Was ist der unterschied zwischen nierenzysten und zystennieren

Bis vor Kurzem war sie nicht behandelbar: die Familiäre Zystenniere. Doch seit wenigen Jahren gibt es ein Medikament, das hilft, die bedrohlich vererbte Erkrankung zu behandeln, wie Dr. med. Thomas Rath, Leitender Arzt der Abteilung für Nephrologie und Transplantationsmedizin, im Interview berichtet.

Etwa 50.000 Menschen in Deutschland leiden an Familiären Zystennieren. Trotzdem ist die Erkrankung eher unbekannt. Was sind Zystennieren?
Dr. Rath: Bei Zystennieren handelt es sich um eine Systemerkrankung, die viele Zellen im Körper betrifft. Sie manifestiert sich jedoch vor allem an den Nieren. Eine Vielzahl kleiner oder größerer Zysten führen dazu, dass die betroffene Niere wächst und die anderen Organe verdrängt. Ihre Architektur wird dabei zerstört. Irgendwann wird die Niere funktionslos. Wie macht sich die Erkrankung bemerkbar?
Die Zysten sind von Geburt an vorhanden. Doch sie brauchen Jahre bis Jahrzehnte, bis sie ein paar Millimeter groß sind. Und selbst dann können sie bei einer Ultraschall-Untersuchung noch nicht wahrgenommen werden. Viele Menschen wissen deshalb gar nicht, dass sie an Zystennieren leiden. Erst wenn die Zysten mehrere Zentimeter groß sind, fallen sie auf. Die schwere Form der Zystenniere, die zur Dialyse führt, tritt in der Regel zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr auf. Bis dahin haben die Betroffenen die Erkrankung häufig schon an ihre Kinder weitervererbt, ohne es zu wissen. Welche Symptome können auftreten?
Das Größenwachstum der Zystenniere und die Verdrängung der anderen Organe führen zu Magen-Darm-Problemen. Patienten mit dieser Erkrankung können häufig nur kleine Portionen essen und meiden blähende Speisen. Außerdem neigen sie zu Harnwegsinfekten und zu Blut im Urin. Letztendlich führt die Erkrankung zur Niereninsuffizienz. Familiäre Zystennieren zählen zu den häufigsten genetischen Erkrankungen. Wie vererbt sich die Erkrankung?
Wenn ein Elternteil die autosomal dominante Form aufweist, das heißt nur ein defektes Gen vorhanden ist, wird die Krankheit zu 50 Prozent an die Kinder vererbt. Wie ist die mögliche Prognose? Wegen einer Fülle von Genmutationen verläuft die Erkrankung sehr unterschiedlich. Die raschere Form kann schnell zur Dialyse führen. Es gibt aber auch Patienten, die mit 70 oder 80 Jahren noch ohne Dialyse leben können. Im Allgemeinen gilt: Je größer die Niere und je schneller das Wachstum desto schlechter die Prognose. Auch die Krankheitsgeschichte des betroffenen Elternteils fließt in die Prognose ein. Welche Maßnahmen können ergriffen werden?
Bis vor Kurzem war die Erkrankung nicht behandelbar. Doch seit drei Jahren gibt es ein medikamentöses Konzept, das das Wachstum von Zystennieren günstig beeinflusst. Das Medikament nimmt Einfluss auf den Stoffwechsel der Niere. Dadurch wachsen die Zysten weniger schnell und das Eintreten der Dialyse-Pflicht kann herausgezögert werden. Weiter mildert das Medikament die Beschwerden und steigert die Lebensqualität. Einziger Nachteil: Der Patient muss zwischen vier und acht Litern pro Tag trinken und demnach auch mehr Wasser lassen. Dr. med. Thomas Rath referiert am Samstag, 16. März, von 10:30 bis 13:00 Uhr im Weiterbildungszentrum zum Thema „Nierenzysten und Familiäre Zystennieren – harmlose Fehlbildung und bedrohliche vererbte Erkrankung“. Darüber hinaus berichtet ein Patient über das Leben mit der Krankheit und seine Erfahrungen mit der medikamentösen Behandlung. Besucher sind herzlich willkommen. Der Eintritt zur Veranstaltung ist frei.

Die polyzystischen Nierenerkrankungen sind eine heterogene Gruppe an Erkrankungen, die als Gemeinsamkeit die Ausbildung von Zystennieren zeigen und lange Zeit nach der Potter-Klassifikation eingeteilt wurden. Da die Einteilung nicht anhand gewohnter Kriterien erfolgt und dadurch schwer nachvollziehbar erscheint, fällt es nicht leicht, sie ordentlich zu beherrschen. Inzwischen wird die beschreibende Einteilung der WHO bevorzugt.

Die autosomal-rezessive vererbbare polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD, Potter I) geht i.d.R. mit einer nur kurzen Lebenserwartung einher, tritt beidseitig auf und ist durch multiple, gleichmäßig kleine Zysten charakterisiert.

Die autosomal-dominante vererbbare polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD, Potter III) geht mit einer Lebenserwartung bis ins hohe Erwachsenenalter einher, tritt beidseitig auf und ist durch unterschiedlich große Zysten charakterisiert.

