Wem die stunde schlägt bedeutung

Den Soundtrack dieser letzten Tage des Jahres produziert für mich das Martinshorn der Notarzt-, Rettungs- und Krankenwagen, das mich mittlerweile auf jedem Mittagsspaziergang zu begleiten scheint. Der Heulton mag wohl für manche, deren Notlage er gilt, das Vorspiel zum Rhythmus des Beatmungsgeräts oder gar zur Totenglocke bedeuten und so wandern meine Gedanken zum Satz „Wem die Stunde schlägt“. Dieser erinnert mich (als Nebenfach-Anglist) weniger an den Titel des Romans von Ernest Hemingway über den spanischen Bürgerkrieg, den darauf basierenden Kinofilm oder den gleichnamigen Metallica Song, sondern vordringlich an ein Werk des englischen Dichters John Donne (1572-1631).

Nachdem er sich über die erhebende Wirkung des Glockenklangs zu verschiedenen Anlässen ausgelassen hat, fokussiert Donne sich auf das Totenläuten. In dem meistzitierten Abschnitt seiner Meditation XVII formuliert er zum einen, niemand sei eine Insel, wir Menschen seien wie ein Kontinent miteinander verbunden, und so sei, wenn auch nur eine Scholle vom Meer hinweggeschwemmt werde, etwas von Europa weggenommen. Das ist ein Bild, das durchaus fruchtbare Überlegungen zum unmittelbar bevorstehenden Brexit anregt, doch ich will hier den Fortgang der Passage in den Blick nehmen: „any man’s death diminishes me, because I am involved in mankind, and therefore never send to know for whom the bell tolls; it tolls for thee.” – “Der Tod eines jeden Menschen nimmt mir etwas, weil ich in die Menschheit eingebunden bin. Schick‘ daher niemals nachzufragen, für wen die Glocke schlägt; sie schlägt für dich.“ Wenn ein Mensch stirbt, bricht für uns alle ein Stück aus unserer Gemeinschaft heraus. Zugleich hat es etwas Tröstliches, dass es nicht nur Einzelnen so ergeht und wir mit dieser Aufgabe nicht allein stehen. Mit der Teilnahme am Trauerzug bringen wir unsere empfundene Solidarität zum Ausdruck.

Sich selbst als potenziell immer verwundbaren und anfälligen Teil der Menschheit reflektierend drängt sich Donne der Gedanke auf, dass er es leicht hätte selbst sein können, dessen Beerdigung vom Geläut begleitet wird. So gibt das Martinshorn mir Anlass, über die eigene Sterblichkeit nachzudenken, darüber, ob ich für einen mehr oder weniger frühen Tod bereit wäre und wie ich mein Leben an diesem Punkt als abgeschlossene Geschichte erzählen könnte, falls jede Fortsetzung ersatzlos gestrichen wird. Eigentlich sollte ich gut vorbereitet sein, denn „Philosophieren heißt Sterbenlernen“. Wenn Montaigne in seinen Essais an diesen Spruch Ciceros erinnert, empfiehlt er, den Tod als natürliches Ende des Daseins hinzunehmen und weniger Aufhebens um ihn zu machen. Das ist eine reife Haltung, zu der man vielleicht insbesondere am Ende eines langen erfüllten Lebens gelangen kann.

Wenn es um den Besuch betagter Verwandter über die Weihnachtstage angesichts hoher Coronavirus-Inzidenzwerte geht, plädiert in diesem Geiste die Chefredakteurin der Zeitschrift „Philosophie Magazin“, Svenja Flaßpöhler in Talkshows dafür, die Älteren nicht voreilig zu entmündigen, sondern in den Familien gemeinsam mit ihnen eine freie und bewusste Entscheidung zu treffen. Dazu gehört allerdings auch das volle Bewusstsein über das Risiko einer Ansteckung mit potenziell fatalen Folgen, das nur ausschließen kann, wer sich länger als eine Woche mit keinem anderen Menschen getroffen hat. Andernfalls bedeutet diese Wahl insbesondere für Angehörige von Risikogruppen im ungünstigen Fall einen schweren Verlauf und ein Sterben in Einsamkeit.

Um sich nicht bei solchem Ausgang für unbedachtes und naives Verhalten abgrundtief zu schämen, wie man es leider von Betroffenen hört, ist die dringende Prüfung anzuraten, ob man gegebenenfalls die kausale Schuld, die man mit seiner Besuchsentscheidung auf sich geladen hat, vor sich selbst und allen anderen im familiären Umfeld verantworten kann. Wäre es eine Lösung, sich von den Vulnerablen im Voraus Absolution erteilen zu lassen: Das ist es mir in wirklich jedem Fall wert? Oder müsste man ihnen selbst dann misstrauen, weil sie dazu neigen, solche Floskeln leichtfertig dahinzusagen und damit die Hinterbliebenen womöglich doch in hilflos verzweifeltem Bedauern zurückließen? Ein Weihnachtsfest, bei dem man befürchtet, dass es aus Altersgründen möglicherweise das letzte gemeinsame sein könnte und das deshalb als kostbar und unaufschiebbar gewertet wird, verwandelte sich in eine ewig schuldbeladene Erinnerung für die, die sich eingestehen müssten, Auslöser dafür gewesen zu sein, dass es das letzte war.

Der Schuß fiel morgens früh um halb acht. Ehefrau Mary, die vierte, fand ihren Mann in der Diele, er trug seinen bunten Pyjama und einen Hausmantel. Die doppelläufige Schrotflinte lag neben ihm; der Schuß hatte den Kopf getroffen.

Mary Hemingway telephonierte mit dem Arzt, und der Arzt bestätigte, was sie wußte: Ernest Hemingway hatte sich erschossen. Der Polizist des Ortes, ein Mann namens Les Jankow, wurde zugezogen und urteilte lakonisch: »Es könnte ein Unglücksfall gewesen sein.« Eine Untersuchung wird nicht stattfinden.

Hemingways Leben hatte ein Ende gefunden, wie ein Roman von Hemingway hätte enden können. Die Biographen des amerikanischen Nobelpreisträgers wissen, daß auch Hemingways Vater, ein Arzt aus der Umgebung von Chicago, so ums Leben gekommen war, beim Reinigen seiner Waffe - als unheilbar kranker Mann. Hemingways Leser reimen sich zusammen, was am Sonntagmorgen des 2. Juli in Ketchum, dicht bei dem Ferienort Sun Valley im Staate Idaho, vor sich gegangen war, in der luxuriösen Villa, die Hemingway mit seiner Frau und einem Troß von Personal bewohnte.

