Monarchie im südlichen afrika 9 buchstaben

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Staat in Südostafrika nennt sich der vorangegangene Begriff . Er hat 29 Buchstaben insgesamt, beginnt mit dem Buchstaben M und endet mit dem Buchstaben a. Neben Monarchie im südlichen Afrika nennt sich der anschließende Eintrag Indisches Fruchtbarheitssymbol ( ID: 337.442). Du könntest durch den folgenden Link mehrere Kreuzworträtsellösungen einzureichen : Weiter gehts. Teile uns Deine Kreuzworträtsel-Antwort gerne mit, sofern Du noch zusätzliche Kreuzworträtselantworten zum Eintrag Monarchie im südlichen Afrika kennst.

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1 Fundamentalismus vorwärts in die Antimoderne Außerdem t Postkoloniale Schweiz t Paramilitärs in Kolumbien t 25 Jahre Neues Südafrika Nov./Dez Ausgabe q 375 Einzelheft 6 6, Abo 6 36, iz3w t informationszentrum 3. welt

2 In dieser Ausgabe Titelbild: Houmer Hedayat Schwerpunkt: Fundamentalismus 15 Editorial 3 Editorial Politik und Ökonomie 4 Simbabwe: So intrigant wie brutal Das System Mugabe lebt fort von Rita Schäfer 6 Südafrika: Trübungen im Regenbogen 25 Jahre nach der politischen Wende von Rita Schäfer 8 Uranabbau: Schwach strahlende Aussichten In einigen Uranbergbauprojekten gehen die Lichter aus von Günter Wippel 10 Kinderrechte:»Es wurde alles getan, damit die Opfer nicht zu Wort kommen«interview mit David Ordenes über Kinderrechte in Chile 12 Kolumbien: Die Gewalt ist paramilitärisch Im kolumbianischen Chocó zeigt sich das Versagen der Politik von Ani Dießelmann 16 The Dead Don t Die Fundamentalismus liegt vielen antimodernen Bewegungen zugrunde von Winfried Rust 19 Fundamentale Männerphantasien Frauenhass ist das verbindende Merkmal vieler Fundamentalismen von Veronika Kracher 22»Klerikale Netzwerke üben massiv Einfluss aus«interview mit Eike Sanders und Kirsten Achtelik über die»lebensschutz«-bewegung 24 Der Wahn sitzt tief Warum»Fundamentalismus«oft ein reaktionärer Kampfbegriff ist von Rainer Trampert 26»Make America Christian Again«Evangelikale in den USA wollen einen»christlichen«staat von Carl Kinsky 29 Monopol auf die Wahrheit Der Wahhabismus ist in Saudi-Arabien ein umstrienes Politikum von Jörn Schulz 32 Im Dienste des Messias Jüdischer Fundamentalismus in Israel von Eva-Maria Österle 35 Karma für den Staat In Süd(ost)asien wird Buddhismus ausschließend von Dagmar Hellmann-Rajanayagam Kultur und Debae 37 Sklaverei: Wer sind die Afro-TürkInnen? Die Nachkommen der SklavInnen im Osmanischen Reich kämpfen um Anerkennung von Oliver Schulten 40 Postkolonialismus: Chemie zwischen Basel und Bombay Schweizer Verflechtungen mit dem (post)kolonialen Indien von Anja Suter 44 Solidarität:»Erreichen wir eigentlich etwas?«interview mit Simon Ramirez-Voltaire über Eine-Welt-Arbeit 47 Rezensionen 50 Szene / Impressum

3 Editorial Koloniale Fantasien Wäre der Brexit ein Plot für eine TV-Serie, man würde den DrehbuchautorInnen schlechtes Storytelling vorwerfen zu viel Drama, zu unrealistisch. Ein elitärer Opportunist, der immer aussieht, als sei er gerade aus dem Be gefallen, wird Premierminister. Er schert sich nicht um die Realität und suspendiert das Parlament. Bereits das Brexit- Referendum und die Wahl Donald Trumps haben die Koordinaten dessen, was politisch im Globalen Norden möglich ist, weit verschoben. Doch selbst nach diesen Maßstäben war der September ein außerordentlich verrückter Monat. Stets dachte man, noch absurder geht es nicht. Aber es ging. Die Leiragenden dieser schmierigen Soap Opera sind vor allem all jene Menschen, die nicht als»english«gelten. Rassismus funktionierte in Großbritannien bis vor kurzem unterschwelliger als beispielweise in Deutschland, wo er schon lange offen gezeigt wird, bis hin zum Pogromversuch wie zum Beispiel in Rostock-Lichtenhagen. Doch seit dem Brexit ist die Zahl rassistischer Straftaten auch im Vereinigten Königreich massiv gestiegen. Der Brexit ist ein Katalysator für den latenten Rassismus der weißen Mehrheitsgesellschaft, der sich nun Bahn bricht. Bezeichnend für die Brutalisierung von Politik und Gesellschaft in Großbritannien ist auch die Auseinandersetzung über Nordirland. An dessen Status hängt nun der gesamte Brexit-Deal: Eine EU-Außengrenze zwischen den beiden Irlands birgt die Gefahr, die Insel direkt in die gewaltvollen 1970er Jahre zurück zu katapultieren. Aus dem Paradebeispiel für die Befriedung eines inneren Konflikts zwischen zwei verfeindeten Bevölkerungsgruppen (ProtestantInnen versus KatholikInnen) könnte wieder ein neuer Bürgerkrieg in Europa entstehen. Diese Gefahr wird auf der größeren britischen Insel derzeit aber kaum ernst genommen. In gewisser Weise sehnt man sich dort sogar nach jener Zeit zurück. Denn Nordirland ist eines der letzten Überbleibsel des britischen Empires.»Make Britain Great Again«war im Zuge des Brexits immer wieder zu hören. Was nach einer simplen Anlehnung an Trump klingt, ist sehr viel mehr: Der Slogan drückt die Nostalgie aus, mit der die britische Geschichte betrachtet wird, und weckt die Sehnsucht nach jenen Zeiten, als»britannia«die halbe Welt regierte. Nicht jede/r Brexit- BefürworterIn ist offen rassistisch, aber fast alle können sich darauf einigen, dass Großbritannien seine angeblich verloren gegangene Souveränität zurückbekommen soll. Das ist nationalistisches Denken und gegen die EU gerichtet, insbesondere gegen die deutsche Dominanz. Hinter dem Wunsch nach wiederhergestellter Souveränität steckt aber noch ein anderer Gedanke: In der EU ist Großbritannien bestenfalls Gleicher unter Gleichen, während es im Empire und auch im postkolonialen Commonwealth der Erste unter Gleichen war und ist. Seine koloniale Vergangenheit hat Großbritannien nie wirklich aufgearbeitet. Bis heute gibt es einen starken Unwillen in der weißen britischen Bevölkerung dagegen, den Rassismus auch als eine Folge kolonialer Herrschaft zu verstehen. Fragen nach der Kolonialvergangenheit werden oft als bloße Migrationsfragen diskutiert und dabei rassistisch gewendet. Im Geschichtsunterricht an den Schulen spielt das Empire kaum eine Rolle, von Kritik an seiner einst weltbeherrschenden Stellung ganz zu schweigen. Es ist also kein Zufall, dass PolitikerInnen von Nigel Farage bis Theresa May den Brexit immer wieder in Bezug zum Commonwealth setzen können, ohne groß auf Kritik zu stoßen. May sprach davon, dass sich Großbritannien auf seine»einzigartigen globalen Beziehungen«besinnen könne und seine Rolle als»großartige globale Handelsnation«wiederentdecken solle. In den Verhandlungen mit der EU scheint immer wieder durch, wie diese Großartigkeit zurückerlangt werden soll: Großbritannien will Zugang zu Märkten zu seinen eigenen Bedingungen, ohne Rücksicht auf reziproke Abkommen. Das entspricht dem Wunsch, endlich wieder Empire sein zu dürfen. Zumindest in dem Rahmen, wie es 2019 als irgendwie akzeptabel angesehen werden kann. Auf Twier machte neulich ein Schild aus einer englischen Buchhandlung die Runde, auf dem in ebenso trockenem wie bierem Humor zu lesen war:»please note: The postapocalyptical fiction section has been moved to Current Affairs«. In dieses Regal einsortieren könnte man auch die DVDs einer noch zu drehenden TV-Serie zum Brexit, die den treffenden Titel trägt:»back to the Colonial Future«die redaktion 3

4 So intrigant wie brutal Das System Mugabe lebt in Simbabwe fort 4 Am 6. September starb der frühere simbabwische Präsident Robert Mugabe in einem Krankenhaus in Singapur. Doch das System Mugabe lebt unter Präsident Emmerson Mnagagwa weiter. Die autokratischen Herrschaftsmuster, raffinierten Patronagenetze und gewaltsamen Verfolgungen von Oppositionellen bleiben ebenso erhalten wie die weitreichende Macht des Militärs. von Rita Schäfer Die Mehrzahl derer, die in den letzten Wochen Nachrufe auf Robert Mugabe veröffentlichten, betrachten seinen Werdegang wie einen Sündenfall: Sie sehen ihn als Revolutionär, der die antikoloniale Zimbabwe African National Union (ZANU) anführte und nach der politischen Unabhängigkeit Simbabwes 1980 das Gesundheits- und Bildungssystem ausbaute. Erst als ab 2000 die Besetzungen weißer Großfarmen im Rahmen einer überfälligen Agrarbesitzreform das blühende Land schlagartig zu Fall brachten, habe der seit 1987 amtierende Langzeitpräsident immer autokratischer regiert. Wie es zum plötzlichen Absturz kam, bleibt in diesen Rückblenden unklar. Demgegenüber zeichnen viele ZeitgenossInnen und einzelne JournalistInnen schon seit Jahren ein anderes Bild. Zu ihnen zählt Ruth Weiss, die Mugabe und seine erste Frau Sally gut kannte. Laut ihr hat sich der ehrgeizige Missionszögling während seines Studiums im Unterschied zu seinen KommilitonInnen nicht an studentischen Protesten beteiligt. Als Lehrer wurde er während eines Ghanaaufenthalts zwar zum Panafrikanisten, aber dann eher zufällig in nationalistische Parteien in der damaligen britischen Siedlerkolonie Rhodesien hineingezogen. Diese bauten bereits auf Gewalt als Miel der Einschüchterung, etwa in Kämpfen untereinander und gegen Gewerkschaften, die sie als Konkurrenz wahrnahmen. Das geschah im Kontext des repressiven Vorgehens der rhodesischen Kolonialregierung. Mugabe war zusammen mit anderen schwarzen Interessensvertretern zehn Jahre lang inhaftiert und interniert übernahm er die politische Leitung der ZANU. Ausgearbeitete Papiere überzeugter linker Revolutionäre wie Wilfred Mhanda nutzte der karrierebewusste Mugabe für eigene Reden, die bei UnterstützerInnen aus der westeuropäischen Solidaritätsszene in den 1970er Jahren gut ankamen. Gleichzeitig beschwerte sich Mugabe beim US-amerikanischen Außenminister Henry Kissinger über linke Rivalen und bat um entsprechende Hilfe. Er war also nie ein Revolutionär, vielmehr ein Intrigant, der mit allen Mieln seine Macht ausbaute und absicherte. Gewalt gegen Befreiungskämpfer Mugabe kämpfte selbst nicht im antikolonialen Krieg, sondern las Frontberichte fern der militärischen Ausbildungslager. Dort sorgte ein interner Geheimdienst unter seiner Kontrolle für Einschüchterungen von jungen Guerillakämpfern, die als Spitzel ver- Wer hat hier das Sagen? Protestaktion gegen Mugabe im September 2017 Foto: Zimbabwean Eyes

5 Simbabwe dächtigt und schwer mißhandelt wurden. Auch mehrere hundert Kombaanten, die 1974 ihre schlechte Ausstaung und Versorgung problematisierten und Veränderungsvorschläge formulierten, wurden zur Strafe in Erdlöchern festgehalten, einige sogar umgebracht. Mugabe duldete weder Kritik noch Konkurrenten in den eigenen Reihen. Schnell brandmarkte er sie als»imperialistische Verräter«ein Freibrief für deren Beseitigung und eine Methode, die nach dem Krieg weiter Bestand hae. Gewaltsam ging der militärische Flügel der ZANU auch gegen die rivalisierende Unabhängigkeitsbewegung Zimbabwe African People s Union (ZAPU) vor. Mugabe neidete deren kriegerische Erfolge und das hohe Ansehen ihres Anführers Joshua Nkomo, der als»vater der Nation«verehrt wurde. Deshalb hetzte Mugabe in seinen Hassreden immer wieder gegen ihn ein Vorgehen, das er später auf Oppositionelle übertrug. Sowohl während der Demobilisierung ab 1980 als auch beim Aufbau einer neuen Armee wurden die Ex-Kämpfer des bewaffneten Flügels der ZAPU systematisch diskriminiert, was zu bewaffneten Auseinandersetzungen im Umfeld der Kasernen führte. Der damalige Sicherheitsminister Emmerson Mnagagwa, ein enger Vertrauter Mugabes, übernahm nicht den internen ZAPU-Geheimdienst, sondern baute auf das rhodesische Personal aus dem alten Apparat. Eine Generalamnestie gewährte allen kolonialen Kriegsverbrechern Straffreiheit, einschließlich der brutalen Selous Scouts, einer Eliteeinheit des weißen Regimes, die schwarze Guerillakämpfer und ZivilistInnen vergiftet haen. Der Joint Operations Command aus den Führungen des Militärs, des Geheimdienstes, der Polizei und der Gefängnisse blieb als wichtiges Parallelorgan zum Kabine erhalten. Mit dem Geheimdienst des südafrikanischen Apartheidregimes gab es regelmäßigen Austausch. Offiziell ging es darum, DissidentInnen der ZAPU auszuschalten. Dazu wurde die ndebele-sprachige Bevölkerung im Südwesten des Landes in den 1980er Jahren unter Generalverdacht gestellt, und trotz einer schweren Dürre wurde ihr internationale Nahrungsmielhilfe vorenthalten. Zehntausende wurden von einer militärischen Spezialeinheit, die Mugabe direkt unterstand, gefoltert oder umgebracht (siehe iz3w 373). Eine anschließende Generalamnestie enthob die von nordkoreanischen Trainern ausgebildeten Täter, die beteiligten Geheimdienstmitarbeiter sowie deren Auftraggeber jeglicher Schuld. Die damals Verantwortlichen sind heute in Amt und Würden, allen voran Perence Shiri, derzeitiger Agrarminister, und Constantino Chiwenga, heute Vizepräsident. Die von Präsident Mnangagwa angekündigte Aufarbeitung kommt nicht voran und die Interessenvertretungen der Überlebenden haben weiterhin einen schweren Stand. und Repression gegen BürgerInnen Anlässlich von Wahlen wurde auch Menschen in anderen Provinzen Nahrungsmielhilfe entzogen und Schlägertrupps erhielten Einsatzbefehle. Allein 2008 gab es 107 Morde, 723 Folterungen und 922 Inhaftierungen. Regimetreue Jugendmilizen, die in Speziallagern aufgehetzt worden waren, terrorisierten systematisch WählerInnen (iz3w 331). Die Gewalt richtete sich nicht nur gegen Oppositionelle, sondern zuvor schon gegen FarmarbeiterInnen verloren mindestens KleinhändlerInnen und HandwerkerInnen ihre Existenzgrundlagen (iz3w 365). Im Oktober und Mugabe hae nicht selbst im antikolonialen Krieg gekämpft November 2008 wurden circa Menschen vertrieben, die aus wirtschaftlicher Not Diamanten schürften; Militärs erschossen mindestens 214 von ihnen. Die Blutspuren staatlicher Sicherheitskräfte ziehen sich bis zur gewaltsamen Niederschlagung von Demonstrationen nach den letzten Wahlen Ende Juli 2018 mit offiziell sechs Toten und 35 Verletzten. Vierzehn Menschen wurden von der Polizei bei Protesten gegen den exorbitanten Preisanstieg und die dramatische Wirtschaftskrise Mie Januar 2019 erschossen. Tagelang blieb die elektronische Kommunikation abgeschaltet. Bei abermaligen Protesten im August 2019 gab es etliche Verletzte und 128 Verhaftungen. MenschenrechtsaktivistInnen, die die Gewalt kritisierten, gerieten selbst ins Visier der Polizei. Noch immer verschwinden immer wieder zivilgesellschaftlich Engagierte. Möglicherweise werden sie Opfer konkurrierender Geheimdienstabteilungen, denn der staatliche Sicherheitsapparat ist keineswegs ein homogenes System. Interne Querelen gehen unter anderem darauf zurück, dass Mugabe beispielsweise den Geheimdienst und den militärischen Geheimdienst gegeneinander ausspielte. Auch an Fraktionskämpfen innerhalb der Regierungspartei wirkten Polizei- und Militärchefs mit. Letztere gaben der Opposition, vor allem dem ehemaligen Gewerkschaftsführer Morgan Tsvangirai, bei Wahlen 2002 und 2008 zu verstehen, nur ein Ex-Guerillachef könne Präsident werden. Mugabe blieb im Amt. Militarisierung des Staates In (para-)staatlichen Institutionen bekamen loyale Ex-Militärs im Lauf der Jahre immer mehr Führungsämter zugesprochen. Dazu zählten die Wahlkommission, die Medien- und Telekommunikationsbehörden, die Zentralbank, die Ministerien für Jugend, Energie und Industrie. Auch im Agrar- und im Minensektor boten derartige Posten die Grundlage zur persönlichen Bereicherung. Die verbreitete Korruption in großem Stil wurde nicht geahndet. Zwischen 2009 und 2012 gingen mindestens zwei Milliarden US-Dollar an Steuereinnahmen allein aus dem Diamantensektor verloren. Vereinbarungen mit dem chinesischen Konzern Anjin im Rahmen der Indigenisierung der Wirtschaft brachten keine Verbesserungen, aber simbabwischen Ex-Militärs lukrative Aufsichtsratsposten schätzte sogar Mugabe die fiskalischen Verluste auf 15 Milliarden Dollar. Unternehmerische Restrukturierungen auf Kosten der ChinesInnen von Anjin schufen keine Abhilfe. Ob das derzeitige Vorgehen gegen einzelne korrupte PolitikerInnen lediglich Machtkonflikte in der Regierungspartei spiegelt oder weitere Untersuchungen folgen werden, bleibt fraglich. Finanz politisch sind die Prioritäten klar: Der Haushalt 2019 sieht 546,9 Millio nen US-Dollar für das Militär vor, während öffentliche Dienstleistungen, Arbeit und Soziales gerade 81,2 Millionen US-Dollar erhalten. Der Gesundheitssektor darbt. Streikenden Krankenschwestern drohen Entlassungen; Anfang September verschwand ein Repräsentant der streikenden Ärzteschaft gewaltsam. Die Elite lässt sich derweil zu Behandlungen in ausländischen Spezialkliniken ausfliegen. Das System Mugabe verleiht ihr weiterhin Flügel. Rita Schäfer ist freiberufliche Wissenschaftlerin und arbeitet unter anderem zu Simbabwe. Als Informationsquelle zu Simbabwe empfiehlt sie 5

6 Südafrika Trübungen im Regenbogen Südafrika 25 Jahre nach der politischen Wende 1994 waren viele SüdafrikanerInnen in Feierlaune. Die Apartheid wurde offiziell abgeschafft, Nelson Mandela als erster demokratisch gewählter Präsident vereidigt. 25 Jahre später ist die Aufbruchstimmung Enäuschungen gewichen. Armut, Ungleichheit und Gewaltstrukturen prägen das Land weiterhin. Diese Probleme erfordern differenzierte Analysen und umfassende Gegenstrategien, wie südafrikanische ForscherInnen und AktivistInnen erläutern. haen, schufen märchenhafte Privilegien für die weiße Minderheit auf Kosten der schwarzen Bevölkerungsmehrheit. Unter Bezug auf kritische wirtschaftshistorische Studien belegt Madlingozi faktenreich diese Gründe für die Armut der Schwarzen und nimmt dabei die Kontinuitäten der Ausbeutung durch ausländische Unternehmen in den Blick. Demgegenüber herrscht in Deutschland weitgehend Schweigen über die alten und neuen Südafrika-Netzwerke beispielsweise rechter Parteien. 6 von Rita Schäfer t t»südafrika ist wie ein Mikrokosmos, hier lassen sich weltweite Strukturen besonders deutlich erkennen.«mit dieser Einschätzung bringt der Jurist und Menschenrechtsexperte Tshepo Madlingozi die Problematik des Landes auf den Punkt. Er meint damit einerseits die gesellschaftliche Vielfalt und andererseits extreme Formen kolonialer Ungleichheit:»Die Diversität wurde von den Herrschenden immer nur genutzt, um die Gesellschaft zu teilen und zu spalten.«umso wichtiger seien neue Ansätze zu sozialer Gerechtigkeit und menschenwürdigen Lebensbedingungen. Madlingozi leitet das Centre for Applied Legal Studies (CALS) an der Witwatersrand Universität in Johannesburg. Zuvor engagierte er sich viele Jahre für Khulumani, eine Vereinigung von Überlebenden des Apartheidregimes (siehe iz3w 316). Madlingozi kennt viele schwarze Frauen, die von Sicherheitskräften und Schlägern der weißen Minderheitenregierung vergewaltigt wurden. Und er weiß, wie gefährlich es für Frauen auch heute noch in den weiterhin maroden Townships ist.»vor allem schwarze arme Lesben werden Gewaltopfer«, skandalisiert er. Das CALS-Team arbeitet an der Verwirklichung von Gewaltschutz, Geschlechtergerechtigkeit und sozio-ökonomischen Rechten und bezieht sich dabei auf die vorbildliche neue Verfassung von Rassistisches Unrecht lebt fort Hinsichtlich der in der Verfassung verbrieften Rechtsstaatlichkeit in Südafrika sieht CALS keineswegs nur die Regierung des African National Congress (ANC) in der Pflicht, sondern will auch internationale Konzerne und Banken zur Rechenschaft ziehen. Madlingozi erläutert:»viele Nichtregierungsorganisationen betrachten Umwelt-, Frauen- und Kinderrechte häufig isoliert und machen nur die ANC- Regierung für Missstände verantwortlich.«solche begrenzten Ansätze seien oft den Vorgaben europäischer Geber geschuldet. Der Jurist kennt die Problematik, für ihn ist klar:»umweltverschmutzung sowie Verbrechen an Frauen und Kindern sind nur Symptome tiefer liegender Gewaltstrukturen.«Deshalb behält CALS die Machenschaften des einstigen rassistischen Unrechtsstaats weiter im Blick, beispielsweise die Verwicklungen von Banken aus Europa als Kreditgeber für die Apartheidregierung in Pretoria. Die Profite des alten Regimes, für dessen Erhalt sich auch bezahlte deutsche Lobbyisten in Bonn eingesetzt Apartheidopfer organisieren sich t t Dieses Wegsehen in Deutschland war Anlass für kritische Reflexionen bei der Konferenz»Afrika neu denken«ende September 2019 in Frankfurt am Main. Auf Einladung von medico international und einem breiten entwicklungspolitischen und kirchlichen TrägerInnenkreis diskutierten aktionsorientierte ForscherInnen aus Südafrika und Deutschland über erstarkende Rassismen und neue Perspektiven in den Beziehungen zwischen diesen Ländern. Die südafrikanischen Gäste unterstrichen, dass die Folgen der über 40 Jahre währenden Apartheid keineswegs überwunden seien. Sie illustrierten an konkreten Beispielen, wie koloniale Ausbeutungsstrukturen der Siedler- und Sklavenhaltergesellschaft am Kap fortwirken. Umfassende Enteignungen von Land und Vieh verur sachten schon in früheren Jahrhunderten Verarmung, während rassistische Besitzunterschiede bis heute die Gesellschaft prägten. Tshepo Madlingozi, dessen fundierte Analysen in Frankfurt wichtige Impulse für die Diskussion gaben, kritisiert seit langem die ererbten Strukturprobleme im öffentlichen Sektor. Regelmäßig demonstrieren vor allem BewohnerInnen der Townships gegen unzureichende staatliche Dienstleistungen etwa im Trinkwasser- und Sanitärbereich. Über Demonstrationen jährlich zeugen von ihrem Zorn über die unwürdige Behandlung. Doch der Jurist gibt auch zu bedenken:»die Proteste allein bieten keine Lösung. Vielmehr müssen sie eingebunden sein in basisorientierte Diskussionsprozesse. Alle Mitwirkenden sollten sich über ihre Beiträge zum Wandel austauschen und gemeinsam Veränderungen angehen.«wie das geschehen kann, erklärt Nomarussia Bonase bei einem Gespräch in der Industriemetropole Johannesburg. Sie repräsentiert Khulumani, die Interessenvertretung der Apartheidopfer, und war früher in der Gewerkschaftsarbeit aktiv. Die Garage ihres kleinen Township-Hauses südöstlich der pulsierenden Großstadt hat sie zum einfachen Treffpunkt für ihren Stadeil ausgebaut. Die Aktivistin berichtet:»hier kommen alte Frauen zusammen, die bis heute körperlich von der Gewalt durch die Schergen des alten Regimes gezeichnet sind.«im Widerstand gegen die rassistische Diskriminierung häen sie ihr Leben riskiert. Einige seien als Schülerinnen von weißen Polizisten vergewaltigt worden, als sie 1976 für bessere Bildung protestierten. Nomarussia Bonase bietet ihnen nun einen geschützten Raum zur gegenseitigen Ermutigung. Sie hat auch junge Männer mobilisiert, die bereit sind, Gewalt an Frauen und Kindern Einhalt zu bieten. Diese beteiligen sich an neuen Gender- und Generationendialogen für ein respektvolles

