Diskriminierung seit 1948 verboten
Eines der Hauptmerkmale der indischen Gesellschaft ist bis heute das Kastensystem: Jeder Inder wird bei seiner Geburt in eine Kaste hineingeboren. Die vielen tausend Kasten (jati) in Indien können den vier traditionellen Bevölkerungsschichten (varna) zugeordnet werden. Die ersten drei - Brahmanen (Priester), Kshatriya (Krieger) und Vaishya (Händler) - gelten als Elite. Die Shudra waren traditionell Handwerker und Diener.
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Es existiert außerdem noch eine weitere Gruppe, die im Westen als „Unberührbare“ bekannten Kastenlosen, die heute Dalits genannt werden. Sie wohnen am Rand der Dörfer und mussten traditionell die als extrem unrein geltenden Arbeiten tun: Sie holten die Fäkalien aus den Häusern der Reichen, schafften tote Tiere fort und häuteten sie, stellten Leder her und ernährten sich von Essensresten. Obschon die Diskriminierung dieser Schicht in Indien seit dem Jahre 1948 verboten ist, haben sie noch immer ein schweres Los.
Alltag determiniert
Das Kastensystem determiniert bis heute den Alltag vieler Inder. Die meisten Menschen tragen die Zeichen ihres jeweiligen Lebensbereiches - Kleidung, Schmuck, Zeichen der Kaste - und sind somit oft auf den ersten Blick einordenbar. Zudem steht jeder Inder in einer klar umrissenen Ordnung festgelegter und sorgfältig befolgter Normen und Tabus. Was man essen und nicht essen, was man suchen und was man meiden, mit wem man verkehren, speisen und sich verheiraten soll - all diese persönlichen Angelegenheiten sind genau geregelt, und sowohl versehentliche wie absichtliche Übertretungen werden streng geahndet.
Die Kasten-Hierarchie ist in den vergangenen Jahrzehnten immer stärker in Bewegung gekommen. Mahatma Gandhi setzte sich für die „Harijan“, die „Kinder Gottes“, wie er die Dalit nannte, ein. Die Gesetze garantieren ihnen reservierte Studienplätze und Jobs im öffentlichen Dienst. Und Berufe sind vor allem in den Städten längst nicht mehr an Kasten gebunden.
Viele wechselten Religionszugehörigkeit
Die Ressentiments gegen Dalits sind allerdings bis heute geblieben. Und das gilt nicht nur für Hindus. Ab dem 19. Jahrhundert traten zahlreiche Kastenlose zum Christentum über, in den 1930er und 1940er Jahren führte der erste Dalit-Politiker in Indien, B. R. Ambedkar, viele tausend der „Unberührbaren“ zum Buddhismus. Andere wiederum konvertierten zum Islam. Doch auch innerhalb der neuen Religionen blieben die Dalits oftmals isoliert.
Soziologen weisen darauf hin, dass es auch bei den Dalits keine Verbrüderung gibt. Wer den beruflichen Aufstieg schafft, sucht für seine Kinder Heiratspartner aus anderen Aufsteigerfamilien. So entstehen neue Unter-Kasten - und die Benachteiligten bleiben weiter ausgegrenzt.
16 Prozent der Bevölkerung
Laut den indischen Gesetzen müssen 84 der 545 Abgeordneten des Unterhauses (Lok Sabha) aus der Dalit-Schicht (offizielle Terminologie: „scheduled castes“) stammen. Zwischen 1997 und 2002 war mit Kocheril Raman Narayanan außerdem bereits ein Dalit Indiens Staatspräsident.
Aber sie sind entlang der Parteigrenzen gespalten. „Wenn sie zusammenhalten würden, könnten sie die Regierung zwingen, die Probleme anzupacken“, sagte der Dalit-Dichter Waman Nimbalker. Die „scheduled castes“ machen laut der jüngsten Volkszählung in Indien von 2001 16 Prozent der Bevölkerung aus.
Kaste auch im Sikhismus noch prägend
Im Sikhismus, der vor allem im nordwestindischen Punjab verbreitet ist, spielen nach der offiziellen Lehre die Kasten keine Rolle. Die um 1500 von Guru Nanak Dev gegründete monotheistische Religion, die Elemente aus Islam und Hinduismus vereint, betrachtet alle Menschen als gleich, ungeachtet von deren Kaste, sozialer Schicht oder Geschlecht.
Nanak Devs neunter Nachfolger Guru Gobind Singh führte Ende des 17. Jahrhunderts für die männlichen Sikhs den einheitlichen Zweitnamen „Singh“ und für die weiblichen Sikhs den Namen „Kaur“ ein, auch um die Kastennamen zurückzudrängen. Tatsächlich heiraten Sikhs aber nach wie vor hauptsächlich innerhalb ihrer Kaste und viele verwenden auch ihren „eigentlichen“ Familiennamen, aus der die Kaste ersichtlich ist.
wissen.de Artikel
Das Kastensystem im Hinduismus ist begleitet von der Anschauung, dass alle Lebewesen in dieser in ständigem Entstehen und Vergehen begriffenen Welt eine Hierarchie des Seins bilden, die bei den Pflanzen beginnt und bei den höchsten Göttern endet. Die Menschheit wiederum als das Mittelstück in dieser Hierarchie zerfällt in zahlreiche Klassen, als deren oberste die Hindukasten gelten. Die Kastenzugehörigkeit beruht nicht auf Zufall oder dem unerforschlichen Willen eines Gottes, sondern ist gemäß den Lehren vom Kreislauf von Geburt, Tod und Wiedergeburt der individuellen Seele (Samsara) und von der Wirkung des Karmagesetzes durch die sittliche Weltordnung (Dharma) bedingt. Das Kastensystem im Hinduismus ist unterteilt in vier Kasten: Brahmanen (sie studieren die heiligen Schriften der Veden), Kshatriyas (Kriegerkaste), Vaishyas (Kaste der Händler und Hirten) und Shudras (dienende Kaste). Diese vier Kasten teilen sich noch in hunderte von Jatis auf; sie stellen die soziale und familiäre Dimension im Kastensystem der Hinduisten dar.
aus der wissen.de Redaktion, Quelle: Brockhaus
Shudras - die Klasse der Handwerker, Bauern, Pächter, u.s.w.
Der ganze Kosmos wird im Hinduismus beherrscht von der Vergeltungskausalität aller Taten (Karma), die jedem Wesen, das geboren wird, seinen Platz aufgrund seiner guten oder bösen Handlungen in einer vorausgegangenen Existenz anweist. Die Lehre von der Seelenwanderung wird somit zur Grundlage des Kastensystems. Die Seelenwanderung hat keinen Anfang; sie findet ein Ende nur dann, wenn eine Seele, nachdem sie in zahllosen Existenzen in Tier- und Menschengestalt, höllischen und himmlischen Existenzweisen geläutert worden ist, durch Weltentsagung, göttliche Gnade oder selbst erworbene Erkenntnis die endgültige Erlösung von allen Formen weltlicher Bindung erreicht (Moksha). Diese ist ein unverlierbarer Bewusstseinszustand der Seligkeit (Nirvana), der von manchen Schulen als ein verklärtes individuelles Dasein, von anderen als ein Aufgehen des individuellen Selbst (Atman) in das unvergängliche Absolute, das Brahman, mit dem es ursprünglich identisch ist, aufgefasst wird. Die verschiedenen Wege zur Erlösung sind in der "Bhagavadgita" beschrieben (Bhakti).