Vom 30. November 1960 bis zum 23. Januar dieses Jahres hatte Hemingway wegen der Folgen einer Leberentzündung die Mayo-Klinik aufgesucht, die wohl größte und gründlichste Diagnose-Fabrik der Welt (SPIEGEL 2/1961), vor deren mechanisierten und perfektionierten Untersuchungs-Techniken so leicht keine heimliche Krankkeit verborgen bleibt.

Was immer als Resultat dieser gründlichen Leibes-Visitation, der Öffentlichkeit durch ärztliche Schweigepflicht für Jahre entzogen, dem Patienten Hemingway bekanntgemacht worden war - ein Vierteljahr später fuhr Hemingway wieder hin und blieb dort noch einmal zwei Monate, vom 25. April bis zum 26. Juni. Diesmal gab es sogar ein Kommuniqué. Der Schriftsteller, hieß es, sei gegen Hypertonie behandelt worden: gegen erhöhten Blutdruck.

Am Montag, dem 26. Juni, verließ Hemingway die Mayo-Klinik in Minnesota; am Freitag, dem 30. Juni, kam er mit seiner Frau zu Hause im Staate Idaho an. Am Mittag des 2. Juli hatte sich Ehefrau Mary Hemingway soweit in der Gewalt, daß sie bekanntmachen konnte: »Mr. Hemingway erschoß sich heute morgen um 7 Uhr 30 durch einen Unglücksfall beim Reinigen eines Gewehrs. »Der Ortspolizist Jankow, gelegentlicher Trinkpartner des Schriftstellers, stand ritterlich zur Hausfrau: »Ich möchte nichts dazu sagen, was Mrs. Hemingway später leid tun könnte, daß ich es gesagt habe.«

Es wäre auch überflüssig. Ernest Hemingways Ende in dieser Welt, knappe drei Wochen vor seinem 62. Geburtstag, vollendet das Bild, das Hemingway wenn schon nicht von sich gehabt hat, so doch mindestens dieser Welt hat von sich geben wollen: Der letzte Preis ist entrichtet. William Faulkner, auch er Träger des Literatur-Nobelpreises, sagte nach Hemingways Tod über seinen Kollegen: »Den wenigen, die ihn gut kannten, war er als Mann fast so viel wert wie die Bücher, die er geschrieben hat.«

Es sind Bücher über Soldaten, Fischer und Jäger, über Liebe, Mädchen und Alkohol, über Stierkämpfer, Angler und Rebellen, und so - beschäftigt mit dem, womit sich die Helden seiner Romane und Erzählungen beschäftigen - ist Hemingway auf zahllosen Photos einer Öffentlichkeit bekannt geworden, die zweifellos größer ist als die Zahl seiner Leser.

Wie ein Mann sein sollte - aufrichtig, trinkfest, zielsicher und potent -, und wie ein Mann nicht sein sollte, hat Hemingway immer und immer wieder beschrieben, und eine Leserschaft in Ost und West, deren Umfang nur sehr wenig Schriftsteller dieser Zeit erreichen, hat mit einem fast gierigen Interesse diese Scherenschnittfiguren angesehen, die nichts im Halbschatten des Zweifels ließen.

Der Stil blieb hinter der Eindeutigkeit der Bilder nicht zurück. Hemingways Sätze waren kurz, voller Wiederholungen und fast ohne Nebensätze, leicht zu lesen und - wie die Personen, von denen die Rede war - verführerisch nicht nur für Leser, sondern erst recht für Schriftsteller; nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs schrieben in Deutschland die jungen Autoren dutzendweise wie Hemingway und um ebensoviel schlechter, wie gemeinhin die Nachahmung hinter dem Original zurückbleibt.

»Schreib nur über das, was du kennst«, empfahl Hemingway, »und schreib ehrlich. Bücher sollten von den Leuten handeln, die du kennst, die du liebst oder haßt, nicht von Leuten, die du erst studierst.« Entsprechend ist in Hemingways Büchern viel von Schriftstellern und von Jägern die Rede, von Bargesprächen und, wenn es sein muß, über Seiten hinweg von den Verrichtungen beim Auslegen einer Angel; es wird viel vom Sport gesprochen und, wo von etwas anderem, oft mit Sportler-Vokabular - erst recht, wenn es sich um literarische Angelegenheiten handelt.

»Mr. Flaubert warf immer vollkommen grade, harte, hohe Inside-Bälle«, sagte Hemingway vor Jahren und meinte mit dieser Baseball-Charakteristik den französischen »Madame Bovary«-Romancier Gustave Flaubert (1821 bis 1880), der in seinem Buch »Bouvard et Pécuchet« den Durchschnittsmenschen weltliteraturfähig gemacht hat. Entsprechend sah Hemingway seine eigene literarische Entwicklung wie einen Boxkampf an: »Ich fing ganz leise an und schlug Mr. Turgenjew. Dann ging ich hart ins Training und schlug Mr. de Maupassant. Mit Mr. Stendhal hatte ich zwei Unentschieden. Aber keiner kriegt mich je in den Ring mit Mr. Tolstoi, falls ich nicht närrisch werde oder mich noch sehr verbessere.« Seinen Landsmann William Faulkner hat er stets als den größeren anerkannt - was sich bei Hemingway so äußert: »Ich wäre glücklich gewesen, nichts weiter als sein Trainer zu sein.«

Hemingway: »Ich gewann den (Weltmeister-) Titel in den Zwanzigern und verteidigte ihn in den Dreißigern und Vierzigern, habe mich nie in der Genieklasse aufstellen lassen, aber ich will schon gern gegen alle die guten jungen Neuen antreten.«

Diese Art Rauhbautzigkeit ist naturgemäß bei einem sprach- und nuancenempfindlichen Schriftsteller weder ein Ausfluß von Naivität noch die Äußerung von Primitivität. Bevor Hemingway zum »Mr. Papa« zunächst der Kubaner - er bewohnte jahrzehntelang ein Luxushaus südlich von Havanna - und dann der gesamten westlichen Literaturjugend wurde, war er - mit F. Scott Fitzgerald und John Dos Passos - einer der prominentesten Vertreter der sogenannten »Verlorenen Generation«; sogar die Bezeichnung für diese bisher mächtigste Gruppe amerikanischer Autoren stammt aus einem Buch Hemingways, aus einem Satz von Gertrude Stein, den Hemingway seinem Roman »Fiesta« vorangestellt hatte.