7 Gleichberechtigung: Im Post-Apartheidstaat Südafrika immerhin partiell verwirklicht Foto: Foto: Shi Zhao Miteinander, das gemeinsame Ansätze zur lokalen Deeskalation homophober und xenophober Gewalt einschließt. Bonase erläutert:»das Männerforum setzt sich mit den tiefen Ursachen der Gewalt auseinander. Diese reichen in die Kolonialzeit und Apartheid zurück, als Menschen systematisch entwürdigt wurden ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.«Die Wahrheits- und Versöhnungskommission (TRC) hat zwar das politische System verändert, doch eine wirkliche Übergangsjustiz ist laut der Khulumani-Vertreterin Bonase weiter notwendig. Die großen Opfer, die insbesondere Frauen erbrachten, werden bis heute kaum wahrgenommen, auch nicht im offiziellen TRC-Bericht. Die Aktivistin stellt klar:»die neue Demokratie war nicht einfach zu haben; das sollte nicht vergessen werden.«menschen wurden verschleppt, gefoltert, umgebracht. In etlichen Körpern stecken noch Kugeln, die Apartheidpolizisten auf sie abfeuerten. Sie verursachen schmerzhafte Krankheiten und Behinderungen. Umso wichtiger ist die eigene Interessenvertretung der Überlebenden. Kämpfe gegen Ungleichheiten Weil sich die Lebensverhältnisse kaum verbessert haben, sind viele Menschen heute frustriert. Die wirtschaftliche Ungleichheit erschüert weiterhin die Gesellschaft. Die Besitz- und Klassenunterschiede bewertet Nomarussia Bonase auch als Folge der Apartheid:»Während wenige noch immer sehr reich sind, hat die große Mehrheit kaum Zugang zu Wasser, Strom und anderen Grundlagen eines menschenwürdigen Lebens.«Die Townshipbewohnerin ist wie Millionen andere tagtäglich mit diesen Problemen konfrontiert. Das langlebige rassistische Erbe prägt auch den Gesundheitssektor, denn die meisten Menschen können sich teure Medizin nicht leisten; sie werden dadurch diskriminiert und segregiert. Diesem Befund pflichtet die Genderexpertin Pethu Serote in Kapstadt bei:»auch im Bildungsbereich setzt sich diese tiefe Ungleichheit fort. Dabei wären umfassende Verbesserungen in der Schulbildung ein Ansatz, um die Abhängigkeit junger Müer von staatlichen Sozialleistungen zu verringern.«serote hat selbst im Bildungswesen gearbeitet, war im Untergrund für den ANC aktiv und musste ins Ausland fliehen. Nach der politischen Wende gründete sie das erste Gender-Trainingsinstitut Südafrikas.»Frauen in der Regierung sind ein guter Startpunkt, aber mehr auch nicht«, sagt sie. Es komme darauf»wir geben nicht auf, wir kennen unsere Menschenrechte«an, ob Ministerinnen frauenpolitisch handeln. Die Genderexpertin hofft auf eine neue Mobilisierung jenseits der Parteien.»Wir brauchen eine politische Frauenbewegung, die bessere Lebens- und Arbeitsbedingungen fordert. Wegen der vielschichtigen Probleme müssen die Veränderungen mehrdimensional sein.«das umfasse den Zugang zu sauberem Wasser und Strom. Auch wenn die Situation schwierig ist, Frauengruppen gegen geschlechtsspezifische Gewalt seien sehr aktiv und im letzten Jahr sichtbarer geworden. Auf sie setzt Pethu Serote ihre Hoffnungen, gleichzeitig wünscht sie mehr sektorübergreifende Vernetzung. Genau daran arbeiten die BasisaktivistInnen. Unter neuen Vorzeichen kämpfen sie beharrlich weiter. Nomarussia Bonase betont:»wir geben nicht auf, wir kennen unsere Menschenrechte. Wir schaffen neue Plaformen für Veränderungen und gehen gegen jegliches Unrecht vor. A luta continua.«rita Schäfer arbeitet als freie Wissenschaftlerin und Autorin zu Südafrika (siehe u.a. Ihr jüngstes Buch»Migration und Neuanfang in Südafrika«erschien 2019 im Brandes & Apsel Verlag. 7

8 Schwach strahlende Aussichten In einigen Uranbergbauprojekten gehen die Lichter aus In einem Themenschwerpunkt (iz3w 344/2014) beschäftigten wir uns mit»den globalen Geschäften mit dem Uran«, speziell dem Uranbergbau. Mit einem Akzent auf afrikanische Staaten fragen wir weiter: Wo steht der Uranbergbau heute? von Günter Wippel 8 Vor der Reaktorhavarie im japanischen Atomkraftwerk Fukushima 2011 herrschte in der globalen Atomindustrie Aufbruchsstimmung. Die Industrie propagierte ungeachtet mannigfaltiger Probleme eine»nukleare Renaissance«. So reichten die Ankündigungen von neuen AKWs aus, um eine Uranpreisblase entstehen zu lassen. Beinahe exponentiell stieg der Spotmarktpreis für ein Pfund Uran zwischen 2005 und 2007 von etwa 20 US-Dollar auf fast 140 Dollar. Die Folge war ein Rush auf Uranvorkommen und somit steigende Aktivitäten von Explorationsfirmen. Entlang bestimmter geologischer Formationen wurde fieberhaft nach Uranerz gesucht. Potentielle Abbauorte fanden sich unter anderem in Afrika und Südamerika, aber auch in Zentralasien. Hier wurde zudem von geringeren Umwelt- und Sozialstandards ausgegangen. John Borshoff, Gründer des australischen Uranbergbauunternehmens Paladin Energy, fasste es vor einem australischen Parlamentsausschuss prägnant zusammen: In Sozial- und Umweltfragen seien die klassischen Förderländer Australien und Kanada»viel zu anspruchsvoll«geworden. Demgegenüber wiesen internationale Nichtregierungsorganisationen und Umweltbewegungen auf die schädlichen Folgen, die ungelösten Probleme mit den Altlasten und auf die enormen Folgekosten des Abbaus hin. Nicht selten wurde kritischen Stimmen, beispielsweise gegen die Exploration in Tansania, der Mongolei oder Kasachstan mit Gegendarstellungen, Verleumdungen, Inhaftierungen und Einschüchterungen begegnet. Andererseits begann mit den fulminant gestiegenen Rohstoffpreisen ein Aufschwung der Investitionen, sowie der konkreten Suche und Erschließungsvorbereitungen. Dieser Aufschwung wurde seit 2007 wiederum von einem jähen Fall des Uranpreises gekontert. Der Preis fiel wieder auf 25 bis knapp unter 30 Dollar zurück und schwankt seitdem»stur«wie ein frustrierter Manager von Paladin sagte um diesen Wert. Areva heißt jetzt Orano Die börsennotierte, französische Areva-Gruppe war bis 2011 von der Uranförderung bis zum Verkauf von Nukleartechnikanlagen ein großer Player. Im Jahr der Fukushima-Katastrophe geriet das Unternehmen in eine große Krise. Das zeigte sich unter anderem an dem geplanten Uranbergwerk Imouraren in Niger. Areva hae noch 2010 vollmundig erklärt, dieses würde einer der größten Tagebaue der Welt. Dann verzögerte sich der Beginn, bis Areva selbst die abbaubaren Ressourcen in die Kategorie»Vorkommen«Die Rössing-Mine bei Swakopmund, Namibia herabstufte: Das Uran war nicht rentabel abbaubar, Millioneninvestitionen waren wertlos geworden, von dem Vorkommen selbst wurden 2015 bis Millionen Euro abgeschrieben. Dazu hae Areva in Namibia das Trekkopje-Uranvorkommen von Uramin für sagenhafte 2,5 Milliarden US-Dollar gekauft: Eine grandiose Fehlinvestition, denn das Vorkommen war den Preis nicht wert. Nach einer ersten minimalen Produktion von Uran wurde die Mine stillgelegt und für 1,46 Milliarden Euro abgeschrieben. Die Fehlinvestitionen in Niger und Namibia trugen erheblich zur massiven Überschuldung von Areva bei. Es schlug die Stunde des Staates. Areva wurde 2017 aufgespliet und Frankreich injizierte 4,5 Milliarden Euro in das marode Unternehmen. Seit der steuerfinanzierten»restrukturierung«heißt der Uranzweig von Areva jetzt Orano.

9 Uranabbau Foto: Ikiwaner Der Aufstieg und Fall des Rohstoffpreises hae auch woanders Folgen. In Niger schloss das Uranbergwerk Azelik, teilweise im Besitz der chinesischen CNNC, im Februar 2015 wegen»knappen Geldflusses«und zu hoher Produktions- und Finanzierungskosten. Ähnlich schlecht erging es der Paladin Energy. In Malawi stampfte das Unternehmen gegen den Widerstand lokaler NGOs das Bergwerk Kayelekera aus dem Boden. Trotz Steuervergünstigungen und niedriger Lohnkosten fuhr das Bergwerk nach 2007 Verluste ein und wurde 2014 stillgelegt. Im Frühjahr 2019 wurde es von Hylea, einem chinesisches Unternehmen, das mit seltenen Erden arbeitet, gekauft. Ungelöst bleibt allerdings die Frage der Sanierung der alten Mine, denn Paladin hat sich mit dem Verkauf aus der Verantwortung gezogen. Auch hier schlägt wohl bald die Stunde des Staates. Paladin konzentriert sich derweil auf ein anderes Uranbergwerk: Langer Heinrich in Namibia. Auch hier wurde der niedrige Uranpreis zum Problem: nach vorübergehender Einstellung des Erzabbaus wurde der Betrieb 2018 ganz eingestellt, das Bergwerk eingemoet. Paladin stand kurz vor der Pleite und wurde unter Konkursverwaltung gestellt. Schließlich konnte das Unternehmen 2017/18 dem Konkurs nur entkommen, weil die Anteilseigner auf rund 90 Prozent des Aktienwertes verzichteten. Ein Teil der Gläubiger wurde zu Anteilseignern mit schlechten wirtschaftlichen Aussichten. und Rosatom schluckt Mantra t Erfolgreich war hingegen der chinesische Staatsbetrieb CNNC (China National Nuclear Corporation) in Namibia, denn er jagte Rio Tinto das Vorkommen Rössing South ab. CNNC errichtete das Uranbergwerk Husab in Namibia, 2017 wurde von dort das erste Uran geliefert. Die ArbeiterInnen haben es von nun an mit einer chinesischen Geschäftsleitung zu tun. Schadenersatzansprüche bezüglich von Gesundheitsproblemen, die auf die 40 Jahre Uranbergbau durch Rössing zurückgehen, werden so keinesfalls leichter durchzusetzen sein. In Tansania hae letztendlich Rosatom, die staatliche russische Uranfirma, das ursprünglich australische Unternehmen Mantra aufgekauft, das das Uranvorkommen am Mkuju River entdeckt hae. Wegen des niedrigen Uranpreises kündigte Rosatom eine Verschiebung des Förderprojekts an sehr zum Missfallen der tansanischen Regierung, die den Millionenverlust an Investitionen beklagte. Um das Projekt ist es still geworden, weil die Vorkommen derzeit nicht rentabel abbaubar sind. Aber aus dem Bereich der politischen internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit heraus tut sich etwas anderes um das Projekt: Die UN Economic Commission for Europe (UNECE) will»den Pfad der Energiegewinnung durch Uran«, sprich Atomkraftnutzung,»neu definieren«. Uran soll»umweltfreundlich«per Laugungsbergbau gewonnen werden und später in noch recht imaginären Small Modular Reactors Energie erzeugen. Aber umweltfreundlich ist am Laugungsbergbau allenfalls die Optik. Man sieht keine Abraumhalden. Die Probleme liegen dann im Untergrund. Explizit nennt das UNECE-Papier als einzige»uranquelle«das Mkuju River Uranprojekt. Die EU-Kommission hat in ein 2,5-Millionen-Euro-Projekt investiert, um Tansania und anderen SADC- Staaten (Malawi, Zambia und Namibia) bei der»entwicklung«der Sicherheit des Transports von Uran zu helfen. Der avisierte Transportweg endet dabei im namibischen Hafen Walvis Bay, welcher radioaktive Produkte wie Yellowcake verschiffen darf. Die viel näher liegenden Häfen von Dar es Salaam oder Mtwara werden gar nicht erwähnt sie bekommen vermutlich keine entsprechende Lizenz. Dabei geht es vorrangig um das Proliferationsrisiko: die Sicherheit, Die Ankündigung neuer AKWs reichte für eine Uranpreisblase aus dass der Yellowcake nicht in die falschen Hände gerät. In Südafrika versuchte derweil das australische Unternehmen Peninsula in der Karoo-Region eine Reihe von Urantagebauen anzulegen wurde dabei allerdings von aktivistischem Widerstand überrascht. Im Oktober 2017 zog sich das Unternehmen aus dem Uranbergbau in der Region zurück. Dazu erreichte eine Koalition von AktivistInnen, dass ein unter Präsident Zuma gefasster verfassungsrechtlich fragwürdiger Beschluss, neue AKWs bauen zu lassen, kassiert wurde. Das Einfallstor für Atomkraft nach Afrika ist fürs Erste zugeschlagen. Manchmal kommen sie wieder Die Nuklearindustrie hat also schwer zu kämpfen. Dies hängt nicht zuletzt mit der neueren Legitimitätskrise seit der Nuklearkatastrophe in Fukushima zusammen. Damit ist, etwa mit dem deutschen Atomausstiegsprogramm, nicht zuletzt ein massiver Nachfrage-Einbruch beim Uran verbunden. Dazu steht der Nuklearindustrie eine ganz neue Konkurrenz auf dem Energiemarkt gegenüber: die»erneuerbaren«, vor allem die boomende Wind- und Solarenergie. Deshalb besinnt sich die Branche auf ihr angestammtes Rückgrat: den politischen Willen, um die Atomkraft zu halten, abzusichern und zu subventionieren. Ohne staatliche Garantien und Leistungen wäre sie noch nie tragbar gewesen. Hier setzt die Lobby mit einem neuen Ansatz an die Atomkraft sei eine klimaschonende Alternative zu den fossilen Rohstoffen und ein relevanter Akteur der Dekarbonisierung. Neben Events und Auftrien bei den vergangenen Klimagipfeln veranstaltet die IAEO im Oktober 2019 eine internationale Konferenz zum Thema Atomenergie und Klimawandel. Lapidar als atoms- 4climate beworben, positioniert sie sich klimapolitisch als Teil der Lösung. Probleme werden ausgeblendet: etwa die CO 2 -Emmissionen eines Anstiegs an Uranbergbau- und Transportaktivitäten, die ungelöste Altlastenfrage oder Unfallrisiken. In der Krise spielt die Branche wieder die politische Karte: Nur staatliche Entscheidungen können der Branche Impulse und frisches Geld verschaffen warum nicht aus dem Green Climate Fund? Günter Wippel ist Mitglied der Arbeitsgruppe uranium-network.org der Organisation Menschenrechte 3000 e.v. 9

10 SchülerInnen-Demo in Santiago gegen Studien- und Schulgebühren Foto: J. Schübelin»Es wurde alles getan, damit die Opfer nicht zu Wort kommen«interview mit David Ordenes über Kinderrechte in Chile 10 Chile war hierzulande zuletzt wegen zahlreicher Fälle sexuellen Missbrauchs in der katholischen Kirche in den Schlagzeilen. Die Opfer waren Kinder und Jugendliche. David Ordenes, 69, Direktor der Nichtregierungsorganisation La Caleta, Sozialpädagoge, Lehrer und renommierter chilenischer Kinderrechtsspezialist, machte auf einer Europareise Station bei der Kindernothilfe in Duisburg. Dort reiht er die Missbrauchs fälle in die allgemeine Situation von Kindern in Chile ein. Jürgen Schübelin: Warum gibt es in Chile anders als in den meisten lateinamerikanischen Ländern auch 29 Jahre nach dem Ende der Pinochet-Diktatur noch immer kein umfassendes Kinder- und Jugendrechteschutzgesetz? David Ordenes: Das werden wir immer wieder gefragt. Dieses Thema ist eine offene Wunde für alle, die seit fast drei Jahrzehnten für so ein Gesetz kämpfen. Ein solches legales Rahmenwerk würde die Politik in Chile grundlegend verändern. Es ginge nicht mehr darum, dass staatliche Institutionen nach Gutdünken mal hier, mal da ein paar Miel zur Verfügung stellen. Denn wenn es in unserem Land eine einklagbare Rechtsgrundlage für die in der UN-Kinderrechtskonvention garantierten Rechte von Mädchen und Jungen gäbe, wäre die Konsequenz zwangsläufig eine völlig andere Bildungs- und Gesundheitspolitik. Das wäre das Ende eines ungezügelten Geschäftemachens mit Bildung und Gesundheit. Doch dazu sind viele politisch Verantwortliche nicht bereit. Zahlreiche Abgeordnete sind selbst oder über ihre Familien geschäftlich in Privatschulen, Privatunis oder im kommerziellen Gesundheitsbereich engagiert. Sie haben nicht das geringste Interesse, die Rahmenbedingungen für diese lukrativen Geschäftsfelder zu verändern. Was können denn Nichtregierungsorganisationen, Akteure aus der Zivilgesellschaft oder die Betroffenen dagegen tun? Gibt es da überhaupt eine Chance? Ja, die gibt es! Wir sehen in diesen Wochen wieder, auf welche breite Unterstützung etwa die Lehrerinnen und Lehrer aus den vernachlässigten öffentlichen Schulen, die für eine gerechtere Bezahlung streiken, stoßen. Oder wie sehr die diversen Proteste der SchülerInnen oder Studierenden der letzten Jahre den Nerv dieser Gesellschaft treffen. Menschen aller Generationen identifizieren sich mit dem Recht auf Bildung. Chile ist nicht arm. Die Ressourcen, um allen Kindern und Jugendlichen eine gute Bildung zu ermöglichen, sind da. Nur fehlt komple der politische Wille um endlich am Grundübel, der sozialen Ungerechtigkeit, etwas zu ändern. Wir haben 2012 ein Netzwerk von Organisationen aus dem Kinder- und Jugendrechtsbereich gegründet, das wir Movimiento Movilizándonos nennen. Bei allen unseren Aktionen in der Öffentlichkeit erleben wir sehr viel positive Resonanz. Viele Menschen in diesem Land wollen wirklich etwas verändern! Hier in Europa haben die Fridays for Future-Proteste mit Millionen von SchülerInnen die Klimakrise thematisiert. Dabei geht es um ihre Zukunftsperspektiven. Die chilenische Regierung richtet vom 2. bis 13. Dezember in Santiago die 25. UN-Klimakonferenz (COP25) aus. Was planen die chilenischen Kinderrechtsorganisationen dazu? Eine Fridays for Future-Bewegung gibt es in Chile noch nicht. Aber in den letzten Jahren waren es immer wieder Schülerinnen

11 Kinderrechte und Schüler, die für die ökologischen Kinderrechte auf die Straße gegangen sind. Es wird bei der Klimakonferenz ein Zelt der Nichtregierungsorganisationen neben dem Tagungszentrum geben. Kinder und Jugendliche aus unserem Netzwerk werden unterschiedliche Aktionen durchführen. Es geht um ihr Engagement zum Müllrecycling und zur Vermeidung von Plastikabfällen. Es gibt auch ein nord-süd-relevantes Thema: So entstehen in der Atacama- Wüste in Nordchile gigantische Anlagen zum Lithium-Abbau, weil dieses Alkalimetall unverzichtbar für den Ausbau der Elektromobilität in den industrialisierten Ländern ist. Dafür werden die Süßwasserreserven der ganzen Region zerstört. Es sind transnationale Konzerne, die kaum Steuern zahlen, aber hier mit Unterstützung der chilenischen Regierung eine ökologische Katastrophe anrichten. Wir wollen mit den Kindern und Jugendlichen während der COP25 deutlich machen, welche Kosten etwa der Boom der Elektromobilität im Norden für die Menschen in den betroffenen Regionen im Süden hat.»einklagbare Kinderrechte wären das Ende des Geschäftemachens mit Bildung und Gesundheit«Ein anderes Thema, das in den zurückliegenden Monaten in Chile für Aufmerksamkeit sorgte, war der Mord an dem jungen Camilo Catrillanca, einem indigenen Mapuche. Er wurde am 14. November 2018 von Mitgliedern einer Spezialeinheit der Polizei durch einen Kopfschuss getötet. Camilo hae vor einigen Jahren an einem auch von der Kindernothilfe un terstützten Projekt zur Eindämmung von Gewalt gegen Mapuche-Kinder mitgewirkt. Hat dieser Mord etwas in der Öffentlichkeit und bei den politisch Verantwortlichen verändert? Nicht wirklich. Noch immer schikaniert die Polizei Mapuche-Kinder aus indigenen Gemeinden in der Region um Temuco und Ercilla auf dem Weg zur Schule. Die Repression David Ordenes gegen Jugendliche, die sich gegen die Ausgrenzung von Mapuche wehren, geht unvermindert weiter. Um den Mord an Camilo Catrillanca zu kaschieren und Spuren zu verwischen wurde ein 15-jähriger Junge, Maikol, den die Polizisten ebenfalls mit ihren Schüssen schwer verletzt haen, verhaftet und der Familie tagelang der Zugang zu ihm verweigert. Es gibt in Chile, wenn es um Übergriffe und exzessive Gewalt durch die Polizei geht, keinen funktionierenden Rechtsstaat. Unsere Gesellschaft leidet noch immer unter den Spätfolgen der Pinochet-Diktatur. Deren oktroyierte Verfassung von 1980 mit ihrem autoritären Gesellschaftsbild, kombiniert mit Marktradikalismus und dem Prinzip der bewussten Zerschlagung sozialstaatlicher Verantwortung, prägen Chile bis heute. Wir haben als Kinderrechtsnetzwerk den chilenischen Staat wegen der Brutalität der bewaffneten Polizeieinsätze gegen Jugendliche immer wieder angezeigt. Chile verstößt fortdauernd gegen den Artikel 3 der UN-Kinderrechtskonvention, in dem es um das»vorrangige Berücksichtigen des Kindeswohls«durch Institutionen und Behörden geht. Die Kindernothilfe hat uns bei diesen Vorstößen immer wieder unterstützt. Aber wir brauchen deutlich mehr internationale öffentliche Aufmerksamkeit für das, was in diesem Land vor sich geht. Bei einem Thema fehlte es in den zurückliegenden Jahren allerdings nicht an Aufmerksamkeit: dem sexuellen Missbrauch an Kindern und Jugendlichen durch katholische Geistliche oder Laien mit mindestens 178 namentlich bekannten Opfern. Warum hat es so lange gedauert, bis sich die chilenische Justiz ernsthaft mit diesen Verbrechen beschäftigt? t Nicht nur die Justiz hat versagt. In den Machtstrukturen der Kirche wurde jahrelang alles getan, um die Opfer nicht zu Wort kommen zu lassen oder ihre entsetzlichen Leidenserfahrungen zu negieren, die Täter zu schonen und die Missbrauchs fälle zu relativieren. Und auch bei anderen Institutionen gab es jahrelang kaum Interesse, den Berichten von Insidern und Betroffenen über Gewalt und Missbrauch Glauben zu schenken. So kam es im staatlichen Kinder- und Jugenddienst SENAME (Servicio Nacional de Menores) und seinen Heimen zu brutaler Gewalt und sexuellem Missbrauch. Präsident Sebastian Piñera stellte im Mai einen Report vor, nach dem es in diesen Heimen von 2005 bis 2016 zu Todesfällen von Kindern und Jugendlichen gekommen ist. So etwas ist in einem Land, in dem politisch Ver antwortliche über Jahrzehnte den Kinderrechten und dem Kindesschutz so wenig Priorität einräumen, immer auch ein Systemproblem. Foto: L. Töpperwien Neben den Kindern und Jugendlichen der Mapuche: Welche anderen Gruppen bereiten Kinderrechtsorganisationen in Chile zurzeit die meisten Sorgen? t Das ist eindeutig die Situation der Mädchen und Jungen aus Haiti: Die chilenische Statistikbehörde INE geht davon aus, dass in den zurückliegenden Jahren etwa Menschen aus Haiti auf der Flucht vor extremer Armut und Gewalt zum Teil auch durch kriminellen Menschenschmuggel nach Chile kamen. Die Situation dieser Menschen, vor allem der Kinder, ist größtenteils katastrophal. Die allermeisten ImmigrantInnen aus Haiti leben unter menschenunwürdigen Bedingungen, werden als billigste Arbeitskräfte ausgebeutet und sind Opfer eines unverhohlenen Rassismus. In vielen Projekten, die zu unserem Netzwerk gehören, machen die Mädchen und Jungen aus Haiti inzwischen rund ein Driel der Kinder aus. Die chilenische Regierung unternimmt so gut wie nichts, um deren Rechte zu schützen. Es sind wieder einmal die Nicht regierungsorganisationen, aber auch Kirchengemeinden und die NachbarInnen in den Armen vierteln, die sich engagieren. Auch dieses Thema braucht dringend mehr internationale Aufmerksamkeit. Deshalb ist es so wichtig, dass die Menschen und Institutionen in Europa intensiver nach Lateinamerika blicken und etwas weniger auf sich selbst. Das ist für unsere Arbeit unverzichtbar! David Ordenes ist Direktor der chilenischen Nichtregierungsorganisation La Caleta. Das Interview führte Jürgen Schübelin, Referats leiter der Kindernothilfe für Lateinamerika und die Karibik. 11

12 Die Gewalt ist paramilitärisch Im kolumbianischen Chocó zeigt sich das Versagen der Politik 12 Das Departamento del Chocó liegt im Nordwesten Kolumbiens am Pazifik, nahe Panama. In dieser Peripherie koexistieren indigene und Afro-Gemeinschaften mehr schlecht als recht neben Rohstoffgewinnung, Holzschlag und Koka-Anbau. Die BewohnerInnen leiden insbesondere unter der Gewalt der Paramilitärs. Diese nichtstaatlichen Banden üben eine ebenso versteckte wie gewaltvolle Herrschaft aus. Warum hat der Friedensvertrag von 2016 daran nichts geändert? von Ani Dießelmann Rund 14 Stunden dauert die Fahrt von Medellín in das Departamento del Chocó, ein einsamer Landstrich zwischen Pazifik und Karibik. Auf Schoerpisten geht es über Mutatá nach Riosucio, mehrmals müssen alle Fahrgäste aussteigen, denn der Bus steckt im Schlamm fest. «Was ich bin und was ich habe, schulde ich Go«, steht in verblichenen Buchstaben auf der staubigen Rückscheibe. Zumindest was Letzteres betrifft, schulden die Menschen im Chocó Go nicht viel. Besitz haben nur wenige. Und viele, die einmal etwas haen, mussten es bei zahllosen Vertreibungen und Fluchten zurücklassen. Extreme Armut ist weit verbreitet. In Riosucio endet der Fahrweg. Es geht weiter über Flüsse, in einfachen Booten, mit Holzbreern als Sitzgelegenheit und einem Außenbordmotor. Weitere zehn Stunden unter der brennenden Sonne, zuerst den breiten Atrato entlang, dann durch kleinere Nebenarme und schließlich den Salaquí hoch. Hier liegen die indigenen und Afro-Autonomiegebiete Isletas und Tamboral. Akute humanitäre Notlage Die dort lebenden indigenen und Afro-Gemeinschaften haben vor kurzem den humanitären Notstand ausgerufen und um eine internationale Mission gebeten, die in diesem August als Solidaritätsbrigade Caravana das Departamento bereiste. Denn trotz des spektakulären Friedensabkommens in Kolumbien zwischen der damaligen Regierung Santos und der FARC-Guerilla im Jahr 2016 hat sich hier nichts verändert (siehe iz3w 362, 365 und 373).»Es ist sogar noch schlimmer. Und die Wahl des ultrarechten Präsidenten Iván Duque im Jahr 2018 hat die Lage verschärft«, sagt Pablo Fanon, Sprecher der Afroorganisation PCN. Der Friedensprozess habe das Problem der sozialen Ungleichheit nicht gelöst. Diese sei der Grund für den Bürgerkrieg. 80 Prozent der Menschen hier in den Flusstälern haben im Oktober 2016 bei dem Referendum für das Friedensabkommen gestimmt. Landesweit wurde es mit 51 Prozent abgelehnt und daraufhin unter Beteiligung der Rechten und Konservativen nachjustiert. Die Hoffnung auf Veränderungen erlosch mit dem abgespeckten Abkommen bald. Sta Investitionen und Infrastrukturprogrammen sind neue bewaffnete Akteure gekommen, darunter vor allem Paramilitärs, aber auch DissidentInnen der FARC. Sie kämpfen nun erneut um die Kontrolle der illegalen Märkte, auf Fotos: Pablo Monsalve TeilnehmerInnen der»caravana«und AnwohnerInnen fahren nur in größeren Gruppen auf dem Salaquí sonst wäre die Reise zu gefährlich

