Was ist der unterschied zwischen neuropathie und neuralgie

Neuropathische Schmerzen sind Reaktionen auf Erkrankungen, Dysfunktionen oder Läsionen des somatosensorischen Systems. Typische Ursachen sind mechanische Traumata, metabolische Erkrankungen, Infektionen, Tumore oder die Einwirkung von Neurotoxinen. Abhängig von der Ätiologie wird zwischen peripheren und zentralen neuropathischen Schmerzen unterschieden. In Einzelfällen liegen sowohl periphere als auch zentrale Ursachen gleichzeitig vor. Neuropathische Schmerzen treten meist anfallsartig und einschießend auf. Sie werden als brennend, kribbelnd, dumpf oder stechend beschrieben. Typisch ist eine Kombination aus Negativ- und Positivsymptomen wie Hypästhesie, Hyperalgesie und/oder Allodynie. Aufgrund von unterschiedlichen Behandlungsansätzen sollte diagnostisch zwischen neuropathischen und nozizeptiven Schmerzformen differenziert werden. Zur bestmöglichen Linderung neuropathischer Schmerzen ist ein multimodales Konzept aus medikamentösen und nichtpharmakologischen Methoden anzustreben.

Neuropathische Schmerzen versus nozizeptive Schmerzen

Bei chronischen Schmerzen wird vorwiegend zwischen neuropathischen und nozizeptiven Schmerzen unterschieden.

  • Nozizeptive Schmerzen entstehen als Folge von Gewebetraumata, ohne dass periphere oder zentrale neuronale Strukturen des nozizeptiven Systems verändert sind. Dazu zählen viszerale Schmerzen, chronische Entzündungsschmerzen, Tumorschmerzen (ohne Zerstörung von Nervengewebe) und ein großer Anteil chronischer Rückenschmerzen.
  • Bei neuropathischen Schmerzen sind Komponenten des peripheren und zentralen somatosensorischen Systems selbst geschädigt. Als Folge verändern sich die nozizeptiven und nicht-nozizeptiven Neurone. Typische Beispiele sind Schmerzen nach traumatischen Nervenläsionen, bei Polyneuropathien und Post-Zoster-Neuralgien sowie zentrale Schmerzen nach Rückenmarksverletzungen, ischämischen Hirninfarkten oder bei Multipler Sklerose.

Epidemiologie

Neuropathische Schmerzen betreffen circa 6,9 bis 10 Prozent der Bevölkerung. Mit zunehmendem Alter wird eine steigende Prävalenz beobachtet.

Bei bis zu 35 Prozent aller Schmerzerkrankungen kann eine neuropathische Schmerzkomponente nachgewiesen werden. Der Anteil zentraler Neuropathien bei Rückenmarksverletzungen wird auf 30 Prozent geschätzt, bei Patienten mit einer multiplen Sklerose auf 20 Prozent. Nach Amputationen von Gliedmaßen verspüren bis zu 60 Prozent der Betroffenen Schmerzen im Bereich des nicht mehr vorhandenen Körperteils (sogenannte Phantomschmerzen). Bei Diabetes mellitus leiden bis zu 34 Prozent der Patienten an einer schmerzhaften Polyneuropathie.

Ursachen

Neuropathische Schmerzen entstehen nach Schädigungen bzw. Läsionen von peripheren und zentralen nozizeptiven Strukturen, das heißt des reizleitenden Systems. Diese gehen entweder auf entzündliche, mechanische, toxische oder metabolische Verletzungen peripherer Neurone zurück oder sind Folge von Läsionen/Erkrankungen zentralnervöser Strukturen. Mitunter liegen periphere und zentrale Schmerzen gleichzeitig vor. Ferner können neuropathische Schmerzen mit nozizeptiven Schmerzen kombiniert sein.

Läsionen des peripheren Nervensystems

Bei Läsionen des peripheren Nervensystems sollten Erkrankungen mit fokalem Befund (nur ein peripherer Nerv oder eine Nervenwurzel geschädigt) von Erkrankungen mit einem diffusen Befall (mehrere Nerven gleichzeitig betroffen) unterschieden werden. Neben den fokalen und multifokalen neuropathischen Schmerzen gibt es generalisierte Schmerzsyndrome.

Periphere fokale oder multifokale neuropathische Schmerzen

Typische Ursachen sind:

  • Herpes zoster bzw. Post-Zoster-Neuralgie
  • Amputationen (Phantomschmerz, Stumpfschmerz)
  • Tumorerkrankungen (Plexusinfiltration durch Tumore oder Plexusläsionen nach Bestrahlung)
  • Operationen (Post-Mastektomie-Schmerz, Post-Thorakotomie-Schmerz, Narbenschmerz)
  • Traumata (territoriales neuropathisches Schmerzsyndrom)
  • Neuronale Erkrankungen wie Trigeminusneuralgie, Glossopharyngeusneuralgie und Okzipitalisneuralgie
  • Akute und chronische Radikulopathien, Postdisektomie-Syndrom und Ischialgie (Bandscheibenvorfall, degenerative Wirbelsäulenveränderungen)
  • Engpass-Syndrome
  • Diabetische Mononeuropathie
  • Morton-Neuralgie
  • Ischämische Neuropathie
  • Bannwarth-Syndrom (Borrelien-Infektion)
  • Neuralgische Schulteramyotrophie

Eine Sonderstellung nimmt hierbei das komplexe regionale Schmerzsyndrom (CRPS) ein.