Diese »Verlorene Generation« aber, junge Amerikaner, von der heimatlichen Prohibition nach Europa getrieben, von der hohen Kaufkraft des Dollars in Europa nach Europa gelockt, sah nach den Katastrophen des Ersten Weltkriegs Berechtigung und Zukunft der Kunst nicht unbedingt in einer Fortentwicklung subtiler Formen.

Hemingways Bücher und Erzählungen siedeln überall dort, wo Gelegenheit dafür ist, daß ein Mann sich als Mann bewährt, und dazu gehören nach Hemingways Meinung der Krieg und die Jagd. So meditiert der Schriftsteller in dem Roman »Die grünen Hügel Afrikas«, »was doch das Erlebnis eines Krieges für ein großer Vorteil für einen Schriftsteller ist«; der Krieg ist »eines der größten Themen und bestimmt eines der schwierigsten«, eine Revolution ist - für den Schriftsteller - »bei weitem das beste, gerade wie der Bürgerkrieg für einen Schriftsteller der beste, weil, der absoluteste Krieg ist«.

Den Gelegenheiten, wo sich Vorteile für den Schriftsteller bieten, ist Hemingway sein Leben lang entschlossen nachgereist, dem Ersten und dem Zweiten Weltkrieg, dem Griechisch-Türkischen Konflikt (1922) und dem Spanischen Bürgerkrieg, der Sportfischerei, den Stierkämpfen und der Großwildjagd im Busch. Mit dem Fischfang-Mythos »Der alte Mann und das Meer« (1952) eroberte sich Hemingway 1954 den Nobelpreis, mit einem von ihm gefangenen und nach ihm benannten Fisch hat er sich in die Geschichte der Zoologie eingetragen.

Ein gut Teil der Bilder, die von ihm bekannt sind, zeigt ihn in lädiertem Zustand, verbunden oder in Gips, aber fröhlich der Genesung entgegenwartend. Daß er viele Splitter im Bein behalten hatte - vom italienischen Kriegsschauplatz des Ersten Weltkriegs -, eine Kniescheibe aus Aluminium, nach anderer Lesart aus Silber, daß er Knochenbrüche, Jagdunfälle, Autozusammenstöße und Flugzeugabstürze überstanden und daß er insgesamt viermal geheiratet hat, ist jeweils einer Weltöffentlichkeit bekanntgemacht worden. Hemingway hat den Preis dafür, seinen Idealvorstellungen von sich selbst zu entsprechen, stets ehrlich bezahlt.

1954 stürzte Hemingway im Dschungel von Uganda mit einem Flugzeug ab, und am nächsten Tag ein zweites Mal; die Maschine, die ihn holen sollte, ging gleich nach dem Start zu Bruch. Von den Nachrichtendiensten wurde er als verschollen gemeldet; immerhin waren seine Verletzungen so erheblich, daß er den Nobelpreis, der ihm im selben Jahr für seine »kraftvolle, stilbildende Meisterschaft« verliehen wurde, nicht persönlich entgegennehmen konnte.

»Allerhand Leute haben mich gefragt, ... was man empfindet, wenn man seine eigenen Nekrologe liest«, - berichtete Hemingway später über seinen Unfall und schilderte dann den Hergang und seine Empfindungen in einem Ton, der sich fast angestrengt jegliche Sentimentalität verbietet: »An sich enthält ein Flugzeug sehr wenig entzündliches Material, aber wenn das Benzin aus dem Tank läuft, dann strömt es über den Rumpf des Flugzeugs und brennt nach der Richtung hin, in der der Wind bläst. Als es soweit war und der Flugzeugabsturz sozusagen reif für die Farbaufnahme war, erinnerte ich mich der alten Regel, daß man in einem zweimotorigen Flugzeug auf dem selben Weg hinausgeht, auf dem man hereingekommen ist. Ich ging daher zu der Tür, durch die wir hereingekommen waren, und fand sie durch die Verbiegung des Materials, aus dem das Flugzeug gebaut war, zugeklemmt.«

Und: »Nachdem man mit einem Flugzeug abgestürzt und (beziehungsweise oder) dieses in Brand geraten ist, befindet man sich gewöhnlich in einem Zustand, der unbestimmt mit dem Wort ,Schock' umschrieben wird. Nach einer Bruchlandung, bei der das Flugzeug verhältnismäßig sanft aufgesetzt hat, ist der Schock nicht sehr stark, aber ein leichter ist meines Erachtens immer damit verbunden. Wenn man jedoch durch die Ausübung eines von mehr oder weniger mit Stürzen verbundenen Sports daran gewöhnt ist, so kennt man die betreffenden Empfindungen und kann sie genau unterscheiden.«

Der absichtsvoll unsentimentale, bis zur Trockenheit versachlichte Ton dieses Erlebnisberichts unterscheidet sich nicht wesentlich von Hemingways Prosa, die immer ein Äußerstes an Sachlichkeit erreichen möchte, auch da, wo sie Empfindungen oder Gefühle beschreibt »Ich bin und bleibe Berichtender«, erklärte Hemingway einem Interviewer, »und habe nie geleugnet, ein Reporter, ein Journalist zu sein.« Ein andermal sagte Hemingway, sein Ziel sei eine Prosa gewesen, »die noch niemals geschrieben worden ist - ohne Tricks und ohne Schwindel«. Das Gemälde »Kreuzigung Christi« von Tintoretto lobte er deswegen, weil er von diesem Bilde hauptsächlich gelernt habe, »wie so eine Kreuzigung vor sich geht«.