13 Kolumbien denen Kokain, Holz und Bodenschätze gehandelt werden. Und Flüchtlinge: Das Chocó ist das Nadelöhr nach Panama und damit nach Miel- und Nordamerika. Wie auf jedem illegalen Markt bringen diese Geschäfte mafiöse Strukturen hervor, Paramilitärs kontrollieren Flussläufe und Ortschaften, erpressen, drohen und morden. Ganze Landstriche sind mit Landminen durchsetzt. Die extreme Armut hat politische Ursachen. Weder in Isletas noch in Tamboral gibt es Strom, Trinkwasser oder Abwasser. Es gibt keine Schulen, die Kinder werden selbst unterrichtet. Viele können mit 13 Jahren noch keine Grundrechenarten. Es gibt keine Anbindung an Telefon oder Internet und keine Gesundheitsversorgung. Dafür gibt es Tropenkrankheiten, giftige Spinnen und Schlangen. An deren Bissen sterben regelmäßig nicht nur Kinder, denn der nächste Arzt in Riosucio ist zehn Stunden entfernt. Vertreibung durch Mord Rund 70 Prozent aller Fälle von Vertreibungen in Kolumbien finden derzeit am Pazifik sta. Viele fliehen in die urbanen Zentren und hoffen oftmals vergeblich auf Hilfe. Die staatlichen Entschädigungen aus dem Hilfsprogramm für Opfer des Konflikts kommen selten bei den Betroffenen an. Die Menschen fliehen vor kriminellen Banden, etwa um ihre Kinder vor Zwangsrekrutierungen zu schützen. Zwischen Januar 2018 und Juni 2019 wurden an den Flussläufen bei Isletas und Tamboral 57 Massenvertreibungen gemeldet Personen sind auf der Flucht.»Meine Familie ist bereits zum siebten Mal vertrieben«, erzählt die junge Nayasá Cunampia. Ihre Kinder seien permanent unterernährt und in ihrer Entwicklung gestört. Keine feste Heimat zu haben, ist für Indigene ein massives Problem:»Wir leben von dem, was der Fluss und der Wald uns geben. Ohne Zugang zu unserem Lebensraum haben wir nichts.«pablo weist auf die zunehmende Zahl von Morden an indigenen AktivistInnen hin.»solange unsere Genossen umgebracht werden, solange die bewaffneten Konfrontationen weitergehen, sind wir weiterhin Opfer.«So hat im April der Mord an einem der Sprecher der Indigenen, Aquileo Mecheche Baragón, Angst verbreitet. Zu seiner Beerdigung kamen tausende Menschen. Zuvor wurde er monatelang bedroht. Am 27. März rief seine Gemeinschaft um Hilfe, als Paramilitärs in ihr Territorium eindrangen, um Aquileo zu ermorden. Die Gemeinschaft konnte den Mord Hauptverantwortlich für die Menschenrechtsverletzungen sind die Paramilitärs verhindern kurz darauf jedoch verließ Aquileo die Gemeinde in Richtung Riosucio und wurde dort tot aufgefunden. Die Menschen in dieser Region sind zweifach Opfer, erklärt Pablo.»Zum einen Opfer des Bürgerkrieges, zum anderen Opfer der strukturellen Vernachlässigung und extremen Armut.«Hinzu komme die rassistische, systematische Verfolgung von Afros und Indigenen, ergänzt Nayasá. Laut der Indigenenorganisation ONIC sind 70 der 102 indigenen Ethnien in Kolumbien von Auslöschung bedroht. 158 Indigene wurden seit der Unterschrift des Friedensabkommens ermordet, davon 97 während der aktuellen Präsidentschaft Duque. Statistiken zur Lage der schwarzen Bevölkerung gibt es nicht. Die Dorfbewohnerin Nayasá gehört zu den Ebera Dobidá, das bedeutet «Mensch vom Fluss«. Ihr Leben dreht sich um das Wasser. Sie leben vom Fischfang, vom Anbau in Sumpf- und Nasskulturen, ihre geräumigen Häuser stehen auf Pfählen über dem Strom. Die Indigenen haben keinen Zugang zum Markt, ihre landwirtschaftlichen Produkte finden keinen Absatz. Es fehlt Land für die klassische Anbauweise und viele Felder bergen wegen der Landminen Lebensgefahr. Nicht selten hört man Explosionen zumeist lösen Tiere die Detonationen aus. Das wirkt sich auch auf die Ernährung aus: Es werden fast nur noch Kochbananen produziert, was zu Mangelerscheinungen führt. Viele Ebera verdingen sich als Tagelöhner im illegalen Holzschlag und tragen damit zur Zerstörung ihres Lebensraumes bei. Außerdem sind der Anbau und die Verarbeitung von Koka im Chocó wieder massiv angewachsen. Darüber wird nicht gesprochen. In den Dörfern Isletas und Tamboral herrscht stetiges Kommen und Gehen, viele Menschen haben ihre Kinder in Riosucio untergebracht, so auch Nayasá.»Zur Sicherheit«, sagt sie.»zudem gibt es hier keine Schule.«Die Ebera und die Afros geben der Regierung die Schuld für die Krise: Der nationale Entwicklungsplan basiere auf der gewaltsamen Ausbeutung der Natur im Interesse multinationaler Konzerne. Das sei auch im Interesse der Paramilitärs. Die wachsende Macht der Paramilitärs Hinter der systematischen Verfolgung der Schwarzen und Indigenen im Chocó stecken paramilitärische Strukturen. Aber über das Offensichtliche wird geschwiegen. Vom Staat ist keine Hilfe zu erwarten. Er tri in Isletas und Tamboral nur in Form von hochgerüsteter Militärpolizei und Soldaten in Erscheinung und die koexistieren friedlich mit den Paramilitärs.»Wir brauchen hier keine Soldaten«, sind sich Nayasá und Pablo einig. Die Namen der beiden sind auf ihren Wunsch hin geändert:»denn wer spricht, liegt am Morgen im Fluss«, so Pablo. Die Paramilitärs entstanden Ende der 1970er Jahre als Antwort auf die erstarkende Linke und die Gründungen der Guerillagruppen FARC, EPL, PRT und ELN. Ende der 1980er Jahre wurden sie als Einheiten der»aufstandsbekämpfung«und»selbstverteidigung«der Eliten des Landes gegründet. Die Karibikregion gilt als eine ihrer Geburtsstäen. Militärisches Ziel dieser Einheiten war die Vernichtung der Guerilla und ihrer SympathisantInnen. Neben dieser selektiven Verfolgung übten sie breitgestreuten Terror aus, um ganze Gemeinschaften zu vertreiben und einzuschüchtern gründete sich der Bloque Norte, der sein Unwesen auch im Chocó treibt kam es zum landesweiten Zusammenschluss der Para militärs als Autodefensas Unidas de Colombia (AUC). Der massive Aufschwung der Paramilitärs um das Jahr 2000 herum muss als Antwort auf den beginnenden Friedensprozess mit der FARC unter dem damaligen Präsidenten Andrés Pastrana verstanden werden.»die Geschichte scheint sich wiederholen zu wollen«, befürchtet Pablo. Damals haben die AUC einerseits mit Terrorpraktiken ganze Regionen unter ihre Kontrolle gebracht. Andererseits agierten sie auf dem politischen Feld, um legal operieren zu können. So wurde die AUC bei den Wahlen im Jahr 2002 eine relevante politische Kraft. Bis zu 30 Prozent der Kongressabgeordneten unterschiedlicher Parteien waren direkt mit paramilitärischen Strukturen verbunden. Mit dem gestiegenen politischen Rückhalt konnten sich die AUC auch militärisch weiter ausbreiten. Sie kämpften gegen ganze oppositionelle Bevölkerungsgruppen. Durch Terror und sogenannte»grenzereignisse«massaker, öffentliche Folterungen und exemplarische Strafen dehnten sie die versteckte Willkürherrschaft aus.»im Chocó agieren diese Gruppen unter anderen Namen bis heute nach demselben Prinzip«, erklärt Nayasá. Dabei setzt dieser parastaatliche Akteur auch auf die alltägliche Gewaltstruktur, 13

14 Kolumbien 14 um autoritär-patriarchale Gesellschaftsordnungen durch strenge Verhaltensregeln zu festigen. Von diesen Zuständen profitieren seit den 1990ern die wirtschaftlichen und politischen Eliten: Großgrundbesitzer, die Rohstoffe extrahierende Industrie und führende Militärs. Gegen die Frauen in Isletas, Nordwestkolumbien linke Opposition hält diese Oligarchie im Zweifelsfall zusammen. Vor allem die Paramilitärs sind ein verbindendes Element. Die Familie von Ex-Präsident Álvaro Uribe wird verdächtigt, paramilitärische Gruppen auszubilden, auszustaen und zu befehligen. Uribe gilt als politischer Vater des amtierenden Präsidenten Iván Duque. Der Extraktivismus-Block hingegen, zu dem auch Juan Manuel Santos zählt, nimmt ihre brutalen»dienstleistungen«in Anspruch. Die Paramilitärs haben auch eigene Interessen ausgebildet. Sie leben vom informellen Markt, also sowohl von den»aufträgen«aus der herrschenden Oligarchie als auch eigenständig von Erpressungen, Drogenhandel und illegalem Bergbau. Obwohl diese Gruppen selbstständig sind, sind sie mit staatlichen Stellen verbunden. Seit den 1960er Jahren hat die kolumbianische Politik die Bildung dieser Gruppen initiiert, sie unterstützt und mit ihnen kooperiert. Dabei sind die Paramilitärs hauptverantwortlich für zahlreiche Menschenrechtsverletzungen der vergangenen 60 Jahre: Menschen sind ihnen zum Opfer gefallen. Bis zu 80 Prozent der Verbrechen in Kolumbien gehen auf ihr Konto. Dennoch spielte auch im Friedensprozess der systematische Charakter dieser parastaatlichen und staatlichen Gewalt keine Rolle. Vielmehr überwiegt im Land aufgrund der jahrzehntelangen parteiischen Berichterstaung die Vorstellung, dass die Guerillagruppen allen voran die FARC die größte Verantwortung für die Gewalt tragen. Demgegenüber zeigt etwa die Gewaltzunahme seit der Waffenabgabe der FARC, dass diese nicht primär an der Terrorherrschaft über weite Teile der Landbevölkerung beteiligt war und ist. Obwohl im Friedensvertrag auch paramilitärische Aktivitäten als Gefahr für den Frieden identifiziert werden, existiert bislang kein wirksamer Schutz davor.»wir haben das Recht auf ein Leben in Sicherheit«Nayasá vermutet:»der Konflikt ist viel zu profitabel für die Herrschenden.«Und tatsächlich boomt das Geschäft mit dem Krieg im Namen der Sicherheit. Kolumbiens Wirtschaft hängt von illegalen Märkten ab. Laut den Vereinten Nationen stammen 70 Prozent des Kokains weltweit aus Kolumbien. Die Anbauflächen wachsen kontinuierlich, von Hektar im Jahr 2013 auf aktuell über Hektar. Und das sind nur die entdeckten Flächen. Kolumbien ist ein Land der illegalen Gruppen, ein Land der Paramilitärs, ein Land illegaler Märkte nicht nur für Kokain, sondern damit zusammenhängend auch für Waffen, Menschen, Geld und Prostitution. In der Pazifikregion operieren die Paramilitärs gemeinsam mit fünf kriminellen mexikanischen Kartellen. Die Regierung betreibt gemeinsam mit den USA eine»drogenbekämpfung«, die de facto eine Politik der Vervielfältigung von Drogenkartellen ist. Seinen großen Anfang nahm dieser»krieg gegen die Drogen«in Kolumbien mit dem»plan Colombia«ab Ende der 1990er Jahre. Dabei investierten die USA zwischen 2001 und 2016 rund zehn Milliarden US-Dollar in die Aufstandsbekämpfung nominell als Ausgaben gegen die Drogen. Unterstützt wurde damit Uribes Politik der»harten Hand«gegen den»terrorismus«. Dabei ging es auch gegen die»terroristen in Zivil«: JournalistInnen, Mitglieder von NGOs, MenschenrechtsaktivistInnen oder regierungskritische GewerkschafterInnen. Mit 5,7 Prozent Anteil am Bruoinlandsprodukt hat Kolumbien heute den höchsten Militärhaushalt in Lateinamerika. Zudem beschäftigen alle großen Industrien, Erdöl- und Bergbauunternehmen private Sicherheitsfirmen. Das ist ein weiterer Markt für bewaffnete Akteure. Dieses Mischgeschäft aus Terror und Sicherheit ist, neben dem Kokain, durch seine schiere Größe für Kolumbien ein relevanter Wirtschaftszeig und ein Exportschlager: Kolumbien exportiert Paramilitarismus nach Venezuela und Ecuador, denn der kolumbianische Konflikt zieht seine Nachbarn in Mitleidenschaft. Die kolumbianischen Kartelle haben Mielamerika kolonisiert. Die kolumbianische Militärpolizei ist der wichtigste Polizeiberater in Mexiko und Mielamerika. Die kolumbianischen Militärschulen für Aufstandsbekämpfung sind hochfrequentiert von Militärs aus fast allen Ländern der amerikanischen Kontinente. Die kolumbianische Regierung ist ein wichtiger Exporteur konventioneller und nicht konventioneller Kriegstechnologie und -strategien. Erprobt werden sie in den entlegenen Regionen wie dem Chocó. Pablo und Nayasá wollen trotz allem bleiben.»hier komme ich her, der Fluss ist meine Heimat«, sagt die junge Indigene. Sie wäscht ihre Kinder im seichten Flusswasser. Sie entwischen ihr immer wieder und stürzen sich in die Strömung, schon die kleinsten können schwimmen. Nayasá lacht:»das lernen sie noch vor dem Laufen.«Pablo vertri die Forderung nach Landrechten für die unterschiedlichen ethnischen Gemeinschaften. Er weist auf die Geschichte der entflohenen SklavInnen hin, von denen er abstammt.»hier haben sie gesiedelt, nachdem sie ihren Besitzern entkommen konnten. In diesem unwegsamen Gelände waren sie sicher«. Nach einer Pause fügt er hinzu:»wir wollen hier bleiben. Wir haben das Recht auf ein Leben in Sicherheit.«Der Krieg ist ein gutes Geschäft Ani Dießelmann ist Linguistin und Philosophin, lebt seit 2013 in Kolumbien und arbeitet dort als Journalistin und Menschenrechtsbeobachterin. Sie forscht als Postdoc an der Universität Bayreuth und Universidad del Valle zum Friedensprozess.

15 Editorial Fundamentalismus»Kraft des Urteils der Engel und der Heiligen brandmarken, ächten, verfluchen und exkommunizieren wir Uriel da Costa, sprechen wir den Bann, mit dem Josua Jericho belegt hat, den Fluch des Elias und sämtliche Verwünschungen gegen ihn aus, die im Buche des heiligen Gesetzes ausgeführt sind. Verflucht sei er bei Tag, verflucht bei Nacht, verflucht beim Zubegehen und beim Aufstehen, beim Ausgehen und beim Heimkommen. Möge der Herr ihm nie verzeihen, ihn nie anerkennen!«während der Verlesung dieses Amsterdamer Cherem, dem Bannfluch der jüdischen Gemeinde, klagte in der Synagoge ein Horn immer leiser, und auch die Kerzen verloschen nach und nach. Nach dem Cherem herrschten Stille und Finsternis. Das spirituelle und soziale Leben des Ketzers Uriel da Costa war an diesem 15. Mai 1623 für seine Gemeinde erloschen. Diese historisch verbürgte Szene ist dem Roman»Ketzer«des kubanischen Romanciers Leonardo Padura entnommen. Das Vergehen, dessen der Freidenker Uriel da Costa beschuldigt war: Er wollte die Gebote im Talmud nicht als höchste Wahrheit ansehen; diese stünde allein Go zu. Dieser vormoderne Cherem bringt einen Aspekt fundamentalistischer Gesinnung auf den Punkt: ihren sakralen Charakter. In diesem Themenschwerpunkt widmen wir uns einem immer größer werden Problem, das inzwischen fast alle Gesellschaften weltweit erfasst hat: dem Fundamentalismus. Wir verstehen unter diesem Begriff einen antimodernen Impuls, der fast immer religiös geprägt ist und negativ den Aufstieg der säkularen Vergesellschaftungsform spiegelt. Fundamentalistische Bestrebungen bestehen in und entlang von allen fünf Weltreligionen. Der Wunsch nach der Rückkehr zu einer imaginierten»reinen«gemeinschaft der Gläubigen ohne die verderblichen Einflüsse der als dekadent diffamierten Moderne ist dem fundamentalistischen Islam, Hinduismus, Buddhismus, Judentum und Christentum gemein. Der Politikwissenschaftler Thomas Meyer definierte:»fundamentalismus ist eine willkürliche Ausschließungsbewegung, die ( ) unbezweifelbare Orientierung durch irrationale Verdammung aller Alternativen zurückbringen soll.«was von den FundamentalistInnen aller Couleur verdammt wird, ist allerdings bei aller Willkürlichkeit verdächtig oft dasselbe: Ein gutes Leben ohne Gogläubigkeit, die Emanzipation der Frauen, die Auflösung althergebrachter Geschlechternormen, Abtreibungen, Sexualität um der Lust willen, Eigensinn, und so weiter Die Gedanken der Aufklärung werden von allen FundamentalistInnen abgelehnt, ja sogar bekämpft. Das wäre kein allzu großes Problem, wenn sie es nur im Privaten täten. Doch fundamentalistische Bewegungen tendieren in hohem Maße dazu, ihre engen Vorstellungen der ganzen Gesellschaft überstülpen zu wollen. Spätestens dann, wenn fundamentalistische Bewegungen politisch werden, ist Gewalt gegen Anders- oder Nichtgläubige nicht mehr weit. Wohin das führt, bewies zuletzt 2017 das Pogrom an den Rohingya in Myanmar. Ihm war eine mörderische Hetzkampagne buddhistischer Mönche vorangegangen. Es gibt bei allen Gemeinsamkeiten zweifellos große Unterschiede zwischen den Fundamentalismen. Die orthodoxen Juden und Jüdinnen beispielsweise besiedeln in der Gegenwart lediglich Nischen und sie tun sich nur in geringem Umfang mit Gewalt hervor. Demgegenüber prägte der christliche Fundamentalismus ganze Kirchen und Staatswesen. Ein Beispiel: Schon eine Großtante des anfangs erwähnten Ketzers Uriel da Costa wurde 1568 Opfer der portugiesischen katholischen Inquisition. Sie wurde als»geheimjüdin«verurteilt und auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Die Gewaltbilanz des alten christlichen Fundamentalismus ist wesentlich furchtbarer als die der anderen Weltreligionen. Zumindest bislang. die redaktion PS: Auf den Seiten 16 bis 28 zeigen wir eine Fotostrecke des Foto journalisten und Dokumentarfotografen Houmer Hedayat (Hannover). Die Bilder entstammen seinem laufenden Projekt über den christlichen Fundamentalismus in Deutschland. 15 Der Themenschwerpunkt Fundamentalismus wurde gefördert durch die Rosa-Luxemburg-Stiftung

16 Foto: Houmer Hedayat Die größten fundamentalistischen Strömungen verlaufen allesamt entlang der fünf Weltreligionen. Trotz aller Unterschiede gibt es eine Gemeinsamkeit: Fundamen talismus ist eine antimoderne Ideologie, die bei der ursprüng lichen Religion das sucht, was viele Menschen in ihren globalisierten Gesellschaften vermissen. Das ist gefährlich: Aus einst belächelten Spinnern sind machtvolle Bewegungen geworden. The Dead Don t Die Fundamentalismus liegt vielen antimodernen Bewegungen zugrunde 16 von Winfried Rust Freiheit ist ein Ziel, das viele gar nicht wollen. Fundamentalistisch gesinnte Menschen wollen sich lieber an feststehenden, überlieferten Grundsätzen orientieren. Veränderung? Sich frei des eigenen Verstandes zu bedienen? Fortschri, Aufklärung und die Moderne? Das wird alles abgelehnt. Der Bezug auf unhintergehbare Regeln ist ein araktives Angebot, um sich den (post-)modernen Umbrüchen etwa in der Arbeitswelt oder den Geschlechterverhältnissen zu entziehen. Fundamentalismus ist heute eine primär antimoderne Ideologie, die aus den gesellschaftlichen Umbrüchen der Moderne heraus entsteht. Fundamentalismus will dabei durchaus umgestalten aber auf der Grundlage von Werten und Normen, die wieder dem wahren Islam, Christentum, Judentum, Hinduismus oder Buddhismus entsprechen. AnhängerInnen fundamentalistischer Strömungen beziehen sich auf ein spirituelles und politisches Fundament, das sie in den Heiligen Schriften wortgenau zu finden glauben. Ein Beispiel:»So spricht Go, der Herr: Siehe, ich lege in Zion einen Grundstein, einen bewährten Stein, einen kostbaren Eckstein, der aufs Festeste gegründet ist«(jesaja 28,16). Die fundamentalistische Lesart eines solchen Bibelsatzes ist klar: Das Wort Goes in der Heiligen Schrift ist nachzuahmen. Der lateinische Begriff fundamentum für den festen Unterbau wurde von einer Bewegung des US-amerikanischen Protestantismus, den fundamentals, zu Beginn des 20. Jahrhunderts übernommen. Sie ging davon aus, dass die Bibel unmielbares Wort Goes ist und daher irrtums- und fehlerfrei. Eine solche Vorgabe gilt zunächst

17 Fundamentalismus für die einzelnen FundamentalistInnen selbst, um ein gogefälliges Leben zu führen. Doch bald stellen sie diese Anforderung an ihre Familie, die Nachbarschaft und die ganze Gesellschaft. Dann wird fundamentalistisches Denken expansiv, politisch, und somit gefährlich. Kaum etwas ist so erbiert wie der Kampf fundamentalistischer KriegerInnen, etwa im djihadistischen Terror. Sie wähnen sich absolut im Recht beim Kampf des Guten gegen das Böse. In fundamentalistischen Bewegungen wird die Politik sakralisiert und zugleich die Religion politisiert, definiert der Historiker Wolfgang Wippermann in seinem Buch»Fundamentalismus«(2013). Wenn die Fundamentalismen ein zen trales Element der wachsenden globalen antimodernen Bewegungen und primär entlang der fünf Weltreligionen angesiedelt sind, so besagt das zwei Dinge: Erstens ist Fundamentalismus ein global verbreitetes Phänomen. Zweitens ist es in unterschiedlichen Kontexten verschieden ausgeprägt. Es gibt eine Vielfalt der Einfalt. Ein ewiger Kreislauf Es war ein Schock im August 2017: Die langjährige Diskriminierung der muslimischen Rohingya im mehrheitlich buddhistischen Myanmar schlug in ethnische Säuberungen um. Mindestens Menschen wurden getötet, über Rohingya flohen nach Bangladesch. Der Fanatismus war enorm: Ganze Ortschaften wurden niedergebrannt, die Überlebenden berichten von massenhaften Vergewaltigungen und dem Niedermetzeln mit Messern und Knüppeln die bekannten Praktiken bei der Anmaßung, man müsse menschliche Schädlinge ausmerzen. Zum einen agierten nationalistische, brandschatzende Militärs, zum anderen buddhistische Mönche, die in Übereinstimmung mit der Bevölkerungsmehrheit gegen die Minderheit der Rohingya hetzten. Ein rechtsextremer Vorreiter des Pogroms war der Mönch Ashin Wirathu. Er ist Oberhaupt eines Klosters in Mandalay und führt zwei islamfeindliche Gruppierungen: Ma Ba Tha (Organisation zum Schutz von Rasse und Religion) sowie die Bewegung 969. Die Ziffern stehen für die neun Tugenden Buddhas, die sechs Aribute seiner Lehre sowie neun Regeln der Mönchsgemeinschaft. Myanmar sei hier nur stellvertretend für die Pogromgefahr genannt, die von erfolgreichen fundamentalistischen Bewegungen ausgeht. Der religiöse Bezug verleiht den Übergriffen die sakrale Weihe. Ähnliches gilt für den Hindunationalismus im von der BJP (Indische Volkspartei) regierten Indien, wo sich vermehrt gewaltsame Übergriffe fanatisierter AnhängerInnen ebenfalls zumeist gegen die muslimische Minderheit richten. Der Hindunationalismus ist fundamentalistisch, weil er die hinduistische Religion zuspitzt und politisiert. Mit seiner Lehre des Dharma diente der Hinduismus auch in seiner konventionellen Ausprägung stets der Legitimierung schreiender gesellschaftlicher Ungleichheit: dem Kastensystem. Eine Lehre, die innergesellschaftlich die Diskriminierung der Parias begründet, taugt auch zur Abwertung anderer Religionen oder Ethnien. Hier sei das Beispiel der ultrahinduistischen Kuhschützer angeführt: Fundamentalistische Rackets schützen die Heilige Kuh, indem sie des Rindfleischverzehrs Verdächtige verfolgen oder gar lynchen (siehe iz3w 358). Die militanten Bürgerwehren beziehen die sakrale Weihe für ihre Selbstjustiz aus dem Mythos der Kuh als Sinnbild des Lebens. In fundamentalistischen Bewegungen wird die Politik sakralisiert Sicherlich stellen die meisten Hindus das Leben einer Kuh nicht über das eines Menschen. Aber die fanatische Lesart der heiligen Schriften hat eine Massenbasis. Die hindunationalistische BJP und das Freiwilligenkorps RSS zählen zu den größten Massenorganisationen der Welt. Sie beziehen sich auf das Hindutva, einen sakralen Nationalismus. Dessen Prinzipien heißen: gemeinsamer heiliger Boden, gemeinsame Abstammung, gemeinsame Kultur. Zur Zeit des antikolonialen Befreiungskampfes gegen Großbritannien suchten säkulare AntikolonialistInnen das Bündnis mit den Anhän ger- Innen des Hindutva. Letztere setzten die indische Kultur rückwärtsgewandt gegen Kolonialismus und Verwestlichung in Anschlag. Doch die InderInnen entschieden sich nach dem Sieg 1947 zuerst für einen anderen Weg: die säkulare Republik. Warum konnten die säkularen Kräfte Indien nicht gänzlich der feudalen Reaktion entreißen? Das ist eine zentrale Frage in Michael Walzers Buch»Das Paradox der Befreiung«(2018): Laut Walzer haben in den postkolonialen Staaten religiös-politische Milieus teils jahrzehntelange Phasen säkularer Staatlichkeit überdauert, um in Krisenzeiten wieder aufzuerstehen. Für die säkularen Kräfte, so Walzer,»ist die Wiederkehr der Religion ein Schock«. Dabei ist das Verhältnis zwischen den säkularen Kräften und dem Religiösen vertrackt:»es ist ein anderes Zeichen des Paradoxes der nationalen Befreiung, dass sich die Mobilisierung, die durch sie möglich wurde, gegen die gesellschaftliche und die Geschlechtergleichheit wenden kann.«die Hindutva wurde 1923 fast zur selben Zeit entwickelt, als Kilometer entfernt in Ägypten die Muslimbruderschaft gegründet wurde. Was darauf verweist, dass in nahezu allen säkularen postkolonialen Staatsgründungen von Anfang an ein religiös-fundamentalistischer Gegenpart etabliert war.»der Koran ist unsere Verfassung«Die Muslimbruderschaft inspirierte zahlreiche Fundamentalist- Innen in anderen Ländern. Gegründet von Hasan al-banna, proklamierte sie einen antikolonial verbrämten bewaffneten Djihad gegen Nicht-Muslime initiierte sie mit Parolen wie»nieder mit den Juden«gewalätige Übergriffe. Al-Banna formulierte die fünf anleitenden Sätze so:»go ist unser Ziel. Der Prophet ist unser Führer. Der Koran ist unsere Verfassung. Der Djihad ist unser Weg. Der Tod für Go ist unser nobelster Wunsch.«Der Islamismus ist heute eine mächtige reaktionäre soziale Bewegung, die mit vielfältigen Bezügen auf den ursprünglichen Koran arbeitet. Wenn der einzige wahre Islam über andere Auslegungen und Religionen gestellt wird und wenn der Islam alle Aspekte des gesellschaftlichen Lebens bestimmen soll, dann wird ebenfalls die Politik sakralisiert und die Religion politisiert. Der heutige Islamismus ist vielfältig und manche Strömungen sind sich spinnefeind. Am Beispiel der schiitischen Islamischen Republik Iran lässt sich zeigen, wie fundamentalistische Vorstellungen erfolgreich institutionalisiert werden können. Die iranische Regierungsform ist die präsidentielle Theokratie. Das Regierungssystem liegt in Goes Hand. Weil dieser untätig ist, übernimmt der Oberste Rechtsgelehrte, derzeit Ajatollah Khamenei. Dabei ist das Regime in eine zweckmäßige moderne Verfassung gegossen. Die Kompromisslosigkeit der fundamentalistischen Denkweise zeigt 17

