Was passiert wenn man die dialyse abbricht

Wenn Palliativmediziner mit dem Todeswunsch von Patienten konfrontiert sind, beginnen schwierige Abwägungsprozesse. Ein Bericht aus der palliativen Praxis, der eine besondere Entscheidungssituation bei passiver Sterbehilfe aufzeigt – und was das für aktive Sterbehilfe bedeuten könnte.

Passive Sterbehilfe ist erlaubt. Therapien, die seinen Sterbeprozess in die Länge ziehen, darf jeder Patient ablehnen. Eine lebensverlängernde Behandlung, z.B. eine regelmäßige Dialyse, darf der Kranke abbrechen. In vielen Fällen ist passive Sterbehilfe (Sterben lassen) undramatisch. Ich schildere hier jedoch eine Situation, in der ich als Arzt passive Sterbehilfe in einer schwierigen Situation geleistet habe.

Eine Krankheit nimmt ihren Lauf

Herr M. ist 68 Jahre alt. Im November 2009 bittet mich sein Hausarzt, das Ehepaar zu besuchen. Im Juli 2008 Räusper-Zwang, der HNO-Arzt findet keine Ursache. Ein Vierteljahr später verfassen beide Ehepartner Patientenverfügungen. Im Januar 2009 wird der Verdacht auf eine amyotrophe Lateralsklerose (ALS) von den Neurologen noch nicht mitgeteilt, ein Vierteljahr später aber steht diese Diagnose fest. Bei dieser Erkrankung degenerieren Nervenzellen, die für die Muskelbewegungen verantwortlich sind. In der Folge werden die Muskeln immer schwächer, auch die Atemmuskulatur. Das Ehepaar wird in einer Spezialklinik für ALS betreut und umfassend informiert.

Herr M. verliert massiv an Gewicht, er entscheidet sich gegen eine künstliche Ernährung über eine Magensonde (PEG). Er lehnt auch einen Luftröhrenschnitt ab. Das Sprechen wird für den Kranken schwierig. Auch das Schlucken ist erschwert: Herr M. verschluckt sich häufig. Über eine eng der Nase aufsitzende Maske wird der Kranke künstlich beatmet, d.h. eine Maschine übernimmt die mechanische Atemarbeit. Die Zeit der passiven Beatmung steigt allmählich bis auf 21 Stunden pro Tag, Herrn M. verbleiben nur noch drei Stunden täglich ohne Gerät.

Wo liegen die Belastungsgrenzen?

Jeder neue Tag liegt wie ein „Horror“ vor diesem Mann. Von einer Maschine fast rund um die Uhr abhängig zu sein, die Nasenmaske ständig tragen zu müssen und wie ein Blasebalg aufgeblasen zu werden, ist für ihn unzumutbar. Über Wochen äußert er immer wieder den dringenden Wunsch, dass diese ständige Not für ihn enden möge. Noch ein halbes Jahr Lebenserwartung zu haben, die sich verschlechternde Atemsituation noch wochenlang aushalten zu müssen, ist für Herrn M. undenkbar.

21 Stunden am Tag mit Beatmungsmaske

Es gibt viele Gespräche mit dem Patienten, der Ehefrau, den beiden erwachsenen Kindern und dem Hausarzt. Auch das gesamte Pflegeteam unseres Palliativdienstes wird einbezogen. Im Ergebnis akzeptieren die Ehefrau und die Kinder, dass Herr M. nicht bis zuletzt an seinem Atemgerät hängen möchte.

Im März 2010 informiert mich der Hausarzt: Auf dem Patienten laste ein großer Druck, es sei aber noch nicht so weit. Verschlucken und Erstickungsanfälle nähmen an Häufigkeit zu. Die Frau komme an ihre Belastungsgrenze.

Entscheidungen über den Todeszeitpunkt

Für die Ehefrau wäre die Festlegung eines Datums „gruselig“. Das sagt sie unserer Krankenschwester. Drei Tage später ruft mich die Ehefrau an: Jetzt sei es so weit. Ihr Mann habe eine fürchterliche Nacht hinter sich.