Periphere generalisierte neuropathische Schmerzen

Periphere generalisierte neuropathische Schmerzen sind häufig Folge von:

  • Metabolischen Störungen
    o Diabetes mellitus
    o Hypothyreose
    o Vitaminmangel (vor allem Vitamin B12)
  • Medikamenten
    o Antibiotika (zum Beispiel Ethambutol, Isoniazid, Nitrofurantoin, Chloramphenicol und Metronidazol)
    o Chemotherapeutika (vor allem Cisplatin, Oxaliplatin, Taxane, Thiouracil und Vincristin)
    o antiretrovirale Substanzen
    o Disulfiram
    o Thalidomid
    o Gold
  • Toxinen
    o Alkohol
    o Acrylamid
    o Arsen
    o Clioquinol
    o Dinitrophenol
    o Ethylenoxid
    o Pentachlorphenol
    o Thallium
  • Hereditären Erkrankungen
    o Amyloidose
    o Morbus Fabry
    o Morbus Charcot-Marie-Tooth Typ 2B und 5
    o Hereditäre sensibel-autonome Neuropathien (HSAN) Typ 1 und 1B,
    o Primäre Erythromelalgie (u. a. Mutationen im Gen des spannungsabhängigen Natriumkanals NaV1.7)
  • Malignomen
    o Paraneoplastisches Syndrom (insbesondere bei Bronchialkarzinom)
    o Multiples Myelom
  • Infektiösen oder postinfektiösen sowie autoimmunologischen Erkrankungen
    o Akute inflammatorische Polyradikuloneuropathie (Guillain-Barré-Syndrom)
    o Chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuritis (CIDP)
    o Vaskulitische Neuropathie
    o HIV-Neuropathie
    o Lepra
  • Polyneuropathien anderer Ätiologie
    o Sekundäre Erythromelalgie

Läsionen des zentralen Nervensystems (ZNS)

Zentrale Ursachen neuropathischer Schmerzen sind insbesondere:

  • Vaskuläre Läsionen
    o Hirninfarkte (vor allem Insula, Thalamus und Hirnstamm)
    o Blutungen
    o Vaskuläre Malformationen
  • Entzündliche Erkrankungen
    o Multiple Sklerose
    o Abszesse
    o Myelitis
  • Traumata
    o Rückenmarkverletzungen
    o Schädel-Hirn-Traumata
  • Tumore
  • Syringomyelie/Syringobulbie

Gemischte Schmerzsyndrome

Von gemischten Schmerzsyndromen spricht man, wenn sich Schmerzen beider Kategorien überschneiden oder zusätzlich eine nozizeptive Schmerzkomponente vorliegt. Kombinierte neuropathische und nozizeptive Schmerzkomponenten gibt es zuweilen bei Patienten mit einem Ulcus cruris und Schmerzen am Fuß in Kombination mit einer schmerzhaften diabetischen Polyneuropathie.

Bei den gemischten Schmerzsyndromen (Mixed-Pain-Syndrom) kann häufig keine eindeutige Zuordnung erfolgen. Dazu gehören beispielsweise:

  • Rückenschmerzsyndrome mit chronischer Erregung afferenter Nerven in Gelenken, Bändern und Muskeln (nozizeptive Komponente) und einer Kompression bzw. Schädigung der Nervenwurzel (neuropathische Komponente)
  • Tumorschmerzen mit nozizeptiver Komponente (Erregung intakter Nozizeptoren durch Schmerzmediatoren aus dem Tumor) und einer Infiltration von Nervengewebe

Pathogenese

Neuropathische Schädigungen, Erkrankungen und Läsionen verändern die nozizeptiven und nicht-nozizeptiven Neurone auf morphologischer und biochemischer Ebene. Daraus entwickelt sich oft eine pathologische Spontanaktivität, sowohl in geschädigten als auch in intakten nozizeptiven Afferenzen. Die Läsionen induzieren plastische Veränderungen im peripheren und zentralen Nervensystem, die sich mit der Zeit verselbständigen und irreversibel bestehen bleiben können. Daraus resultiert eine Dysbalance zwischen exzitatorischen und inhibitorischen Mechanismen und gestörten deszendierenden Hemmmechanismen.

Symptome

Neuropathische Schmerzen treten in der Regel anfallsartig auf. Patienten beschreiben sie als brennend, kribbelnd, dumpf oder stechend. Die Beschwerden äußern sich spontan (ohne äußeren Reiz) und sind – im Gegensatz zu nozizeptiven Schmerzen ¬–nicht von physischer Belastung oder Bewegung abhängig. Neuropathische Schmerzen können chronifizieren und dauerhaft persistieren.

Typischerweise liegt eine Kombination aus Negativ- und Positivsymptomen vor.

Negativ sensorische Symptome

Negativ sensorische Symptome sind Folge degenerativer Veränderungen bestimmter Fasersysteme, die mit einem Ausfall einer sensorischen Qualität einhergehen. Abhängig vom betroffenen System kommt es beispielsweise zu:

  • Hypästhesie (herabgesetzte Empfindlichkeit der Druck- und Berührungssensibilität, vor allem im Bereich der Haut)
  • Hypalgesie (verringerte Schmerzempfindung)
  • Thermhypästhesie (abgeschwächte Temperaturempfindung)
  • Pallhypästhesie (verminderte Vibrationswahrnehmung)

Aufgrund der Läsion afferenter Fasersysteme beschreiben viele Patienten ein Taubheitsgefühl.

Negativ sensorische Symptome sind für den Patienten unangenehm, aber nicht schmerzhaft.

Positiv sensorische Symptome

Zu den positiv sensorischen Symptomen zählen:

  • Spontane Schmerzen
  • Evozierte Schmerzen  
  • Parästhesien (Kribbeln, Ameisenlaufen)
  • Dysästhesien (unangenehme Parästhesien)

Spontane Schmerzen

Nicht-stimulus-evozierte Spontanschmerzen sind das häufigste Symptom bei neuropathischen Schmerzen. Sie treten als brennende Dauerschmerzen auf oder imponieren als einschießende Schmerzattacken.