18 Fundamentalismus 18 sich etwa beim hohen Stellenwert der Todesstrafe der Iran ist Weltmeister bei Hinrichtungen pro Kopf der Bevölkerung. Der ehemalige stellvertretende Außenminister Hassan Ghaschghavi sagte dazu:»wir leben in einem islamischen Land und wir handeln nach den Regeln des Korans. Selbst wenn wir hunderausend Menschen exekutieren müssen, werden wir mit der Durchsetzung dieser Regeln fortfahren.«das Faible des Regimes für archaische Methoden wie Steinigungen sollte nicht den Blick für die Modernität der islamistischen Bewegungen verstellen. Der Iran ist wirtschaftlich und militärisch eine dominierende Regionalmacht. Als ein anderes Beispiel für die rasche Entwicklung eines jungen Erwachsenen hin zum sunnitischen Fundamentalismus sei Hassan (Name geändert) aus der Tawhid-Moschee im österreichischen Graz genannt. Der Buchautor Shams Ul-Haq erzählt seine Geschichte in»eure Gesetze interessieren uns nicht!«(2018). Hassan ist ein normaler, umgänglicher Kerl. Beim Billardspielen erzählt er, dass alle Europäer»Kafir«(abwertend für Ungläubige) seien. Zwei Freunde von ihm sind wegen IS-Unterstützung im Gefängnis, was er ungerecht findet,»denn sie übten nur ihre Religion aus«. Der österreichische Staat habe Angst, dass die Wahrheit ans Licht käme. Welche Wahrheit?»Dass wir in allem recht haben. Dass nur der wahre Islam die einzig richtige Religion ist und unser Weg zwangsläufig notwendig ist.«welcher Weg?»Na, der Dschihad. Was sonst?«über dieses frappierende Heldentum (potentieller) Selbstmordaentäter reflektierte Zygmunt Bauman in seinem Buch»Retrotopia«(2017). Neue Rekruten erlägen»den Nachahmungsreizen selbstzweckhafter Gewalt«, wenn sie»ihrem ansonsten leeren und aussichtslosen Dasein eine (noble und adelnde) Bedeutung«geben wollen. Vormals bedeutungslose Looser fänden sich plötzlich im»letzten aller Kriege, einem Krieg, mit dem alle Kriege ein für alle Mal beendet sind und einem Sieg, der Niederlagen ein für alle Mal unmöglich macht.«hier verschränken sich alte und neue Heldengeschichten, der Koran und gängiger Mysterienkram, Heroismus und der Frust über ökonomische Niederlagen. Ein sinnvoller Tod kann offensichtlich gegenüber einem sinnlosen Dasein als die bessere Option erscheinen. Wundernarrative versus Realität Die Katholische Kirche reformierte sich 1965 mit dem Zweiten Vatikanischen Konzil. Damit bewies sie ihre Veränderbarkeit (wenn sie muss). Sie kann deshalb eigentlich nicht als fundamentalistisch bezeichnet werden, doch es gibt eine Grauzone, die über den fundamentalistischen Flügel im Katholizismus hinaus reicht (siehe Seite 24). Auf der anderen konfessionellen Seite besteht ein erstarkender Evangelikalismus (siehe Seite 26). Zumindest die wachsenden evangelikalen Freikirchen sind ein Hort des fundamentalistischen Protestantismus. Die auch hier innewohnende Tendenz zur politischen Verbreitung des eigenen Glaubensregimes zeigt sich etwa bei der Beteiligung am»lebensschutz«sowie bei der Unterstützung rechter bis rechtsextremer Politiker wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro (siehe iz3w 370). Historisch wie aktuell zählt der christliche Fundamentalismus zu den machtvollsten der Welt. Als Besonderheit sei der orthodoxe Fundamentalismus in Russland genannt. Orthodox bedeutet rechtgläubig, was bereits tendenziell fundamentalistisch ist. Über die russischen Orthodoxen schreibt Wolfgang Wippermann:»Schließlich beharrt die orthodoxe Kirche auf einer fundamentalistischen Auslegung der Heiligen»Der Tod für Go ist unser nobelster Wunsch«Schrift, ist niemals reformiert worden und hat die Gedanken der Aufklärung immer abgelehnt.«heute tri sie für ein autoritäres Russland ein und gegen Frauenrechte und Homosexualität. Die Flanke nach rechts ist weit offen bis zur Zusammenarbeit mit Rechtsextremen wie dem neurechten Alexander Dugin. Dieser zieht im Gespräch mit der rechtskatholischen Zeitschrift Die Neue Ordnung eine Verbindung zwischen Fundamentalismus und neurechter Strategie:»Wir Russen sind ein monarchistisches Volk und wollen eine paternalistische Macht.«Wie im Lehrbuch nennt Dugin den Hauptfeind der Neuen Rechten:»Der eigentliche Liberalismus ist aber weder rechts noch links. Er ist die schlimmste Ideologie und die schlimmste Repräsenta tion von Moderne.«Der jüdisch-orthodoxe Fundamentalismus ist dagegen eher ein Nischenphänomen (siehe Seite 32). Der Zionismus in Israel war eine säkulare nationale Gründungserzählung. Die Orthodoxen standen dem ablehnend gegenüber. Michael Walzer schreibt dazu in»das Paradox der Befreiung«:»Fundamentalismus und Ultraorthodoxie sind beides modernistische Reaktionen auf die modernistische Transformation. Der Slogan der jüdischen Ultraorthodoxen Alles Neue ist von der Tora verboten ist selbst eine neue Idee.«Die Partei»Thorawächter«wacht argwöhnisch über schein bare Neuerungen wie Homosexualität. Der Parlamentsabgeordneter Nissim Ze ev fand, dass Homosexuelle»so vergiftet wie Vogelgrippe«seien. Bei diesem Thema zeigt sich ein ungewöhnlicher Effekt: Normalerweise stehen sich Fundamentalismen feindselig gegenüber, doch angesichts von Homosexualität kam es in Jerusalem zum interreligiösen Dialog der anderen Art. Michael Borgstede schrieb in der Jüdischen Allgemeinen über die Gay Pride in Jerusalem 2006:»Wenn die religiösen Führer der drei Weltreligionen sich immer so gut verstünden wie beim gemeinsamen Haß auf Homosexuelle, müßte man sich um die Zukunft der Heiligen Stadt keine Sorgen machen.«ein Plakat rief zum»gemeinsamen Kampf von Juden und Arabern gegen die Sodomiten der Sünderparade«auf. Der Gesandte des Papstes adjutierte, die Parade verletze die religiösen Gefühle der Gläubigen aller Religionen und müsse abgesagt werden. Es ist ein Kreuz mit den Fundis: Bekriegen sie sich, ist es schrecklich, harmonieren sie, ist es zum Fürchten. Die untote Vergangenheit Woraus resultiert das heutige restaurative Rollback in seinen unterschiedlichen Ausformungen? Eine Antwort auf diese Frage gibt Zygmunt Bauman in»retrotopia«. Er geht von einer globalen krisenhaften Moderne aus, in der die Auflösung alter familialer oder tribaler Sicherheiten nicht durch größeren Wohlstand und soziale Absicherung ersetzt werde. Die Informalisierung der Ökonomie überfordere die Einzelnen. Sie sähen sich dem Anspruch ausgesetzt, es zu etwas zu bringen, ohne dass die Möglichkeit dafür existiert. Diese Enäuschungen der Moderne beförderten die Sehnsucht nach einer vermeintlich besseren Zeit und besseren Modellen: des Tribalen, der alten Reiche oder eben der Glaubensregime. Der Sehnsuchtsort heute liegt laut Baumann nicht in der Utopie, sondern der»retropie«einer»untoten Vergangenheit«. Winfried Rust ist Mitarbeiter im iz3w.

19 Foto: Houmer Hedayat Betrachtet man den Terrorismus der letzten Jahre ganz gleich welcher Couleur, so fällt vor allem eines auf: Es sind überwiegend Männer, die hinter Terrorgruppen stecken. Anschläge von Männern, die sich mit der Incel-Bewegung (Incel = involuntary celibacy) identifizieren, richten sich sogar gezielt gegen Frauen. Inwieweit hängen Fundamentalismus, Männlichkeit und Terror zusammen? Fundamentale Männerphantasien Frauenhass ist das verbindende Merkmal vieler Fundamentalismen von Veronika Kracher 17. August, Kabul (Afghanistan): Ein salafistischer Selbstmordaentäter sprengt sich auf einer Hochzeit in die Luft und reißt mindestens 63 Gäste in den Tod. 10. August, Baerum (Norwegen): Ein mit zwei Schrot flinten bewaffneter Mann dringt in eine Moschee ein. Er kann von einem der anwesenden Gläubigen überwältigt und von dem geplanten Terrorakt abgehalten werden. Zuvor hae er seine Stiefschwester umgebracht. 7. August, Dayton (Ohio): Der 24 Jahre alte Sänger einer extrem misogynen Porngrind-Band erschießt neun Menschen und anschließend sich selbst. 3. August, El Paso (Texas): Ein junger Mann veröffentlicht ein rassistisches Manifest und schießt anschließend in einem Wal-Mart um sich. Seiner Tat fallen 22 Menschen zum Opfer, 24 weitere werden verletzt. Diese vier Aentate fanden allein im August 2019 sta. Weitere Terroranschläge, die 2019 die Welt für zumindest einige Tage erschüerten und kurz Diskussionen über Waffengesetze, Rassismus oder Islamismus anregten, ehe die Öffentlichkeit sich wieder dem Alltagsgeschäft zuwandte, waren unter anderem im April der Angriff auf eine Synagoge in Poway, Kalifornien, und im März 2019 der Anschlag in Christchurch, Neuseeland. Der Täter Brandon Tarrant hae, bevor er in zwei Moscheen 51 Menschen ermordete, ein Manifest mit dem Titel»Der große Austausch«auf dem inzwischen gelöschten Imageboard 8chan veröffentlicht, einem Webforum, das das bekanntere Board 4chan im öffentlichen Zelebrieren von Rassismus, Antisemitismus, Misogynie und allgemeiner Widerwärtigkeit noch weit übertrifft. Seine Tat übertrug er live auf 8chan. Betrachtet man die Aentate der letzten Jahre, kommt man nicht umhin zu bemerken, dass es trotz einiger Frauenfiguren, die von Medien voyeuristisch herangezogen werden primär Männer sind, die hinter rechtsradikalen oder islamistischen Terrorgruppen stecken. Die erwähnten Incels verüben ihre Anschläge ganz offen und gezielt aus gekränkter Männlichkeit und Frauenhass. Zwar mögen die zwei momentan gefährlichsten fundamentalistischen Ideologien, deren Exekuteure immer und immer wieder Menschen in den Tod reißen, auf den ersten Blick recht verschieden wirken: Islamismus auf der einen Seite und Rechtsradikalismus auf der anderen. Auf den zweiten Blick fallen dann doch eine ganze Reihe an Parallelen auf: das Verabscheuen einer als jüdisch identifizierten Moderne, Antisemitismus generell, das Zelebrieren des Soldatentums, die Vorstellung eines Lebens als Krieger, der jederzeit bereit ist, für seine Sache zu kämpfen und zu sterben, und vor allem ein eliminatorischer Hass auf alles als weich, weibisch, dekadent 19

20 20 und unmännlich Verstandene. Man sollte nicht den Fehler begehen, Islamismus und Rechtsterrorismus gleichzusetzen, dennoch erscheint es für eine Analyse der Fragestellung, inwieweit Männlichkeit, Fundamentalismus und Terror miteinander verbunden sind, unumgänglich, die Parallelen zu betrachten. Rote Pille gegen Emanzipation Die Männlichkeit befindet sich in einer Krise denn Frauen rüeln an den Säulen des Patriarchats. Nun muss differenziert werden: Im Westen haben sich Frauen gegen die heftigen Widerstände von Männern ihre Rechte als Citoyenne bereits erkämpft, doch ganz praktisch sind die Verhältnisse nach wie vor von patriarchalen Strukturen und patriarchaler Gewalt determiniert. In den vom politischen Islam dominierten Gesellschaften müssen die Kämpfe um Frauenrechte viel grundlegender geführt werden. Ansta zu verstehen, dass ein Aufweichen strikter und toxischer Geschlechternormen auch Männern zum Vorteil gereichen könnte, verwehrt man sich weltweit dem Fortschri, klammert sich an der eigenen Vorherrschaft fest und bekämpft jene, die diese Vorherrschaft in Frage stellen und bedrohen, ganz gleich ob diese Bedrohung nun real ist oder nicht. Laut einer Recherche der Anti-Defamation League kann Frauenhass als»einstiegsdroge«zum Rechtsradikalismus betrachtet werden 1 ; Männerrechtsgruppen wie Pick Up Artists, Men going their own way oder auch Incels vertreten die These, dass (weiße) Männer die großen Opfer unserer Zeit sind. Frauenquoten, Gesetze gegen sexuelle Belästigung, die Black Lives Maer-Bewegung: Überall bekomme man zu hören, dass man(n) aufgrund seines Geschlechts und seiner Hautfarbe nicht nur von strukturellen Machtverhältnissen profitiert, sondern diese auch oftmals aktiv reproduziert. Das kann man weißen Männern doch wahrhaft nicht zumuten. Auf diese Erkenntnis, die in der Männerrechtsszene in Anlehnung an den Film»Matrix«mit»Die rote Pille schlucken«umschrieben wird, folgt dann in der Regel die Konklusion, dass»der kulturelle Marxismus«Schuld an Lächerlichkeiten wie dem Feminismus oder der Bürgerrechtsbewegung hat. Diese Verschwörungstheorie besagt, dass die Vertreter der Frankfurter Schule sich ihr Wissen über Sozialpsychologie und Kulturindustrie zu Nutze gemacht haben, um nach der Emigration in die USA die dortigen amerikanischen Werte der 1950er Jahre von Freiheit, Apfelkuchen und der patriarchalen Kleinfamilie zu zerstören. Die Mitglieder der Frankfurter Schule häen ihre zersetzenden Ideen an Universitäten und in Hollywood etabliert und somit dem Verfall der US-amerikanischen Gesellschaft Vorschub geleistet. Nach wie vor würden Medien und Universitäten von dieser Agenda gesteuert. Diese Vorstellung ist von Grund auf antisemitisch. In diesem Weltbild trägt der»kulturelle Marxismus«zudem Schuld am Feminismus und an der»gender-ideologie«, er fördere aktiv die»verschwulung«und Verweichlichung des Mannes; auf dass dieser sich dann nicht mehr erwehren könne, wenn Massen von hyperpotenten Migranten in sein Land eindringen und seine Weiber schänden. All dies führe letztendlich zu jenem»großen Austausch«, wie er etwa vom Aentäter von Christchurch beschworen wurde. Der große Held der modernen Rechtsterroristen ist Anders Breivik, auf den sich immer und immer wieder bezogen wird. Breivik war der erste, der durch seine Ermordung von 77 Menschen auf der norwegischen Insel Utøya gezeigt hat, wie viel sich als Einzeltäter erreichen lässt. Er ist derjenige, dem sie alle nacheifern sowohl in ihrem Wunsch, möglichst viele Menschen zu töten, als auch ideologisch im Hass auf die Emanzipation und den»kulturellen Marxismus«, der sich durch Breiviks weit verbreitetes Manifest zieht. Rechte Gruppen wie die Alternative für Deutschland, die Identitäre Bewegung, die neofaschistischen Proud Boys oder auch Rechtspopulisten wie Donald Trump oder Jair Bolsonaro versprechen, die Kränkung, nicht mehr Krone der Schöpfung und quasi vom Juden entmannt worden zu sein, wieder gut zu machen, indem sie für den Wiederaufbau einer Gesellschaft eintreten, die noch nicht von der Moderne zugerichtet ist. Eine Gesellschaft, in der Frauen schweigend den Haushalt erledigen, in der die einzigen Schwarzen auf dem Golfplatz die Caddies sind und in der LGBTQs hinter verschlossenen Türen bleiben. Denn auch Homosexualität stellt einen Angriff auf die männliche Identität dar. Eine Frau besitzen Männliche Identität spielt auch im Islamismus eine große Rolle. Die spezifische wörtliche Koranauslegung durch Islamisten wird von ihnen als absolute Wahrheit begriffen; daraus resultiert ein politischer und religiöser Herrschaftsanspruch, der im so genannten»kleinen Jihad«mit Gewalt durchgesetzt werden muss (während der»große Jihad«als geistig-spirituelles Bemühen friedlich bleibt). Zu dieser wörtlichen Koranauslegung, die von liberalen MuslimInnen zunehmend bekämpft wird, zählt auch die Zementierung patriarchaler Herrschaft. Der Islamische Staat (IS) beispielsweise inszeniert seine Männer als selbstbewusste, breit grinsende Soldaten, den Phallus Kalaschnikow in den Händen, jederzeit bereit zum Kampf. Dieses Bild kann auf junge Männer in der Krise durchaus ansprechend wirkten, denn tragischer Weise werden junge Männer immer noch dazu konditioniert, sich mit Soldaten und Kriegern zu identifizieren. Hier bietet der IS, was ihnen die Moderne raubt: das Versprechen auf männliche Herrschaft. Es ist daher nicht verwunderlich, dass Islamisten auch in westlichen Ländern auf Suche nach Rekruten gehen, indem sie ihnen eine jungfräuliche Ehefrau versprechen. Dieses Versprechen auf die Möglichkeit, eine Frau sein Eigen nennen zu können, war auch Motivation für den inzwischen zum Foto: Houmer Hedayat

21 Fundamentalismus Rechtsradikalismus konvertierten südbadischen Sänger Hans Entertainment. Dieser sprach nach eigener Aussage auf einer Veranstaltung des salafistischen Predigers Sven Lau das islamische Glaubensbekenntnis, weil ihm die Islamisten um Lau eine Braut versprochen häen, falls er denn in Syrien kämpfen würde. Und im Gegensatz zum degenerierten verwestlichen Weib, das von den Juden zum Feminismus verführt wurde, weiß die Ehefrau eines Goeskriegers, wie man sich einem Mann gegenüber verhält: nämlich primär unterwürfig. Männlicher Narzissmus Sowohl der Rechtsradikalismus als auch der Islamismus lassen sich als autoritäre Revolten gegen die Errungenschaften der Moderne bezeichnen. Sie versprechen dem Ich-schwachen Mann einen Ausweg aus der Krise seiner permanent angegriffenen Identität. Aus der Erkenntnis, dass die Welt nicht den eigenen narzisstischen Vorstellungen entspricht und man sich damit abfinden muss, dass patriarchale Herrschaft nicht mehr so klaglos hingenommen wird wie früher, folgt eine narzisstische Kränkung. Diese rührt daher, dass sich männliche und somit patriarchale Identität über die permanente Abwertung des Nicht-Männlichen konstruiert, um sich selbst als männlich aufzuwerten. Erst indem eine Frau durch Abwertung zur Frau gemacht wird, kann man sich der eigenen Männlichkeit und Vorherrschaft sicher sein. Diese hegemoniale Männlichkeit braucht die permanente Abwertung des Nicht-Männlichen, um zu bestehen. Dass Frauen sich inzwischen gegen die auf allen gesellschaftlichen Ebenen forcierte Unterdrückung und Gewalt zur Wehr setzen, ist daher ein direkter Angriff auf das patriarchale Selbstbild. Zugleich wird diese männliche Identität aber auch durch den eigenen Narzissmus gekränkt. Die neoliberale Ideologie suggeriert dem Einzelnen, er sei in der Lage, zu einem der Gewinner des kapitalistischen Systems aufzusteigen. Doch die reale alltägliche Erfahrung ist eine andere. Daraus aber den Schluss zu ziehen, Herrschaft als solche zu hinterfragen, gelingt nicht. Zu groß ist für den autoritären Rebellen der Wunsch, selbst Herrschaft über andere ausüben zu dürfen. Diese»auf den Kastrationskomplex zurückweisende Ich-Schwäche [ ] sucht Kompensation in einem allmächtigen, aufgeblähten und dabei doch dem eigenen schwachen Ich tief ähnlichen Kollektivgebilde. Diese in zahllosen Einzelnen verkörperte Tendenz wird selber zu einer kollektiven Kraft, deren Ausmaß man bislang kaum richtig eingeschätzt hat.«2 Die kollektive Kraft richtet sich primär gegen die moderne demokratische Gesellschaft, an die vor allem junge Männer zunehmend den Glauben verlieren. Theweleit in seinem Monumentalwerk»Männerphantasien«und dem Nachfolgewerk»Das Lachen der Täter«als»Fragmentkörper«oder als»nicht zu Ende-Geborenen«. Ausgehend von den Psychoanalytikerinnen Margaret Mahler und Melanie Klein analysiert er, dass der soldatische Mann durch eine unzureichend vollzogene Ich-Entwicklung fragmentiert ist.»diese Fragmentkörper leben in ständiger Angst vor dem Zerfall; in der Angst, verschlungen zu werden, den Boden unter den Füßen zu verlieren.«3 Dieser Boden, das Patriarchat, der die Identitätskonstruktion über Jahrtausende garantiert hat, wird nun tatsächlich brüchig. Doch es gibt eine Lösung: Das Ausüben»ständige[r] Gewalt [ ] gegen ihre inneren Prozesse, die sie aus welchen schrecklichen Gründen immer psychisch nicht bewältigen können. Alles, was um sie herum passiert, insbesondere alle Formen von Lebendigkeit und Fremdheit, versuchen sie von sich fernzuhalten, zu kontrollieren, zu unterdrücken, weil diese sie bedrohen.«4 Diese ständige Gewalt, die man gegen sich ausübt, wird legitimiert durch ein internalisiertes Über-Ich: den völkischen oder religiösen Männerbund. Sie dient der Selbsterhaltung, bildet den»körperpanzer«, mit dem man sich gegen diese äußeren Bedrohungen schützt. Es ist in einer männlichen Sozialisation, in der Jungen immer noch das Zerbrechliche, das Weiche, das Emotionale aberzogen wird, recht einfach für junge Männer, diesen Panzer zu entwickeln und aufrecht zu erhalten. Deshalb geht es nicht um Einzelfälle von Männern, die dem Fundamentalismus verfallen vielmehr ist dieser in der patriarchalen Sozialisation innerhalb unserer Verhältnisse angelegt. Ja, die Männlichkeit befindet sich in einer Krise! Aber ansta verzweifelt an hegemonialen Männlichkeitsvorstellungen festzuhalten, die so toxisch und schädlich für die jungen Männer selbst, aber auch deren Umfeld sind, sollte man versuchen, diese Krise positiv zu überwinden. Ansta sich aus patriarchal-narzisstischer Kränkung heraus einem faschistischen Männerbund anzuschließen, der Frauen wieder an den Herd verbannen und Männer zu Kriegern erziehen möchte, kann man die Krise der Männlichkeit als Möglichkeit sehen, die eigene Geschlechtssozialisation von Grunde auf in Frage zu stellen. Schwäche zulassen, mit anderen Männern über die eigenen Emotionen und Ängste reden, sich gegenseitig freundschaftlich berühren dürfen, ohne Angst vor den Sanktionen anderer Männer zu haben, nicht mehr unter dem Zwang stehen, sich beweisen zu müssen, und vor allem: die eigene Identität nicht mehr darüber konstituieren, andere permanent abzuwerten. Das klingt doch alles so viel angenehmer als der momentane Status Quo. Frauenhass ist eine»einstiegsdroge«zum Rechtsradikalismus 21 Gewalt zur Selbsterhaltung Die Hinwendung zur Antimoderne ist für diese jungen Männer also eine Reaktion auf die permanente narzisstische Kränkung, die sie erfahren. Durch Gewalt gegen Frauen, Ungläubige, Migrant*innen, Jüdinnen und Juden also all jene, die angeblich Schuld an der vermeintlichen Misere tragen nimmt man Rache dafür, dass die eigene männliche Identität in einer Krise ist. Dieser Krise, von der soldatische Männer permanent zerrissen werden, kann man anscheinend nur durch Gewalt gegen sich und andere Herr werden. Diese Vorstellung des»soldatischen Kriegers«, die sowohl der IS als auch die Nacheiferer Breiviks zelebrieren, bezeichnet Klaus Anmerkungen 1 hps:// 2 Theodor W. Adorno: Bemerkungen über Politik und Neurose. In: Gesammelte Schriften 8, Frankfurt a. M. 1990, S Konkret 08/2019:»Rechtsextremismus ist eliminatorisch, immer«. Interview mit Klaus Theweleit. 4 Ebd. Veronika Kracher ist neben ihrer Arbeit als freie Journalistin Incel-Expertin, damit ihr es nicht sein müsst.