Die multizystische Nierendysplasie (Potter II) wird i.d.R. nicht vererbt, sondern tritt meist sporadisch während der Embryonalentwicklung auf. In der Bildgebung finden sich einseitig (manchmal beidseitig) Nierenzysten, die unterschiedlich groß imponieren.

Die Ausprägung der Symptomatik ist je nach Störung sehr variabel. Bei allen stehen das frühzeitige Erkennen und die Behandlung einer möglichen Niereninsuffizienz im Vordergrund.

Von den drei genannten Störungen abzugrenzen ist die zystische Nierendysplasie bei fetaler Obstruktion des unteren Harntrakts (Potter IV). Hierbei handelt es sich im Prinzip um keine eigene Störung, sondern um eine sekundäre Zystenniere aufgrund der vorliegenden Obstruktion – der hohe Druck in den Harnwegen führt dabei zur Zystenbildung. Therapeutisch wird i.d.R. eine Beseitigung der Obstruktion in kurativer Intention angestrebt.

Klassifikation

Überblick: Potter-Klassifikation und Einteilung nach WHO

Die Potter-Klassifikation beruht auf rein deskriptiven anatomischen Unterschieden und berücksichtigt in ihrer Urfassung weder genetische noch relevante klinische Begebenheiten. Aus diesen Gründen wird versucht, sie durch die beschreibende WHO-Bezeichnung zu ersetzen. Für die klinische Bedeutung der einzelnen Störungen siehe → Überblick: Klinische Unterschiede der Zystennieren

Beschreibende WHO-BezeichnungPotterÄtiologiePathophysiologieAutosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD)Potter IHereditär: Mutation auf Chromosom 6 im PKHD1-Gen mit Veränderung des FibrocystinsStörung in Proteinen der Zilienmembran → Übermäßige Proliferation von Sammelrohrepithel → ZystenbildungMultizystische Nierendysplasiemit Vergrößerung der NierePotter IIaUnklar: Sporadisches Auftreten während der Embryonalentwicklung (selten familiär gehäuft)Ein- oder beidseitig gestörte Interaktion der Ureter- und Nierenanlage → Gestörte Ausbildung der Nephronemit Verkleinerung der NierePotter IIbAutosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD)Potter IIIHereditär: Mutation auf Chromosom 16 oder 4 mit Veränderung des Polycystins 1 oder 2Störung in Proteinen der Zilienmembran → Übermäßige Proliferation von Tubulus- und Sammelrohrepithel → Zystenbildung
[1]Zystische Nierendysplasie bei fetaler Obstruktion des unteren HarntraktsPotter IVSekundär: Fetale Obstruktionen (z.B. Ureterstenosen) gehen häufig mit Nierenveränderungen einherHohe Druckverhältnisse übertragen sich auf das Nierengewebe und provozieren eine Zystenbildung

Symptome/Klinik

Überblick: Klinische Unterschiede der Zystennieren

Beschreibende WHO-BezeichnungPotterManifestationsalterLebenserwartungLeberbefallBefall der NierenZystengrößeAutosomal-rezessive polyzystische NierenerkrankungPotter IGeburt bis KindesalterI.d.R. nur Kindesalterjabeidseitigrelativ gleichmäßig kleinMultizystische NierendysplasiePotter IIGeburt bis KindesalterI.d.R. höheres Erwachsenenalterneineinseitig, ggf. beidseitigunterschiedlichAutosomal-dominante polyzystische NierenerkrankungPotter IIIErwachsenenalterjabeidseitigunterschiedlichZystische Nierendysplasie bei fetaler Obstruktion des unteren HarntraktsPotter IVGeburt bis KindesalterI.d.R. höheres Erwachsenenalterneineinseitig o. beidseitigunterschiedlich

Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD) - Potter I

  • Beginn: Geburt bis Kindesalter
  • Mögliche Symptome
    • Vergrößerte Niere mit multiplen Zysten relativ gleichmäßiger Größe → chronische Niereninsuffizienz und arterielle Hypertonie
      • Oft Hämaturie, Proteinurie
    • Obligate Leberfibrose mit möglicher hepatischer Insuffizienz und portaler Hypertension
      • Leberzysten
    • Ausladendes Abdomen und hochstehendes Zwerchfell → Lungenhypoplasie und respiratorische Insuffizienz
    • Herzinsuffizienz
  • Symptomatik drastischer bei frühem Erkrankungsbeginn
    • Früher Beginn führt zu einer Lebenserwartung von wenigen Monaten
    • Bei spätem Erkrankungsbeginn: Lebenserwartung bis zu 10 Jahre bei adäquater und erfolgreicher Therapie

