Plötzlicher juckreiz am ganzen körper ohne ausschlag

Plötzlicher juckreiz am ganzen körper ohne ausschlag
Tabelle 1: Leber- und Gallenwegserkrankungen

Ursachen des Juckreizes bei Lebererkrankungen

Bei Störungen der Gallesekretion bzw. des Galleflusses akkumulieren zahlreiche gallepflichtige Stoffe, darunter auch Bilirubin und Gallensalze, in Geweben und im Blutkreislauf. Der griechische Arzt Aretæus von Kappadokien erklärte die juckende Haut ikterischer Patienten durch prickelnde Gallebestandteile. Knapp zwei Millennia später trifft seine Hypothese zumindest teilweise zu, da die Ableitung von Galle aus dem Körper eines Patienten mit Pruritus, z.B. durch transkutane oder nasobiliäre Drainage, schwersten, therapierefraktären Juckreiz rasch und deutlich verbessert [7,8]. Bestimmte Substanzen der Galle tragen somit entweder direkt oder indirekt zur Entstehung des Juckens bei.

In der Vergangenheit wurden immer wieder Gallesalze für den Juckreiz verantwortlich gemacht, allerdings konnte eine Korrelation zwischen dem Schweregrad des Juckens und den Gallesalzkonzentrationen in Blut oder Haut niemals aufgezeigt werden [9]. Viele Patienten mit erhöhten Gallesalzkonzentrationen, z.B. im Rahmen einer Abflussstörung der Galle, erleiden niemals Juckreiz. Damit scheint mehr die Art der Leber- und Galleerkrankungen als die absoluten Gallesalzspiegel den Juckreiz zu bedingen.

Weibliche Sexualhormone wurden immer wieder als Juckreiz-auslösende Stoffe diskutiert, da weibliche Patienten mit cholestatischen Lebererkrankungen häufiger und über stärkeren Juckreiz berichteten als männliche Patienten [10]. Die höchsten Spiegel dieser Sexualhormone wurden in Patientinnen mit Schwangerschaftscholestase gemessen, die typischerweise im letzten Trimenon der Schwangerschaft beginnt und durch das Vorhandensein von Juckreiz definiert ist.

Seit den 80er Jahren wurden körpereigene Opioide als Juckreizauslöser bei Lebererkrankungen diskutiert. Tatsächlich konnten im Blut einiger Patienten mit PBC erhöhte Spiegel körpereigner Opioide gemessen werden. Die moderate Verbesserung des Juckreizes durch µ-Opioid-Rezeptor-Antagonisten wie etwa Naloxon und Naltrexon deutet ebenfalls auf eine Beeinflussung des körpereigenen Opioid-Haushalts hin [11]. Dennoch sprechen verschiedene Argumente gegen eine direkte Rolle der körpereigenen Opioide als Juckreiz-auslösende Substanzen, da sich vergleichbare Opioid-Spiegel in PBC-Patienten mit und ohne Juckreiz fanden [12] und diese deutlich besser mit dem Krankheitsstadium als mit dem Vorhandensein von Juckreiz korrelierten [13]. Bestimmte Leber- und Galleerkrankungen beeinflussen das körpereigene Opioidsystem, eine kausale Rolle der körpereigenen Opioide erscheint aber unwahrscheinlich.

Histamin, der Hauptmediator allergischer Reaktionen, wurde ebenfalls als mögliche Juckreiz-verursachende Substanz bei Lebererkrankungen erwogen. In einer Studie waren die Histaminspiegel im Blut cholestatischer Patienten mit Juckreiz am höchsten [14]. Allerdings weisen diese Patienten keine Histamin-verursachten Hautveränderungen wie Rötung, Schwellung oder Urtikaria auf und Antihistaminika haben meist keinen positiven Effekt auf den Juckreiz bei Lebererkrankungen. Somit erscheint es unwahrscheinlich, dass Histamin einen kausalen Faktor in der Pathogenese des cholestatischen Juckreizes darstellt.

Kürzlich konnten wir Lysophosphatidsäure (LPA) als möglichen Juckreizauslöser im Blut juckender cholestatischer Patienten identifizieren [12]. Im Blut juckender Patienten fanden sich erhöhte Spiegel an LPA. In die Haut gespritztes LPA löste ein dosisabhängiges Kratzverhalten bei Mäusen aus. Das LPA-bildende Enzym Autotaxin war deutlich erhöht in Patienten mit Juckreiz im Vergleich zu solchen ohne Juckreiz. Im Gegensatz zu allen bisher als mögliche Juckreiz-auslösenden vermuteten Substanzen korrelierte die Autotaxin-Aktivität deutlich mit der Juckreizintensität. Diese Daten belegen, dass Autotaxin und seinem Produkt Lysophosphatidsäure eine Schlüsselrolle in der Entstehung des cholestatischen Pruritus zukommt.

