Verzicht auf pflichtteil nach tod eines elternteils

1. Behinderte Menschen dürfen zu Lebzeiten der Eltern auf ihren Pflichtteilsanspruch verzichten. 

2. Auch wenn ein Elternteil bereits verstorben ist, ist der Verzicht auf den bereits entstandenen Pflichtteil nicht sittenwidrig!

3. Die Sittenwidrigkeit kann auch dadurch nicht begründet werden, dass der Verzicht zu Lasten eines Sozialleistungsträgers und damit der Allgemeinheit geht.

Das OLG Hamm (Urt. v. 09.11.2021, Az. I-10 U 19/21) hatte darüber zu entscheiden, ob ein geschäftsfähiger behinderter Mensch gegenüber dem überlebenden Elternteil auf Pflichtteilsansprüche verzichten kann.

Pflichtteilsverzicht zu Lebzeiten der Eltern

Der Bundesgerichtshof hatte bereits im Jahr 2011 (Urt. v. 19.01.2011, Az. IV ZR 7/10) ausführlich begründet, dass ein zu Lebzeiten der Eltern erklärter Pflichtteilsverzicht nicht sittenwidrig ist. 

Danach sind Testamente, in denen Eltern eines behinderten Kindes die Nachlassverteilung so gestalten, dass das Kind zwar Vorteile aus dem Nachlassvermögen erhält, der Sozialhilfeträger auf dieses jedoch nicht zugreifen kann, grundsätzlich nicht sittenwidrig, sondern Ausdruck der sittlich anzuerkennenden Sorge für das Wohl des Kindes über den Tod der Eltern hinaus.

Was, wenn ein Elternteil zum Zeitpunkt des Verzichts bereits verstorben ist?

In dem nun zu entscheidenden Fall war der Todesfall des ersten Elternteils jedoch bereits eingetreten. Die Eltern hatten sich gegenseitig zunächst als Alleinerben eingesetzt. 

Ein Behindertentestament hatte man zu Lebzeiten nicht errichtet. Dies führte nun dazu, dass dem enterbten und behinderten Menschen und bereits erwachsenen Kind Pflichtteilsansprüche zustanden.

Diese wollte der Enterbte jedoch nicht geltend machen und verzichtete in einem notariellen Verzichtsvertrag auf die Ansprüche.

Der den Behinderten mit Leistungen unterstützende Sozialleistungsträger leitete nun diesen Anspruch auf sich über und machte ihn gegenüber dem überlenden Elternteil als Erben geltend.

Er hielt den Verzicht für sittenwidrig. Der Fall sei auch nicht vergleichbar mit dem vom Bundesgerichtshof entschiedenen Fall. Schließlich könne sich der Pflichtteilsberechtigte bereits einen Eindruck über die Höhe seines Anspruchs machen. Dies sei dem zu Lebzeiten Verzichtenden verwehrt, da er nicht wissen könne, wieviel letztlich im Nachlass übrig bleibt. 

Pflichtteilsverzicht steht dem Erlass gleich!

Letztlich hat das OLG Hamm seine Entscheidung vollumfänglich auf die Entscheidung des BGH gestützt und keinen wesentlichen Unterschied zu einem zu Lebzeiten erklärten Pflichtteilsverzicht und dem nach dem Tod eines Elternteils erklärten Erlassvertrag gesehen.

Der Verzicht auf den Pflichtteil ist damit, auch wenn er zu Lasten eines Sozialleistungsträgers erfolgt, nicht sittenwidrig.

Da ein Erlassvertrag formfrei geschlossen werden kann, dürfte es den Sozialleistungsträgern zukünftig schwer fallen, Pflichtteilsansprüche auf sich überzuleiten.

Ein neues Urteil des Bundesfinanzhofs vom 10.05.2017 (Aktenzeichen: II R 25/15) bestraft einen Pflichtteilsverzicht zu Gunsten der Geschwister, wenn dafür eine Abfindung gezahlt wird.

Grundsätzlich kann ein pflichtteilsberechtigter künftiger Erbe oder auch nach dem Erbfall auf seinen Pflichtteil verzichten.

Will ein Pflichtteilsberechtigter zu Lebzeiten des Erblassers auf seinen Pflichtteil verzichten, bedarf dieser Verzicht einer notariellen Beurkundung.

Ein mündlicher Verzicht oder ein privatschriftlicher Verzicht ist nicht wirksam.

Der Bundesfinanzhof hat in dieser neuen Entscheidung allerdings sehr deutlich unterschieden, wann ein entsprechender Verzicht erklärt wird, d.h., noch zu Lebzeiten des Erblassers oder nach dessen Tod und von wem eine Abfindung für den Verzicht bezahlt wird.