Es ist kaum Zweifel, daß Hemingway unter Trick und Schwindel eine Prosa verstand, die - nach alter Kunsttradition durchaus legitim - einen für sich vielleicht belanglosen Gegenstand oder Vorfall durch die Form, in der er dargestellt wird, zum Kunstwerk machen möchte oder macht. Wo aber ein Schriftsteller nach Hemingways Ideal, mit bis zur Simplizität skelettierten Sätzen, nur noch darstellen möchte, was ist und was geschieht, bleibt er freilich auf Schauplätze angewiesen, auf denen Interessantes passiert oder doch wenigstens das, was er für interessant hält.

Darüber nun, was interessant ist und was nicht, hat es zwischen Hemingway und seinen Lesern oft Differenzen gegeben. Einige amerikanische Kritiker haben Hemingways Büchern und deren Helden den Vorwurf gemacht, sie seien primitiv, und diese Einwände blieben nicht auf Amerika beschränkt. Ohne einen Namen anzugeben, aber unmißverständlich und gezielt, äußerte der Urwaldarzt Albert Schweitzer in der amerikanischen Literaturzeitschrift »Saturday Review": »Ich kann mir nicht versagen, zwei der unmenschlichsten Bräuche zu nennen, die unsere Zivilisation und unser Empfinden nicht dulden sollten: den spanischen Stierkampf und die Hetzjagd.«

Und Friedrich Sieburg, der dem außerordentlichen Schriftsteller-Talent Hemingways die Reverenz niemals versagt hat, schrieb über »Die grünen Hügel Afrikas«, über ein Buch, in dem Hemingway mit aller Akribie und aller Ausführlichkeit eben eine solche Hetzjagd auf Kudus beschreibt, die Lektüre entlocke dem Leser mehrmals den Seufzer: »Herrgott, nun schieß doch endlich deine Antilope.«

Sieburg: »Aber manchmal war es tatsächlich schwer, nicht aus der Haut zu fahren, wenn der Welt, deren moralischer Mut mit hörbarer Geschwindigkeit zum Teufel ging, zugemutet wurde, die Bewährung des Mannes im Einstecken von Linkshaken oder in seiner Haltung gegenüber einem Kampfstier oder gar im Leeren einer Flasche Schnaps zu erblicken. Leistungen dieser Art haben heute kein Prestige mehr, daher unser Mißtrauen gegen Bestimmungsmensuren, Bierkomment und, in einem tieferen Sinne, auch gegen militärische Tugenden.«

Andere Schriftsteller haben wiederum die unverkennbare Simplizität der Hemingway-Bücher verteidigt. Der »Treibhaus«-Autor Wolfgang Koeppen stand nicht an, Hemingway mit Homer zu vergleichen, und der empfindliche und streitbare Engländer Evelyn Waugh ("Eine Handvoll Staub") polemisierte: »Hinter seinem (Hemingways) prahlerischen Poltern, seinem Fluchen, seinen Faustkämpfer-Allüren hat er einen elementaren Sinn für Ritterlichkeit, Achtung vor der Frau, Mitleid mit dem Schwachen, ein Gefühl für Ehre; und das bricht immer und überall durch.«

Wieder andere Schriftsteller machen Hemingway auf indirektere Weise ein Kompliment - indem sie seinen Stil auf sich färben lassen. Siegfried Lenz, Verfasser ganz unamerikanisch-masurischer Geschichten ("So zärtlich war Suleyken"), schilderte seinen Lesern bei Gelegenheit Hemingways Lebenslauf und begann so:

»Alles Leben ist ein Sturz ins Handeln und wenn man das verdammt begriffen hat, dann verhält man sich auch so, und als Ernie drei Jahre alt ist, bettelt er sich von seinem Alten, dem großen bärtigen Doktor Hemingway, eine Angelrute, und als er zehn Jahre ist, eine Flinte, und er geht raus in die Wälder und lernt verflucht gut zielen, weil der Alte ihm nur so wenig Patronen mitgibt. Das ist oben in Illinois, wo ,Papa' noch Ernie genannt wird und in einem Vorort von Chicago am 21. Juli 1899 geboren wird.«

Wirklich hatte die Ausrüstung Hemingways mit den typischen Requisiten seiner Lebenslegende, mit Angelrute und Jagdflinte, schon derart früh begonnen. Vater Clarence Edmonds Hemingway, Arzt von Beruf und Fischer-Jäger aus Neigung, nahm seinen Sohn nicht nur auf Krankenvisiten, sondern auch auf lange, romantische Streifzüge zu den Wäldern und Wassern von Nord-Michigan mit.

Vater Hemingway wünschte, daß Ernest Miller - den zweiten Vornamen, Miller, legte der Sohn ab, sobald er berühmt geworden war - zweites von sechs Kindern, Ältester von zwei Söhnen, gleich ihm Arzt würde. Mutter Hemingway, Solistin im Kirchenchor, hätte ihn gern als Cellisten gesehen. Aber Ernest zeigte wenig Neigung zur Musik. Hemingway 1958 in einem Interview: »Das Cello - niemand auf der Welt spielte es schlechter als ich.« Während jener hausmusikalischen Pflichtübungen seien ihm hingegen zum erstenmal Schriftsteller-Gedanken gekommen.

Als er fünfzehn Jahre alt war, schrieb er Beiträge für die Klatschspalte der Schulzeitung, mit achtzehn lief er als Gelegenheitsreporter der Lokalzeitung durch die Spitäler, Polizeistationen und Gefängnisse von Kansas City. Schon zu dieser Zeit hatten die Früherfahrungen, die Hemingway mit der herben Poesie der betont maskulinen Sportarten seines Vaters wie auch mit den schmerzvollen und blutigen Umständen des väterlichen Metiers machen konnte, sein Lebensgefühl nachhaltig beeinflußt.

Hemingways sportliche Neigungen dehnten sich über Jagd und Fischfang später noch auf Boxen und Stierkampf aus. Eine Augenverletzung, die er sich während der Schulzeit beim Boxen zugezogen hatte, machte ihn zwar für den Dienst in der amerikanischen Armee untauglich, aber er fand doch noch eine Gelegenheit, in die Nähe der Schauplätze des Ersten Weltkriegs zu gelangen: Als Freiwilliger kam er 1918 mit einer Rotkreuz-Ambulanz an die italienisch-österreichische Front.

Mit der Geste draufgängerischer Männlichkeit, die er sein Leben lang beibehalten sollte, schrieb er damals auf einer Postkarte nach Hause: »Having a wonderful time.« Aber noch 1918 wurde er bei Fossalta di Piave schwer verwundet: Aus einem Bein mußten 237 Splitter entfernt werden. Er bekam zwei italienische Orden und eine Rente auf Lebenszeit.