Therapie

Die Behandlungsmöglichkeiten des Juckreizes bei Leber- und Galleerkrankungen sind auf wenige medikamentöse und interventionelle Therapien beschränkt. Tabelle 2 fasst die aktuellen Therapieempfehlungen der Europäischen Gesellschaft zum Studium der Leber(EASL)-Richtlinien zur Behandlung des Juckens bei cholestatischen Patienten zusammen [2]. Diese Empfehlungen sind auch in die deutsche AWMF-Leitlinie zur Behandlung von chronischem Juckreiz eingegangen (www.awmf.org).

Unabhängig davon wird empfohlen, die juckende Haut regelmäßig, vor allem nach dem Duschen, mit rückfettenden Cremes einzureiben. Eine nicht zu eng anliegende Kleidung aus Baumwolle wird von den Patienten meist am besten vertragen. Daneben wirkt sich das Kühlen der Haut ebenfalls meist positiv auf den Juckreiz aus. Hierzu kann am besten auf Cremes zurückgegriffen werden, die Menthol enthalten. Der Kontakt der Haut mit Kühlakkus oder Eiswürfel sollte vermieden werden.

UDCA

Ursodeoxycholsäure (UDCA) stellt die Basistherapie vieler cholestatischer Erkrankungen dar wie etwa bei PBC, PSC, Schwangerschaftscholestase, zystischer Leberfibrose und pädiatrischen Cholestase-Syndromen. Obwohl UDCA als effektive Substanz zur Behandlung von Juckreiz bei Kindern mit cholestatischen Erkrankungen beschrieben wurde, konnte der Juckreiz bei Erwachsenen in großen randomisierten, Placebo-kontrollierten Studien in PBC- und PSC-Patienten nicht überzeugend verringert werden. Lediglich bei Frauen mit Schwangerschaftscholestase verbessert UDCA den Juckreiz deutlich und normalisiert Transaminasen, Frühgeburtlichkeit sowie das Gewicht der Neugeborenen.

Colestyramin

Das Austauscherharz Colestyramin stellt die erste Wahl bei der Behandlung cholestatischen Juckreizes dar. In mehreren kleinen Studien verbesserte Colestyramin den Juckreiz innerhalb von zwei Wochen [15]. Dieses nicht-resorbierbare Harz sollte jeweils als 4g-Dosis vor und nach dem Frühstück eingenommen werden und kann bis zu maximal vier Mal täglich eingenommen werden. Allerdings muss die Einnahme von Colestyramin mit einem zeitlichen Abstand von mindestens vier Stunden zu anderen Medikamenten erfolgen, da es deren Resorption hemmen kann. Zu den Nebenwirkungen können Unwohlsein, Blähungen und Durchfälle gehören.

Rifampicin

Rifampicin stellt die zweite Wahl in der Juckreizbehandlung dar. Mehrere randomisierte, Placebo-kontrollierte Studien haben gezeigt, dass Rifampicin in Dosierungen zwischen 300–600 mg/Tag den Juckreiz deutlich verbessert [15]. Als Nebenwirkung kann eine Leberschädigung nach mehreren Wochen bis Monaten in bis zu 12% der Patienten auftreten. Daher sollten die Serumtransaminasen (ALAT und ASAT) unter einer Rifampicin-Therapie regelmäßig kontrolliert werden.

Naltrexon

Sollte Rifampicin ineffektiv sein oder nicht vertragen werden, stellt der μ-Opioid-Antagonist Naltrexon die dritte Wahl dar. Mehrere klinische Studien zeigten einen moderaten positiven Effekt von Naltrexon auf die Juckreizintensität in Dosierungen zwischen 25–50 mg/d. Dieses Medikament wird in der Langzeitbehandlung meist gut vertragen [15]. Da zu Therapiebeginn bei manchen Patienten schwerwiegende opioidentzugsähnliche Symptome auftreten können, kann eine Naltrexonbehandlung mit niedrigen Dosierungen von 12,5 mg/d begonnen werden. Um einen Gewöhnungseffekt mit einhergehendem Wiederauftreten des Pruritus zu verhindern, empfiehlt es sich, die Behandlung an zwei Wochentagen zu unterbrechen.

Sertralin

Sertralin ist ein selektiver Serotonin-Wiederaufnahme-Hemmer und wird häufig als gut verträgliches Antidepressivum eingesetzt. In cholestatischen Patienten verbesserte Sertralin moderat die Juckreizintensität und wird daher als vierte Wahl angesehen [16].

Experimentelle Therapien

Sollten alle bisher genannten Medikamente keinen positiven Effekt auf den Juckreiz zeigen, können experimentelle Behandlungen erwogen werden. Zu diesen Therapien gehören die UV-Bestrahlung der Haut, verschiedene Medikamente und invasive Verfahren wie Plasmapharese, Molecular Adsorbent Recirculating System (MARS)-Therapie, Plasmaseparierung/Anionenabsorption sowie transkutane und nasobiliäre Drainage, die in kleinen Fallstudien bei schwerstem, anderweitig nicht-beherrschbarem Pruritus erfolgreich eingesetzt wurden [1]. Diese experimentellen Therapien sollten allerdings nur an spezialisierten Zentren bei anderweitig unbeherrschbarem Juckreiz eingesetzt werden.