Spontanschmerzen sind Folge ektoper Nervenimpulse aufgrund einer andauernden pathologischen Ruheaktivität in partiell geschädigten primär afferenten nozizeptiven C-Fasern der Haut. Ferner ist eine periphere chronische Sensibilisierung von Neuronen mit einer erniedrigten Schwelle auf von Noxen erzeugte Reize denkbar.

Evozierte Schmerzen

Neben nicht-stimulus-evozierten einschießenden Schmerzattacken und Dauerschmerzen sind evozierte Schmerzen ein häufiges Phänomen bei neuropathischen Schmerzen. Diese treten vor allem in Form von Allodynie und Hyperalgesie auf. Bei der Allodynie wird ein normalerweise nicht-schmerzhafter Reiz als schmerzhaft empfunden. Bei der Hyperalgesie löst ein leicht-schmerzhafter Reiz eine deutlich intensivere Schmerzwahrnehmung aus. Unterschieden werden die statische mechanische Allodynie, mechanische Pinprick-Hyperalgesie, Wärme-Allodynie und Hitze-Hyperalgesie sowie die punktförmige, dynamische und Kälte-Allodynie.

  • Bei der statischen mechanischen Allodynie, mechanischen Pinprick-Hyperalgesie, Wärme-Allodynie und Hitze-Hyperalgesie lösen leichte statische Druckreize, Nadelreize und thermische Reize Schmerzen aus. Diese sind Folge einer chronischen Sensibilisierung partiell geschädigter C-Nozizeptoren und nur im Bereich der geschädigten Nervenendigungen – der sogenannten primären Zone – spürbar. Die mechanische Allodynie ist ein klassisches Anzeichen einer Post-Zoster-Neuralgie.
  • Bei der punktförmigen Allodynie wird ein normalerweise leicht stechender, aber nicht schmerzhafter Reiz (steifes von Frey-Haar) als Schmerz empfunden. Diese Form ist in der primären Zone der Verletzung lokalisiert, kann sich aber bis weit in unverletzte Hautareale (sogenannte sekundäre Zone) ausbreiten. Bei der punktförmigen Allodynie wird der Reiz über mechanosensible Aδ-Fasern geleitet. Bedingt durch zentrale synaptische Strukturveränderungen werden Impulse aus Aδ-Fasern im Rückenmark auf übererregte sekundäre nozizeptive Neurone umgeschaltet (zentrale Sensibilisierung).
  • Bei der dynamischen Allodynie lösen leichte sich bewegende Hautreize, wie zum Beispiel ein Wattebausch, Schmerzen aus. Die Wahrnehmung kann sich von der primären Zone der Verletzung bis weit in die sekundäre Zone ausweiten. Die Leitung erfolgt über niederschwellige, normalerweise nicht-nozizeptive Aß-Berührungsafferenzen. Ursächlich werden diskutiert:
    o zentrale Veränderungen der funktionell wirksamen synaptischen Strukturen, sodass Impulse aus Aß-Fasern im Rückenmark auf übererregte sekundäre spinofugale Projektionsneurone umgeschaltet werden (zentrale Sensibilisierung)
    o anatomische Verschaltung von Aß-Fasern im Rückenmark auf sekundäre spinofugale Projektionsneurone (anatomische Reorganisation im Hinterhorn)
  • Bei der Kälte-Allodynie und Kälte-Hyperalgesie werden leichte Kaltreize als schmerzhaft empfunden. Diese Reaktion ist typisch nach posttraumatischen Nervenläsionen, bei einigen Polyneuropathien und in der Akutphase einer Chemotherapie mit Oxaliplatin. Dabei werden Impulse aus Aδ-Fasern im Rückenmark auf übererregte sekundäre spinofugale Projektionsneurone umgeschaltet (zentrale Sensibilisierung).

Parästhesien und Dysästhesien

Parästhesien (Kribbeln, Ameisenlaufen) und Dysästhesien (unangenehme Parästhesien) treten vor allem bei Patienten mit Polyneuropathie auf. Sie sind Folge einer pathologischen Spontanaktivität in niederschwelligen, nicht-nozizeptiven taktilen Afferenzen (Aß-Fasern).

Diagnostik

Die Diagnostik neuropathischer Schmerzsyndrome orientiert sich unter anderem an der Graduierung neuropathischer Schmerzen und am Beschwerdebild des Patienten. Nach der Anamnese und klinischen Untersuchung folgen zur Diagnosesicherung unterschiedliche Testmethoden und bildgebende Verfahren.

Graduierung neuropathischer Schmerzen

Neuropathische Schmerzen werden nach ihrem Erscheinungsbild als sicher, wahrscheinlich, möglich oder unwahrscheinlich eingeordnet. Diese Graduierung hilft, die Diagnose individuell einzuschätzen. Bei der Einstufung „mögliche neuropathische Schmerzen“ sind bei Erstvorstellung oder im Krankheitsverlauf weitere Untersuchungen erforderlich.

Im Einzelnen sprechen folgende Kriterien für neuropathische Schmerzen:

  • Die Anamnese weist auf eine relevante Läsion oder Erkrankung des peripheren oder zentralen somatosensorischen Systems hin.
  • Die Schmerzen sind in einem neuroanatomisch plausiblen Areal lokalisiert.
  • Innerhalb des neuroanatomisch plausiblen Areals der Schmerzausbreitung ist mindestens ein pathologischer Sensibilitätsbefund erhebbar.
  • Eine relevante Läsion oder Erkrankung des peripheren oder zentralen somatosensorischen Systems lässt sich mit mindestens einem apparativen diagnostischen Untersuchungsverfahren nachweisen.

Fehlen jegliche Kriterien, ist die Diagnose neuropathischer Schmerzen unwahrscheinlich.