22 »Klerikale Netzwerke üben massiv Einfluss aus«interview mit Eike Sanders und Kirsten Achtelik über die»lebensschutz«-bewegung 22 iz3w: Was ist die»lebensschutz«-bewegung? Eike Sanders: Das sind die Leute, die jedes Jahr im September in Berlin mit tausend weißen Holzkreuzen und Schildern mit Slogans wie»verantwortung sta Abtreibung«oder»Deutschland treibt sich ab«auf die Straße gehen. Sie stehen mit Plastikembryos vor Kliniken, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen oder reden schwangeren Personen und Ärzt*innen ungefragt ins Gewissen, keine»mörderin«zu werden. Sie betreiben in Brüssel Lobbyarbeit, um zu definieren, dass das Mensch-Sein mit der Verschmelzung von Ei- und Samenzelle beginnt oder dass nur die heterosexuelle Ehe anerkannt werden soll. Als»Lebensschutz«-Bewegung bezeichnen wir Akteur*innen aus verschiedenen Spektren der konservativen bis extremen Rechten, die sich zusammenfinden, um Schwangerschaftsabbrüche moralisch, politisch und juristisch zu verdammen. Die Bewegung besteht in Deutschland aus über 60 expliziten»lebensschutz«- Vereinen, in deren Satzung steht, dass ihr Vereinszweck»der Schutz des ungeborenen Lebens ist«. Diese Vereine haben jeweils eine Handvoll bis angeblich Mitglieder. Dazu kommen Akteur*innen aus Teilen der katholischen Kirche, evangelikale und freikirchliche Gemeinden, Teile der CDU/CSU, der AfD und christlicher Kleinstparteien sowie Strukturen der sogenannten Neuen Rechten. Was sind wichtige Themen für»lebensschützer«? ES: Im Prinzip sind Schwangerschaftsabbrüche nur ein Vehikel für den Kulturkampf der Bewegung. Ihr Weltbild umfasst eine strikte heteronormative Zweigeschlechtlichkeit und verstaubte Sexualmoral. Die»Achtundsechziger«und insbesondere der (Queer-) Feminismus werden für diverse Übel dieser Gesellschaft verantwortlich gemacht. Man beruft sich auf Go und die Bibel. Und man hat mit seiner Angst vor der angeblichen demografischen Krise eine offene Flanke zu völkisch-rassistischen Argumentationen. Kirsten Achtelik: Die Aktivist*innen sehen sich als Verteidiger*innen des Lebens, weil»das Leben«in Goes Hand liege und nicht in der des Menschen. Das gilt vor allem am Beginn und Ende des Lebens, bei Abtreibung und Sterbehilfe. Auch in biopolitischen Fragen versuchen»lebensschützer«, sich als moralische Instanz zu etablieren, wie etwa bei der Kritik an Pränataldiagnostik. Das wird manchmal unfreiwillig komisch, wenn künstliche Befruchtung abgelehnt wird, weil sie»ehebruch unter klinischen Bedingungen«sei, also»fremdgehen«in der Petrischale. Die Verteidigung der heteronormativen Ordnung mit klaren Geschlechterrollen ist auch ein wichtiges Feld, hier gibt es Überschneidungen mit den»demos für alle«. Die Bewegung sieht sich im Kulturkampf gegen alles, was für sie die»kultur des Todes«repräsentiert: Schwangerschaftsabbrüche, Regenbogenfamilien, Säkularisierung. Foto: Houmer Hedayat

23 Fundamentalismus Wo lässt sich dieser»lebensschutz«politisch verorten? KA: Politisch spielt sich das im konservativen und rechten Milieu ab, in der CDU gibt es die Christdemokraten für das Leben, die aber durch Parteiaustrie an Einfluss verloren haben. Und obwohl Teile der Bewegung durchaus (extrem) rechts sind, ist das nicht in eins zu setzen. In der Haltung zur Migration und zu Behinderung gibt es Brüche: Wenn jedes Leben wertvoll ist, kann es nicht nur um weiße,»gesunde«kinder gehen. Welche Rolle spielt christlicher Fundamentalismus in der Bewegung? ES: Zwar gibt sich die Bewegung überkonfessionell und überparteilich, aber in ihrer Praxis ist sie zutiefst christlich-fundamentalistisch. Keine ihrer Veranstaltungen kommt ohne Goesdienst oder wenigstens den Appell aus, für das gemeinsame Anliegen zu beten. Je nach Region stellen Gruppierungen, die als evangelikal, freikirchlich oder katholisch-fundamentalistisch eingeordnet werden müssen, die aktivsten Protagonist*innen vor Ort. abzuhalten. In Italien ist der Druck so groß, dass die Versorgung von ungewollt Schwangeren nicht mehr gewährleistet ist. Das ist das Vorbild für deutsche»lebensschützer«. Gibt es eine internationale Vernetzung? KA: Auf internationaler Ebene lässt sich beobachten, wie die Bewegungen voneinander lernen. Sie sind vor allem europaweit gut vernetzt, was man beispielweise am Erfolg der Initiative»One of us«sehen konnte. Diese europäische Bürgerinitiative sammelte 2013 für einen Gesetzesvorschlag an die EU zwei Millionen Unterschriften. Es ging gegen die Forschung an Embryonen und die Finanzierung von Schwangerschaftsabbrüchen. Auf dem jährlichen bundesweiten»marsch für das Leben«in Berlin sprechen oft internationale Gäste, aus der US-amerikanischen»Pro Life«-»Keine ihrer Veranstaltungen kommt ohne Goesdienst aus«bewegung, aus Frankreich oder Belgien. An dem Schweigemarsch nehmen auch Gruppen aus Österreich und Polen teil. Was ist katholischer Fundamentalismus und warum wird er in der öffentlichen Debae nicht richtig wahrgenommen? ES: Im Katholizismus heißt Fundamentalismus meist die Ablehnung des Zweiten Vatikanischen Konzils, welches beispielsweise für die Öffnung zur Ökumene und die Anerkennung anderer Religionen steht. Fundamentalist*innen berufen sich auf eine strenge, oft wörtliche Auslegung der Bibel und der tradierten Glaubenssätze und stellen sich gegen Modernisierung und Liberalisierung. Deswegen ist es auch kein Zufall, dass es die Piusbrüder sind, die jährlich in Freiburg den örtlichen»gebetszug für das Leben«durchführen. Diese sind als besonders rechts und fundamentalistisch bekannt, es sei nur an ihre strikt lateinischen Messen und die Leugnung des Holocausts durch Bischof Williamson erinnert. Auch auf internationaler Ebene üben katholisch-klerikale Netzwerke massiv Einfluss aus. Im internationalen Netzwerk»Agenda Europe«, das starke Verbindungen in den Vatikan, in monarchistischaristokratische Kreise sowie nach Russland und in die italienische extreme Rechte hat, wird für die»wiederherstellung der natürlichen Ordnung«gekämpft. Konkret heißt das: Anti-Abtreibungsgesetze sollen verschärft, Antidiskriminierungsgesetze ausgehebelt oder bekämpft werden. Die rechtliche und gesellschaftliche Gleichstellung von LGBTQI*-Personen wird abgelehnt und behindert. Papst Franziskus wird oft als liberal verstanden, aber in Bezug auf Schwangerschaftsabbrüche ist er das nicht. Mehrfach bezeichnete er Abtreibungen als»auftragsmord«. Dennoch organisieren sich auch gegen ihn und seine Anhänger*innen noch dogmatischere und rechtere Kreise. Der Kulturkampf findet auch innerhalb des Katholizismus sta. Wie ist der Einfluss der Bewegung einzuschätzen, besonders in Bezug auf die Debae um Schwangerschaftsabbrüche und den Paragraph 218? KA: Der Einfluss ist in den verschiedenen Bereichen recht unterschiedlich. In katholischen Krankenhäusern werden Schwangerschaftsabbrüche kaum durchgeführt. Wenn überhaupt, dann nur aus medizinischer Indikation und nicht nach der Beratungsregel. In Berufsverbänden, beispielsweise bei Mediziner*innen, versuchen die»lebensschützer«einfluss zu gewinnen und die Kolleg*innen durch Appelle an ihr Gewissen von der Teilnahme an Abtreibungen Was ist von der Bewegung in Zukunft zu erwarten? ES: Wir beobachten, dass sich in Deutschland innerhalb der Kirchengemeinden Gräben entlang der Frage»Wie hältst du es mit der AfD?«auftun. Dort wird um das christliche Menschenbild gekämpft, schließlich spielen Christ*innen eine Rolle in der karitativen Geflüchtetenhilfe und predigen universelle Nächstenliebe. Sie müssen sich angesichts des rechten Aufschwungs, der auch von rechten Christ*innen forciert wird, fragen: Ist jedes Leben schützenswert oder nur das weiße, christliche? Da versucht die»lebensschutz«-bewegung als Ganzes keine Stellung zu beziehen, aber das wird vermutlich nicht mehr lange funktionieren. Rassistische und antifeministische Kräfte werden selbstbewusster, antirassistische und feministische Kräfte aber auch aktiver. Welche Formen des Widerstandes gibt es? KA: Innerhalb der katholischen Kirche gibt es seit Kurzem die Initiative Maria 2.0, die eine Ausrichtung der kirchlichen Sexualmoral an der Lebenswirklichkeit fordert. Dabei geht es nicht explizit um Schwangerschaftsabbrüche, implizit aber schon. Dann gibt es die Catholics for Choice, die in Deutschland recht klein, in einigen latein- und südamerikanischen Ländern jedoch beachtenswert sind. In immer mehr Städten regt sich Widerstand, wenn»lebensschützer«in der Öffentlichkeit auftauchen. Es gibt Demonstrationen und Blockadeversuche gegen die»märsche für das Leben«und»Mahnwachen«. Als die»lebensschützer«von Pro Femina in Berlin im Juli ihre drie Beratungsstelle eröffneten (die keine Beratungsscheine ausstellt), hae das Bündnis»What the Fuck!«eine Gegenkundgebung mit 250 Menschen organisiert.»lebensschützer«flutschen nicht mehr als religiöse Spinner*innen unter dem Radar durch, sondern werden als konkrete Gefahr wahr- und ernstgenommen. Eike Sanders und Kirsten Achtelik sind, zusammen mit Ulli Jentsch, die Autor*innen von»kulturkampf und Gewissen. Medizinethische Strategien der Lebensschutz -Bewegung«, das 2018 im Verbrecher Verlag erschienen ist. Das Interview führte Johannes Schmihenner per . 23

24 Der Wahn sitzt tief Warum»Fundamentalismus«oft ein reaktionärer Kampfbegriff ist von Rainer Trampert 24 Boris Palmer, der grüne Oberbürgermeister von Tübingen, häe kein Problem mit der Reung einer in Seenot geratenen Krabbenkuerbesatzung nordischer Herkunft oder mit der Evakuierung schwäbischer Rentnerinnen von einem sinkenden Kreuzfahrtschiff. Menschen, die er indogermanischen Stämmen zuordnen kann, erträgt er ganz gut. Aber keine Araber und Afrikaner. Denn er fühlt sich durch»arabische oder schwarze Männer... an den Rand gedrängt«, und er bangt um das blonde Erbgut. Palmer erzählt gern die Geschichte vom grün wählenden Professor, der ihm seine Ängste gebeichtet hat:»ich habe zwei blonde Töchter, ich sorge mich, wenn jetzt 60 arabische Männer in 200 Meter Entfernung wohnen.«auch Björn Höcke (AfD) muss immer von der»vergewaltigung der blonden Frau«durch den»afrikanischen Ausbreitungstyp«träumen. Das deutsche Mädel ist blond und der fremde Mann omnipotent. So stand es schon im Nazibla»Der Stürmer«. Laut der Kriminalstatistik sind zwar»gewalaten gegen das Leben«rückläufig, und die größten Gefahren für Leib und Leben gehen ohnehin von der eigenen Familie aus. Die Fakten helfen Leuten wie Palmer und Höcke aber nicht, zu tief sitzen die Wahnbilder. Mit Bedacht gewählt Palmer will also bestimmte Menschen nicht in Europa haben. Und genau da beginnt der auf rassistischen Wahnvorstellungen beruhende Fremdenhass, der ihn wiederum dazu verleitet, humanistische SeenotreerInnen als»menschenrechtsfundamentalisten«anzufeinden. Palmer sagt, er habe mit diesem Begriff nur zum Ausdruck bringen wollen, dass die Reung von Flüchtlingen»aus Seenot kein automatisches Ticket nach Europa«sein dürfe,»da dies rechte, antieuropäische Parteien stärken«würde. Wird die AfD durch das Nachbeten ihrer Parolen geschwächt? Schrumpft der Faschismus durch die Verbreitung seiner Propaganda? Nein, Palmer will nur seine Unbarmherzigkeit in eine gute Tat verwandeln, um nicht als Rassist überführt zu werden. Er weiß sehr genau: Wer Flüchtlingen auf Hoher See das Ticket nach Europa verweigert, nimmt ihnen das Recht auf Asyl und überlässt sie der Sklaverei in Libyen oder dem Tod in den Fluten oder in der Wüste. Denn Amerika und Asien sind weit weg, und in islamischen Diktaturen und Kriegswirren gibt es kein Menschenrecht. Der Begriff»Menschenrechtsfundamentalismus«ist von Palmer mit Bedacht gewählt. FundamentalistInnen gelten als böse, ganz gleich, was sie fundamental vertreten. Wer mehr Autonomie und Lebensfreude, Liebe, Tanz, Musik, Solidarität, Freizeit und Freiheit anstrebt, wird das herrschende System fundamental kritisieren und dafür als Fundamentalist beschimpft werden. Der Islamist, der jeden Ausdruck von Lebensfreude mit dem Tod bestrafen will, wird den Westen für das Gegenteil fundamental kritisieren. Und es gehört zu den Spezialitäten des Bürgertums, durch die Projektion auf andere den eigenen Fundamentalismus auszublenden. Die BürgerInnen, die fundamentalradikal für die Betriebsdiktatur (sonst läuft der Laden nicht!) und das Marktsystem eintreten, obwohl dieses in permanenter Konkurrenz Sieger und Verlierer unter Staaten, Unternehmen und Individuen selektiert, halten sich selber für tolerant. Wie etwa die HonoratiorInnen der Stadt Aachen, die jedes Jahr den Karlspreis an herausragende EuropäerInnen vergeben, obwohl Karl der Große ein fundamentaler Christ und Massenmörder (»Sachsenschlächter«) war, der alle»europäer«vor die Wahl gestellt hae:»taufe oder Tod?«. Weil er OsteuropäerInnen versklavte, bezeichnet die Völkerkunde sie heute noch als Slawen (Sklaven). Der Historiker Hartmut Lehmann sagt vor dem Hintergrund all dessen zu Recht:»Bisher ist offen, ob der Begriff Fundamentalismus zu mehr taugt als zur Polemik.«Die Koordinaten verschieben Wenn Palmer von»menschenrechtsfundamentalismus«spricht, verschiebt er die politischen Koordinaten. In der Gründerzeit der Grünen musste man noch Kommunistin oder Radikalökologe sein, um als Fundamentalist gebrandmarkt zu werden. Damals wurden systemoppositionelle Grüne als»fundis«gegeißelt, weil sie sich weigerten, das drigrößte Wirtschaftsimperium der Welt zu dessen Bedingungen regierend zu verwalten. Heute genügt Leuten wie Palmer schon der Einsatz fürs Menschenrecht, mit dem das Bürgertum üblicherweise für sein Gesellschaftsmodell zu werben pflegt. Oder muss man sagen: zu werben pflegte? RealpolitikerInnen, die in phantasielosem Respekt vor dem Status Quo alles der Kapitalexpansion und Herrschaftsmoral unterordneten, wurden hingegen von sich selbst und vom Bürgertum gelobt. Wer regiert, wird nicht gegen sich selbst opponieren und demzufolge die Kraft für die Veränderung der Verhältnisse einbüßen. Der Staat und ihm verpflichtete Institutionen nehmen die ordnungspolitische Aufgabe wahr, gesellschaftliche Konflikte einzufangen und staatlicher Regelung zuzuführen, um das Ausbruchspotential zu eliminieren. Gestaet ist allein die Opposition, die im Parlament auf den Regierungsruf wartet, und das Basteln von systemkonformen Alternativen. Die FAZ lobt die Chefin der Bremer Linkspartei:»Kristina Vogt ließ ihre Partei so viel wie möglich über Sachfragen debaieren, um die weltfremden Flausen allmählich aus den Köpfen der Mitglieder zu vertreiben.«damit die GenossInnen nicht auf dumme fundamentalistische Gedanken kommen, hat sie mit ihnen Brücken repariert. Der Kapitalismus erhält sich durch Herrschaftsideologien, aber mehr noch durch sich selbst.»wes Brot ich ess, des Lied ich sing!«, sagen die Leute, während sie im Hamsterrad rennen und gegen FundamentalistInnen gelten als böse, ganz gleich, was sie vertreten

25 Fundamentalismus eigensinnige Individuen wüten, weil jene sie mit ihrer bereitwilligen Unterwerfung konfrontieren, die keine Freude macht. Und da permanente Existenzängste und Entbehrungen Aggressionen erzeugen, die nicht im Widerstand ausgelebt werden sollen, werden neben einer leidlichen konsumtiven Befriedigung propagandistische Surrogate angeboten: Hass auf Juden, MigrantInnen,»faule«Arbeitslose, Fundamentaloppositionelle, konkurrierende Nationen,... Druck auf die Abtrünnigen Der Mensch erträgt seine Willfährigkeit besser, wenn ihm von allen Seiten bestätigt wird, dass sein blödes Treiben im Laufrad vernünftiger Realismus sei. Demgegenüber werden kritische Leute mit Begriffen wie»fundamentalisten«,»notorische Neinsager«,»brotlose Weltverbesserer«etc. in die Nähe von psychisch Erkrankten gerückt. Das hilft bei der falschen Selbstvergewisserung und übt Druck auf die Abtrünnigen aus. Zur Ironie der Geschichte gehört, dass Palmers Besessenheit milerweile dysfunktional fürs Kapital ist. Die Wirtschaftsverbände sehen in der Einwanderung die Chance, den Fachkräftemangel zu beheben und die Sozialsysteme zu reen. Wie nach dem Zweiten Weltkrieg, als nicht Ludwig Erhard das Wirtschaftswunder schuf, sondern 13 Millionen Flüchtlinge und Vertriebene aus dem Osten zusätzliche Werte erwirtschafteten. RassistInnen ist die Erkenntnis versperrt, dass MigrantInnen Werte schaffen. Ihr Kanon, dass Menschen verschiedener Herkunft nicht gut zusammenleben können, stört inzwischen die Wirtschaft und ist Wasser auf die Mühlen der»identitären«faschistinnen, deren Vision auf ethnische Säuberung hinausläuft. Der Konzern R+V-Versicherungen untersucht regelmäßig die Angstzustände der Deutschen, um sie dagegen zu versichern. Nach der letzten Studie haen Deutsche zum ersten Mal mehr Angst vor Fremden als vor Krebs und Arbeitslosigkeit. Lieber tot als einem Fremden zu begegnen! Nach den Niederlagen und Deformationen von historischen Befreiungsvisionen fehlt heute ein Korrektiv, das den wachsenden Misthaufen an nationalen, ethnischen, männerkultigen, religiösen, heimatbündlerischen, rassistischen und faschistischen Wahnbildern eindämmen kann. Und so wird die Epoche der Klassenkämpfe, in denen es um die Verbesserung der Lebensverhältnisse, um erfahrbare Solidarität und Humanismus ging, verdrängt durch eine Epoche der falschen Identitäten: Heimat, Volk, Vaterland, Abendland. Palmer ist ein fundamentalistischer Agitator dieser Deformation. Wer arabische oder schwarze Männer zur Gefahr für sich und blonde Frauen indiziert, bestärkt Menschen, die für Verschwörungen und Vorurteile empfänglich sind, in ihrem Wahn (»wenn sogar der grüne Oberbürgermeister sagt, dass unsere Kultur bedroht ist«). Und er wirbt ähnlich wie die identitären FaschistInnen für den gesäuberten Volkskörper. Rainer Trampert ist Autor in Hamburg. Von 1982 bis 87 war er einer der drei Vorsitzenden der Grünen und wurde seinerzeit wegen seiner radikalökologisch-sozialistischen Positionen als»fundi«etikeiert. Foto: Houmer Hedayat 25

26 Evangelikale ProtestantInnen stellen eine zentrale Wählerbasis der Republikanischen Partei dar. Ihre Treue wird seit der Wahl Donald Trumps zum Präsidenten mehr denn je honoriert. Der fundamentalistisch-protestantische Kampf für die christliche Nation wird von der derzeitigen US-Regierung offen unterstützt. Abschluss der Fotoreihe von Houmer Hedayat»Make America Christian Again«Evangelikale in den USA wollen einen»christlichen«staat 26 von Carl Kinsky Trotz des offiziell laizistischen Staatswesens der USA hat der christliche Glaube dort schon seit der Staatsgründung eine zentrale gesellschaftliche Bedeutung. Aufgrund der Kolonialherrschaft Großbritanniens, der Rolle der USA als Zufluchtsort für verfolgte protestantische Gemeinden aus Europa sowie der Verbreitung antikatholischer Ressentiments ist der historische Einfluss des Protestantismus dominant. Aus dieser Tradition speist sich die religiösnationalistische Vorstellung, wonach die USA ein von Go gegebenes neues gelobtes Land und dazu auserwählt seien, als Speerspitze des christlichen Glaubens in der Welt zu wirken. Insgesamt verwendet man in den USA für alle rechtsgerichteten christlichen Organisationen die im Wesentlichen dieselben politischen Ziele verfolgen den Sammelbegriff Christliche Rechte. Evangelikale nehmen eine zentrale Stellung als Teil der Christlichen Rechten ein. Eine Untersuchung des Pew Research Center im Jahr 2014 ergab, dass rund 25 Prozent der erwachsenen US-AmerikanerInnen sich als evangelikale ProtestantInnen bezeichnen. Es sind mehrheitlich «weiße«wählerinnen der Republikaner im Alter zwischen 30 und 64 Jahren, die seit mindestens drei Generationen in den USA leben und vor allem in den Südstaaten einen hohen Anteil an der erwachsenen Bevölkerung ausmachen. Die Mehrheit von ihnen eint der Glaube an Himmel und Hölle, göliche Schöpfung sowie die Ablehnung von Abtreibung und Homosexualität (beziehungsweise der Abweichung von binären heterosexuellen Körper- und Geschlechternormen). Knapp 81 Prozent der evangelikalen WählerInnen haben Donald Trump gewählt, nicht zuletzt