In dem konkret zu diesem Aktenzeichen entschiedenen Fall hatte der Kläger noch zu Lebzeiten der Erblasserin auf seinen Pflichtteil zu Gunsten seiner drei Geschwister verzichtet. Diese zahlten ihm dafür jeweils eine Abfindung in Höhe von 150.000,00 €.

Übertragen auf einen künftigen Erbfall sollte man sich vor einem solchen Pflichtteilsverzicht durch einen auf Erbrecht und Erbschaftssteuerrecht spezialisierten Rechtsanwalt (Fachanwalt für Erbrecht) beraten lassen, um nicht eine wesentlich höhere Steuer auszulösen, weil die gewählte Durchführung steuerlich ungünstig ist.

Wendet man nämlich den vom Bundesfinanzhof jetzt entschiedenen Fall an, sehen die Steuerbehörden die Zahlung der 150.000,00 € durch jedes der Geschwister als eine Zuwendung unterGeschwistern und nicht als Zuwendung zwischen Eltern und Kind an.

Darin liegt das steuerliche Problem.

Die neue Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs stellt somit darauf ab, von wem die Abfindung im Falle eines Verzichts gezahlt wird. Wird der Pflichtteilsverzicht von den Geschwistern durch eine Abfindung an den Verzichtenden bezahlt, ist die Steuerklasse 2 mit dem geringen Freibetrag von nur 20.000,00 € je Zahlenden anzuwenden. Dies führt dann dazu, dass der Steuersatz neben dem niedrigen Freibetrag auch noch mindestens 15 % beträgt, ab 75.000,00 € sogar 20 % der Abfindung.

Hätten die Eltern oder hätte das Elternteil, dem gegenüber der Verzicht erklärt worden ist, die Zahlung selbst erbracht, würde jedoch die Steuerklasse 1 und der hohe Freibetrag von heute 400.000,00 € für den Verzichtenden gelten. Dazu wäre ab 400.000,00 € dann der Eingangssteuersatz von 7 % anzuwenden.

Würde man den Pflichtteilsverzicht erst nach dem Erbfall vereinbaren und die Zahlung erst dann erfolgen, würde dieser Verzicht steuergünstiger behandelt, auch wenn die Geschwister zahlen.

Da es bei Pflichtteilsverzicht nicht nur darauf ankommt, möglichst Erbschaftssteuern/Schenkungssteuern zu vermeiden, ist darüber hinaus gerade auch darauf abzustellen, ob rechtliche Voraussetzungen nicht gegen einen Pflichtteilsverzicht sprechen. Viele rechtliche Fragen stehen dabei nämlich zur Beurteilung im Vordergrund.

Will man beispielsweise einen Erbverzicht und Pflichtteilsverzicht oder nur einen Pflichtteilsverzicht? Es kann ein solcher notarieller Verzichtsvertrag gegebenenfalls sittenwidrig sein, weil der Verzicht aufgrund des Missverhältnisses zwischen Abfindung- und Nachlasswert oder möglicherweise den damit in Verbindung stehenden Umständen, unwirksam sein!

Alle diese Fragen – die Steuerlichen und die Rechtlichen – sollten deshalb durch einen Erbrechtspezialisten geprüft werden, bevor man sich auf solche „Abenteuer“ einlässt. Dies gilt für beide Seiten.

Der Verfasser dieses Berichts ist selbst langjähriger Fachanwalt für Erbrecht und zertifizierter Testamentsvollstrecker.

Können Kinder auf ihren Pflichtteil verzichten?

Verzichtet ein Kind des Erblassers auf seinen Pflichtteil, dann sollten Sie als Erblasser dafür sorgen, dass auch die Nachkommen des Kindes keinen Anspruch auf den Pflichtteil haben. Wer das verhindern möchte, muss dies explizit durch einen Verzicht und testamentarische Vereinbarungen veranlassen.

Wie verzichtet man auf den Pflichtteil?

Wer nachträglich auf sein Erbe verzichten will, kann das Erbe ausschlagen, § 1942 Abs. 1 BGB. Eine Erbausschlagung kann innerhalb von sechs Wochen nach Kenntnisnahme über den Erbfall beim örtlichen Nachlassgereicht oder beim Notar angezeigt werden, § 1944 BGB.

Ist ein pflichtteilsverzicht ohne Notar gültig?

Sowohl für den Erbvertrag als auch für den Erb- und Pflichtteilsverzicht gilt: Damit die Verträge rechtskräftig sind, bedürfen sie der notariellen Beurkundung. Da ein Verzichtsvertrag eine sehr persönliche Angelegenheit ist, muss der Erblasser außerdem selbst anwesend sein.

Was passiert mit dem Erbe wenn ein Elternteil stirbt?

Ist ein Elternteil des Erblassers vor dessen Tod verstorben, erbt der lebende Elternteil die Hälfte, die Hälfte des vorverstorbenen Elternteils geht zu gleichen Teilen an dessen Kinder, also die Geschwister des Erblassers.