Anamnese

Die Diagnose beginnt – wie bei allen anderen Erkrankungen – mit einer ausführlichen Anamnese. Dabei sind folgende Punkte relevant:

  • Beginn und Dauer der Schmerzen
  • Schmerzlokalisation
  • Qualität und Quantität der Schmerzstärke
  • zeitlicher Verlauf
  • auslösende Faktoren wie Hirninfarkt, Herpes zoster und Trauma
  • Charakteristik der Schmerzen und deren Abgrenzung gegenüber anderen Schmerzformen

Darüber hinaus gilt es Informationen über schmerzassoziierte funktionelle Beeinträchtigungen, bisherige Behandlungsversuche (erfolgreich oder nicht) und schmerzrelevante Komorbiditäten wie Angst, Depression oder Schlafstörungen zu erfassen. Bei anhaltender Symptomatik sollte außerdem der Grad der Chronifizierung ermittelt werden.

Dokumentation

Schmerzskalen

Die Intensität der Schmerzen sollte zu Beginn und während der Therapie überprüft werden. In Deutschland kommen unterschiedliche Schmerzskalen zum Einsatz. Bewährt haben sich vor allem die:

  • Numerische Rating-Skala (NRS): Einordung anhand von Zahlen (meist 0–10), 0 bedeutet kein Schmerz vorhanden, 10 steht für den am stärksten vorstellbaren Schmerz
  • Verbale Rating-Skala: mündliche Befragung oder per Fragebogen, welches Item die Schmerzen am ehesten beschreibt (zum Beispiel nicht vorhanden, leichte Schmerzen, mittelstarke, starke oder sehr starke Schmerzen)
  • Visuelle Analogskala (VAS): Einstufung erfolgt häufig mit farbigem Streifen (von grün = schmerzfrei bis rot-violett = stärkster vorstellbarer Schmerz) oder Smileys (lachend = keine Schmerzen bis traurig, weinendes Icon = stärkster vorstellbarer Schmerz); VAS sind insbesondere für Kindern und fremdsprachige oder kognitiv eingeschränkte Personen geeignet.

Generell sind Skalen zu empfehlen, mit denen neuropathietypische Schmerzcharakteristika erfasst (Positiv- und Negativsymptome) und die Intensität der Schmerzen gemessen werden können.

Schmerztagebuch

Im Schmerztagebuch können Patienten über einen bestimmten Zeitraum (Tage, Wochen oder Monate) notieren, wo, wann und wodurch die Schmerzen aufgetreten sind und welche Gegenmaßnahmen (erfolgreich oder nicht) durchgeführt wurden. In der Regel werden die Angaben für vier Tageszeiten (morgens, mittags, abends, nachts) notiert. Bei episodisch auftretenden Schmerzen ist es sinnvoll, die Zahl der Tage mit Schmerzen sowie die Anzahl der Attacken pro Tag zu erheben.

Schmerzfragebogen

Standardisierte Schmerzfragebögen helfen, die subjektive Empfindung aller Beschwerden des Patienten qualitativ und quantitativ zu erfassen. Er kann vom Patienten selbst (meist zuhause vor dem Arztgespräch) oder von Arzt und Patient gemeinsam ausgefüllt werden. Eine Körperschemazeichnung zur Ermittlung von Schmerzlokalisation und Schmerzausbreitung sowie der unterschiedlichen sensiblen Symptome ist von Vorteil. Erfragt werden sollten ferner das Schmerzmaximum, die Schmerzausstrahlung und ob es sich um oberflächliche oder tief empfundene Schmerzen handelt. Die Kenntnis sozialer und psychischer Faktoren hilft ebenso bei der Therapieplanung.

Einen umfassenden Überblick bietet der Schmerzfragebogen der Deutschen Schmerzgesellschaft. Er überzeugt unter anderem mit:

  • Fragen zu schmerzbedingten emotionalen und funktionellen Beeinträchtigungen
  • einem Screening für Angst oder Depression als mögliche Komorbidität
  • Fragen zu Lebensqualität und sozialer Situation
  • einer Einschätzung des Chronifizierungsgrads

Fragebögen sind grundsätzlich zur Orientierung und als diagnostische Ergänzung zu verstehen. Für das Screening neuropathischer Schmerzen gibt es beispielsweise:

  • painDETECT
  • Douleur Neuropathique en 4 Questions (DN4)
  • Leeds Assessment of Neuropathic Symptoms and Signs (LANNS)

Mit Hilfe von Fragebögen wie dem Neuropathic Pain Symptom Inventory (NPSI) oder der Neuropathic Pain Scale (NPS) kann das Ausmaß der neuropathischen Komponente eingeschätzt werden.

Die aktuelle Leitlinie empfiehlt den Einsatz standardisierter Fragebögen zur Charakterisierung der Schmerzen sowie zur Erfassung der psychosozialen Komponente und der subjektiven Schmerzwahrnehmung. Sie weist jedoch darauf hin, dass sie als alleiniges Mittel zur Diagnose neuropathischer Schmerzen nicht geeignet sind.

Klinische Untersuchung

Bei Verdacht auf neuropathische Schmerzen empfiehlt die aktuelle Leitlinie, eine komplette neurologische Untersuchung durchzuführen. Dabei sollten das Schmerzareal nachgewiesen, das Verteilungsmuster der Symptomatik detektiert und sensible Symptome wie beispielsweise oberflächliche Berührung, Wahrnehmung von mechanischen Schmerzreizen, Propriozeption und Pallästhesie evaluiert werden. Die Kraftprüfung und die Prüfung der Muskeleigenreflexe sind wichtig, um etwaige Symptome einem neuroanatomischen Areal zuordnen zu können.

Unter Experten gilt die klinische Untersuchung als die sensitivste Untersuchung zum Nachweis neuropathischer Schmerzen.