27 Fundamentalismus da er mit dem Evangelikalen Mike Pence einen prominenten politischen Vertreter der Christlichen Rechten zum Vizepräsidenten ernannte. Erst religiös, dann politisch Die Ursprünge der Evangelikalen in den USA lassen sich auf protestantische Erweckungsbewegungen im 18. Jahrhundert zurückführen. Schon damals gehörten der Glaube an die Bibel als absolute Autorität, die Hinwendung zu Go welche als Wiedergeburt erfahren wird (born-again) sowie die Missionierung anderer Menschen zu den Grundpfeilern dieser religiösen Bewegung. Zunächst versuchten Evangelikale vor allem indirekt durch die Missionierung gesellschaftlichen Einfluss auszuüben, da Politik und Religion als inkompatibel verstanden wurden. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts änderte sich das Vorgehen, es wurde nun explizit die politische Einflussnahme gesucht. Eine wichtige Rolle nahm dabei der evangelikale Fernsehprediger (»Televangelist«) Billy Graham ein, dessen Werke heute in vielen evangelikalen Haushalten zu finden sind. In den 1960er Jahren agitierte er gegen einen angeblichen moralischen Verfall der Gesellschaft. Folgerichtig unterstützte er als erster prominenter Vertreter der Evangelikalen den republikanischen Präsidenten Richard Nixon sprach Graham bei dessen Vereidigung. Angesichts der linken Proteste gegen Nixons Kriegspolitik in Vietnam hielt Graham aus antikommunistischer Überzeugung zu ihm. Insgesamt setzte sich unter Evangelikalen die Überzeugung durch, dass das»gelobte Land«der Vereinigten Staaten zunehmend durch den Einfluss von Linksliberalen und Linken zerstört werde ein Prozess, den es miels autoritärer Politik zu verhindern gelte. Doch erst mit dem republikanischen Präsidenten Ronald Reagan ( ) konnte ein relevanter politischer Einfluss von rechten Evangelikalen etabliert werden. Als zentrale Figur trat hierbei der Televangelist Jerry Falwell mit seiner 1979 gegründeten Organisation Moral Majority (Moralische Mehrheit) auf. Falwell definierte drei Hauptziele: Die Reung von Seelen, die Taufe und die Registrierung von Evangelikalen zur Wahl. Seine Mischung aus christlicher Inszenierung und Nationalismus verhalf Reagan zu zwei Amtsperioden. Bis in die Gegenwart dient er nahezu allen konservativen PolitikerInnen und Medien als Vorbild. Die evangelikale Rechte ist zu einer fest verankerten Kraft in der politischen Landschaft der USA geworden, die von der kommunalen Ebene bis zur Bundesregierung wirkt. Ihre Organisationen umfassen die jeweiligen (steuerlich befreiten) Kirchengemeinden, aber auch Denkfabriken, Lobbyorganisationen, Bildungseinrichtungen, sowie klassische und neue Medien. Verbindende Elemente sind dabei vor allem die Betätigungsfelder Kreationismus, Anti- Abtreibung und die göliche Geschlechterordnung. Sechs arbeitsreiche Tage Die USA sollen die Speerspitze des christlichen Glaubens sein Zentral für den Glauben der fundamentalistischen Evangelikalen ist das Narrativ, die Erde und jedes Lebewesen darauf sei von Go vor Jahren in sechs Tagen erschaffen worden. Jede biblische Erzählung gilt daher als historische Wahrheit. Entsprechend wehren sich diese Glaubensanhänger gegen die Evolutionstheorie. Unter dem Begriff «intelligent design«verbreiten Denkfabriken wie das 1990 gegründete Discovery Institute die Schöpfungslehre als pseudowissenschaftliche Theorie. Im Jahr 2015 haen sie dafür ein Budget von über vier Millionen Dollar. Da die US-Bildungspolitik den jeweiligen Bundesstaaten und Kommunen obliegt, ist der Erfolg unterschiedlich. Während etwa der Oberste Gerichtshof 1968 zum ersten Mal die Verfassungswidrigkeit der Schöpfungslehre in öffentlichen Schulen feststellte, ignorierte beispielsweise Louisiana diese Entscheidung bis Andere Institutionen umgehen diese Vorgabe. Das Bildungsministerium von Alabama entschied 2016, naturwissenschaftliche Schulbücher weiterhin mit Hinweiszeeln zu versehen, auf denen die Evolution als»kontroverse Theorie«dargestellt wird. Insgesamt sehen sechs Bundesstaaten in ihren Bildungsvorgaben eine»kritische Analyse«der Evolutionstheorie vor. Zusätzlich gibt es zahlreiche christliche Privatschulen sowie die Möglichkeit, Kinder zu Hause zu unterrichten, um sie «bibeltreu«zu erziehen. Durch die Vielzahl der privaten christlichen Hochschulen erhalten hunderausende StudentInnen eine am kreationistischen Leitbild orientierte wissenschaftliche Ausbildung. Aber auch jenseits von Bildungsplänen arbeiten Non-Profit-Organisationen am kreationistischen Weltbild. Die Organisation Answers in Genesis (Antworten im Buch Mose) um Kenneth Alfred Ham, deren Einnahmen 2014 bei über 27 Millionen Dollar lagen, schuf eine Art «Disneyland«für protestantische FundamentalistInnen wurde das Crea tion Museum in Kentucky eröffnet, wo die Bibel als wissenschaftliches Werk vorgestellt wird wurde im gleichen Bundesstaat die Ark Encounter, ein»originalgetreuer«nachbau der Arche Noah, fertiggestellt. Beide Araktionen zogen seit ihrer Eröffnung mehrere Millionen BesucherInnen an. Spießrutenläufe für Abtreibungspatientinnen 1973 legalisierte der Oberste Gerichtshof in den USA Schwangerschaftsabbrüche. Ein großes Augenmerk der FundamentalistInnen liegt seither auf der Verhinderung der Inanspruchnahme dieses Rechts. Dabei fristet das Recht auf Abtreibung ohnehin ein prekäres Dasein, weil es nicht auf einem Bundesgesetz beruht, sondern nur als Teil der etablierten Rechtsprechung besteht. Vor allem PolitikerInnen der Republikaner bringen immer wieder Gesetzesvorschläge ein, die das Betreiben von Kliniken, die Abtreibungen anbieten, verunmöglichen sollen wohlwissend, dass die Arbeit dieser Kliniken oftmals der allgemeinen medizinischen Versorgung von Frauen dient. Demgegenüber waren Kliniken in den letzten Jahren mit mehreren Klagen gegen derlei Gesetze vor dem Obersten Gerichtshof erfolgreich, zuletzt im Bundesstaat Indiana. Ein im April 2016 vom damaligen Gouverneur und jetzigen Vizepräsidenten Mike Pence unterzeichnetes Gesetz, welches die Beerdigung oder Einäscherung jedes abgetriebenen Fötus vorsah, wurde im September 2017 verworfen. Nun zeichnet sich eine erneute Kehrtwende ab: Waren die Bundesgerichte bisher der einzige Garant, dass ein Recht auf Abtreibungsleistungen besteht, so ist deren Verlässlichkeit fraglich geworden. Denn die Trump-Regierung hat ihr Nominierungsrecht für BundesrichterInnen klug genutzt: Mit Neil Gorsuch im Januar 2017 und Bre Kavanaugh im September 2018 wurden zwei verlässlich konservative Richter für den Obersten Gerichtshof ernannt, die in der Vergangenheit bereits im Sinne der religiösen Rechten entschieden haben. Auch viele weitere RichterInnenposten wurden mit Reaktionären besetzt, andere wiederum nicht besetzt, um demo- 27

28 Fundamentalismus 28 kratische Kontroll- und Rechtsfindungsprozesse zu verlangsamen. In Alabama wurde mit dem Human Life Protection Act im Mai 2019 die Durchführung von Abtreibungen außer im Falle der Gefährdung des Lebens der Muer verboten. In diesem Gesetz wird Abtreibung als»größeres Verbrechen«als die Shoah bezeichnet. Diese Kehrtwende lässt sich auf das Wirken vieler außerparlamentarischer Organisationen zurückführen, die den Kampf gegen Abtreibung finanzieren und auf die Straße tragen. Begleitet wurden diese Aktionen auch stets von tödlicher Gewalt und der Einschüchterung von AbtreibungsanbieterInnen und deren Patientinnen. So zählt die National Abortion Federation (NAF) seit 1977 mindestens elf Morde, 42 Bombenanschläge, 188 Brandanschläge und 290 physische Übergriffe an AbtreibungsanbieterInnen. Zur beliebtesten Methode gehört das Protestieren und Bedrängen von Frauen vor Abtreibungskliniken. Allein im Jahr 2018 zählte die NAF solcher Aktionen sowie Blockadeaktionen. Klinikbesuche sind daher fast immer Spießrutenläufe für Patientinnen. In Warnwesten gekleidetes Personal, welches Frauen an den Protestierenden vorbei in Kliniken hinein begleitet, ist in den vergangenen Jahren normal geworden. Dieser christliche Hass legitimiert sich selbst durch das Narrativ von einer»abtreibungsindustrie«, das häufig mit Holocaust-Vergleichen (»Babycaust«) angereichert wird. Verbreitet wird derlei Propaganda von rechten Medienkonzernen wie Fox News oder dem Christian Broadcasting Network, welches 1960 vom Televangelisten Marion Gordon»Pat«Robertson gegründet wurde. Göliche Ordnung der Geschlechter Entsprechend ihren kreationistischen Überzeugungen glauben rechte Evangelikale, dass eine heteronormative, patriarchalische Familienordnung dem Willen Goes entspricht. Ein Beispiel dafür ist das im August 2017 verbreitete Nashville Statement, das auf eine Kooperation der Council for Biblical Manhood and Womanhood (Rat für biblische Männlich- und Weiblichkeit) mit der mehr als 15 Millionen Mitglieder zählenden Southern Baptist Convention zurückgeht. In 14 Artikeln werden in diesem Manifest die»gogewollten Unterschiede zwischen Mann und Frau«, das Verbot von Sexualität außerhalb der Ehe sowie die»sünde der Akzeptanz von homosexueller Immoralität und Transgenderismus«behauptet. Letzteres sei jedoch heilbar. Diese»Heilung«von nicht-heterosexuellen Menschen findet unter dem Stichwort»conversion therapy«(konvertierungstherapie) großen Widerhall. Darin werden die Gründe für eine nicht-heterosexuelle Identität zum Beispiel auf»verweichlichung«,»mangelnden Glauben«oder Traumata durch Kindesmissbrauch zurückgeführt. Im Nachgang solcher»thera pien«und der damit verbundenen Leugnung der eigenen sexuellen Identität werden vielfach schwere seelische Schäden wie Depressionen und sogar Selbstmorde festgestellt. Sie bleiben allerdings weit verbreitet und traumatisieren zahlreiche Menschen, primär in hunderten protestantischen und katholischen Einrichtungen. In den letzten Jahren haben sechs Bundesstaaten und einige Großstädte daher die Anwendung der Konvertierungstherapie bei Minderjährigen verboten. International tätige Organisationen wie das 1990 von Pat Robertson gegründete American Center for Law & Justice um Jay Alan Sekulow agitieren auch außerhalb der USA. In Ländern wie Jede biblische Erzählung gilt Evangelikalen als historische Wahrheit Simbabwe, Kenia und Uganda machen sie Stimmung für schwulenfeindliche Gesetze: In Uganda sollte 2014 gleichgeschlechtlicher Sex unter Strafe bis zu lebenslanger Haft gestellt werden (siehe iz3w 356). Aufgrund internationalen Drucks verzichtet die ugandische Regierung momentan auf deren Umsetzung. In der EU gründete Sekulow 1998 gemeinsam mit Thomas Patrick Monaghan das European Center for Law & Justice mit Sitz in Straßburg. Diese Organisation hat einen Consultative Status bei den Vereinten Nationen inne. Solchen Erfolgen stehen aber auch Rückschläge gegenüber: Als der Oberste Gerichtshof in den USA 2015 die Ehe für gleichgeschlechtliche Paare öffnete, war dies ein herber Schlag für die Christliche Rechte. Wahlgeschenke von der Trump-Regierung Mit der Wahl von Donald Trump zum Präsidenten gelangte die Christliche Rechte wieder ins Weiße Haus. Mike Pence sprach im Januar 2017 als erster Vizepräsident bei dem seit 1974 stafindenden March for Life (Marsch für das Leben) vor zehntausenden AbtreibungsgegnerInnen, Trump dankte den Demonstrierenden auf Twier. Auch Trumps Beraterin Kellyanne Conway sprach bei dem Aufmarsch. Seither hält Pence jedes Jahr bei dieser Veranstaltung eine Rede, während sich Trump auf eine große Leinwand zuschalten lässt und mit seinen Wahlgeschenken an die FundamentalistInnen prahlt. Der Minister für Wohnungsbau und Stadtentwicklung Ben Carson bezeichnet Abweichungen von Heteronormativität als»lifestyle- Entscheidungen«. Der frühere Justizminister Jefferson Beauregard Sessions war besonders fleißig bei der Umsetzung politischer Forderungen der Christlichen Rechten: Er erleichterte die Befreiung für Arbeitgeber von der Pflicht, Abtreibungen als Teil der Krankenversicherung ihrer Angestellten abzudecken. Außerdem hob Sessions eine Leitlinie auf Grundlage des Civil Rights Act auf, die den Schutz von Transpersonen vor Diskriminierung bestimmt hae. Trump selbst trat außerdem im Oktober 2017 als Hauptredner beim Value Voters Summit auf. Das ist die jährliche Konferenz des Family Research Council um Tony Perkins, einem Erstunterzeichner des oben genannten Nashville Statements. Trump hat seine Kontakte in die evangelikale Bewegung ausgebaut, seit er erneut Präsidentschaftskandidat werden will. Eine besondere Rolle spielt dabei sein gutes Verhältnis zu Jerry Falwell Jr., einem von Jerry Falwells Söhnen. Falwell Jr. ist Präsident der evangelikalen Liberty University in Virginia und unterstützte von Anfang an Trumps Präsidentschaftskandidatur. An dieser Privatuniversität hielt Trump bereits 2012 eine Rede, in der er den Samen für den Personenkult um ihn in der evangelikalen Bewegung säte. Zu Diensten sind Trump auch evangelikale Erzählungen, zum Beispiel dass Trump ein Werkzeug Goes auf Erden sei (ein»zweiter König Kyros der Große«). Verwunderlich ist die Unterstützung für Trump unter rechten ChristInnen im Allgemeinen und unter Evangelikalen im Besonderen nicht: Seine Regierung setzt deren politischen Forderungen vorbehaltslos um. Carl Kinsky widmet sich der extremen Rechten in den USA und Deutschland, vor allem in den antifaschistischen Zeitschriften»Loa«und»der rechte rand«. Der Artikel erschien in einer kürzeren Fassung bereits in»der rechte rand«(nr. 170).

29 Fundamentalismus Sortieren ist den FundamentalistInnen wichtig (auf dem Weg nach Mekka) Foto: Peter Dowley Monopol auf die Wahrheit Der Wahhabismus ist in Saudi-Arabien ein umstrienes Politikum Der Wahhabismus gilt als eine besonders fundamentalistische Auslegung des sunnitischen Islam. In Saudi-Arabien ist er Staatsdoktrin und Leitkultur zugleich. Im Rahmen seiner Bemühungen, die Diktatur zu modernisieren, will Kronprinz Mohammed bin Salman nun den Einfluss der wahhabitischen Geistlichen zurückdrängen. Ein heikles Unterfangen, denn das Regime benötigt eine islamische Legitimation. von Jörn Schulz Rhetorisches Geschick, Eloquenz und die Fähigkeit, selbst erfahrene JournalistInnen zu überraschen, kann man Kronprinz Mohammed bin Salman nicht absprechen.»was ist Wahhabismus?«fragte er Jeffrey Goldberg, der ihn für das US-Magazin The Atlantic interviewte das ist so, als würde der Papst fragen, was Katholizismus ist. Im weiteren Verlauf des im April 2018 veröffentlichten Gesprächs zeigt sich, dass Salman mit der Materie doch ein wenig vertraut ist.»niemand kann Wahhabismus definieren. Es gibt keinen Wahhabismus«, behauptete er. Vielmehr gebe es vier gleichrangige sunnitische Rechtsschulen und eine Gleichberechtigung der Schiiten. Das sind dreiste, aber politisch bedeutsame Lügen. Da Wahhabiten sich als die einzig wahren Muslime betrachten, hörten sie den wahrscheinlich erstmals von den Osmanen gebrauchten Begriff nie gerne. Aber man kann Wahhabismus definieren. Es handelt sich um eine im 18. Jahrhundert entstandene, nach ihrem Gründer, dem Prediger und Theologen Muhammad ibn Abd al- Wahhab, benannte puritanisch-fundamentalistische Bewegung, die die Rückkehr zu einem angeblich ursprünglichen Islam anstrebt und die Religion von vermeintlich fremden und verderblichen Elementen reinigen will. Der Wahhabismus folgt der hanbalitischen Rechtsschule und steht freieren theologischen Methoden wie Streitgespräch (Kalam) und Analogieschluss (Qiyas) ablehnend gegenüber. In der Praxis kam man ohne sie nicht aus, da die als legitim anerkannten Quellen, Koran und Sunna, nicht genug hergeben, um etwa Analogieschlüsse gänzlich vermeiden zu können. Aber die Rechtsfindung sollte möglichst wortgetreu den Quellen folgen. Der Wahhabismus ist strikt antischiitisch, bekämpft aber auch als heidnisch betrach- 29

30 30 tete, vor allem im Sufismus verbreitete sunnitische Glaubensformen wie Wallfahrten zu Gräbern schloss Abd al-wahhab einen Vertrag mit Muhammad ibn Saud, einem damals unbedeutenden Lokalherrscher der Stadt Diriyya. Abd al-wahhab sicherte den Sauds ideologische Unterstützung zu, diese versprachen, seine Lehre zu verbreiten. Heiraten festigten das Bündnis, das mehr als zweieinhalb Jahrhunderte Bestand hae gelang nicht zuletzt durch britische Unterstützung die Gründung eines Königreichs. Der wahhabitische Klerus des Clans der al-sheikh wurde zum Hüter der Staatsdoktrin. Wehe, man ist Schiit Die wahhabitische Doktrin dominiert bis heute das Rechts- und Bildungssystem Saudi-Arabiens und definiert die Leitkultur des Landes. In einem solchen System ist die schiitische Minderheit, zehn bis 20 Prozent der StaatsbürgerInnen, zwangsläufig diskriminiert, ebenso wie die nichtsunnitische Minderheit unter den MigrantInnen (etwa ein Driel der Bevölkerung, die Mehrheit kommt aus sunnitisch geprägten Ländern wie Ägypten und Pakistan). Ein ambitionierter Schiit muss sich anpassen, kann aber im extrem korrupten und klientelistischen System Saudi-Arabiens dennoch schwerlich mit der für eine Karriere notwendigen Fürsprache eines der Prinzen oder einer einflussreichen Familie rechnen. Schwieriger noch ist der Aufstieg im Polizei- oder Militärapparat, denn Schiiten gelten als Sicherheitsrisiko. Es gibt jedoch keinen Hinweis darauf, dass iranische Versuche der Einflussnahme, die es zweifellos gibt, größeren Erfolg gehabt häen. Schiitische Aufstände, zu denen es immer wieder kommt, scheinen eher eine spontane Reaktion auf Diskriminierung und Polizeigewalt zu sein. Da Saudi-Arabien ähnlich abgeschoet ist wie Nordkorea, gibt es fast keine zuverlässigen Informationen über die Protestierenden. Es gibt Anzeichen für eine Lockerung der antischiitischen Politik. Die Staatspropaganda enthält sich nun weitgehend antischiitischer Hetze. Noch 2017 wurde die überwiegend schiitische Stadt Awamiyya während eines Aufstands beschossen, 2018 ließ Kronprinz Salman in einem ebenso eiligen wie ambitionierten Bauprojekt vieles wieder aufbauen. Andere Lockerungen betreffen die gesamte saudische Gesellschaft. Frauen dürfen nun selbst ein Auto lenken. Auch der Schleierzwang wurde gelockert. Frauen müssten»sisame«kleidung tragen, aber nicht unbedingt die Abaya, den Umhang, der bislang vorgeschrieben war, hae Kronprinz Salman 2018 gesagt ohne allerdings eine gesetzliche Regelung zu erlassen. Da auch die Vollmachten der Religionspolizei beschnien wurden, nutzen viele Frauen die Gunst der Stunde. Festnahmen wegen»unsilicher«kleidung wurden bislang nicht bekannt, die Rechtsunsicherheit aber bleibt. Das ist vermutlich erwünscht. Kronprinz Salman steckt wie seine feindlichen Brüder, die Ayatollahs auf der anderen Seite des Persischen Golfs im klassischen Dilemma der Herrscher ideologisierter Diktaturen: Man kommt nicht umhin, den Gegebenheiten des globalisierten Kapitalismus Rechnung zu tragen. Auch ein ölreicher Staat kann es sich nicht leisten, die Hälfte der Bevölkerung vom gesellschaftlichen Leben fernzuhalten. So soll die Frauenerwerbsquote, derzeit nach offiziellen Angaben 22 Prozent, bis 2030 auf 30 Prozent erhöht werden. Auch Kinos sind jetzt wieder erlaubt. Kulturelle und gesellschaftspolitische Lockerungen können ein Ventil für Unzufriedenheit sein Streaming sta Straßenprotest. Doch jede Lockerung weckt den Appetit auf mehr, womöglich auf viel mehr. In einem Land, das nicht mehr beduinisch, sondern städtisch geprägt ist und dessen BewohnerInnen keineswegs so reich sind, wie es dem Mythos vom Ölscheich entspricht mindestens ein Viertel der Bevölkerung lebt in relativer Armut, die Arbeitslosigkeit liegt nach offiziellen Angaben bei knapp 13 Prozent, drängt sich die Frage auf, ob ein einziger Clan Macht und Reichtum weiterhin monopolisieren sollte. Aber auch die Frage, ob ein anderer Clan ein Monopol auf die Theologie beanspruchen kann. Dämpfer für den Klerus Saudi-Arabien war immer eine absolutistische Monarchie, in der es keine Trennung zwischen dem Staatshaushalt und dem Vermögen des Königshauses gibt, das über den Staatskonzern Saudi Aramco die Wirtschaft kontrolliert. Unter Kronprinz Mohammed bin Salman steuert das Land auf eine noch stärker zentralisierte Herrschaft zu. Kaum jemand bezweifelt, dass der Kronprinz bereits anstelle seines greisen Vaters regiert. Zwischen November 2017 und Januar 2018 hielt er 200 Angehörige der Oligarchie, darunter auch Prinzen, in einem Hotel in Riad gefangen. Vorgeworfen wurde ihnen Korruption, vermutlich zu Recht, aber Salmans Ziel dürfte gewesen sein, sich Geschäftsanteile anzueignen und die neuen Machtverhältnisse klarzustellen. Der Kreis der wirklich Mächtigen, zuvor auf etwa hundert Personen geschätzt, ist offenbar noch einmal geschrumpft. Über die al-sheikhs ist noch weniger bekannt als über die Sauds. Der Clan hält den Posten des Religionsministers und zahlreiche weitere hohe Positionen im Bildungs- und Justizsystem. Dass er sich für einen religiösen Adel hält, wurde Ende Mai 2017 in einem Offenen Brief an den katarischen Herrscherclan deutlich. Dessen Anspruch, von al-wahhab abzustammen, sei falsch und erfunden ein Angriff auf die Legitimität des Emirs von Katar, gegen das Saudi-Arabien kurz darauf eine Blockade verhängte. Der Wahhabismus ist eine vorkoloniale Es ist unklar, ob das Bündnis damals fundamentalistische Bewegung noch intakt oder die Delegitimierung des Emirs von Katar auch eine Warnung an das saudische Königshaus war.»abd al-wahhabs Familie, die al-sheikh-familie, ist heute sehr gut bekannt, aber es gibt heute zehntausende sehr wichtige Familien in Saudi- Arabien«, sagte Salman knapp ein Jahr später. Diese Zurücksetzung dürfte ihm der wahhabitische Klerus übelgenommen haben. Salman verbindet sie mit einer eigenwilligen Geschichtsdeutung.»Unsere Familie«, dozierte er, habe die Stadt Diriya gegründet,»den ersten saudischen Staat«, und durch eine geschickte Bündnis- und Wirtschaftspolitik die streitenden Stämme und damit das Land vereinigt. Man habe immer mit den»großen Köpfen«der Arabischen Halbinsel zusammengearbeitet,»den Generälen, den Stammesführern, den Gelehrten«, und»einer von ihnen war Muhammad ibn Abd al-wahhab«. Die Herabsetzung des wahhabitischen Klerus verbindet Salman mit einer noch über die übliche Hagiographie hinausgehenden Erhöhung seiner Familie, der er das Verdienst zuspricht, Saudi-Arabien im Alleingang erschaffen zu haben. Der Kronprinz würde einen so wichtigen Clan nicht öffentlich beleidigen, wenn er es nicht ernst meinte. Offensichtlich will Salman

31 Fundamentalismus das Bündnis mit dem wahhabitischen Klerus lösen und damit das einzige relativ unabhängige Machtzentrum beseitigen. Damit nähert sich Saudi-Arabien der Religionspolitik anderer arabischer Diktaturen, die sunnitische Geistliche wie Befehlsempfänger behandeln. Einen liberalen Islam darf man von Salman aber nicht erwarten. Die Scharia soll bleiben, nur nach den Bedürfnissen des Königshauses flexibler interpretiert werden. Der wahhabitische Klerus wird zweifellos um seine Macht kämpfen und könnte seine Legitimationsmacht einer anderen Gruppe antragen etwa einer mit Kronprinz Salman rivalisierenden Fraktion im Palast, möglicherweise aber auch islamistischen Herausforderern. Ein Legitimationsverlust ist auch für die Stellung Saudi- Arabiens in der islamischen Welt von Bedeutung. Im April rief der libysche Großmufti Sadiq al-ghariani zum Boyko des Hajj, der Pilgerfahrt nach Mekka, auf. Diese sei derzeit»eher eine Sünde als eine gute Tat«, da sie die Herrscher Saudi-Arabiens bereichere und somit»helfe, Verbrechen gegen unsere muslimischen Mitmenschen zu begehen«, vor allem im Jemen. Bereits im August 2018 hae der Theologe und Fernsehprediger Yusuf al-qaradawi einen solchen Boyko gefordert:»die Hungrigen zu ernähren, die Kranken zu versorgen und die Obdachlosen zu beherbergen ist Go wohlgefälliger, als Geld für den Hajj auszugeben.«es handelt sich hier nicht um humanitäre Interventionen. Qaradawi steht der Muslimbruderschaft nahe, auch Ghariani ist Islamist, beide gelten als Verbündete Katars. Die ungewöhnlichen Aufrufe immerhin ist der Hajj eine der fünf Säulen des Islam zeigen, dass die ideologische Legitimation ein wichtiges Miel im Machtkampf islamischer Staaten und Bewegungen ist. Das Haus Saud legitimierte seine militärisch errungene Herrschaft über Mekka und Medina mit puritanischer Strenggläubigkeit und erhob damit zugleich einen ideologischen Führungsanspruch über die islamische Welt. Zu den Aufgaben des Religionsministeriums gehört auch die Da wa (Ruf zum Islam, Mission), die wahhabitischen Grundsätzen folgte, unter anderem durch die Entsendung von Predigern und die Finanzierung von Bildungseinrichtungen. Saudi- Arabien finanzierte und bewaffnete aber auch jihadistische Gruppen, darunter afghanische Mujahedin. Damit hat das Königshaus erheblich zur Verbreitung der islamistischen Ideologie und des jihadistischen Terrors beigetragen. Allerdings wandten sich nicht wenige der zuvor unterstützten Gruppen gegen das Königshaus, wie etwa al-qaida. Hassliebe zum Islamismus Der Wahhabismus ist eine vorkoloniale fundamentalistische Bewegung, während der moderne Islamismus vornehmlich auf die 1928 gegründete Muslimbruderschaft zurückgeht. Die ideologischen Differenzen erscheinen gering. Beide Strömungen berufen sich auf die idealisierte islamische Frühzeit, die als Epoche puritanischer Glaubensstrenge und missionarischen Eifers imaginiert wird, und bestehen auf einer möglichst wortgetreuen Geltung der Vorschriften aus Koran und Sunna. Anfangs verstand man sich gut. Der saudischen Monarchie galt der Islamismus als unterstützenswerte Ideologie im Kampf gegen arabischen Nationalismus und Sozialismus. Es gibt jedoch einen wichtigen Streitpunkt: die Herrschaftsform. Staatstheorie ist nicht die Stärke der Islamisten, ihre Vorstellungen sind meist vage. Als Ideal gilt das Kalifat, das jedoch die Vereinigung der islamischen Welt voraussetzt. Da große islamistische Bewegungen meist im nationalstaatlichen Rahmen agieren, entwickelten sie Vorstellungen von einem islamischen Republikanismus. Dem islamistischen Versprechen, demokratische Regeln zu achten, sollte aber, wie nicht zuletzt die kurze Herrschaft der Muslimbrüder in Ägypten bewies, mit äußerstem Misstrauen begegnet werden. Ihr Ziel ist die technokratische Herrschaft einer religiösen»elite«mit auf islamistische Fraktionen beschränkter Wahlmöglichkeit die Gesetzgebung besteht ja ohnehin nur aus der Interpretation der Scharia. Eine Erbmonarchie aber ist im modernen Islamismus nicht vorgesehen. Das Kalifat ist eine Wahlmonarchie, der Übergang zur Erbfolge gilt Islamisten als Zeichen des Verfalls. Sie können eine Erbdynastie zeitweise akzeptieren, wenn sie»gogefällig«regiert doch diese Rolle fällt nun Katar zu, derzeit Hauptsponsor sunnitisch-islamistischer Gruppen. Kronprinz Salman hingegen zählt die Muslimbrüder neben den islamistischen Terrorgruppen und dem Iran nun zum»dreieck des Bösen«. Die Kontrolle über das ölreiche Saudi- Arabien zu gewinnen, gehört weiterhin zu den Träumen von Islamisten. Es ist fraglich, ob sie eine größere Anhängerschaft in einem Land gewinnen können, in dem vor allem die Jugend sich eher von»westlicher«kultur als von puritanischen Predigern angezogen fühlt. Sollte es zum offenen Machtkampf innerhalb der Oligarchie kommen, könnten sie allerdings zu einem entscheidenden Faktor werden. Potentielle Feinde nicht weiter zu finanzieren und aufzurüsten, war sicherlich ein Motiv für Kronprinz Salman, die Unterstützung für sunnitische, auch jihadistische Rebellengruppen im syrischen Bürgerkrieg zu beenden. Den nicht eben blendend guten Ruf seines Landes in der Welt zu verbessern, war ein weiteres Motiv. Die Ermordung des Dissidenten Jamal Kashoggi zwang westliche Regierungen, wenigstens rhetorisch auf Distanz zu gehen, doch angesichts der aggressiven iranischen Außenpolitik dürfte die neue Politik dazu beitragen, Saudi-Arabien als akzeptablen Bündnispartner erscheinen zu lassen. Doch der Iran operiert erfolgreich mit verbündeten Milizen in Syrien, Jemen und dem Irak. Saudi-Arabien kann dem in Syrien und Irak nichts mehr entgegensetzen, im Jemen bedient man sich mit dürftigem Erfolg kaum motivierter und schlecht ausgerüsteter Truppen ärmerer arabischer Staaten. Kronprinz Salman will als dynamischer Herrscher gelten, der sein Land in die Moderne führt, ohne mit der Tradition zu brechen, und es zur führenden Regionalmacht erhebt. Jüngst hat der iranische Angriff auf wichtige Ölanlagen seinem Ansehen einen schweren Schlag versetzt. Er steht als schwach da, was für jeden Diktator gefährlich ist, und die Trennung von der traditionellen Legitimationsinstanz macht die Lage nicht weniger brisant. Für die saudische Bevölkerung bringt die Abkehr vom Wahhabismus zwar Erleichterungen im Alltag mit sich. Der Preis dafür ist aber eine noch stärkere Zentralisierung der diktatorischen Macht, die nun auch über religiöse Fragen allein entscheiden will. Die diktatorische Macht will nun auch über religiöse Fragen allein entscheiden Jörn Schulz ist Auslandsredakteur der Wochenzeitung Jungle World. 31

