Prüfet alles das gute behaltet ( 1 thess 5 19-21)

Gehen wir einkaufen! | 14. So. n. Trinitatis | 5. 9. 2021 | Predigt zu 1. Thess. 5,21 | verfasst von Hansjörg Biener |

In die Begrüßung einzufügen

[…] Der heutige Predigttext beschließt einen Brief von Paulus mit zahlreichen Ratschlägen und Mahnungen. Einige werden in der Lutherbibel im Fettdruck hervorgehoben. Einer von diesen soll das Leitmotiv oder eher die Leitfrage dieses Gottesdienstes werden: „Prüft aber alles und das Gute behaltet.“ (1. Thess 5,21) […]

Erweitertes Kyrie

„Prüft alles und das Gute behaltet.“ (1. Thess 5,21) Das ist die Aufgabe – oder wenn Sie gestatten „Challenge“ – des Apostels Paulus an uns. Im Kyrie bringen wir unser Leben vor Gott, heute unter dem Leitmotiv „Was ist gut?“. Oder wenigstens: „Was ist gut für uns?“ Drei Beispiele aus dem Alltag mögen anreißen, dass das nicht so leicht zu beantworten ist. Ich bitte Sie, Ihre Fragen mit den Beispielen im gemeinsamen Kyrie-Ruf zu vereinen.

(1) „Ich weiß schon selber, was gut für mich ist.“ rief die Tochter zornig und stürmte auf ihr Zimmer. Und die Mutter schaute traurig hinterher. Wieder einmal war ein Gespräch aus dem Ruder gelaufen. Warum war ihre Tochter nur so bockig? Dabei machte sie sich doch nur Sorgen.

Kyrie-Ruf (je nach lokaler Gewohnheit)

(2) „Langsam weiß ich, was gut für mich ist.“, sagte die junge Frau. Und sie dachte dabei an diverse Beziehungen, die nicht funktioniert hatten. Zurückgeblieben war immer mehr Gespür für das, was sie nicht wollte bzw. was für einen Typ Mann sie nicht wollte. Und sie begann sich zu fragen, ob die Guten schon alle vergeben waren.

Kyrie-Ruf

(3) „Ich habe immer versucht, das Gute zu tun.“, sagte die 45-jährige. „Aber ich weiß nicht, ob das gut für mich war.“ Sie hatte sich wirklich bemüht, aber nun das Gefühl, zu kurz zu kommen. Und schon sah sie neue Verpflichtungen auf sich zukommen.

Kyrie-Ruf

„Was ist gut?“ Oder wenigstens: „Was ist gut für uns?“ All unser Bemühen und offenes Fragen legen wir zusammen in einem letzten Kyrie.

Kyrie-Ruf

Predigttext

14 Wir ermahnen euch aber: Weist die Nachlässigen zurecht, tröstet die Kleinmütigen, tragt die Schwachen, seid geduldig mit jedermann.

15 Seht zu, dass keiner dem andern Böses mit Bösem vergelte, sondern jagt allezeit dem Guten nach, füreinander und für jedermann.

16 Seid allezeit fröhlich, 17 betet ohne Unterlass, 18 seid dankbar in allen Dingen; denn das ist der Wille Gottes in Christus Jesus für euch.

19 Den Geist löscht nicht aus. 20 Prophetische Rede verachtet nicht.

21 Prüft aber alles und das Gute behaltet. 22 Meidet das Böse in jeder Gestalt.

23 Er aber, der Gott des Friedens, heilige euch durch und durch und bewahre euren Geist samt Seele und Leib unversehrt, untadelig für das Kommen unseres Herrn Jesus Christus. 24 Treu ist er, der euch ruft; er wird’s auch tun. (1. Thess 5,14–24)

Predigt

Das sind also die Ratschläge und Mahnungen, mit denen der 1. Thessalonicherbrief zu Ende geht. Es geht Paulus um das Leben in der Gemeinde, um Spiritualität, um Erfahrungen des Heiligen Geistes, die man suchen soll, – und um das Gute, das man suchen soll. Jedes dieser Themen verdiente eine eigene Predigt. Ich habe schon gesagt, für welches Thema ich mich entschieden habe. Ich bette das „Prüft alles und das Gute behaltet“ für das Folgende in zwei weitere Verse aus dem Predigttext ein:

15b Jagt allezeit dem Guten nach, füreinander und für jedermann. […]

21 Prüft alles und das Gute behaltet. 22 Meidet das Böse in jeder Gestalt.

„Das mit dem Guten ist nicht so einfach…“

Im Kyrie haben wir schon gemerkt, dass das mit dem Guten nicht so einfach ist.

