine hat schlichtweg nicht alle Latten am Zaun. Auf jeden Fall ist sie dem Irrtum aufgesessen: je öfter man anruft, desto schneller wird man zurückgerufen.

Das mag vielleicht früher einmal gegolten haben, doch heute ruft kaum einer mehr zurück. Vor allem erreicht man nur in seltenen Fällen Leute beim ersten Versuch auf ihrem Handy. Klingelnde Telefone werden skeptisch beobachtet, selten wird noch einen Moment an einem «Soll ich?» überlegt, dann wird das Teil weggelegt und ignoriert. Meist wird dann zu einem späteren Zeitpunkt eine WhatsApp oder ein SMS verfasst. Zurückrufen? Ist nicht. Zu sehen, dass das Smartphone klingelt und trotzdem nicht rangehen ist modernes Benehmen und ein Verhalten, das sich verbreitet.

Es ist ein zwiespältiges Smartphone-Verhalten, das wir an den Tag legen. Einerseits ist das rechteckige Teil dauernder Begleiter – wir nehmen es mit zur Arbeit, ins Bett, aufs Klo. Andererseits sind unangekündigte Anrufe darauf eher unbeliebt. Klingelt es unerwartet, reagieren wir – vorausgesetzt, wir gehen wirklich ran – oft abweisend und unfreundlich.

Es ist immer ungünstig
Wir telefonieren nicht mehr gerne. Viel lieber tun wir texten, chatten, surfen, lesen, schauen und fotografieren. Diese Entwicklung lässt sich auch in Zahlen belegen. 2012 haben noch 81 Prozent der Schweizer Jugendlichen täglich oder mehrmals pro Woche telefoniert, zwei Jahre später sind es schon zehn Prozent weniger. Generell sinken abgehende Telefonate – egal ob Festnetz oder Mobilfunk – seit 2010. Es gibt mehrere Gründe, weshalb die Sprachtelefonie immer unbeliebter wird.

Besitzt jemand die Frechheit und ruft uns spontan an, fühlen wir uns in unserer Entscheidungsfreiheit eingeschränkt. Wir werden unterbrochen, müssen reagieren. Sofort. Doch meist ist es gerade ungünstig. Nachrichten lesen geht schnell und nebenbei und ist meist ganz «unverbindlich».

Es gibt eben einen Unterschied zwischen: Ich öffne WhatsApp und chatte, weil ich gerade Zeit und Lust habe und einem Anruf, der von aussen kommt. Anruf gleich Angriff. Klingelnde Telefone werden zu tickenden Bomben. Ahhh, jemand will etwas von mir. Eine Standpauke? Ein Gefallen? Ein offenes Ohr? Dann doch lieber ignorieren. Und später vielleicht zurück texten. So viel sei gesagt: Auf einen verpassten Anruf mit der schriftlichen Nachricht: «Was gibt’s?» zu reagieren, ist die Krönung der Unhöflichkeit – aber auch das keine Seltenheit mehr.

Ein weiterer Grund: Anrufe hinterlassen keine belegbaren «Spuren». Und heute, wo sich einer kaum mehr was merkt, ist die schriftliche Kommunikation einfach der sicherere Weg. Im Geschäftlichen muss sowieso (danach) alles (noch) schriftlich fixiert oder bestätigt werden. Im Privaten wundert sich niemand mehr, dass man während des Telefonats mehrmals nachfragt: «Wann treffen wir uns schon wieder?» Hätte man es schriftlich, könnte man alle fünf Minuten nachlesen.

Sprechen gilt in der heutigen Zeit als anstrengend. Wir müssen bei der Sache sein, performen, formulieren. Während wir mit einer Nachricht oder einem Mail Zeit haben zum Nachdenken oder mit einem einzigen Emoji unsere Absicht erklären können, kostet telefonieren Zeit und Nerv.