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Lebertransplantation

Nach einer Lebertransplantation kommt es in den meisten Fällen zu einem raschen und dauerhaften Verschwinden des Juckreizes. Daher stellt in sehr seltenen Fällen ein anderweitig nicht beherrschbarer Juckreiz eine primäre Indikation zur Lebertransplantation dar. Dennoch kann auch nach erfolgreicher Lebertransplantation erneut Juckreiz auftreten. In manchen Patienten mit PBC oder PSC tritt nach der Transplantation eine milde Form derselben Erkrankung im neuen Organ auf, die zu, meist nur leichtem, Juckreiz führen kann. In seltenen Fällen kann Juckreiz nach einer Lebertransplantation auch durch die immunsupprimierenden Medikamente verursacht werden.

Zusammenfassung

Juckreiz ist ein Symptom zahlreicher Leber- und Gallenwegserkrankungen, welches zum Teil sehr schwerwiegend und quälend für den Patienten sein kann. Charakteristika des cholestatischen Juckreizes sind die Zunahme in den frühen Abendstunden sowie die Lokalisation an den Handinnenflächen und Fußsohlen. Die empfohlene medikamentöse Therapie dieser Form des Juckreizes setzt sich aus Colestyramin, Rifampicin, Naltrexon und Sertralin zusammen. Sollten diese Medikamente wirkungslos sein, können experimentelle Verfahren zum Einsatz kommen. Die Ursachen dieser Form des Juckreizes sind noch nicht vollständig geklärt, aber Lysophosphatidsäure und Autotaxin scheint eine Schlüsselrolle in der Entstehung des cholestatischen Juckreizes zuzukommen, weshalb diese Substanzen zukünftige Therapieziele darstellen könnten.

Dr. Andreas Kremer
Prof. Dr. Sonja Ständer
Medizinische Klinik 1
Gastroenterologie, Hepatologie, Pneumologie und Endokrinologie
Friedrich-Alexander-Universität Erlangen


Weitere Informationen erhalten Sie unter www.pruritus-forschung.de

Referenzen

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[2] EASL Clinical Practice Guidelines: Management of cholestatic liver diseases, J Hepatol, 51 (2009) 237-267.

[3] A.E. Kremer, R.P. Oude Elferink, U. Beuers, Pathophysiology and current management of pruritus in liver disease, Clin Res Hepatol Gastroenterol, 35 (2011) 89-97.

[4] E. Elias, Liver transplantation, J R Coll Physicians Lond, 27 (1993) 224-232.

[5] N.V. Bergasa, J.K. Mehlman, E.A. Jones, Pruritus and fatigue in primary biliary cirrhosis, Baillieres Best Pract Res Clin Gastroenterol, 14 (2000) 643-655.

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[16] M.J. Mayo, I. Handem, S. Saldana, H. Jacobe, Y. Getachew, A.J. Rush, Sertraline as a first-line treatment for cholestatic pruritus, Hepatology, 45 (2007) 666-674.

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Mein Ausweis meine Entscheidung

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Warum juckt mein ganzer Körper auf einmal?

Mögliche Ursachen sind Entzündungen, Medikamente, Allergien, Erkrankungen von Leber, Galle oder Nieren, Diabetes, Tumore, ein Bandscheibenvorfall, Parasiten und neurologische Erkrankungen. In vielen Fällen wird der Grund für den chronischen Juckreiz nicht oder erst sehr spät erkannt.

Welche Organ kann Juckreiz auslösen?

Innere Organe Manchmal liegt die Ursache für das Jucken aber nicht auf der Haut, sondern im Inneren des Körpers. Unter Verdacht stehen hier zum Beispiel Galle, Niere oder Leber. Gestörter Gallenabfluss oder Leberschäden (Leberzirrhose) können den Gallenfarbstoff Bilirubin ansteigen lassen.

Was kann man tun wenn der ganze Körper juckt?

Was tun gegen Juckreiz – Tipp 1: Juckende Haut kühlen.
kühlende Lotionen, Cremes oder Salben..
kühlende, feuchte Umschläge – etwa mit kaltem Schwarztee..
kurze kalte Duschen..
luftige und atmungsaktive Kleidung und Bettwäsche..
niedrig temperierte Wohnräume..

Was fehlt dem Körper wenn die Haut juckt?

Juckende, trockene Haut kann viele Ursachen haben. Durch einen Mangel an Hautfetten und natürlichen Feuchthaltefaktoren wie Urea sowie eine verminderte Talgproduktion gerät die sensible Hautbarriere aus dem Gleichgewicht und kann ihre Schutzfunktion nicht mehr ausführen.