Da war die Mutter-Tochter-Debatte. Sie endete mit dem trotzigen „Ich weiß schon, was gut für mich ist“ der Tochter. Jeder von uns, der deutlich älter ist, wird wissen: „Nein, weiß sie nicht.“ Ihr fehlt noch eine realistische Abschätzung, welche Folgen ihre Entscheidungen haben und welche Risiken sie eingeht. Ich hätte als Beispiel auch den Vater eines Jungen nehmen können. Nach einem Gottesdienst zur Entlassfeier aus der Hauptschule klagte er: „Wenn es um Dummheiten geht, kann ich sicher sein: Er ist vorne mit dabei.“ Dabei schätzte ich den Jungen eher als lieb-dusselig ein als gemeingefährlich. Die Sorgen der Eltern und das Streben der Kinder nach Selbstbestimmung – manchmal stoßen sie in heftigen Auseinandersetzungen aufeinander. Auch wer keine krisenhafte Pubertät hinter sich hat, wird es gehasst haben, wenn jemand sagte: „Das ist nicht gut für dich.“ Oder noch mehr, wenn es in Liebesfragen hieß: „Der, wahlweise die, ist nicht gut für dich.“

„Entdecke die Möglichkeiten“, so sagt es ein Werbespruch, und das ist auch die Aufgabe der Jugend. Man muss selbstständig werden und lernen, für sich zu entscheiden. Aber irgendwann schließen unsere Entscheidungen andere Möglichkeiten aus und geht das Entdecken in Versuch und Irrtum über. Nehmen wir den Blick der Eltern auf ihre Teenager, die lieber daddeln und feiern wollen als lernen. Die besorgten Eltern sehen eben, wie Schulweg und Berufswahl langfristig viel wichtiger sind als die nächsten Level beim Computerspiel oder eine durchgefeierte Nacht. Gewiss: Man kann Schulwege später noch korrigieren. Aber das braucht dann weit mehr Energie und Durchhaltevermögen als in der Jugend. Noch ein anderes großes Thema für Jugendliche und junge Erwachsene: die Liebe. Auch das ist eine Lernaufgabe, oft mit Versuch und Irrtum. Vor Jahren verband sich eine Zeitschrift für Frauen mit dem Spruch: „Frauen von heute nehmen nicht den ersten, sondern den Besten.“ Da hat sich offenbar etwas verändert. „Die Guten sind schon vergeben?, nein, bei uns gibt es sie noch“, wirbt heute ein Parship-Portal. Und wo früher die Eltern die Partnerwahl arrangierten, hofft man jetzt auf den Algorithmus im Computerprogramm, dass es endlich passt.

Irgendwann wird uns bewusst, wer wir geworden sind, – im Entdecken und Verpassen von Möglichkeiten, im Versuch und Irrtum. Nur manchmal erleben wir als Erwachsene noch die Aufregung und Spannung von Teenagern, – und ihre Unsicherheit und den Zwang zur Entscheidung, was denn nun gut für uns ist. Ich tippe die Beispiele nur an: Krisen in Partnerschaft oder Beruf, gesundheitliche Probleme als Weckruf, auch Zwischenbilanzen, wie beim dritten Beispiel im Kyrie. Im Raum der Kirche würde man vielleicht auch an Glaubenskrisen denken. Es gibt das Ganze aber auch andersherum, dass jemand merkt, dass er einen Neuanfang braucht, zum Suchenden wird und im christlichen Glauben ein neues Lebensfundament findet.