Quantitative sensorische Testung (QST)

Die quantitative sensorische Testung ist ein psychophysisches Verfahren, bei der mittels kontrollierter somatosensorischer Testreize die Sensibilität der Haut und der darunter liegenden Strukturen (Muskeln/Faszien) untersucht wird. Der Deutsche Forschungsverbund Neuropathischer Schmerz (DFNS) empfiehlt die Verwendung thermischer und mechanischer sensorischer und nozizeptiver Parameter. Hierdurch können die dünn myelinisierten Aδ- und nicht myelinisierten C-Fasern mit ihren zentralen Bahnen (Tractus spinothalamicus) sowie die dick myelinisierten Aß-Fasern und die Hinterstränge untersucht werden.

Mit den erhobenen Daten werden Sensibilitätsprofile erstellt, die mit alters- und geschlechtsspezifischen Referenzdaten der DFNS verglichen werden können.

Im Gegensatz zu neurophysiologischen Methoden wie (Laser-)evozierten Potenzialen ist die QST auch für die Erfassung von Positivsymptomen sensitiv. Dazu gehören:

  • mechanisch dynamische Allodynie
  • mechanische Hyperalgesie
  • Hitzehyperalgesie
  • Kältehyperalgesie

Eine QST erlaubt keine Höhenlokalisation und keine Unterscheidung zwischen zentralen und peripheren Läsionen. Ferner kann keine Aussage über die ätiologische Zuordnung der Läsion getroffen werden.

Hautbiopsie

Mit einer Hautbiopsie bzw. Hautstanzbiopsie werden wenige Millimeter Haut entnommen. Die Probe wird anschließend immunhistochemisch auf die Anzahl der intraepidermalen, unbemarkten C-Nervenfasern (zu denen die nozizeptiven Afferenzen gehören) untersucht. Eine Hautbiopsie wird in erster Linie zur Diagnostik der Small-Fiber-Neuropathie (SFN) eingesetzt und dort als Goldstandard angesehen.

Mit Hilfe der Hautstanze kann eine somatosensorische Läsion im Rahmen neuropathischer Schmerzen gesichert werden.

Cave: Trotz Normalbefund können ein neuropathisches Schmerzsyndrom oder eine SFN vorliegen.

Laser-evozierte Potenziale (LEP)

Laser-evozierte Potenziale sind eine objektive Methode zur funktionellen Untersuchung des nozizeptiven Systems. Mittels Laser werden spezifisch dünne Aδ- und C-Fasern in der Epidermis gereizt und die Potenziale über ein EEG an der Kopfhaut abgeleitet. Damit können die Funktion dünner Nervenfasern und des spinothalamischen Trakts als Komponenten der schmerzleitenden Bahnen getestet werden. Eine Läsion in der Peripherie, zum Beispiel im Rahmen einer Small-Fiber-Neuropathie oder Nervenläsion im Rückenmark oder im Hirnstamm, führt zu Latenzverzögerungen und/oder Amplitudenminderungen.

LEP sind in der Diagnostik neuropathischer Schmerzen jeglicher Genese geeignet. Aufgrund des hohen technischen und zeitlichen Aufwands wird die Untersuchung jedoch nicht im Rahmen der Routinediagnostik empfohlen.

Schmerz-assoziierte evozierte Potenziale (PREP)

Die Ableitung von Schmerz-assoziierten evozierten Potenzialen ist eine elektrophysiologische Untersuchungsmethode. Dabei werden mithilfe elektrischer Stimuli epidermale Aδ-Fasern erregt und ein über Cz ableitbares Potenzial induziert. Ob bei diesem Verfahren auch dick myelinisierte Aß-Fasern gereizt werden, ist derzeit noch unklar.

Gemäß der aktuellen Leitlinie sollte PREP als nicht invasive, kostengünstige und einfach anwendbare Untersuchung bei Patienten mit Small-Fiber-Neuropathie und neuropathischen Schmerzen angewendet werden. Nachteil der Methode ist deren Störanfälligkeit. Zudem ist das Diagnoseverfahren derzeit nur an spezialisierten Zentren in die Routinediagnostik integriert.

Korneale konfokale Mikroskopie (CCM)

Die in-vivo korneale konfokale Mikroskopie ist ein nicht invasives, schnell durchzuführendes Verfahren zur quantitativen Untersuchung der kornealen Fasern des subbasalen Plexus (=Aδ- und C-Fasern). Als wichtigste Parameter in der Diagnostik einer Affektion der kleinkalibrigen Nervenfasern werden mittels CCM die korneale Nervenfaserlänge (CNFL), die Nervenfaserdichte (CNFD) und die Anzahl der Verästelungspunkte der Nerven (CNBD) bestimmt.

Die CCM kann insbesondere dann eingesetzt werden, wenn konventionelle elektrophysiologische Methoden keine Auffälligkeiten zeigen und/oder der Verdacht auf eine Small-Fiber-Neuropathie besteht.

Die korneale konfokale Mikroskopie setzt einen geschulten Untersucher voraus. Ferner müssen ophthalmologische Auffälligkeiten, die zu Veränderungen des kornealen subbasalen Plexus führen, miterfasst und ggf. abgeklärt werden (zum Beispiel Syndrom des trockenen Auges, Kontaktlinsen, Keratokonus, Keratopathie, Keratitis und ophthalmologische operative Eingriffe).

Axonreflextest

Der Axonreflextest ist eine Methode, um die Größe des Axonreflex-Erythems und damit die Funktion von afferenten peripheren C-Fasern zu untersuchen. Bei Aktivierung von peripheren C-Fasern breiten sich die Aktionspotenziale im gesamten axonalen Baum in der Haut aus. Die Aktionspotenziale vermitteln in den terminalen Nervenendigungen eine Ausschüttung des Neuropeptids calcitonin gene-related peptide (CGRP). Dieses verursacht in der Haut eine Vasodilatation, die als Rötung (neurogener Flare) sichtbar wird.