32 Foto: Zeev Barkan Die Mehrheit der israelischen Gesellschaft ist mehr oder minder säkular geprägt. Doch fundamentalistische jüdische Kräfte werden immer stärker. Sowohl die ultraorthodoxen Haredim als auch nationalreligiöse SiedlerInnen verfügen spätestens seit 1967 über großen Einfluss auf die Politik. Was sind ihre Beweggründe, und worauf beruht ihr Erfolg?»Freie Liebe«hassen fast alle FundamentalistInnen (Graffito in Tel Aviv) Im Dienste des Messias Jüdischer Fundamentalismus in Israel von Eva-Maria Österle 32 Drei Mal täglich beten orthodoxe Juden und Jüdinnen in Jerusalem für den Neubau des drien Tempels. Nach der Zerstörung der ersten beiden jüdischen Tempel in biblischen Zeiten blieb das Festhalten am Tempelkult in der jüdischen Liturgie zentral. Zwar hält nur eine Minderheit jüdischer Gläubiger an der Hoffnung fest, hier einen neuen Tempel errichten zu können. Aber das Jerusalemer Tempel-Institut möchte den Tempelbau schon jetzt planen. Dafür braucht es eine rote Kuh, genauer eine perfekte rote Färse, als Teil des obligatorischen Kultbetriebs. Da die natürliche Geburt auf sich warten lässt, investiert das Institut Fundraising-Gelder in Red-Angus- Embryonen, die israelischen Kühen eingesetzt werden sollen. Auch der parlamentarischen Vertretung der mizrachischen Ultra- Orthodoxen, der Schas Partei, reicht es nicht, für die kommende Welt zu beten: Sie verschickte vor der Knesset-Wahl im Jahr 2015 SMS-Nachrichten an potentielle WählerInnen. Darin stand: Wer nicht Schas wählt, dem wird diese Fehlentscheidung nicht verziehen, weder in dieser noch in der kommenden Welt. WahlkämpferInnen der Schas-Partei haen in der Vergangenheit auch Talisman- Kärtchen verteilt mit dem Hinweis, dass deren Glückswirkung erst eintrete, wenn die BesitzerInnen bei der Wahl ihr Kreuz an der richtigen Stelle machen. Spielarten des jüdischen Fundamentalismus Die genannten Beispiele mögen kurios wirken. Der jüdische Fundamentalismus zeigt sich jedoch nicht überall so obskur. Wie jeder Fundamentalismus ist auch er keine homogene Strömung. So gilt es zu unterscheiden zwischen der nationalreligiösen Siedlerbewegung samt ihren fundamentalistischen Ausprägungen und den Haredim, den sogenannten ultraorthodoxen Juden und Jüdinnen. Beiden gemein ist, dass sie in letzter Konsequenz einen Messias und das Reich Goes erwarten. Die nationalreligiöse Siedler-

33 Fundamentalismus bewegung will letzteres von Menschenhand errichten, durch die Besiedlung von»eretz Israel«, des biblischen gelobten Landes. Mehr als jüdische SiedlerInnen leben außerhalb der Grenzen von 1967, davon im Westjordanland. Nur rund von ihnen handeln dabei laut dem Reform-Rabbiner und Menschenrechtsaktivisten Ari Aschermann aus politisch-ideologischer Motivation. Die Haredim dagegen warten auf den messianischen Eingriff, der die Menschen befreien wird. Bis dahin ist vor allem die Einhaltung aller religiösen Gebote notwendig, eine direkte politische Betätigung dagegen nicht. Somit bezeichnet sich ein Teil der Haredim selbst auch als antizionistisch: den Judenstaat bereits im Rahmen eines zionistischen Projektes von Menschenhand zu errichten, sei falsch. Das heißt aber nicht, dass die Haredim in der Politik keine Rolle spielen. Sie sind über verschiedene Parteien in der Knesset vertreten. Am wichtigsten sind die Partei-Allianz Vereinigtes Thora-Judentum (Yahadut hatorah) und die Schas-Partei. Auch wenn diese Parteien verschiedene Klientele bedienen, sind sie sich in der Forderung nach der Aufhebung der Trennung von Staat und Religion und der Etablierung einer religiösen Gesetzgebung einig. Über die Jahre waren die Parteien der Haredim immer wieder Mehrheitsbeschaffer für rechte Regierungen. Sie verfügen damit über einen weitreichenden Einfluss und erlangen regelmäßig Ministerposten. Nach der Knesset-Wahl im September 2019 sagten beide Parteien wieder der Likud- Partei von Ministerpräsident Netanjahu ihre Unterstützung zu. Am wirkungsreichsten sind die Parteien der Haredim bei der Durchsetzung religiöser Gebote und Verbote in der öffentlichen Ordnung. Sie protestieren regelmäßig gegen eine Liberalisierung der Schabbat-Gesetze. Im August sprachen Ver treter beider Parteien gemeinsam bei einem Konzert in Afula. Bei diesem Event für Ultraorthodoxe gab es getrennte Eingänge für Männer und Frauen und einen Sichtschutz im Publikum. Mehrere Klagen gegen das Prozedere scheiterten, und der Schas-Anführer Arye Deri zeigte sich zufrieden:»diejenigen, die versucht haben, uns ihre Konzepte aufzuzwingen, haben heute verloren.«das Leben der Haredim dreht sich um die sorgfältige Einhaltung hunderter Regeln, die von der Halacha, der jüdischen Gesetzgebung, vorgeschrieben und von ihren Rabbinern interpretiert wird. Ihre Die nationalreligiöse Siedlerbewegung treibt die israelische Politik vor sich her charakteristische Kleidung, die isolierten Nachbarschaften, der konsequente Ritualismus und ihre gleichgültige bis widerständige Haltung gegenüber dem Zionismus zeigen, dass sie in der Regel versuchen, ihre Lebensweise vom Staat Israel zu isolieren. Wenn sie politisch tätig sind, dann nicht primär, um ihren Lebensstil der ganzen Gesellschaft missionarisch aufzuzwingen, sondern vorrangig, um alle staatlichen Eingriffe wie Militärdienst, Schulpflicht oder Maßnahmen zur Geschlechtergleichheit in ihre sektenhaft anmutende Ordnung abzuwehren. Frauenfeindlich und homophob Seit einigen Jahren erhöht sich die Zahl der Haredim, die am säkularen Leben teilnehmen also in den regulären Arbeitsmarkt eintreten oder an Universitäten studieren. Das Israeli Democracy Institute gibt seit 2016 jährlich einen statistischen Bericht zur Lebenssituation der Ultraorthodoxen in Israel heraus. Demnach ist die Zahl der ultraorthodoxen Studierenden an staatlichen Unis in der letzten Dekade um das Fünffache gestiegen. Eine Folge davon sind Forderungen nach geschlechtergetrennten Kursen. Ein langjähriges Politikum ist auch die Geschlechtertrennung in öffentlichen Verkehrsmieln. Mehrere Jahre lang gab es sogenannte Mehadrin- Linien, in denen Männer und Frauen in getrennten Bereichen sitzen mussten. Diese wurden 2011 nach mehreren Klagen schließlich verboten, dennoch wird regelmäßig in vorrangig von Ultraorthodoxen frequentierten Linien diese Geschlechtertrennung durch freundliche Bien durchgesetzt. Zum Teil wird dies von den Linienbetreibern auf freiwilliger Basis akzeptiert verabschiedete die Regierung Netanjahu einen Beschluss mit dem Titel»Verhinderung des Ausschlusses von Frauen aus dem öffentlichen Bereich«. Doch entgegen dieser Resolution wurde nach den gescheiterten Koalitionsgesprächen im Mai 2019 zwischen Likud und dem Vereinigten Thora-Judentum ein entgegengesetztes Vorhaben öffentlich. Es sah vor, die Gesetzeslage so zu ändern, dass die Trennung von Männern und Frauen bei öffentlichen Dienstleistungen, Studiensitzungen und Veranstaltungen zulässig und nicht angreifbar wird. Wäre die Regierungsbildung nicht gescheitert, häe der Likud dem Vorhaben wohl zugestimmt. Neben der parlamentarischen und gesellschaftlichen Einflussnahme kommt es regelmäßig zu militanten Aktionen von Haredim. Haredim: Kann mit»die Goesfürchtigen«übersetzt werden. Synonym wird oft der Begriff»Ultraorthodoxe«verwendet, was von Haredim als unpräzise und angreifend gesehen wird, da er Extremismus impliziere. Das Haredi-Judentum umfasst keine homogene Gruppe, sondern eine Vielzahl an spirituellen und kulturellen Orientierungen, die in einer breiten Palee von Sekten sowie osteuropäischen und orientalischen Strömungen in Israel vertreten sind. Mitzwa: Religiöses Gebot der Thora. Die insgesamt 613 Mitzwot teilen sich auf in 365 Verbote und 248 Gebote. Bis auf wenige Ausnahmen dürfen alle Verbote unter besonderen Umständen wie Lebensgefahr gebrochen werden. Die praktische Anwendung der Mitzwot wird in der Halacha, der jüdischen Gesetzgebung, beschrieben. Mizrachim: Sammelbegriff für die jüdische Bevölkerung, die aus dem Mileren Osten, Asien und Nordafrika stammt. Mizrach bedeutet Osten. Der Begriff entstand erst im Zuge der Staatsgründung Israels. Bis dahin wurde meist von Sephardim gesprochen, dem Diasporajudentum der iberischen Halbinsel und deren Nachfahren im Osmanischen Reich und im Maghreb nach deren Vertreibung 1492 und Schabbat: Der wöchentliche jüdische Ruhetag beginnt Freitagabend mit Sonnenuntergang und endet am Samstagabend. Am Schabbat soll der Schöpfung der Erde und der Erlösung aus der Sklaverei gedacht werden. Der Tag soll außerdem als Vorgeschmack auf die kommende Welt dienen. Gemäß jüdischem Gesetz ist in diesem Zeitraum jede Form von Arbeit untersagt. Was als Arbeit definiert wird, ist allerdings Auslegungssache. Von den meisten orthodoxen Gruppen wird sogar das Autofahren am Schabbat abgelehnt. 33

34 34 Die Gruppe Sikrikim, der etwa hundert Personen angehören, machte in Jerusalem und Bet Schemesch Schlagzeilen durch Schutzgelderpressung, Einschüchterungsversuche und Vandalismus an Geschäften. Angegriffen wird, was ihrer Auffassung von Frömmigkeit widerspricht. Ein solches Vorgehen wird auch innerhalb der Haredim weitgehend abgelehnt, doch Beispiele für militante Aktionen gibt es viele. So wurde im Sommer 2018 ein sechzehnjähriges Mädchen von einer großen Männergruppe durch die Straßen von Bet Schemesch gejagt. Ihre Kleidung sei nicht»züchtig«genug gewesen. Besonders tragisch waren die beiden Angriffe auf die Gay Pride Jerusalem. Der Haredi Yishai Schlissel wurde nach einem Angriff auf die Gay Pride 2005 zu einer mehrjährigen Gefängnisstrafe verurteilt. Nach seiner Freilassung griff er 2015 erneut die Gay Pride an und ermordete eine Frau. Beides Mal rechtfertigte er seine Taten mit religiösem Pflichtbewusstsein. Siedlungen schaffen Fakten Rabbi Abraham Isaak Kook gab Anfang des 20. Jahrhunderts eine theologische Antwort auf die Frage, ob der Zionismus religiös legitimiert werden könne: Unwissentlich häen sich auch säkulare ZionistInnen zum Werkzeug Goes gemacht, indem sie die Rückkehr der Juden und Jüdinnen in ihre Heimat initiierten, so Kook. Dort sollten sie gemäß der Thora und Halacha einen souveränen jüdischen Staat errichten, um so die Mizwot, die jüdischen Pflichten, gegenüber Eretz Israel zu erfüllen. Darüber hinaus sei die Kultivierung des Landes Israel schon eine Mitzwa an sich. Daher sei die Ansiedlung in Israel eine Verpflichtung aller religiösen Jüdinnen und Juden. Aus diesem Narrativ entstand um Kook und seinen Sohn Zvi Yehuda die messianistische Gusch-Emunim-Bewegung, die weithin als Ursprung der religiös motivierten Siedlerbewegung gilt. Die Auserwähltheit des Volkes, die aktive Rolle im messianischen Prozess und der Anspruch auf das Land Israel in seinen biblischen Grenzen sind der ideologische Boden für die vielen Gruppierungen, die in der Folge gegründet wurden. So auch für den Jüdischen Untergrund, der 1979 von radikalen Gusch-Emunim-Anhängern gegründet wurde und bis 1984 für mehrere Terroranschläge verantwortlich war darunter Sprengstoffaentate auf Autos zweier palästinensischer Bürgermeister und ein Angriff auf ein muslimisches College in Hebron. Ihre Pläne, den islamischen Felsendom in Jerusalem zu sprengen, wurden vom Inlandsgeheimdienst Shin Bet vereitelt. Aktionen dieser Art blieben in den letzten Jahren aus. Dennoch begleiten Übergriffe von SiedlerInnen auf AraberInnen, Angriffe auf Klöster und Moscheen sowie Zerstörungen des Eigentums von PalästinenserInnen nach wie vor den Alltag im Westjordanland. Die nationalreligiöse Siedlerbewegung hat es immer wieder geschafft, die Staatspolitik vor sich herzutreiben. Zum einen sind sie ähnlich wie die Ultraorthodoxen häufig Mehrheitsbeschaffer für rechte Regierungen. Zum anderen wirkten sie diskursbestimmend, etwa indem junge AktivistInnen illegale Außenposten im Westjordanland errichteten, um sich öffentlichkeitswirksam gegen die Räu mungsversuche des israelischen Militärs zu wehren. Eine zentrale Rolle für das ideologisch motivierte Siedlertum spielte Meir Kahane, der Gründer der extrem rechten Kach-Partei. Ein Teil seiner Anhängerschaft verteidigte die Siedlung Yamit auf der Sinai-Halbinsel militant, als diese 1982 im Zuge des ägyptischisraelischen Friedensabkommens geräumt wurde. Während dieser Haredim versuchen, ihre Lebensweise zu isolieren Zeit gewann Kahane mit seinen Forderungen an Popularität: Nicht- Juden sollen keine Staatsbürgerschaft in Israel erhalten, AraberInnen des Landes verwiesen und Heiraten oder sexuelle Beziehungen zwischen nicht-jüdischen und jüdischen Menschen unterbunden werden. Diese Positionen führten 1988 zum Ausschluss der Kach- Partei von den Knesset-Wahlen, 1995 wurden Kach und die Nachfolgepartei Kahane Chai verboten. Zuvor hae der Kahanist Baruch Goldstein bei einem Anschlag in Hebron 29 Muslime ermordet und über hundert verletzt. Auch die Mörder des damaligen Ministerpräsidenten Jitzchak Rabin haen Verbindungen in die rechten Kreise um die Kach-Partei. Doch trotz des damit verbundenen Schocks riss der unerbiliche Trend nicht ab. Als der damalige Außenminister Ariel Sharon 1998 die Siedlerjugend in einer Rede dazu aufrief, sich im Westjordanland»so viele Berggipfel wie möglich«zu nehmen, mobilisierte sich die sogenannte Hilltop Youth hae sie laut Schätzungen etwa 800 Mitglieder und bis zu UnterstützerInnen. Sie erobern nun das Land nicht auf offiziellen Wegen, sondern schaffen Tatsachen, indem sie Lager errichten, Olivenbäume palästinensischer BäuerInnen entwurzeln oder als Drohgebärde in die Luft schießen, sobald arabische NachbarInnen sich nähern. Ihre Ideologie: Sie seien die wahren PionierInnen des Landes, die PalästinenserInnen würden das Land vergewaltigen. Neben Gemüseanbau verüben die selbsternannten PionierInnen Vergeltungsmaßnahmen gegen PalästinenserInnen, die sie als»price Tag«-Aacken bezeichnen: Jede Aktion gegen das Siedlertum soll ihren Preis haben und der besteht in aufgeschlitzten Reifen, ausgebrannten Autos, im Jahr 2015 sogar in einem tödlichen Brandanschlag auf ein Familienhaus in Duma oder jüngst im August in einem tödlichen Steinwurf auf ein Fahrzeug mit palästinensischem Autokennzeichen. Aufgefallen ist zuletzt vor allem eine Gruppe von rund 40 AktivistInnen um Kahanes Enkelsohn Meir Einger, die sich von der Hilltop-Jugend abspaltete. Sie nennen sich»revolte«und wollen den zionistischen Staat ins Chaos stürzen, um damit die Ankunft des Messias zu beschleunigen. Offensiver Backlash Relevant waren die Aktivitäten rund um die extrem rechten Gruppierungen und Parteien auch für die Knesset-Wahl Baruch Marzel, Michael Beni-Ari und andere ehemalige Kahanisten haen 2013 die Partei Jüdische Kraft (Otzma Yehudit) gegründet und traten nun erneut zur Wahl an. Sie erhielten allerdings anders als Schas (7,5 Prozent) nur wenige Stimmen. Zum Teil haen sich ihre Mitglieder schon in der rassistischen Gruppe Lehava versammelt, die vor allem durch antichristliche Propaganda und die Forderung nach strikter Rassentrennung auffällt. Auf rechten Demonstrationen sind heute Kahane-T-Shirts keine Seltenheit. Die außerparlamentarische Rechte in Israel bleibt offensiv und vor allem für MuslimInnen im Westjordanland sowie Angehörige religiöser Minderheiten gefährlich. Auch die Haredim, obwohl gesellschaftlich weitgehend isoliert, sind insbesondere durch ihren Einfluss in der Knesset eine Gefahr für progressive Entwicklungen. Sie propagieren einen gesellschaftspolitischen Backlash, den vor allem Frauen und LGBTIQ zu spüren bekommen. Eva-Maria Österle ist Mitarbeiterin im iz3w.

35 Fundamentalismus Gebrandschatztes Dorf in Rakhine/Myanmar (2017) Foto: Zlatica Hoke Karma für den Staat In Süd(ost)asien wird Buddhismus ausschließend In Myanmar und Sri Lanka wurden in den letzten Jahren Übergriffe gegen Minderheiten buddhistisch legitimiert. Zu den Unterstützern fremdenfeindlicher Bewegungen zählen viele Mönche. Woher kommt diese ausgrenzende Strömung im Buddhismus? von Dagmar Hellmann-Rajanayagam Die Frage nach religiösem Fundamentalismus im Buddhismus erfordert die Definition beider Begriffe. Religion ist ein Glaubenssystem basierend auf einer Vision des Transzendenten und/oder besseren Lebens in einer anderen Existenz. Gleichzeitig ist sie ein soziales Phänomen, ein Kernelement menschlicher Gesellschaft, welches Menschen universell verbindet. Fundamentalismus (lateinisch fundamentum: Basis, Grundlage) hingegen bietet scheinbare Sicherheit in einer unsicheren Welt. Die vermeintliche Rückkehr zu den Wurzeln kann ausschließend werden, wenn nur eine Interpretation der Lehre zugelassen wird. Das führt häufig zum Rückzug aus der Welt und zu Isolation. Gewalt nach außen entsteht, wenn FundamentalistInnen andere Auslegungen bekämpfen. Wer sich auf die reine Lehre beruft, meint meist gar nicht diese, sondern spätere, politisch gefärbte Anwendungen. Daraus kann sich die Religionisierung der Politik entwickeln: Der Staat soll religiöse Gebote unterstützen und das fromme Leben ermöglichen oder erzwingen. Die Übertragung religiöser Belange auf die politische Ebene dient häufig nicht nur dem frommen Leben, sondern heiligt Ausschlussprozesse. Sie können sich gegen Andere und Minderheiten richten, gegen kritische Stimmen und die politische Opposition. Buddhismus und Herrschaft t t Der Buddhismus gilt als tolerante, gewaltlose Religion, die für Fundamentalismus keinen Raum lässt, nicht zuletzt, da er als golose Religion gilt: Er vermielt keine Heilsbotschaft. Ziel dieser Religion ist der Ausstieg aus dem Sam sāra, dem Kreis von Werden und Vergehen, um das Nirwana, absolute Nichtexistenz, zu erreichen. Dies ist Mönchen vorbehalten. Hierzu muss man Karma vermeiden, also die Konsequenzen individueller Handlungen im nächsten Leben. Ahimsa oder Nichtverletzung ist davon ein wesentlicher Bestandteil. Mönche waren auf den Unterhalt durch Laien angewiesen. Ihre Sicherheit erforderte eine zumindest rudimentär befriedete Gesellschaft mit ökonomischem Überschuss. Erstmals gelang dies dem indischen Kaiser Aśoka ( v. Chr.). Er wurde in Südostasien zum Modell des buddhistischen Herrschers, der die Religion notfalls gewaltsam schützt. Damit war die Idee des gerechten Krieges zum Schutz der Religion geboren. Dieser Pfad führte bis zu aktuellen rassistischen Übergriffen gegen Andersgläubige. Vor einigen Jahren äußerte sich ein hochrangiger Mönch in Sri Lanka wie folgt:»was können wir tun? Wir müssen die Kinder töten. Sie werden LTTE-Kämpfer, dann töten sie uns und zerstören den Buddhismus.«Hier werden Tötungen tamili- 35