„Tu das, und Du wirst leben…“

„Tu das, und Du wirst leben…“ Das war jahrhundertelang die Verheißung der Religionen. Sie sagten uns, was wir zu tun oder zu lassen hatten, wenn wir ein gutes Leben haben wollten. Und wenn es nicht gut war, so trösteten sie mit einem besseren Leben im Jenseits, oder im Fall der südostasiatischen Religionen mit einer besseren Reinkarnation. Heutzutage ist die Autorität der Kirchen allerdings nicht mehr unangefochten. Aus eigenem Zutun, aber auch aufgrund der allgemeinen gesellschaftlichen Modernisierung.

Der Apostel Paulus hat seinen Teil dazu beigetragen, als er das Christentum über die Grenzen Israels hinaustrug. Alle Menschen sollten die Chance bekommen, an den Messias zu glauben, ohne sich allerdings dem Judentum anschließen und dem jüdischen Religionsgesetz unterwerfen zu müssen. Für Paulus reichte der persönliche Glaube an Jesus Christus als Orientierung und Maßstab. Die Freiheit seines Glaubens ermöglichte ihm jenes „Prüft alles und das Gute behaltet“ aus unserem Predigttext. Paulus war aber, das sehen wir deutlicher als er, natürlich auch geprägt von seiner Herkunft. Seine Verankerung im Judentum gab ihm bereits einen Maßstab mit, und schon damals war er schockiert, was in den von ihm gegründeten Gemeinden auch noch als christlich durchgehen konnte.

Auch Martin Luther hat seinen Teil dazu beigetragen, dass die Autorität von Päpsten, Kirchenversammlungen, Bischöfen, aber auch Priestern und Pastoren nicht mehr selbstverständlich war. Sie kennen vielleicht sein „Hier stehe ich und kann nicht anders“ vor dem Wormser Reichstag 1521: „Wenn ich nicht mit Zeugnissen der Schrift oder mit offenbaren Vernunftgründen besiegt werde, so bleibe ich von den Schriftstellen besiegt, die ich angeführt habe, und mein Gewissen bleibt gefangen in Gottes Wort. Denn ich glaube weder dem Papst noch den Konzilien allein, weil es offenkundig ist, daß sie öfters geirrt und sich selbst widersprochen haben.“

Luthers Gewissen war noch gefangen in Gottes Wort, nicht im eigenen Urteilsvermögen, auf das die Aufklärung so stark gesetzt hat. Vielleicht kennen Sie noch aus der Schulzeit Kants Definition: „Aufklärung ist der Ausgang des Menschen aus der selbst verschuldeten Unmündigkeit.“ Inwiefern selbst verschuldet? Weil die Menschen zu faul oder zu feige sind, sich ihres Verstandes selber zu bedienen. Kants Anhänger unter den protestantischen Theologen machten im 18. und 19. Jahrhundert das „Prüft alles und das Gute behaltet“ zu einem ihrer Lieblingsverse.

Und das ist jetzt auch der Knackpunkt. Immer noch sind Menschen zu faul oder zu feige, sich ihres Verstandes zu bedienen. Und die wenigsten haben die Stärke und Kraft, sich an den Ansprüchen eines der größten deutschen Philosophen zu orientieren und dann auch vernünftig zu handeln. Dieselbe Tochter, die so lautstark weiß, was gut für sie ist, verfolgt die Beauty- und Fitness-Tipps im Internet. Dieselbe Frau, die was Festes sucht, ist beim ersten Treffen nicht fest genug. Und die gutwillige Frau, die sich fragt, ob sie nicht auf der Strecke bleibt, zeigt uns an, dass der Anspruch, Gutes zu tun, auch zur Überforderung werden kann.

Also hören Sie von mir heute auch keinen globalen kategorischen Imperativ und keine Appelle, das in diesem oder jenem Sinn Gute zu tun. Ich schulde Ihnen aber die alte christliche Verheißung: Wer an Jesus glaubt, mit dem soll es gut werden. An ihm sollen wir lernen, wer Gott ist und wer der Mensch, und das kann auch zu anderen Vorstellungen führen, was gut und richtig ist. Die christliche Tradition hat ja an Jesus gelernt, dass nicht einfach Stärke und Selbstdurchsetzung ein gutes Leben ausmachen und auch nicht Ansehen, Erfolg und Gesundheit. Ein Leben, das sich mit Jesus verbindet, soll jedoch durch alle Höhen und Tiefen hindurch ein Leben mit Ewigkeitswert werden.