Gemäß der Leitlinienempfehlung kann der Axonreflextest in der Diagnostik neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden. Das Verfahren wird derzeit jedoch nur in speziellen Zentren zu experimentellen Zwecken angeboten.

Weiterführende Diagnostik

Als zusätzliche weiterführende Diagnostik sind abhängig von der Anamnese und Verdachtsdiagnose apparative Verfahren wie eine Neurographie, Magnetresonanztomografie (MRT) oder Computertomografie (CT) sowie Labor- bzw. Liquoruntersuchungen denkbar. Je nach Grunderkrankung kann das gesamte Spektrum der apparativen und labormedizinischen Diagnostik zur Anwendung kommen. Für weiterführende Informationen wird auf die Leitlinien der entsprechenden Erkrankungen verwiesen.

Therapie

Die Therapie neuropathischer Schmerzen unterscheidet sich von der Therapie anderer chronischer Schmerzen und stellt eine große Herausforderung dar. An erster Stelle steht die Suche nach kausalen Behandlungsmöglichkeiten. Dies können zum Beispiel eine gute Diabeteseinstellung bei diabetischer Polyneuropathie, eine Neurolyse bei Engpasssyndromen oder eine Operation beim Vorliegen eines Karpaltunnelsyndroms sein. Vielfach kann jedoch trotz medikamentöser Therapien und nicht-pharmakologischer Behandlungsstrategien keine Schmerzfreiheit erreicht werden. Um Enttäuschungen infolge zu hoher Erwartungen zu vermeiden, sind realistische Therapieziele zu erörtern.

Therapieziele

Die aktuelle Leitlinie empfiehlt:

  • Schmerzreduktion um ≥ 30 Prozent
  • Verbesserung der Schlafqualität
  • Verbesserung der Lebensqualität
  • Erhaltung der sozialen Aktivität und des sozialen Beziehungsgefüges
  • Erhaltung der Arbeitsfähigkeit
  • Verbesserung der Funktionalität

Medikamentöse Therapie

Bei der medikamentösen Behandlung neuropathischer Schmerzen kommen unterschiedliche Medikamente zum Einsatz. Diese wirken nicht immer gleich gut. Deshalb benötigt jeder Patient in Abhängigkeit von Wirkung und Nebenwirkungen eine individuelle Dosierung. Ferner sind Patienten zu informieren, dass die Wirkung oft erst nach Eindosierung und Erreichen einer wirksamen Dosis und mit zeitlicher Verzögerung einsetzt. Mitunter kann es effektiver sein, mehrere Wirkstoffe mit synergistischen schmerzhemmenden Effekten zu kombinieren.

Medikamente der ersten Wahl

Gabapentin und Pregabalin

Medikamente der ersten Wahl in der Behandlung neuropathischer Schmerzen sind Gabapentin und Pregabalin. Die Antikonvulsiva reduzieren den aktivierenden Kalziumeinstrom, indem sie mit hoher Affinität an die α2-δ-Untereinheit der spannungsabhängigen Kalziumkanäle auf peripheren und zentralen nozizeptiven Neuronen binden.

Die aktuelle Leitlinie weist jedoch ausdrücklich auf das Abhängigkeitspotential von Pregabalin hin. Dies betrifft vor allem Patienten mit komorbider Substanzabhängigkeit (insbesondere bei Opioid-Missbrauch). Allerdings ist dies erst bei sehr hohen Tagesdosen (im Median 2100 mg, Spannweite 800–7500 mg), die über der maximal zugelassenen Tagesdosis von 600 mg liegen, zu erwarten. Deshalb ist die Gabe von Pregabalin bei vorbestehender Substanzabhängigkeit zu vermeiden.

Tri- und tetrazyklische Antidepressiva (TCA)

Weitere Arzneimittel, die zur Therapie von neuropathischen Schmerzen jeglicher Ursache als Mittel der ersten Wahl eingesetzt werden sollen, sind tri- und tetrazyklische Antidepressiva wie Amitriptylin, Nortriptylin, Clomipramin und Imipramin.

Trizyklische Antidepressiva haben keine direkt antinozizeptiven Eigenschaften und wirken auch bei Patienten ohne depressive Beschwerdemuster. Der lindernde Effekt bei neuropathischen Schmerzen scheint früher und mit geringeren Dosierungen einzutreten als die Wirkung auf Depressionen. Die trizyklische Antidepressiva Amitriptylin, Imipramin und Clomipramin binden an Noradrenalin- und Serotonin (5-HT)-Transporter und hemmen so die Wiederaufnahme der Neurotransmitter. Das führt zu einer erhöhten Konzentration dieser Substanzen im synaptischen Spalt. Noradrenalin scheint dabei eine wichtigere Rolle zu spielen als Serotonin. Im Tierversuch wurde gezeigt, dass Noradrenalin über alpha2-adrenerge Rezeptoren im Hinterhorn des Rückenmarks agiert und zudem den Locus coerulus beeinflusst. Dadurch werden absteigende noradrenerge inhibitorische Bahnen aktiviert, was die schmerzhemmende Wirkung erklärt. Weiterhin blockieren TCA die Natriumkanäle und hemmen somit ektope Entladungen. In der Literatur werden noch weitere Wirkmechanismen beschrieben.

Cave: Vor der Anwendung der TCA müssen in der Risiko-Nutzen-Abwägung die Nebenwirkungen, die Arzneimittelinteraktionen sowie die kardiale Toxizität der TCA berücksichtigt werden.

Duloxetin

Der selektive Serotonin-/Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmer Duloxetin ist neben depressiven Erkrankungen und generalisierter Angststörung nur zur Behandlung der diabetischen Neuropathie zugelassen. Bei weiteren Indikationen, insbesondere bei neuropathischen Schmerzen anderer Genese, erfolgt die Anwendung als Off-Label-Use.