»Die meiste Zeit verbrachte ich in Lazaretten«, sagte er später abschätzig, wenn er auf diese Zeit angesprochen wurde. Mehr Kriegskenntnisse habe er erst später erworben, als er für zwei Toronto-Blätter über den griechisch-türkischen Konflikt berichtete.

Seiner Kriegsberichter-Tätigkeit für die kanadische Zeitung war ein kurzes Redaktions-Intermezzo bei einer Genossenschaftszeitung in Chicago vorausgegangen. Dort hatte er seine erste Frau gefunden: Hadley Richardson, eine Jugendfreundin. Er heiratete sie 1921 und zog mit ihr nach Paris auf den Montparnasse - als einer jener weltkriegsverkaterten, zivilisationsmüden, amerika-überdrüssigen Amerikaner, die Hemingways Schriftsteller-Freund F. Scott Fitzgerald »traurige junge Männer« und die Hemingways literarische Ziehmutter Gertrude Stein »Verlorene Generation« nannte.

Die legendäre Zeit der »Lost Generation« begann für Hemingway mit einem tatsächlich schmerzlichen Verlust: Seine Frau verlor einen Koffer, der Hemingways gesamtes Frühwerk enthielt, Fragment-Manuskripte eines Romans, mehrere Kurzgeschichten und Gedichte. Hemingway mußte von vorn beginnen.

1923 erschienen in Paris seine ersten Kurzgeschichten in spärlicher Avantgardisten-Auflage, die der Autor zum Teil selbst auf der Straße vertrieb. Die hilfreichen, aber strengen Mentoren seiner literarischen Anfänge waren Ezra Pound, dem Hemingway das Boxen beibrachte und der sich revanchierte, indem er Hemingway unnachsichtig die Adjektive aus den Texten hinausstrich und Gertrude Stein, die ihn - nach seiner eigenen Definition - über die »abstrakte Beziehung der Worte« belehrte. Außerdem verhätschelte sie seinen ersten Sohn John Hadley. Gertrude Stein ("Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose ist eine Rose") war es gewesen, die den jungen Hemingway überredet hatte, den Journalismus aufzugeben und sich als freier Schriftsteller zu etablieren. Hemingway später: »Zeitungsarbeit schadet keinem jungen Schriftsteller etwas und kann ihm nützlich sein, wenn er sie rechtzeitig aufgibt.«

Später, als Hemingway dem Avantgardismus und den esoterischen Zirkeln seiner Anfänge entwachsen und in populäre Bestseller-Bereiche vorgestoßen war, urteilte Gertrude Stein weniger freundlich über ihn: »Er sieht aus wie ein Moderner, aber er riecht nach Museum.« Hemingway rächte sich dafür 1958 gegenüber einem Interviewer: »Miss Stein hat ziemlich ausführlich und mit beträchtlicher Ungenauigkeit über ihren Einfluß auf meine Arbeit geschrieben. Sie hatte das nötig, nachdem sie aus einem Buch namens ,Fiesta' die Kunst erlernt hatte, Dialoge zu schreiben.«

Der Roman »Fiesta«, dem Gertrude Steins Wort von der Verlorenen Generation als Motto voransteht - daß es von ihr stammt, hat sie später bestritten - und in dem die traurigen jungen Männer, einschließlich des durch eine Kriegsverletzung liebesuntauglich geschossenen Helden, im Grunde doch recht vergnüglich durch Pamplona und Paris, durch Bars und Betten, Stierkampf-Arenen und Zeitungsredaktionen ziehen, hat seinen Verfasser Hemingway 1926 berühmt gemacht. Im nächsten Jahr wurde er von seiner ersten Frau geschieden und kehrte nach Amerika zurück.

»Fiesta« erschien auf dem Kontinent zuerst in Deutschland im Jahre 1928 bei Ernst Rowohlt, der später fast alle Bücher Hemingways in Deutschland verlegt hat. Zwischen beiden Männern, einer wie der andere bullig gewachsen, lebenskräftig und trinkfreudig, entwickelte sich eine burschikose Freundschaft, die quer über die Fronten reichte: »Du hattest sicher die Hölle von einem Krieg«, schrieb Hemingway 1946 an Rowohlt, »und ich bin froh, daß Du nicht von uns in der Schnee-Eifel oder im Hürtgenwald umgelegt worden bist. Glaube bitte nicht, daß ich hier als der anmaßende Sieger spreche, denn ihr habt auch viele von unseren Jungens erledigt - weiß Gott, ich bin froh, daß wir beide uns nicht gegenseitig erledigt haben.«

In anderen, früheren Briefen an Rowohlt hatte Hemingway immer wieder auf derb scherzhafte Weise Geld verlangt, obwohl er längst ein glänzend verdienender Mann geworden war: Sein nächster Roman, »In einem anderen Land«, in dem Hemingways italienische Fronterlebnisse aus dem Ersten Weltkrieg verarbeitet sind, trug ihm 1929 Weltruhm ein. Thomas Mann: »Eine der schönsten, weil verhaltensten modernen Liebesgeschichten ... ein wahrhaft männliches Buch, ein Meisterwerk!«

Zwei Jahre zuvor, 1927, hatte Hemingway seine zweite Frau geheiratet - sie war wie die vorige und wie die nächsten zwei von der Presse. Pauline Pfeiffer, von der er zwei Söhne bekam, Patrick und Gregory, hatte als Pariser Korrespondentin des amerikanischen Modejournals »Vogue« gearbeitet. Auf Pauline folgte 1940 die Journalistin und Schriftstellerin Martha Gellhorn, die Hemingway während des Spanischen Bürgerkriegs kennenlernte. Seiner vierten Frau, Mary Welsh, die er 1946 heiratete, war er 1944 im Londoner »Time«-Büro begegnet.