„Es gibt nichts Gutes, außer man tut es…“

Nehmen wir also ein Beispiel aus der Alltagsethik, um das Christsein üben. Gehen wir einkaufen! Für unser Beispiel brauchen wir nicht viel. Einfach nur etwas für den Tagesbedarf. (So wie mein Vater. Er hat nie ein Auto besessen. Großeinkauf, das war kein Konzept meiner Familie. Und so ist er auch als Witwer fast täglich in den Supermarkt seines Vertrauens gegangen. Und da ging es nicht nur um den täglichen Bedarf, sondern auch um den menschlichen Kontakt.) Heute soll es Pfannkuchen geben. Ein einfaches Gericht, aber ich mag es. Außerdem kann man Reste für Flädlessuppe verwenden. Eigentlich halte ich dafür schon immer ein paar Pfannkuchen zurück. Salz und Zucker habe ich zuhause. Schmalz für die Pfanne auch. Milch und Mehl brauche ich, und natürlich – Eier. Und für das Abendessen brauche ich auch noch etwas. Brot und was drauf.

(Noch bevor wir einkaufen gehen, werden wir von Werbebotschaften begleitet. Ein paar haben sich in meine Erinnerung eingegraben:

„Ich will so bleiben, wie ich bin. Du darfst.“

„Geiz ist geil.“

„Hauptsache, Ihr habt Spaß.“

„Du willst es, du verdienst es.“

Solche Kernverse des Konsums passen für mich nicht mit gelebtem Christentum zusammen. Trotzdem bleiben mir solche Schöpfungen in Erinnerung. Als jüngste Erfindung habe ich mir das „Belohnbier“ eines Baumarkts gemerkt. Wo aber finde ich Gegenworte? In unserem Bibeltext ist z. B. das „Prüft alles und das Gute behaltet“ neben den anderen Versen im Fettdruck gesetzt. Man sollte sie auswendig lernen…

Zurück zu meinem Mittag- und Abendessen und dem Supermarkt meines Vertrauens. Ich durchquere die Luftschleuse des Supermarkts und lege die Maske an. Das ist inzwischen Routine, ebenso wie die Desinfizierung der Hände. Ich greife mir einen Korb. Ich will ja nicht viel. Milch und Mehl für die Pfannkuchen und Eier und was fürs Abendessen. Die Kleinigkeiten kommen schnell zusammen. Brot und was drauf, Milch, Eier, das Mehl muss ich immer suchen. Vor der Kasse schau ich noch einmal in meinen Korb, ob ich alles habe. Mehl, Milch, Eier für das Mittagessen, Brot und Weichkäse für den Abend. Und eine Schokolade! Ich erinnere mich: An den Chips bin ich noch bewusst vorbei gegangen, weil die Tüte immer so schnell leer wird. Na ja, wenn die Schokolade schon drin ist im Korb, darf sie mit. Nach der Kasse kontrolliere ich, ob auch alles korrekt abgerechnet ist. Dann verlasse ich den Supermarkt.

Das ging aber schnell, werden Sie sagen. Und Sie haben recht. Bei meinem Einkauf ist so viel mehr abgelaufen, was Anlass zum Nachdenken werden kann. „Prüft alles und das Gute behaltet.“ Lassen Sie uns den Weg also noch einmal gehen und uns auf den Weg eines achtsamen christlichen Lebensstils begeben. Ich durchquere die Luftschleuse und lege die Maske an. Das ist inzwischen Routine, ebenso die Desinfizierung der Hände. In Corona-Zeiten sind Schutzmaßnahmen gut für mich und für jeden. Das ist mein kleines Stück Mitverantwortung, und ich denke an die, die seit zwei Jahren in der Politik zu Entscheidungen großer Tragweite kommen müssen. Und mir fällt ein, dass Paulus den Christen das Gebet für die Obrigkeit aufgetragen hat. Von einem Ja und Amen zu allem hat er dabei nicht gesprochen. Man muss die Entscheider und ihre Entscheidungen also nicht mögen. Aber man könnte dafür beten, dass sie ihren Job gut machen.