Die analgetische Wirkung wird durch die präsynaptische Wiederaufnahme-Hemmung der monoaminergen Neurotransmitter Serotonin und Noradrenalin und einer konsekutiven Verstärkung der deszendierenden schmerzhemmenden Bahnsysteme erklärt.

Duloxetin wird gemäß der aktuellen Leitlinie zur Behandlung neuropathischer Schmerzen jeglicher Ursache als Medikament der ersten Wahl empfohlen.

Medikamente der zweiten Wahl

Lidocain-Pflaster

Lidocain-Pflaster können speziell bei lokalisierten neuropathischen Schmerzen als Medikamente der zweiten Wahl eingesetzt werden. In der topischen Therapie haben sich vor allem Lidocain-5 %-Pflaster bewährt. Gemäß der Leitlinie sollten sie bevorzugt bei fokalen Nervenläsionen zur Anwendung kommen. In mehreren Studien wurde eine Wirksamkeit bei der postzosterischen Neuralgie nachgewiesen. Hierbei ist auch der primäre Einsatz zu erwägen.

Lidocain blockiert spannungsabhängige Natriumkanäle und unterbindet so die Entstehung von ektopen Aktionspotenzialen. Darüber hinaus wird bei längerer Anwendung die epidermale Nervenfaserdichte reduziert. Neben dem lokalanästhetischen Effekt schützt der Lidocain-Patch vor mechanischer Stimulation (dynamische Allodynie), die gerade bei der postherpetischen Neuralgie ein häufiges Problem darstellt.

Capsaicin-Pflaster

Capsaicin-8%-Pflaster sind zur Therapie neuropathischer Schmerzen jeglicher Ursache als Mittel der zweiten Wahl empfohlen. Der schmerzlindernde Effekt ist, bei guter Verträglichkeit, mit dem etablierter oraler Medikamente vergleichbar. Bei lokalisierten neuropathischen Schmerzen kann auch der primäre Einsatz erwogen werden.

Capsaicin ist der Wirkstoff des Chilipfeffers. Er fungiert als natürlicher Ligand des Capsaicin-Rezeptors (Transiente Rezeptor-Potential-Kationenkanal der Unterfamilie V Subtyp 1, kurz TRPV1-Rezeptor). Die permanente Reizung des Rezeptors führt zur verminderten Empfindlichkeit gegenüber den von TRPV1 vermittelten Schmerzreizen.

Medikamente der dritten Wahl

Als Medikamente der dritten Wahl können hochpotente und niederpotente Opioide Anwendung finden. Bei diesen Wirkstoffen müssen jedoch unerwünschte Nebenwirkungen, eine mögliche Toleranzentwicklung und das Vorhandensein komorbider Substanzabhängigkeiten beachtet werden.

Opioide

Opioide wirken als Agonisten hauptsächlich am μ-Opioidrezeptor im zentralen Nervensystem. Abhängig von der intrinsischen Aktivität am Rezeptor unterscheidet man nieder- und hochpotente Opioide. Weiterhin gibt es Substanzen wie Tramadol, die neben der Wirkung am μ-Rezeptor über eine noradrenerge und serotonerge Wiederaufnahmehemmung auf das deszendierende schmerzhemmende System wirken.

Tapentadol hat ebenfalls einen dualen Wirkmechanismus aus μ-Opioid-Rezeptor-Agonismus und Noradrenalin-Wiederaufnahmehemmung. Im Vergleich zu Tramadol ist die Serotonin-Wiederaufnahmehemmung aber nur gering. Die Evidenz für die Bewertung von Tapentadol in der Behandlung neuropathischer Schmerzen ist aufgrund der begrenzten Datenlage bislang nicht ausreichend.

Bei diabetischer und postherpetischer Neuropathie wirken Opioide besser als Placebo. Positive Daten wurden ferner bei Postamputationsschmerz, Rückenschmerzen und Schmerzen nach Verletzungen des Rückenmarks erhoben – Dosierungsempfehlungen liegen allerdings nur für Morphin vor. Eine limitierte Evidenz gibt es für die Therapie mit Oxycodon; moderate Effekte zeigten sich bei diabetischer Polyneuropathie oder postherpetischer Neuralgie. Der Benefit von Hydromorphon bei neuropathischen Schmerzen ist aufgrund der geringen Anzahl an Studien nicht sicher beurteilbar. Für Buprenorphin, Methadon und Fentanyl ist keine ausreichende Evidenz vorhanden, um einen möglichen Effekt in der Behandlung neuropathischer Schmerzen zu bewerten.

Botulinumtoxin

Die Gabe von Botulinumtoxin als Medikament der dritten Wahl kann zur Therapie neuropathischer Schmerzen jeglicher Ursache erwogen werden – allerdings nur bei fokal begrenzten Beschwerden in spezialisierten Zentren.

Medikamente für den Einzelfall

Einige Arzneimittel werden nur in bestimmten Situationen zur Therapie neuropathischer Schmerzen empfohlen. Etwaige Behandlungsversuche beruhen dabei auf Einzelfallentscheidungen. Dazu gehören folgende Wirkstoffe:

Carbamazepin, Oxcarbazepin und Topiramat

Carbamazepin, Oxcarbazepin und Topiramat vermindern die Spontantätigkeit sensibilisierter nozizeptiver Neurone im peripheren und zentralen Nervensystem, indem sie membranstabilisierend an spannungsabhängigen Natriumkanälen wirken. Topiramat blockiert die verstärkend wirkende Glycin-Bindungsstelle am erregenden glutamatergen AMPA2-Rezeptor und verstärkt durch Bindung an GABA3-Rezeptoren die inhibitorische Wirkung von GABA.

Cave: Für die Trigeminusneuralgie (siehe entsprechende Leitlinie) ist Carbamazepin weiterhin das Mittel der ersten Wahl.