Und obwohl wir kaum mehr beschäftigt sind als früher, haben wir weniger Zeit zum Telefonieren. Das liegt wiederum daran, dass das Handy uns ständig begleitet. Früher: Klingelte das Telefon, war dies das Festnetz, was bedeutete, man war zu Hause, nicht bei der Arbeit, nicht im Zug – die Chance, dass der Angerufene also Zeit zum Plaudern hat, war gross. Heute: unterwegs. Mit Handy. Kaum Zeit.

Der Draht geht verloren
Wurde man dazumal angerufen, freuten sich nicht wenige Leute und rannten zum Apparat. Schliesslich war das Telefon einmal eine technische Errungenschaft. Okay – das müssen auch Telefon-Verweigerer zugeben – das ist sie heute noch. Zeitzeugen der Festnetz-Ära berichten vom Ausdruck «Telefon des Terrors», was so viel bedeutet wie: Mittags, nach 18 Uhr und am Sonntag ruft man nicht an, aber zu allen anderen Zeiten hat jemand, der von aussen ins Eigenheim anruft immer Vorrang.

Egal was man gerade tat, egal wie angeregt das Gespräch war. Ja, so wertschätze man den Anrufer. Doch diese Epoche ist vorbei – bis 1995 stieg die Anzahl der Festnetzanschlüsse noch kontinuierlich, seither geht sie stark zurück. In den letzten 13 Jahren gar um 30 Prozent.

In den 90er Jahren gab es auch kaum einen Film, in dem nicht folgende Telefonbeantworter -Szene vorkam: Jemand ruft an, und kommt aufs Band: «Hallo, ich weiss genau, dass du da bist, heb ab! Komm schon, geh ran!» Heute würde man das den Ignorierern auch gerne sagen, aber wie denn? Eine Combox hat doch kaum einer mehr.

Es scheint, als ob unsere Fähigkeit zur empathischen Reaktion verkümmert. Ständig schalten wir ein Programm zwischen, laufen Gefahr unsere Spontaneität zu verlieren und scheuen uns vor direktem Kontakt. Verlieren wir den Draht zueinander?

Die 16 Anrufe waren kein Notfall. Nichts Schlimmes ist passiert. Doch die angerufene, ignorante Person hatte die witzige Abmachung in Richtung «Wenn du bis dann und dann nicht anrufst, dann rufe ich...» vergessen. Sie hatten es schliesslich nicht schriftlich vereinbart.

Warum gehen manche Menschen nicht ans Telefon?

Viele Menschen telefonieren nicht nur ungern, sie haben ein echtes Problem damit. Schweiß, Herzklopfen, trockener Mund – all das können Vorboten einer richtigen Panikattacke sein. Meist treten diese Symptome in Verbindung mit einer Sozialphobie auf, so Christine Rummel-Klug, Ärztin an der Uniklinik Leipzig.

Warum geht niemand mehr ans Telefon?

Dafür gibt es verschiedene Gründe. Rund 90 Prozent der Jugendlichen in Deutschland haben ein Smartphone, telefonieren wollen sie damit aber oft nur ungern, besonders wenn Fremde anrufen. Der Grund: Nimmt man erst einmal ab, dann kommt man aus der Sache nicht mehr so schnell heraus – man ist im Gespräch gefangen.

Warum ist Telefonieren nicht möglich?

Starten Sie das Telefon neu. Wenn das Gerät nicht normal neu startet, erzwingen Sie einen Neustart des Geräts. Überprüfen Sie die Telefon-App auf Ihrem Telefon oder Tablet, und löschen Sie den Cache oder die Daten der App.

Wie geht man am besten ans Telefon?

Für den deutschsprachigen Raum gilt folgende Begrüßungsformel am Telefon als professionell: „Guten Tag, Firmenname, mein Name ist Max Mustermann“. Bewährt hat es sich auch, den eigenen Namen wie folgt zu nennen: „Mustermann, Max Mustermann“ denn das hat schon bei 007 funktioniert mit „Bond – James Bond“.