Ich greife mir einen Korb. Ich will ja nicht viel. Aus dem Augenwinkel sehe ich die Rückgabestation für Flaschen. „Sehr gute Entscheidung der Politik“, denke ich mir, „davon müsste es mehr geben“ und denke an den Müll, der trotzdem noch in meiner Stadt herumliegt. Immerhin: Es ist gut, dass Umweltschutz nicht mehr allein Thema kirchlicher Initiativen und „grüner Spinner“ ist. Wir sind weit gekommen seit den Achtzigerjahren und können immer noch so viel mehr tun. Es ist gut, dass immer mehr recycelt wird und noch Verwendbares in Tauschbörsen, Second-Hand-Läden, Kleiderkreiseln oder Sozialkaufhäusern weitergegeben wird.

Die erste Station auf meinem Weg durch den Supermarkt führt mich zum Brot. Manchmal sehe ich knallorange Aufkleber: 30 Prozent Abzug. „Sehr gute Entscheidung der Filialleitung“, denke ich mir und danke den Mitarbeiterinnen der Filiale, die sich die Mühe der Kontrolle und Neuauszeichnung machen. (Vor Jahrzehnten und in einer anderen Stadt lobte ein Supermarkt einen Fünfer aus, wenn man ein abgelaufenes Produkt fand. Ich habe mir damals manchen Fünfer „verdient“.) Ich freue mich, dass ich auf dieses Sonderangebot nicht (mehr) angewiesen bin. (Ich komme aus einer Familie, in der die D-Mark mehrfach umgedreht werden musste.) Eigentlich auch ein Grund zur Dankbarkeit und Demut.

Nach dem Brot kommen in meinem Supermarkt die „Lebensmittel für den Abend“: Knabberzeug, Süßigkeiten, Chips, Salz-Sticks und und und. (Ich bin versucht, nach den Chips zu greifen. Aber die sind so schnell leer, und außerdem müssen die Corona-Pfunde nicht noch mehr werden. Dafür werde ich an anderer Stelle schwach.) Na gut, eine Schokolade darf mit. Apropos Schokolade. Glücklicherweise ist Fair-Trade inzwischen auch im Supermarkt meines Vertrauens angekommen. Ich erinnere mich, wie Schokolade, Kaffee und Tee, kleine Schmuckstücke und andere Kleidungsaccessoires nur im Welt-Laden zu haben waren. Heute kann man sich schon fast nicht mehr erinnern, wie viel Engagement zuerst in Kirchengemeinden investiert wurde. Trotzdem ein Beispiel, wie aus Überzeugungen gutes Handeln entsteht.

Ich komme zur Milch. Ich weiß nicht, wie es Ihnen geht. Ich schaue ganz selbstverständlich auf das Ablaufdatum. Viele andere tun das offensichtlich auch. Die hinten stehenden Kartons sind ebenfalls schon angebrochen. Ganz automatisch will auch ich nach dem längeren Haltbarkeitsdatum greifen. Aber warum? „Prüft alles und das Gute behaltet“, das ist in diesem Fall die schneller ablaufende Milch. Wenn ich weiß, dass ich die Milch heute anbrechen und weitgehend aufbrauchen werde: Wozu brauche ich das spätere Ablaufdatum? Mit dieser Überlegung greife ich zur offenbar älteren Milch und trage so dazu bei, dass diese Milch nicht aussortiert werden muss. Ein kleiner Beitrag gegen die Lebensmittelverschwendung, und dann fällt mir ein, dass ich meine Vorratshaltung überprüfen muss, wenn ich auch zuhause nichts wegwerfen will.

Ich komme zu den Eiern. Wenn man mich fragen würde, was die Zahlen auf den Eiern bedeuten, ich könnte es aktiv nie sagen. Darum nur kurz die Erklärung der ersten Ziffer: 0 = Ökologische Erzeugung, 1 = Freilandhaltung, 2 = Bodenhaltung, 3 = Käfighaltung. Je niedriger die Zahl, desto besser für das Huhn. Auch hier sehe ich, dass ich inzwischen eine Wahl habe. Spätestens jetzt muss ich etwas zu den Preisen sagen: Fair gehandelt, ökologisch erzeugt oder wenigstens im Ansatz tierwohl. Das hat seinen Preis, und nicht jeder kann es sich so einfach leisten, zum teureren Produkt zu greifen. Andererseits: Wer es kann und das „bessere“ Produkt kauft, tut auch den anderen etwas Gutes. Es hat sich ja gezeigt, dass die Qualität von oben nach unten einsickert. Viele No-Name-Produkte der Discounter werden in Produktprüfungen ebenso gut wie die Markenware bewertet.

