Was versteht man unter der Unabdingbarkeit des Tarifvertrages?


Tarifnormen als objektives Recht

Tarifnormen gelten unmittelbar wie objektives Recht zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages. Auf die Kenntnis oder Billigung durch die Parteien des Arbeitsvertrags kommt es nicht an. Tarifwidrige Vereinbarungen zwischen den Arbeitsvertragsparteien sind nichtig.

Öffnungsklauseln und Günstigkeitsprinzip

Eine Ausnahme von diesem Prinzip der Unabdingbarkeit ist nur in zwei Fällen möglich, nämlich wenn der Tarifvertrag dies gestattet (sog. Öffnungsklausel) oder eine Änderung der Regelung zugunsten des Arbeitnehmers erfolgt (sog. Günstigkeitsprinzip). Bei der Beurteilung der Frage der Günstigkeit ist auf das Interesse des einzelnen Arbeitnehmers abzustellen. Deshalb ist die Gewährung besserer Leistungen, als tarifvertraglich vorgesehen, möglich. So können z. B. Effektivlohn und Tariflohn auseinander fallen.

Nachwirkung von Tarifvertragsnormen

Mit Beendigung des Tarifvertrages in zeitlicher, räumlicher oder fachlich-betrieblicher Hinsicht wirken Tarifvertragsnormen nach, damit das Arbeitsverhältnis seine Regelungsinhalte behält. Eine Nachwirkung tritt nicht ein, wenn diese im jeweiligen Tarifvertrag ausgeschlossen ist. Ein Tarifvertrag kann im Falle der Nachwirkung durch jede arbeitsrechtliche Regelung (Betriebsvereinbarung, arbeitsvertragliche Regelung) ersetzt werden. Die Nachwirkung entfaltet keine Wirkung auf Arbeitsverhältnisse, die erst nach der Laufzeit des Tarifvertrags begründet wurden.

Verzicht, Verwirkung, Ausschlussfristen

Nach dem Tarifvertragsgesetz ist ein Verzicht auf entstandene tarifliche Rechte nur in einem von den Tarifvertragsparteien gebilligten Vergleich zulässig. Die Verwirkung tariflicher Rechte ist ausgeschlossen. Ausschlussfristen für die Geltendmachung tariflicher Rechte können nur im Tarifvertrag vereinbart werden.

Überschreiten der Tarifmacht

Überschreiten die Tarifvertragsparteien ihre Tarifmacht, ist die betreffende Klausel des Tarifvertrages unwirksam. Das ist bei sog. Abstands- bzw. Spannensicherungsklauseln der Fall. Hier werden tarifvertraglich nicht nur Sonderleistungen (z. B. eine Beihilfe in Geld) für Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft vereinbart, was an sich zulässig ist. Unwirksam ist jedoch die damit verbundene Regelung, dass der mit der tariflichen Sonderleistung gegebene “Vorsprung” der Mitglieder der tarifschließenden Gewerkschaft auch dann erhalten bleibt, wenn der Arbeitgeber den nicht der tarifschließenden Gewerkschaft angehörigen Arbeitnehmern eine entsprechende Sonderleistung gewährt. Der Tarifvertrag darf nicht verhindern, dass der Arbeitgeber nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer mit gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmern gleich stellt. Das bezwecken jedoch sog. Abstands- bzw. Spannensicherungsklauseln. Die Tarifvertragsparteien dürfen nur den Inhalt von Arbeitsverhältnissen zwingend und unmittelbar regeln, die der Tarifmacht der Tarifvertragsparteien unterliegen. Hierzu gehören die Arbeitsverhältnisse der nicht oder anders organisierten Arbeitnehmer nicht (Vgl. Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 23. März 2011 – 4 AZR 366/09 –).


Was versteht man unter der Unabdingbarkeit des Tarifvertrages?
Fachanwalt für Arbeitsrecht Harald Schwamborn

Wenn Sie sich nicht nur informieren wollen, sondern anwaltliche Hilfe benötigen, finden Sie meine Kontaktdaten auf der Seite Kontakt. Die telefonische Ersteinschätzung ihres Anliegens ist kostenlos.

Hinweise zu meiner Person und Qualifikation finden Sie auf der Startseite.


Copyright © 2000 – 2022 Rechtsanwalt Harald Schwamborn

Alle Inhalte dieser Internetseite, insbesondere Texte, Layout, Grafiken und Fotografien, sind urheberrechtlich geschützt.