Lamotrigin

Der Natrium-Kanal-Blocker Lamotrigin kann im Einzelfall als Off-Label-Use (insbesondere bei HIV-Neuropathie und zentralen Schmerzen nach Schlaganfall) erwogen werden. Für den Einsatz in der Therapie der Trigeminusneuralgie verweisen wir auf die gesonderte Leitlinie.

Phenytoin

Das Antikonvulsivum Phenytoin sollte nicht in der Therapie chronisch neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden. Informationen zur Anwendung bei akuter Exazerbation einer Trigeminusneuralgie finden sich in der gesonderten Leitlinie.

Venlafaxin

Venlafaxin kann in Einzelfällen als Off-label-Anwendung, zum Beispiel bei Chemotherapie-induzierter Polyneuropathie, erwogen werden.

Alpha-Liponsäure

Alpha-Liponsäure vermittelt möglicherweise einen schmerzlindernden Effekt bei Patienten mit diabetischer Neuropathie. Die Evidenzlage ist allerdings noch unzureichend, um den Einsatz bei diabetischer Neuropathie generell zu empfehlen.

Cannabinoide

Cannabinoide werden zur Therapie neuropathischer Schmerzen jeglicher Ursache nicht empfohlen. Gemäß Leitlinie sind ihre Effekte eher gering ausgeprägt und die Rate zentraler und psychiatrischer Nebenwirkungen hoch. Bei Versagen anderer Schmerztherapien ist der Einsatz von Cannabinoiden als Off-Label-Einsatz innerhalb eines multimodalen Schmerztherapiekonzepts zu überdenken.

Cannabinoide hemmen als Agonisten an CB1-Rezeptoren im ZNS, dem Rückenmark und an peripheren Nerven die neuronale Erregbarkeit und reduzieren so neuropathische Schmerzen.

Nichtmedikamentöse Therapieansätze

Psychotherapeutische Behandlungsansätze können grundsätzlich als nichtpharmakologische Therapieoption im Rahmen eines interdisziplinären Behandlungskonzepts (inklusive multimodaler Schmerztherapie) zur Linderung neuropathischer Schmerzen eingesetzt werden. Da neuropathische Schmerzen oft mit psychischen Symptomen wie Angst, depressiven Verstimmungen, Impulskontrollstörungen und irritierenden Sinneswahrnehmungen einhergehen, stellt vor allem die Schmerzpsychotherapie eine wichtige Therapieoption dar. Psychotherapeutische Interventionen können unter anderem zu einer höheren Compliance und verbesserten Lebensqualität der Patienten beitragen.

Transkutane elektrische Nervenstimulation (TENS)

Der Nutzen der transkutanen elektrischen Nervenstimulation wird kontrovers diskutiert. Gemäß der Leitlinie kann aufgrund der fehlenden Evidenz keine allgemeine Empfehlung zur Therapie von neuropathischen Schmerzen ausgesprochen werden. Da Einzelstudien jedoch eine Wirksamkeit nahelegen, kann der Einsatz in Einzelfällen – zum Beispiel bei fokalen neuronalen Läsionen – erwogen werden.

Prognose

Die Prognose neuropathischer Schmerzen ist heterogen und hängt vornehmlich von der Ursache und dem Ansprechen auf die Therapie ab. Für einige neuropathische Schmerzen existieren kausale Therapieansätze, beispielsweise bei akuten Bandscheibenvorfällen, entzündlichen Myelitiden oder Radikulitiden. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl nicht kausal behandelbarer neuropathischer Schmerzen.

In der Regel regenerieren sich geschädigte Nervenzellen nicht vollständig. Als Folge neuronaler Verletzungen verändern sich afferente Nervenbahnen plastisch. Diese neuronal bedingten Schäden können im Krankheitsverlauf irreversibel werden und über die akute Schädigung hinaus persistieren. Eine komplette Schmerzfreiheit ist bei Patienten mit neuropathischen Schmerzen nur sehr selten zu erreichen.

Prophylaxe

Unabhängig von der Art der neuropathischen Schmerzen ist es wichtig, die Schmerzstörung so früh wie möglich zu erkennen und eine effektive Schmerztherapie so rasch und intensiv wie möglich einzuleiten. Damit ist ein Chronifizierungsprozess am effektivsten zu vermeiden. Dies ist besonders bei neuropathischen Schmerzen von Bedeutung, da diese bereits in der Akutphase behandelt werden können.

Wie macht sich eine Neuralgie bemerkbar?

Betroffene beschreiben Nervenschmerzen häufig als brennende Dauerschmerzen, einschießende Schmerzattacken, als schneidende und stechende Schmerzen. Oft lösen Reize, die normalerweise keine Schmerzen verursachen - wie leichteste Berührungen - heftige Beschwerden aus.

Kann eine Neuralgie wieder verschwinden?

Sie können harmlos sein und nach einigen Tagen oder Wochen wieder verschwinden. Mitunter bleiben sie auch bestehen und werden chronisch. Neuralgien breiten sich im Versorgungsgebiet eines oder mehrerer Nerven aus, weshalb sie häufig auch nach ihrem Ausbreitungsgebiet benannt sind.

Warum bekommt man eine Neuralgie?

Ursachen: Die Schädigung eines peripheren Nerven, etwa durch starken Druck, durch den der Nerv gequetscht oder eingeklemmt wird, etwa infolge eines Bandscheibenvorfalls. Auch Entzündungen können ursächlich sein. Auslöser: Die Schmerzen werden durch Reize ausgelöst.

Wo Schmerzen bei Neuropathie?

Symptome: Zu den Symptomen einer Polyneuropathie (PNP) gehören Empfindungsstörungen, Missempfindungen wie Kribbeln, Brennen und „Ameisenlaufen“ sowie Schmerzen in den betroffenen Körperbereichen, häufig in den Beinen. Auch Störungen des Berührungs-, Schmerz- oder Temperaturempfindens können auftreten.