Die vergleichsweise friedlichen Jahre nach dem Ende des Ersten Weltkriegs und vor Ausbruch des Spanischen Bürgerkriegs verbrachte Hemingway auf der Suche nach dem abenteuerlichen Leben und widmete ihm, wo immer er es gefunden zu haben glaubte, sogleich ein Buch. Über den Stierkampf in Spanien verfaßte er ein regelrechtes Lehrbuch mit angehängtem Lexikon für Fachvokabeln, den »Tod am Nachmittag«; über die Großwildjagd in Afrika schrieb er den kaum noch romanhaft verkleideten autobiographischen Bericht »Die grünen Hügel Afrikas«; nach Kreuzfahrten ließ er den literarisch wenig belangvollen Roman »Haben und Nichthaben« drucken, der die harte und tödlich gefährdete Existenz eines Schmugglers beschreibt.

Bald darauf richtete sich Hemingway auf Kuba sein Luxushaus Finca Vigia, südlich von Havanna, ein, das er mit sechs Hunden, zeitweilig 38 Katzen und neunköpfigem Hauspersonal bewohnte; zum Haus gehören ein Tennisplatz und ein Swimming-pool.

Hemingways Präsenz war bald eine Attraktion für den Fremdenverkehr. Ständige Gäste Hemingways waren Stierkämpfer, Generäle, Boxer, Filmstars, aber auch entsprungene Sträflinge. »Was auch immer ihre soziale oder finanzielle Stellung sein mag«, so charakterisierte der amerikanische Kritiker Malcolm Cowley Hemingways kubanische Besucher, »die meisten seiner Freunde zeichnen sich in irgendeiner bestimmten Hinsicht aus, die Hemingways leidenschaftliches Interesse findet. Sie alle haben noch eine andere Eigenschaft gemein: physischen oder moralischen Mut und Zuverlässigkeit in Gefahr. Es sind Menschen, die die Gefahr nicht scheuen - weshalb auch die Sterblichkeit unter ihnen außerordentlich groß ist.«

Auf Kuba hatte die Schriftsteller-Existenz Hemingways feste Gewohnheiten angenommen. »Mr. Papa«, kräftiger Trinker und entschiedener Nichtraucher - er fürchtete, durch Rauchen seinen besonders gut entwickelten Geruchssinn zu beeinträchtigen -, arbeitete, wegen seiner empfindlichen Haut meinst unrasiert, von der Morgendämmerung an und hielt den Nachmittag frei.

Beim Schreiben - sein Arbeitszimmer lag in der Spitze eines weißen Turms - stand er meist in übergroßen Sportschuhen auf dem abgeschabten Fell einer von ihm erlegten Kudu-Antilope. Erzählende und beschreibende Partien seiner Werke schrieb er hauptsächlich mit dem Bleistift, für die Dialoge, die ihm flotter von der Hand gingen, nahm er die Schreibmaschine. Täglich registrierte er seine Schreibleistung: Der Durchschnitt lag bei 500 Wörtern pro Tag. Wenn er einen Tag mit Fischen verbringen wollte, brachte er den literarischen Produktionsausfall zuvor mit verdoppeltem Worte-Ausstoß ein.

Längst war er als Typ des »literary he-man« ("Time") zur weltbekannten Figur geworden, als schreibender Vollmann. Seine hartgesottenen Kraftworte machten die Anekdoten-Runde. Gern ließ er sich mit den großen Fischen, die er fing, und den wilden Tieren, die er schoß, in arglos selbstbewußten Posen für die internationalen Bilderblätter photographieren.

Hemingway hatte sich ganz auf die Gewohnheiten und sportlichen Aufregungen eines Millionär-Daseins auf dem Karibischen Meer eingerichtet. Alarmiert war er zwischendurch nur auf die Nachricht vom Spanischen Bürgerkrieg: Er kaufte für 40 000 Dollar Ambulanz-Wagen für die Republikaner und nahm auf ihrer Seite als Korrespondent amerikanischer Zeitungen am Kampf gegen Franco teil. Zusammen mit dem holländischen Regisseur Joris Ivens und dem amerikanischen Schriftsteller John Dos Passos drehte er den Dokumentarfilm »Die spanische Erde« und sammelte bei einer Privatvorführung des Films in Hollywood weitere 15 000 Dollar für die Verteidigung der spanischen Republik.

Das Buch, das Hemingway später über den Bürgerkrieg schrieb, »Wem die Stunde schlägt«, entwickelte sich zwar der Auflage nach zu seinem weitaus erfolgreichsten Roman, ist aber keinesfalls politisch eindeutig. Obwohl Hemingway entschieden auf seiten der Gegner Francos stand, werden die grausamsten Greuel, die Hemingway beschreibt, von den Kommunisten begangen, die gemeinsam mit den Republikanern gegen Franco fochten. Hemingways Romanheld Robert Jordan kämpft denn auch weniger gegen Franco, als überhaupt. Er stirbt nicht so sehr für eine Sache - er stirbt als Mann. Es ist das alte Motiv Hemingways, das für seine Krieger, Toreros und Jäger wie für alle seine Helden gilt: Tapferkeit vor dem Tod, Haltung in der Niederlage, Bewährung im Nichts.

Bevor Hemingway seinen Roman schrieb, hatte er mit dem französischen Schriftsteller André Malraux, gegenwärtig französischer Kultusminister, ein Abkommen über die literarische Auswertung des Bürgerkriegs getroffen. Malraux durfte den Abschnitt bis 1937 behandeln - und tat es in seinem Roman »Die Hoffnung« -, während Hemingway die Zeit von 1937 an überlassen blieb.

Ähnlich privat wie seine Initiative im Spanischen Bürgerkrieg begann auch Hemingways Beteiligung am Zweiten Weltkrieg. Hemingway hatte seinen dreizehn Meter langen Kabinen-Kreuzer El Pilar in ein provisorisches Kriegsschiff verwandeln lassen, es nahm Maschinengewehre, Funkgeräte, Sprengstoff und neun Mann Besatzung an Bord. Von 1942 bis 1944 kreuzte Hemingway vor den Küsten Kubas; er hatte einen Plan entwickelt, demzufolge er sich von einem deutschen Unterseeboot aufbringen lassen wollte, um es zusammen mit seinem Boot in die Luft zu sprengen. Cowley: »Ich glaube, Kapitän und Mannschaft konnten von Glück reden, daß sie nie mit einem U-Boot in Berührung kamen.«

Endlich durfte Hemingway als Kriegskorrespondent der amerikanischen Illustrierten »Colliers« nach Europa, zunächst zur Royal Air Force nach England, dann mit der Dritten US-Armee nach Frankreich, wo er sich an die Spitze eines Trupps französischer Untergrundkämpfer setzte, um - nach einer nie von ihm dementierten Legende - das Pariser Luxushotel Ritz zu befreien.