Ich besuche sofort das Ehepaar: Für Herrn M. ist klar, dass er eine solche Nacht nicht noch einmal erleben möchte. Er will auf seine Kinder warten, damit sie ihrer Mutter beistehen können und lässt beide anreisen. Er bittet mich, am Abend wieder zu kommen und dann die terminale Sedierung einzuleiten, die Atemnot und Ersticken im Sterbeprozess verhindert. Wie gewünscht, komme ich um 19.40 Uhr wieder. Mit Hilfe einer Medikamentenpumpe beginne ich eine Sedierung, die aber nur unzureichend wirkt. Schließlich injiziere ich ein starkes Beruhigungsmittel in hoher Dosierung intravenös. Dann kann ich das Beatmungsgerät abschalten, ohne dass der Patient erkennbar reagiert. Herr M. verstirbt 40 Minuten später (gegen 23 Uhr). Anschließend löst mich eine unserer Krankenschwestern ab, um beim Richten des Leichnams mitzuhelfen – ein ausdrücklicher Wunsch des Patienten.

Das ärztliche Gewissen aus zeitlichem Abstand

Ein Zeitsprung. Zweieinhalb Jahre später bittet mich die Ehefrau um einen Besuch. Sie mache sich Vorwürfe, ihren Mann nicht ausreichend zum Weiterleben ermutigt zu haben. Unser Gespräch ist für die Ehefrau und auch für mich wichtig und wertvoll.

Angesprochen auf mein ärztliches Handeln, sehe ich meine damalige Entscheidung heute wie folgt: Durch eine sehr starke Sedierung musste ich in diesem Fall verhindern, dass der Patient ohne mechanische Beatmung in Erstickungsnot geriet. Auch musste ich – in Absprache mit dem Patienten und seiner Familie – den Zeitpunkt des Todes festlegen und über dreieinhalb Stunden anwesend sein. Dieser Dienst ist mir sehr schwer gefallen, denn die notwendige intravenöse Injektion und die Beendigung der künstlichen Beatmung hatten den Tod meines Patienten zur Folge: Er starb infolge seiner unzureichenden Atemmuskulatur rasch an Sauerstoffmangel, allerdings ohne subjektive Not. Das ist ganz anders als das, was ich normalerweise als meine ärztliche Aufgabe als Palliativarzt ansehe: Leiden lindern, aber nicht das Sterben beschleunigen. Juristisch gesehen war mein Handeln ohne jeden Zweifel passive Sterbehilfe (Beendigung der künstlichen Lebensverlängerung durch Beatmung). Der Hausarzt ist mir bis heute dankbar, dass ich ihm diesen Dienst abgenommen habe.

Wenn schon dieses ganz legale Tun mein ärztliches Gewissen belastet (ich stehe nach wie vor zu meinem Handeln), wie viel schwerer würde ich als Arzt daran tragen, Suizid-Assistenz zu leisten! Ich kann mir nur extreme Einzelfälle vorstellen, in denen ich diesen Dienst tun könnte. Aber zum Glück ist meine Erfahrung, dass Schwerkranke, die umfassend menschlich und ärztlich betreut werden, auch an einem sehr eingeschränkten Leben hängen und ein ernsthafter Todeswunsch sehr selten ist.

Gesetze, die Suizid-Assistenz erlauben, würden es mir nicht leichter machen. Mein Gewissen würde wach bleiben und sich nicht juristisch beruhigen lassen.

Kann man Dialyse einmal aussetzen?

Die Dialysetherapie ist eine Dauerbehandlung, das heißt eine Unterbrechung ist nicht möglich und birgt erhebliche, gesundheitliche Risiken. Daher ist es etwa bei Reisen erforderlich, die Dialysetermine mit der Dialyseeinrichtung am Reiseziel abzustimmen.

Was passiert wenn man die Dialyse ausfallen lässt?

Was passiert, wenn ich nicht zur Dialyse gehe? Ohne eine Nierenersatztherapie – die Dialyse oder eine Nierentransplantation – ist das Nierenversagen, also die terminale Niereninsuffizienz, lebensbedrohlich und der Körper vergiftet sich quasi selbst.

Kann man Dialyse rückgängig machen?

Die Schädigungen innerhalb der Nieren sind bei chronischen weit fortgeschrittenen Nierenerkrankungen meist so stark ausgeprägt, dass sie nicht mehr rückgängig gemacht werden können; die Patientinnen und Patienten brauchen letztlich eine Nierentransplantation.

Wie lange kann ein 70 jähriger mit Dialyse leben?

Ältere Menschen haben an der Dialyse eine stark eingeschränkte Prognose. In einer Metaanalyse über 89 Studien und 294.921 ältere Dialysepatienten (mittleres Alter: 76 Jahre) lag das 1‑Jahres-Überleben nur bei 73 % und nur marginal über dem konservativ-palliativen Behandlungsansatz mit 71 % 1‑Jahres-Überleben [10].