  • Familienanamnese (zur Verifizierung der erblichen Komponente)
  • Sonografie
    • Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD) - Potter I
      • Diffus verstärkte Echogenität trotz flüssigkeitsgefüllter (echoleerer) Zysten, da die fibröse (echoreiche) Bekapselung der multiplen kleinen Zysten gleicher Größe überwiegt
    • Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) - Potter III
      • Bei Erwachsenen: Vergrößerte Niere mit multiplen Zysten (echofreie Raumforderungen) unterschiedlicher Größe
      • Bei Kindern: Nachweis einer eindeutigen Zyste bei positiver Familienanamnese ist hochverdächtig
  • Computertomografie: Die CT hat aufgrund der Strahlenbelastung eher eine untergeordnete Stellung und wird vor allem eingesetzt, wenn die Sonografie keine eindeutigen Ergebnisse liefert
    • Autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung (ARPKD) - Potter I
      • Stark vergrößerte, scharf begrenzte Nieren, hypodenses Parenchym mit wasserähnlichen Dichtewerten
    • Autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung (ADPKD) - Potter III
      • Beidseits stark vergrößerte Nieren
      • Multiple Zysten: Hypodense , scharf begrenzte Raumforderungen unterschiedlicher Größe
        • Falls Zysten höhere Dichtewerte als Wasser aufweisen → Hinweis auf Einblutung
        • Typischerweise dünne, glatt begrenzte und nicht septierte Zystenwand, die kein Kontrastmittel aufnimmt
      • Häufig Verkalkungen der Gefäße sowie Konkremente im Bereich der Nierenkelche → Können Folge eines sekundären Hyperparathyreoidismus sein

Markschwammniere

  • Definition: Verkalkte Zysten ausgehend von den papillären Sammelrohren, es besteht eine Hyperkalzurie
  • Ätiologie: Angeboren, keine Vererbung
  • Symptome: Meist symptomloser Zufallsbefund, jedoch auch rezidivierende Harnwegsinfekte, Nephrolithiasis und chronische Niereninsuffizienz bei beidseitigem Befall (in ca. 75%) möglich
  • Diagnose: Sonografie und Ausscheidungsurogramm
  • Therapie: Prophylaxe von Nephrolithiasis mit Thiaziddiuretika (meist Calciumphosphat- und -oxalatkonkremente)

  • Frühzeitiges Erkennen, Prävention und Behandlung einer Niereninsuffizienz
    • Regelmäßige sonografische Verlaufskontrollen und Bestimmung der Nierenparameter
    • Meidung nephrotoxischer Substanzen (z.B. NSAR)
    • Frühzeitige Behandlung eines arteriellen Hypertonus: ACE-Hemmer zeigen gute Studienergebnisse
    • Bei terminaler Niereninsuffizienz
      • Dialyse-Verfahren
      • In kurativer Intention: Ggf. Nierentransplantation
  • Bei ADPKD (Potter III): Tolvaptan (selektiver Vasopressin-2-Rezeptor-Antagonist)
  • Bei ARPKD (Potter I) und ADPKD (Potter III): Beobachtung und Behandlung einer Leberinsuffizienz
  • Bei zystischer Nierendysplasie bei fetaler Obstruktion des unteren Harntrakts (Potter IV): Beseitigung der Obstruktion in kurativer Intention

Studientelegramme zum Thema

  • Studientelegramm 232-2022-3/3: Empfehlungen zum Einsatz von Tolvaptan bei ADPKD
  • Studientelegramm 220-2022-3/3: Update der Konsensusleitlinie zur Anwendung von Tolvaptan bei ADPKD
  • Studientelegramm 203-2022-1/3: Wasser marsch – verhindert eine erhöhte Trinkmenge die Progression der ADPKD?
  • Studientelegramm 29-2018-4/4: Somatostatinanaloga helfen nicht bei polyzystischer Nierenerkrankung
  • Studientelegramm 06-2017-4/4: Neue Hoffnung für Patienten mit autosomal-dominanter polyzystischer Nierenerkrankung in fortgeschrittenem Stadium – Ergebnisse der REPRISE-Studie

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Kann man mit Zystennieren alt werden?

Die autosomal-rezessive polyzystische Nierenerkrankung geht mit einer kongenitalen Leberfibrose einher. Die ARPKD manifestiert sich bei Patienten bereits in sehr jungen Jahren (early onset). Der Altersbereich beträgt 0 bis 20 Jahre. Die mittlere Lebenserwartung der betroffenen Kinder beträgt sechs Jahre.

Ist das schlimm wenn man eine Zyste an der Niere hat?

Vereinzelte Nierenzysten sind in der Regel harmlos und beeinträchtigen die Nierenfunktion und Gesundheit nicht. Wenn sie jedoch wachsen und sehr gross werden, können sie Schmerzen auslösen, etwa in den Flanken oder im Rücken.

Wie gefährlich sind Zystennieren?

Zystennieren (dominante polyzystische Nierenerkrankung, ADPKD) Beim Krankheitsbild Zystennieren handelt es sich um eine schwere, stetig fortschreitende (progrediente) Nierenerkrankung, die in ihrem Verlauf in der Regel zu einem totalen Nierenversagen führt.

Wann spricht man von Zystennieren?

Eine einzelne Nierenzyste verursacht in der Regel keine Beschwerden und ist harmlos. Treten jedoch mehrere Zysten in der Niere auf, können sie unangenehme Schmerzen verursachen und erfordern eine Therapie. In diesem Fall wird von einer Zystenniere (polyzystische Nierenerkrankung) gesprochen.