In einem anderen prominenten Hotel, dem »Gritti« in Venedig, logierte er nach Kriegsende, um jenes von ihm oft avisierte »große Buch« über den Zweiten Weltkrieg zu schreiben, dessen Fragment möglicherweise den wichtigsten Teil seines Nachlasses ausmacht. Die Arbeit an diesem »großen Roman«, der nach einer anderen Äußerung Hemingways »alles über Land, See und Luft« enthalten sollte, wurde oft unterbrochen - für ein langes Nachwort zu dem Stierkampfbuch »Tod am Nachmittag« und für einen Roman, der ihm überwiegend negative Kritiken und einen generellen Prestige-Verlust einbrachte: Mit dem inhaltlich höchstens zu einer Kurzgeschichte reichenden Roman »Über den Fluß und in die Wälder« (1950) schien Hemingway bei der unfreiwilligen Selbstparodie gelandet zu sein.

Überhaupt äußerte sich die Kritik an Hemingway, an seiner Person wie an seinen Büchern, längst nicht mehr überall sehr zurückhaltend. Gertrude Stein hatte den Schriftsteller gelegentlich schlicht als feige bezeichnet, der Engländer John Boynton Priestley fand seine »rauhe und großtuerische Männlichkeit ... ziemlich ermüdend«, und der amerikanische Kritiker Max Eastman beschuldigte Hemingway, literarisch-stilistisch gewissermaßen »falsche Haare auf der Brust« zu tragen.

Zwei Jahre nach dem Durchfall des Romans »Über den Fluß und in die Wälder« aber siegte Hemingway, nach seiner Terminologie, durch K.o. Einhellig anerkannte die internationale Kritik die Meisterschaft seiner Novelle »Der alte Mann und das Meer«. Sie machte ihn endlich nobelpreisreif. Außerdem trug sie dem nominellen Katholiken Hemingway zum erstenmal auch die Gunst des Vatikanblatts »Osservatore Romano« ein, die ihm bis heute erhalten blieb. Die Nachricht von Hemingways Tod kommentierte die halboffizielle Zeitung mit dem Hinweis, er sei zwar kein durch christliche Gnade erleuchteter, aber doch ein großer, für die Weltliteratur repräsentativer Schriftsteller gewesen. Der Moskauer Rundfunk verband die Meldung über Hemingways Tod mit dem Hinweis, die meisten seiner Bücher seien auch in der Sowjet-Union erschienen.

Hemingway hat die Geschichte seiner Meisternovelle von dem alten kubanischen Fischer, der seinen größten Fang, den Fisch seines Lebens, nur noch als Skelett nach Hause bringt, in aller Einfachheit erzählt und die Handlung ohne stilistische Mätzchen zum Mythos menschlichen Scheiterns und zugleich menschlicher Unbesiegbarkeit erhoben. Hemingway: »Es ist, als sei mir endlich gelungen, wonach ich mein ganzes Leben gestrebt habe.«

Und dabei blieb es. Was dann noch folgte, waren immer wieder Andeutungen über angeblich aus Steuergründen in Safes ruhende, aufgesparte Hemingway-Romane, Gerüchte vor allem über jenen großen Weltkrieg-II-Roman, und zuletzt der im vergangenen Jahr in »Life« auszugsweise vorabgedruckte Bericht seiner Wiederbegegnung mit Spanien und dem Stierkampf, »Der gefährliche Sommer«, die Reportage der Rivalität zwischen den beiden mit Hemingway befreundeten Matadoren Dominguín und Ordóñez.

Noch einmal zeigte sich »Papa« hier als der ganze Kerl, wie er längst Legende geworden war: jagend, schwimmend, saufend, hartgesotten und sportiv.

Noch einmal sprach er mit jenem Understatement, das sich längst in ein neues Pathos verwandelt hat, von dem blutigen Ritual der Corrida, von Tod und Todesangst und der Faszination, die sie auf ihn ausübten. Und noch einmal schlug er sein Leitmotiv an: »Die Gesichter, die einst jung waren, waren alt wie meines, aber jeder wußte noch, wie wir damals waren. Die Augen waren unverändert, und niemand war fett ... Niemand war besiegt.«

»Es ist unmöglich, den Jüngling in Hemingway zu übersehen«, schrieb das amerikanische Nachrichtenmagazin »Time« 1954. Hemingway hege eine »tiefe Sentimentalität für das Gute, das Wahre, das Aufrechte, das Schöne und gelegentlich das Nichtdruckreife«.

Gerne gab sich Hemingway als ein Opfer des amerikanischen Steuersystems. Einen fertigen Roman wollte er deshalb im Bank-Safe hinterlegt haben, um später eine Altersrente zu haben; als er den Nobelpreis - Wert ungefähr 150 000 Mark - zugesprochen erhielt, gab er sogleich bekannt, daß er etwa ein Viertel des Geldes brauchen werde, um seine Schulden zu bezahlen. Tatsächlich hat er zweifellos im Laufe der Jahre mit seinen Büchern und den nach ihnen gedrehten Filmen Millionen verdient. Verfilmt wurden die Romane und Kurzgeschichten »In einem anderen Land« (zweimal) »Die Killer«, »Haben und Nichthaben« (zweimal), »Das kurze glückliche Leben des Francis Macomber«, »Mein Alter«, »Wem die Stunde schlägt«, »Schnee auf dem Kilimandscharo«, »Fiesta« und »Der alte Mann und das Meer«.

Der amerikanische Literaturprofessor Philip Young deutete in seiner 1952, in Deutschland 1954, erschienenen Biographie Hemingways Leben und Werk als eine permanente Selbsttherapie früher seelischer Verwundungen. Die blutig-brutalen Eindrücke, die der Knabe Hemingway in Begleitung seines Vaters, des Arztes, empfangen, und der Schock, den er bei seiner schweren Verwundung im Ersten Weltkrieg erlitten habe, hätten ihn traumatisch auf die Motive Schmerz, Gefahr, Tod und Todesangst festgelegt.