Wer gegen das Urheberrecht verstößt, z. B. die Texte dieser Internetseite unerlaubt auf die eigene Internetseite kopiert, macht sich gem. § 106 ff Urhebergesetz strafbar (Text § 106 UrhG; Text § 108a UrhG. Externe Links). Kopien von Inhalten können im Internet leicht verfolgt werden.

Zugunsten einer besseren Lesbarkeit wird auf die Verwendung geschlechtsspezifischer Sprachformen verzichtet, sofern es nicht explizit auf eine Unterscheidung ankommt. Die männliche Bezeichnung gilt für alle Geschlechter.

 

Rz. 17

 

Enthält der Tarifvertrag Regelungen im Urlaubsrecht oder regelt er die materiellen Urlaubsbedingungen zumindest üblicherweise, ist eine Betriebsvereinbarung über Urlaubsrecht unwirksam. Das gilt auch dann, wenn sie für die Arbeitnehmer günstigere Regelungen enthält. Das Günstigkeitsprinzip gilt also im Verhältnis von Betriebsvereinbarung zu Tarifvertrag nicht. Selbst dann, wenn die tarifliche Regelung nachfolgt, wird die zuvor geschlossene Betriebsvereinbarung unwirksam (sog. Ordnungsprinzip).

 

Rz. 18

Das Verhältnis tariflicher Regelungen zu Regelungen in Betriebsvereinbarungen ist geprägt von § 77 Abs. 3 BetrVG. Danach sind Betriebsvereinbarungen unwirksam, die Arbeitsentgelte und sonstige Arbeitsbedingungen zum Gegenstand haben, die durch Tarifvertrag geregelt sind oder üblicherweise geregelt werden. Daraus folgt zunächst, dass die Übernahme tariflich geregelter Arbeitsbedingungen durch eine Betriebsvereinbarung unwirksam ist.[1] Soweit eine Betriebsvereinbarung eigenständige Urlaubsregelungen enthält, ist § 77 Abs. 3 BetrVG ebenfalls zu beachten.

Auch wenn nach der Rechtsprechung § 77 Abs. 3 BetrVG dann keine Anwendung findet, wenn es sich um Betriebsvereinbarungen handelt, die der Mitbestimmung des Betriebsrats nach § 87 Abs. 1 BetrVG unterliegen (BAG, Beschluss v. 3.12.1991, GS 2/90 (Großer Senat)[2]), führt dies nicht weiter: Denn § 87 Abs. 1 Nr. 5 BetrVG, der hier allein einschlägig sein könnte, behandelt nur die Aufstellung allgemeiner Urlaubsgrundsätze und des Urlaubsplans, nicht aber die materiellen Urlaubsbedingungen. Diese sind nicht mitbestimmungspflichtig, sodass § 77 Abs. 3 BetrVG greift.[3]

Allerdings ist genau zu prüfen, ob die Betriebsvereinbarung tatsächlich Regelungen trifft, die mit denjenigen des Tarifvertrags kollidieren oder ob z. B. außertarifliche Leistungen vereinbart sind.

 

Beispiel

Regelt eine Betriebsvereinbarung einen "Treueurlaub" für zurückgelegte Betriebszugehörigkeit, den der Tarifvertrag nicht vorsieht, liegt hierin kein Verstoß gegen § 77 Abs. 3 BetrVG. Er stellt keine Erhöhung des tariflichen Erholungsurlaubs, sondern eine außertarifliche Leistung dar, die für langjährige Betriebstreue gewährt wird (BAG, Urteil v. 19.4.1994, 9 AZR 478/92[4]).

 

Rz. 19

Angesichts dessen, dass es auf die Tarifbindung des Arbeitgebers nicht ankommt und die "Tarifüblichkeit" nur dann auszuschließen ist, wenn mit Sicherheit feststeht, dass in Zukunft eine Frage nicht mehr tariflich geregelt wird[5], dürften (wirksame) Betriebsvereinbarungen bei gleichzeitiger tariflicher Regelung eher die Ausnahme bilden. Etwas anderes gilt nur dann, wenn der Tarifvertrag den Abschluss ergänzender Betriebsvereinbarungen ausdrücklich zulässt ("Öffnungsklausel").

Das ist nur ein Ausschnitt aus dem Produkt Haufe Personal Office Platin. Sie wollen mehr? Dann testen Sie hier live & unverbindlich Haufe Personal Office Platin 30 Minuten lang und lesen Sie den gesamten Inhalt.

Jetzt kostenlos 4 Wochen testen


Meistgelesene beiträge
Top-Themen
Downloads
Haufe Fachmagazine