Brot, Schokolade, Milch, Eier. Sie haben längst verstanden, wie schon der einfache Einkauf zum Anlass für eine achtsame, vielleicht sogar christlich-bewusste Lebensführung werden kann. Ich setze die Einzelbeispiele deshalb nicht fort und gehe mit Ihnen zur Kasse. Da habe ich jüngst etwas Neues kennengelernt: einen Kassenbon in blau. Den gibt es bei meinem Supermarkt noch nicht, aber bei der Konkurrenz. „Der blaue Bon“ lese ich da, ist „aus verantwortungsvoller Waldwirtschaft, umweltfreundlich und recycelbar, ohne chemische Farbentwickler“. „Bravo“, denke ich mir, und mir fällt auf, dass andere auf Dinge kommen, auf die ich noch nicht gekommen bin. „Ich muss die Welt nicht alleine retten.“

„Geistesgegenwärtig leben…“

Ein erstes Hinsehen, das viel genauer werden kann, ein erstes Urteilen, das im Blick auf den christlichen Horizont noch genauer werden kann, ein erstes Handeln, dessen Konsequenzen umfangreicher werden könnten. Ich hätte über die Preise für Milch und Butter sprechen können, über Produktionsbedingungen und Lieferketten, über die Arbeitsbedingungen der Verkäuferinnen, der Schlachter und vieler anderer. Aber: Die wenigsten unter uns sind Entscheider in Politik und Wirtschaft, oder kennen solche, die wir influencen könnten. Und außerdem hallt jeder lautstark vorgetragene Ratschlag an Politik und Wirtschaft auch in die Kirche zurück. Ich kann ja weder garantieren, dass jeder Gremienkaffee in der Kirche fair gehandelt ist noch dass jede Gremienentscheidung in der Kirche menschen- oder umweltgerecht ist.

Es hat sich aber hoffentlich angedeutet, was man alleine tun kann. Da hatte Kant dann doch auch etwas gefunden: Wenn man schon auf der Freiheit seines Handelns besteht, dann muss man dann auch ernsthaft und vernünftig handeln. Und vielleicht kann man mit Gebet und Segen und mit Geschichten und Lernsprüchen aus der Bibel, die unbewusst zu einem ethischen Kompass werden, für sich noch mehr tun. Aus gemeinsamer Überzeugung und gemeinsamem Nutzen kann auch die gemeinsame Aktion werden. Vor Jahren waren es der Dritte-Welt-Verkauf im Anschluss an den Sonntagsgottesdienst, die Eine-Welt-Läden oder der Kleider-Basar der Mutter-Kind-Gruppen im Gemeindehaus. Heute sind die richtigen Orte des Engagements vielleicht die Tafeln, die Lebensmittel vor der Vernichtung bewahren, zugunsten von Armen und Bedürftigen.

„Prüft alles und das Gute behaltet.“ Ich habe in dieser Predigt versucht, daraus eine erste Linie für unser Konsumverhalten zu ziehen. Ich wollte mit Ihnen etwas fürs Mittag- und fürs Abendessen einkaufen und daran zeigen, wie Alltag und Achtsamkeit sich verbinden können. Zur Achtsamkeit gehört jedoch auch, dass Predigten irgendwann enden. Aber vielleicht ist es so, dass, wenn nachher der Hunger gestillt wird, auch das Tischgebet bewusster gesprochen wird. Amen.

Dr. Hansjörg Biener (*1961) ist Pfarrer der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern und derzeit als Religionslehrer am Melanchthon-Gymnasium Nürnberg tätig. Außerdem ist er außerplanmäßiger Professor für Religionspädagogik und Didaktik des evangelischen Religionsunterrichts an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.