»Es ist klar«, schrieb Young über den typischen Hemingway-Helden und über den Dichter, »daß das Primitive in ihm größtenteils eine krampfhafte Abwehr ist, Abwehr gegen einen Schrecken, dem er nicht ins Auge schauen kann.« Hemingways Aktivismus sei eine Art ständiger Flucht nach vorn. Er suche die Gefahr, um sie durch Begegnung zu bannen.

Hemingways Leser jedenfalls begegnen der Gefahr und dem Tod in nahezu allen Büchern. Der Held seines Romans »Fiesta« ist durch eine Kriegsverletzung dazu verurteilt worden, den Abenteuern der Frau, die er liebt, zuzusehen; die Heldin seines nächsten Romans, »In einem anderen Land«, stirbt im Kindbett; in der besonders deutlich autobiographischen Kurzgeschichte »Indianerlager« erlebt ein Junge mit, wie sein Vater an einer Indianerin eine Kaiserschnitt-Operation vornimmt, während der Indianer-Ehemann sich den Hals durchschneidet.

Der Held seiner berühmtesten short story, »Schnee auf dem Kilimandscharo«, der Schriftsteller Harry stirbt an einer Blutvergiftung, die durch einen Safari-Unfall verursacht wurde. Vor seinem Tod rekapituliert er autobiographische Details, die mit der Biographie Hemingways identisch sind, und wird von dem Gedanken an die Werke geplagt, die nun ungeschrieben bleiben werden.

Über den sterbenden Schriftsteller Harry schrieb Hemingway: »Etwas, wovor er sich immer gegraut hatte, waren Schmerzen. Er konnte Schmerzen so gut ertragen wie jeder andere, bis sie zu lange anhielten und ihn aushöhlten.«

1959 betete Hemingway in Spanien »für alle Freunde mit Krebs, für alle Mädchen, tot oder lebendig, und daß Antonio an diesem Nachmittag gute Stiere haben werde«. Im Oktober desselben Jahres schrieb er an die sowjetische Zeitschrift »Literaturnaja gaseta«, die ihn eingeladen hatte, Eisenhower nach Moskau zu begleiten: »Zur Zeit kann ich eine Reise nach Moskau nicht verwirklichen, da ich Spanien bereise und eine Reihe von Stierkämpfen dieser Saison verfolge, um einen Nachtrag zu 'Tod am Nachmittag' zu schreiben ... Wenn ich damit fertig bin, ist eine schwierige Arbeit an der Reihe, die ich zu Ende führen muß, da man nie genau weiß, wieviel Zeit einem für das Vollbringen gewährt ist.«

Über seine Anfänge als Schriftsteller äußerte Hemingway gelegentlich: »Ich gab mir Mühe, das Schreiben zu lernen, und wollte mit den einfachsten Dingen beginnen, und eines der einfachsten und wesentlichsten Dinge ist der gewaltsame Tod.«

Als Hemingway sich 1949 in Italien bei der Entenjagd eine gefährliche Blutvergiftung holte, die sein Leben bedrohte, schrieb er in aller Eile seinen Roman »Über den Fluß und in die Wälder«, dessen literarische Qualität die Kritiker mit Recht gering einschätzten, der aber ein Modell enthielt, wie sich Hemingway das Ende eines gerundeten Lebens vorstellte:

Ein amerikanischer Oberst, Hotelgast des »Gritti« auch er, unheilbar krank, verlebt seine letzten Tage in voller Kraft an erlesenen Restauranttischen, in teuren Bars und in liebevoller Gesellschaft eines schönen, achtzehnjährigen Mädchens. Er bringt seine Geliebte nach Hause, kritzelt auf einem Befehlsformular seine letzten Verfügungen, die Jagdgewehre betreffend, und stirbt, als die Kraft der Tabletten verronnen ist, im Fond seines Wagens. Kein Siechtum, kein schmerzliches Verdämmern - der Übergang von aller Kraft zum Tode vollzieht sich in Sekunden.

Als Mary Hemingway ihren Mann am Morgen des 2. Juli in der Halle sah, lag neben ihm die Doppelflinte - der Schuß hatte in den Mund getroffen. Irgendwelches Putzzeug zum Gewehrreinigen fand sich nicht. Chuck Atkinson, Motelwirt in Ketchum und gelegentlicher Jagdgenosse Hemingways, erklärte später, Mr. Hemingway sei zwar ein großer Entenjäger gewesen, aber, sagte Mr. Atkinson, was es um diese Zeit in Idaho zu jagen geben sollte, wisse er jedenfalls nicht.

Als der Held in Hemingways Erzählung »Schnee auf dem Kilimandscharo«, der Schriftsteller Harry, im Sterben liegt, dachte er von sich selbst: »Er hatte, in der einen oder anderen Form Vitalität verkauft - sein ganzes Leben lang.«

Wem die Stunde schlägt Interpretation?

Die Kämpfer ziehen sämtlich den Tod einer eventuellen Gefangenschaft vor und sind bereit, sich im Notfall das Leben zu nehmen oder aber es jemand anderem anzuvertrauen. Dieses Motiv ist angesichts Hemingways eigenen Suizids einundzwanzig Jahre später für die autobiografische Deutung interessant.

Wem die Stunde geschlagen hat?

Wem die Stunde schlägt, der packendste und berühmteste Roman Ernest Hemingways, schildert drei Tage im Leben des Amerikaners Robert Jordan. Aus Liebe zur Freiheit und zu Spanien kämpft er als Freiwilliger im Spanischen Bürgerkrieg auf seiten der Republikaner.

Wem die Uhr schlägt?

Wem die Stunde schlägt basiert auf dem gleichnamigen Roman von Pulitzer- und Nobelpreisträger Ernest Hemingway aus dem Jahr 1940. Dieser Roman beschreibt die Kameraderie inmitten der alltäglichen Bedrohung durch den Tod während des Spanischen Bürgerkrieges.

Wem die Stunde schlägt Arte heute?

Wem die Stunde schlägt - arte | programm.ARD.de. Spanien, 1937: Der Amerikaner Robert Jordan kämpft im Spanischen Bürgerkrieg aufseiten der Republikaner. Um den Vormarsch der Falangisten zu stoppen, soll er zusammen mit einer Gruppe Rebellen eine Brücke sprengen.