36 Fundamentalismus 36 scher Sri Lankaner mit Verweis auf die tamilische Guerilla LTTE legitimiert. Die tamilische Minderheit wird als Feindin der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit und des sri-lankischen Buddhismus definiert. Ein Zitat des Myanma-Mönches Sitagu Sayadaw relativiert ebenfalls das Tötungsverbot:»Obwohl du Millionen von Menschen getötet hast, waren es nur eineinhalb echte Menschen.«Sind solche Äußerungen Ausnahmen? Legitimierung der Gewalt existiert in der mündlichen Überlieferung: Buddhas Schüler Ananda zeichnete angeblich dessen Predigten auf und verbreitete sie. Ananda erbot sich, unter Inkaufnahme schlechten Karmas die Religion auch gewaltsam zu verteidigen. Aus dieser Tradition wurden in Südostasien ausgedehnte Kriege und Raubzüge gegen andere buddhistische Reiche geführt, die angeblich nicht der Lehre genügten. Eine Rechtfertigung religiöser Gewalt findet sich im buddhistischen Kanon, d.h. in den Lehrreden Buddhas, nicht, dagegen in einem singhalesischen Epos aus dem 5./6. Jahrhundert, dem Mahāvam sa. Es beschreibt die angeblich auf Tatsachen beruhende Befreiung Sri Lankas vom Tamil-Hindu König Elara durch Duhagāmani (2. Jh. v. Chr.). Am Ende ist Duhagāmani schockiert über die Kriegstoten. Aber die Mönche beruhigen ihn: Er habe nicht Menschen erschlagen, sondern nur Tiere; keiner der Toten sei Buddhist gewesen. In Sri Lanka wurde das Mahāvam sa teilweise als Erzählung über die Etablierung eines singhalesischen Buddhismus gelesen. Dies ist etwa so, als betrachte man heutzutage Berichte über die Kreuzzüge als religiös fundierte und zum Handeln verpflichtende Texte. Wichtig ist die Umkehrung der Wahrnehmung: Im 19. Jahrhundert wurde die Erzählung als großes Narrativ nationaler singhalesischer Hegemonie gelesen. Heute wird sie als religiös-doktrinärer Text interpretiert, der nationale Ansprüche legitimiert. Aufstieg und Fall des Säkularismus Ostern 2019 verübten muslimische Selbstmordaentäter in Sri Lanka Anschläge auf Kirchen und Hotels mit hunderten Toten. Die Täter wurden rasch als lokale Muslims identifiziert. Für radikale buddhistische Gruppen rechtfertigten die Anschläge wiederum neue Gewalaten gegenüber muslimischen, aber auch tamilischen und christlichen Menschen. Fundamentalismus einer Religion findet oft seine Entsprechung im Fundamentalismus einer anderen. Fundamentalistischer Buddhismus wird heute sowohl in Sri Lanka als auch in Myanmar benutzt, um ethnische/nationale Identität religiös zu markieren. Dabei hae bereits die Kolonialzeit in beiden Ländern antikoloniale Laienbewegungen zur Reung der Religion hervorgebracht. Von ihnen erhoffte man sich neben dem Kulturerhalt auch ganz dezidiert die Rückgewinnung der Unabhängigkeit. Die postkolonialen Verfassungen beider Länder waren allerdings säkular. Nach der Unabhängigkeit verbanden sich alte Feindbilder mit notwendig enäuschten Erwartungen. Man benötigte Schuldige für die zerstörten Hoffnungen. Religiöse Identität wandelte sich in Feindseligkeit gegenüber dem ethnisch-religiös Anderen. Seit 1956 und während des Bürgerkrieges war es in Sri Lanka vor allem der Saṅgha, die Mönchsgemeinschaft, der Religion und Ethnie gleichsetzte. Konzessionen an die TamilInnen würden demnach den singhalesischen Staat und Buddhismus zerstören. Damit einher ging die Forderung, den Buddhismus zur Staatsreligion zu machen. In Myanmar, damals Burma, erklärte Premierminister U Nu 1961, auch auf Druck des Saṅgha, den Buddhismus zur Staatsreligion. U Nu s buddhistische Glaubwürdigkeit schützte ihn nicht vor dem Zorn radikaler Mönche, da die Verfassung weiterhin Religionsfreiheit vorsah. Die Unruhen infolge des Gesetzes führten zum Militärputsch 1962 und zur Gesetzesannullierung. Auch gegenwärtig liegt in beiden Ländern die Betonung auf der ethnisch-religiösen Einheit. Der damalige sri-lankische Präsident Rajapaksa betonte im Mai 2009, dass die TamilInnen in Sri Lanka nur mit singhalesischer Duldung existieren. In Myanmar wiederum traten 2015 die Race and Religion Protection Laws in Kraft, die Konversion und interkonfessionelle Heiraten erschweren und die Kinderzahl bestimmter Ethnien begrenzen. Neue Kampfverbände und alte Mythen In beiden Ländern entstanden im letzten Jahrzehnt radikale buddhistische Organisationen. In Sri Lanka war das etwa die Bodu Bala Sena (BBS/Buddhas machtvolle Armee), die den Sinhala- Buddhismus schützen will; in Myanmar MaBaTha (Verband zum Schutz von Rasse, Buddha und Religion). Beide zeichnen sich vor allem durch Angriffe auf die muslimische, in Sri Lanka auch auf die tamilische und christliche Minderheit aus und genießen erheblichen gesellschaftlichen Rückhalt. Dies beruht auf alten Ressentiments und neuen Ängsten. Letztere hängen teilweise mit realen Missständen zusammen, wie etwa die schlechten Arbeitsbedingungen sri-lankischer Hausmädchen in den sunnitischen Golfstaaten. Während die BBS hier keine Lösung anbietet, war es in Myanmar MaBaTha, die auf die Verabschiedung der Race and Religion Protection Laws drängte. Die verbalen und physischen Angriffe auf die Rohingya sind eine daraus folgende, obwohl nicht notwendige Entwicklung. Hielte man sich nur an die Lehre, wäre religiöse Gewalt illegitim. Die Rechtfertigung von Gewalt wird aus lokalen oder regionalen Quellen gezogen, die dabei ihren herrschaftlichen Kontext einspeisen. Obwohl Buddhismus als Weltreligion verstanden wird, sind seine Manifestationen, sein Gebrauch und die Verwendung für politische Zwecke stark lokal oder ethnisch gefärbt. Religionisierung der Politik entsteht aus der Lokalisierung von Religion zugunsten regionaler politischer und wirtschaftlicher Interessen und Ziele. Hier beginnt der Fundamentalismus, nämlich mit der Frage, wem das gute und fromme Leben zusteht. Das hat mit der Rückkehr zu den Ursprüngen von Lehre oder Glauben wenig zu tun. Vielmehr geht es um soziale und ökonomische Privilegien aufgrund ethnisch interpretierter Religionszugehörigkeit; und um Religion als öffentlichen Lebensstil und Moral. Religionisierung der Politik in Richtung Fundamentalismus ist eine Bewegung von unten, eine Bewegung tatsächlicher oder gefühlter VerliererInnen. Sie ist die Forderung an den Staat, das gute Leben für die Auserwählten zu sichern. Daraus folgt das Recht, diese Teilhabe nichtzugehörigen Gruppen zu verweigern. Hier liegt die Saat religiös geheiligter Gewalt gegen Ausgeschlossene, die in den genannten Ländern prächtig aufgegangen ist. Er habe nur Tiere erschlagen, keiner der Toten sei Buddhist gewesen Dagmar Hellmann-Rajanayagam ist Lehrbeauftragte in der Abteilung Südostasienstudien der Universität Passau sowie Mitarbeiterin beim Erasmus+ Projekt der Abteilung.

37 Sklaverei Filmstill aus»afro-türkler in unutulan geçmişi«wer sind die Afro-TürkInnen? Die Nachkommen der SklavInnen im Osmanischen Reich kämpfen um Anerkennung Das Erbe des Osmanischen Reiches lebt in der Türkei fort, etwa in Form eines auflebenden Neoosmanismus. Doch manches wird in der türkischen Gesellschaft tabuisiert, insbesondere die Geschichte der osmanischen Sklaverei. Sogar die bloße Existenz der heute rund Nachkommen von SklavInnen in der Türkei wird negiert. Was halten die Afro-TürkInnen dem entgegen? von Oliver Schulten Erst im Jahr 1918 wurde die Sklaverei im Osmanischen Reich umfassend verboten. In diesem Jahr kam auch Hayrein Effendi, der letzte Eunuche des Sultans in Istanbul, frei. Er schrieb ein Zeugnis, das im Buch»Der verschleierte Völkermord«von Tidiane N Diaye vollständig veröffentlicht ist:»ich erinnere mich an meine Kindheit, als wäre es gestern. Ich komme aus Habesistan und gehöre dem Volk der Oromo an. Ich war sieben oder acht Jahre alt. Eines Tages kamen Reiter. Sie nahmen uns gefangen. Ich verstand ihre Sprache nicht. Erst später begriff ich, dass sie Arabisch sprachen. Als wir in einem Dorf angekommen waren, sperrten sie uns in einen Hof. Dort waren Kinder wie wir. Wir blieben drei Tage, ohne zu essen und zu trinken. Wir haen alle große Angst. Einige Tage später wurden wir in Massaoua, einer Halbinsel der von den Türken besetzten äthiopischen Küste, kastriert. All die Jahre über konnte ich die erlienen Schmerzen und die Folter nicht vergessen. Ein osmanischer Offizier, Yakub, auf Dienstreise in Aden, nahm mich mit nach Istanbul. Es war Winter. Ich hae das erste Mal Schnee gesehen. Ich war ein Geschenk für Cerkez Mehmet Pascha. Kann man einen Menschen verschenken? Mir wurde klar, dass es möglich war wurden wir gemäß dem Mesutiet frei. Mit einer Freundin, einer Palastdame, haben wir dieses Haus gekauft. Wir kommen zurecht. Das ist unser Schicksal.«Und erst mit dem Jahr 1923, dem Jahr der Gründung der Republik Türkei, kann man von der abschließenden Abschaffung der Sklaverei in der Türkei sprechen. Abschließend? Einschränkend muss gesagt werden, dass bis heute Strukturen des Menschenhandels fortleben, durchaus auch entlang der historischen geografischen Routen der Sklaverei (siehe iz3w 366). Die Afro-TürkInnen, die Nachkommen der historischen SklavInnen, sind bis heute in der Türkei wirtschaftlich und politisch marginalisiert. Ihre Geschichte, ebenso wie die Verstrickungen des Osmanischen Reiches in Kolo- 37

38 38 nialismus und Sklaverei, ist»verschleiert«. Einige Nachkommen kämpfen inzwischen gegen große Widerstände um die Anerkennung ihrer Geschichte. Die entsprechende Forschung und Publizistik hat einen schweren Stand, denn auch außerhalb der Türkei wird der osmanische (wie auch der arabische) Sklavenhandel kaum thematisiert. Worum geht es also? Der osmanische Sklavenhandel Die Afro-TürkInnen sind zum einen die Nachfahren von afrikanischen SklavInnen, welche vor allem im 19. Jahrhundert durch den osmanischen Sklavenhandel von Nord- und Nordostafrika in die Türkei kamen. Zum anderen sind es die Nachfahren von vertriebenen SklavInnen aus der Ägäis-Region, welche in den 1920er Jahren während der Auseinandersetzungen zwischen Griechenland und der Türkei zwangsumgesiedelt wurden. Nennenswerte Zentren der Afro-TürkInnen sind Izmir und zahlreiche Dörfer in der näheren Umgebung, aber auch die ebenfalls am Mielmeer gelegenen Städte Antalya und Adana. Weitere Nachfahren afrikanischer SklavInnen sind auf Kreta und Zypern anzutreffen, ebenso wie in Montenegro und Abchasien. Zwischen 1500 und 1923 wurden etwa 4,7 Millionen Menschen über das Rote Meer und Nordafrika ins Osmanische Reich verschleppt, die Mehrheit davon waren Frauen. Die Opfer aus Äthiopien, Eritrea, Somalia, Kenia, Tansania und dem Sudan wurden über die Städte Suakin, Massawa und Zeila verschleppt. Betroffene aus Nigeria, dem Tschad-See-Gebiet und Niger kamen über Tripolis, Benghazi und Kairo nach Kreta, Zypern, Saloniki, Damaskus, Istanbul und Izmir. Übrigens ist der Anteil der Afro-TürkInnen, die einer normalen Migration aus Afrika in das Osmanische Reich entstammen, vergleichsweise marginal. Die SklavInnen wurden mehrheitlich als»eunuchen«und»konkubinen«in den Harems, als persönliche Diener des Sultans, als Arbeitskräfte in privaten Haushalten, in der Landwirtschaft, in den Kaffeehäusern oder den Docks eingesetzt. Der Anteil der SklavInnen an der Gesamtbevölkerung des Osmanischen Reiches lag nie höher als fünf Prozent. So war die osmanische Gesellschaft eine Gesellschaft mit SklavInnen, jedoch keine Sklavenhaltergesellschaft (wie etwa bei der Plantagensklaverei in den Amerikas), die grundlegend auf Sklaverei basierte (siehe iz3w 294). Ab 1847 wurden zahlreiche Versuche unternommen, den Sklavenhandel im Osmanischen Reich zu unterbinden. Mit der Schließung der Sklavenmärkte in Istanbul, Izmir, Kairo und Khartoum verlagerte sich der Menschenhandel in den privaten Bereich oder wurde zum Schmuggelgeschäft. Gerade afrikanische SklavInnen, Freigelassene und die von britischen Schiffen auf Hoher See»gereeten«Opfer des Menschenhandels waren es, welche unter anderem Izmir in den 1860er Jahren zu einer Boom-Town machten. AfrikanerInnen haen die Möglichkeit, ihre angestrebte Freiheit zu erarbeiten oder bei schlechter Behandlung oder Tod des»herren«die Freiheit einzuklagen. Nach solch einem Richterspruch galten diese Menschen als Freie und haen fortan dieselben Rechte wie die BürgerInnen des Reiches. Das Schicksal der Freigelassenen Bis zum Ende dieses 19. Jahrhunderts genossen zahlreiche freie Schwarze, allein von ihnen in Izmir, einen gewissen Wohlstand. Vor allem die afrikanischen und afro-türkischen Soldaten der osmanischen Armee konnten gut von ihrem Sold und den Pensionen leben. Die Eunuchen im Sultanspalast genossen hohes Ansehen und konnten es über die Jahre zu Reichtum bringen. Andere Freie schlossen sich in Gemeinschaften zusammen, unter anderem in Istanbul, und organsierten sich selbst. Die meisten Freigelassenen blieben jedoch am Rande der Gesellschaft und haen nur ein geringes Einkommen. Trotz des Verbotes, mit Menschen zu handeln, existieren zahlreiche Berichte aus dem 20. Jahrhundert über den strukturellen Fortbestand der Sklaverei brachte die italienische Küstenwache ein Schiff vor Tripolis auf, das illegal SklavInnen an Bord hae. Diese wurden freigelassen und nach Izmir gebracht verbot Sultan Mehmed V den Menschenhandel mit»weißen«sklavinnen aus der Kaukasus- Region, vom Balkan oder aus Osteuropa. Ebenso wurden die Harems der Oberschicht durch die republikanisch gesonnenen»jungtürken«geschlossen. Aus dem Jahr 1916 stammt eine Verordnung, welche Hochzeiten zwischen freien Männern und Sklavinnen regelte bis 1918 und 1923 die Sklaverei in der Türkei erneut verboten wurde. In der Republik Türkei wurde 1923 eine laizistische Verfassung angenommen und religiöser Einfluss auf die Politik verboten. Die Türkei verzichtete bei der territorialen Neuaufteilung nach dem Ersten Weltkrieg auf Eritrea, angrenzende Inseln im Roten Meer sowie auf Ägypten und den Sudan. Im Gegenzug wurde etwa die Vertreibung von GriechInnen aus der Türkei sowie von TürkInnen aus Griechenland im Nachhinein legalisiert. Jüdinnen und Juden, GriechInnen und ArmenierInnen wurden als Minderheiten in der Türkei anerkannt andere Ethnien wie die Afro-TürkInnen jedoch nicht. Im Zuge der Vertreibungen wurden hunderte ehemalige osmanische SklavInnen in die nunmehr verkleinerte Türkei zwangsumgesiedelt. Die meisten, etwa Familien, mussten Kreta und Zypern verlassen und sich an der türkischen Ägäis niederlassen, vor allem in Aydin. Dort angekommen, wurden ihnen Freilassungsurkunden übergeben und die Verwaltung stellte ein Haus, Möbel, zwei Ochsen und etwas Bargeld für einen Neuanfang zur Verfügung. Außerdem erhielten sie einen türkischen Pass. Die vertriebenen SklavInnen aus Griechenland sprachen zunächst nur Griechisch und lernten erst später Türkisch, was eine Integration weiter erschwerte. In Izmir entstanden afrikanische Viertel, wie Sabirtasi, Dolapkuyu, Ikicesme, Tamasalik und Ballikuyu. Viele neu angekommene Männer wurden in die Armee aufgenommen und Frauen mussten sich als Hausangestellte verdingen. Im Prinzip hae sich somit wenig im Leben der Freigelassenen geändert. Kurz nach der Ausrufung der modernen Republik Türkei musste Präsident Mustafa Kemal weitere afrikanische SklavInnen freilassen. Die SklavInnen wurden oft als»eunuchen«und»konkubinen«eingesetzt und das Fortleben der Afro-TürkInnen Das Wissen über die Herkunft, Kultur und Geschichte der Afro- TürkInnen ging über die Jahre verloren. Das lag nicht zuletzt am türkischen Nationalismus, der einerseits die Staatsangehörigkeit in den Mielpunkt stellt und andererseits die Existenz von AfrikanerInnen in der Türkei negiert. Derzeit sollen Afro-TürkInnen in der Türkei leben. Sie sind weder als Minderheit anerkannt noch sind ihre Sprachen als Amtssprache zugelassen. Sie sind gesellschaftlich und ökonomisch marginalisiert und ständigen Diskriminierungen ausgesetzt.

39 Sklaverei Nur wenige eigene Darstellungen von SklavInnen oder deren Nachkommen geben einen Einblick in deren Leben, wie beispielsweise die Biographie von Mustafa Olpak ( ). Olpaks Großeltern kamen Ende des 19. Jahrhunderts aus Kenia als SklavInnen nach Kreta. Hier arbeiteten sie Jahre für»ihren Herren«, der noch 1923 eine Frau aus Olpaks Familie an einen Händler in Istanbul verkaufte. Nach ihrer Freilassung und der erzwungenen Umsiedlung aus Griechenland im Jahr 1926 ließen sie sich in Ayvalik nieder. Hier wurden sie von den Behörden als türkische StaatsbürgerInnen registriert und bekamen ein Stück Land mit mehreren Olivenbäumen. Olpaks Großvater war nun zwar ein freier Mensch, hae jedoch keine finanziellen Miel, keine Schulbildung, sprach kein Türkisch und musste somit weiter als Diener arbeiten. Enkel Mustafa Olpak wurde 1953 geboren und nach dem Besuch der Grundschule und einer handwerklichen Ausbildung schloss sich Olpak einer Gewerkschaft an wurde er deswegen von Ultra-Nationalisten angeschossen und 1980 verhaftet. In den 1990er Jahren begann er seine Familiengeschichte niederzuschreiben und stieß dabei auf sein afrikanisches Erbe. Seit 2006 existiert ein eigener Verein der Afro-TürkInnen, der von Mustafa Olpak in Ayvalik gegründet wurde und seit 2007 seinen Sitz in Izmir hat. Die ASCA (Vereinigung der afrikanischen Solidarität und Kooperation) hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Geschichte und Kultur der Afro-TürkInnen zu bewahren und in der türkischen Öffentlichkeit eine Diskussion über Rassismus und Sklaverei anzustoßen begann Olpak in Kooperation mit der Türkischen Geschichts-Stiftung, der UNESCO und der Europäischen Kommission ein Oral-History-Projekt, bei dem in der Ägäis mündliche Überlieferungen von ehemaligen afrikanischen SklavInnen gesammelt werden sollten. Für das Projekt suchte er erfolglos eine Kooperation mit der Regierungspartei AKP erlag er einem Krebsleiden. Nach Olpaks Beobachtung hat die erste Generation von Afro- TürkInnen, wie die seiner Großeltern, die Zeit der Sklaverei mit all ihren Schwierigkeiten erlebt, die zweite Generation hat die Geschichte ihrer Vorfahren verleugnet, indem sie sich als türkische StaatsbürgerInnen definierten, und die drie Generation forscht nun nach und will herausfinden, was in der Vergangenheit geschehen ist. Die zentrale Feier der Afro-TürkInnen ist das»kalbfest«, zu dem der Vorsitzende der Afro-türkischen Gemeinde, der Godya, einlädt. Dieser Titel meint aber nicht nur den Vorsitz der Gemeinde, sondern hat auch einen spirituellen Aspekt. Im Zar-Bori-Kult der Hausa etwa, der aus Westafrika ins Osmanische Reich kam, war Godya die Hauptpriesterin. Die Feier wird für die Afro-TürkInnen zunehmend zum sozialen Ereignis. Zum siebten»kalbfest«kamen 2014 Vertreter der Botschaften des Senegal, Nigerias und der USA. Während der Prozessionen durch Izmir nahmen nicht nur Tanzgruppen der Afro-TürkInnen teil, sondern auch Geflüchtetengruppen aus Burundi und Uganda. Von Seiten der türkischen Regierung gibt es keinerlei Bezugnahme auf die Feier. Es existiert bis heute keine Stellungnahme oder gar offizielle Entschuldigung für die begangenen Verbrechen. Kolonialismus und Sklavenhandel haben Millionen Menschen das Leben gekostet, aber bis heute wird öffentlich nicht darüber diskutiert. Der Versuch, sich mit der Geschichte der Sklaverei zu befassen, wird eher als Verschwörung verstanden, die der Türkei schaden soll. Dem steht ein türkischer Nationalismus zur Seite, der eine Auseinandersetzung mit der eigenen Geschichte erschwert. Bis heute gibt es keine Entschuldigung für die begangenen Verbrechen Oliver Schulten lebt in Wuppertal und ist Experte für afrikanische Geschichte. Die moderne Türkei und Afrika Die heutige Türkei als Rechtsnachfolgerin des Osmanischen Reiches verbindet eine 400-jährige Geschichte mit einzelnen Regionen Afrikas. Die Osmanen traten als Kolonialherren und Sklavenhändler auf und bestimmten für einen langen Zeitraum das soziale, wirtschaftliche und politische Leben der Menschen vor allem am Horn von Afrika. Auch nach dem Zerfall des Reiches und dem endgültigen Verzicht auf die afrikanischen Territorien im Vertrag von Lausanne 1923 wurden die Beziehungen zu den Staaten Afrikas nie ganz abgebrochen betrug das Handelsvolumen mit afrikanischen Ländern 14 Milliarden US-Dollar, und die Türkei wurde nach China zum zweitgrößten Investor in Afrika. Die Türkei hat Beobachter status bei der Afrikanischen Union. Neben der Beteiligung an NATOund UN-Einsätzen in Sudan und Somalia unterhält das türkische Militär ein Trainingslager für die somalische Armee in Mogadischu. In Dakar und Niamey wurden neue Flughäfen gebaut und im Sudan der Hafen von Suakin gepachtet. Obwohl die Türkei ein Einwanderungsland geworden ist, migrierten bisher frappierend wenige Menschen aus afrikanischen Ländern dorthin. Aktuell leben nach UNHCR-Angaben etwa vier Millionen Geflüchtete in der Türkei. Die Mehrheit dieser Menschen kommt aus Syrien, gefolgt von Afghanistan, Irak, Iran und Somalia. Etwa Schutzsuchende aus dem Sudan und Eritrea kamen meist nicht bis in die Türkei, sondern leben in israelischen Flüchtlingslagern. Die türkische Politik geht zunehmend gegen Migration vor, wovon auch Afro-TürkInnen in Mitleidenschaft gezogen werden. Türkische Behörden werfen ihnen vor, sich am Einschleusen und Verstecken von illegalen MigrantInnen aus Afrika zu beteiligen. Sie müssen daher immer wieder mit Polizeikontrollen und gezieltem racial profiling rechnen. Bei den heutigen Migrationsbewegungen aus afrikanischen Ländern sind Elemente von Zwangsmigration und Menschenhandel erkennbar. MigrantInnen müssen sich in der Türkei auf Plantagen als HilfsarbeiterInnen verdingen, teilweise ohne gültige Papiere, Krankenversicherung oder ausreichende Bezahlung. os 39

40 »Darkness is not empty. It is information at rest«teju Cole,»Brazzaville«, Blind Spot (2017) Der Basler Pharmakonzern Ciba (heute Teil von Novartis) rühmt sich einer Traditionsgeschichte, deren Wurzeln auch in der indischen Medizin liegen. Über die koloniale Beschaffenheit seiner Beziehungen zu Indien wurde bis vor einigen Jahren jedoch nicht gesprochen. Nun widmen sich auch WissenschaftlerInnen in der Schweiz der postkolonialen Forschung, um die kolonialen Verwicklungen der»neutralen Schweiz«ans Licht zu rücken. Foto: Ärzte ohne Grenzen Kampagne gegen überteuerte Medikamente Chemie zwischen Basel und Bombay Schweizer Verflechtungen mit dem (post)kolonialen Indien von Anja Suter war ein ausgesprochen gutes Jahr für die Ciba. Im Geschäftsbericht des Basler Chemieunternehmens verkündete die Firmenleitung:»Eng verflochten mit dem Gang der Weltwirtschaft hat unser Unternehmen [...] seine Marktstellung behauptet. [...] Damit hat sich die Aufwärtsentwicklung des Weltumsatzes an Ciba-Präparaten [...] fortgesetzt.«von da an ging es für das Unternehmen in großen Schrien vorwärts. Zu verdanken war dieser Erfolg zu einem großen Teil dem 1953 auf den Markt gebrachten Serpasil, einem Medikament gegen Bluthochdruck. Innerhalb nur eines Jahres stieg das Präparat zum pharmazeutischen Spitzenprodukt der Ciba auf und konnte diese Position lange halten. Denn mit Serpasil feierte die Firma einen seltenen Erfolg: Das Medikament konnte in unterschiedlichen medizinischen Bereichen eingesetzt werden. Heute ist die Stadt Basel ein Zentrum der globalen Chemieindustrie. Allein die Firma Novartis, die in zwei grossen Fusionen aus ihren Vorläuferinnen Ciba, Geigy und Sandoz hervorging, erwirtschaftete laut Geschäftsbericht im Jahr 2017 mit weltweit Mitarbeitenden einen Neoumsatz von 49,1 Milliarden US-Dollar und einen Reingewinn von 7,7 Milliarden US-Dollar. Das Hauptgeschäft von Novartis dreht sich gegenwärtig nicht mehr um blutdrucksenkende Präparate, sondern um Medikamente zur Behandlung von Krebs. Für diese oft sehr kostspieligen Arzneien versucht der Konzern unerbilich sein Patentrecht zu verteidigen. Geteilte Geschichte Serpasil steht nicht nur für eine pharmazeutische und ökonomische Erfolgsgeschichte, sondern auch für ein Stück»geteilter Geschichte«zwischen Indien und der Schweiz: Sowohl der zur Herstellung von Serpasil notwendige Rohstoff, die Sarpagandha-Wurzel, wie auch das Wissen über dessen Wirkung und Verwendung haben ihren Ursprung auf dem indischen Subkontinent. Mit dem Begriff der»geteilten Geschichte«umschreibt die Ethnologin Shalini Randeria die untrennbar verwobene Geschichte des europäischen Kontinents mit (ehemaligen) Kolonialstaaten in Afrika und Asien: Die Geschichte der Moderne soll als ein vielseitig verflochtener, von zahlreichen Abhängigkeiten und Asymmetrien geprägter Prozess verstanden

41 Postkolonialismus werden, an dem unterschiedliche AkteurInnen an unterschiedlichen Orten in ungleichen Machtverhältnissen beteiligt waren.»geteilte Geschichte«zielt dabei im doppelten Wortsinn auf eine Geschichte, an der AkteurInnen gemeinsam teilhaben, die sie aber zugleich auch voneinander trennt. Es ist einem kleinen Kreis von WissenschaftlerInnen zu verdanken, dass seit Anfang der 2000er Jahre auch in der Schweiz die postkoloniale Forschung, und mit ihr das Interesse an geteilten Geschichten, angekommen ist. 1 Koloniale Söldner, antikoloniale Freiheitskämpfer Die geteilte Geschichte zwischen der Schweiz und dem indischen Subkontinent ist lang und vielgestaltig. In der Stadt Basel laufen gleich mehrere Fäden dieser Geschichte zusammen. In der Mie des 18. Jahrhunderts suchte die British East India Company (EIC) nach protestantischen Söldnern für ihre Kolonialkriege. Fündig wurde sie unter anderem in den reformierten Kantonen der Schweiz in Zürich, Genf, Schaffhausen und Basel. So wurden zu Beginn der 1750er Jahre von der EIC ganze fünf Kompanien mit geschätzt über 500 Männern aus der Schweiz rekrutiert, um gegen die lokale indische Bevölkerung und die französische Kolonialarmee zu kämpfen. Angeworben wurden die Söldner von»sir«lucas Schaub, einem Basler, der im Jahr 1720 für seine Verdienste um England den Rierschlag erhielt. Die Schweizer kämpften unter anderem in einem der entscheidenden Kolonialkriege auf englischer Seite: 1757 in der»bale of Plassey«in Bengalen Jahre später hielt der Berner Historiker J. E. Kilchenmann nicht ohne Stolz fest:»die Überlegenheit der Engländer beruhte auf der weitaus grösseren Tüchtigkeit ihrer Truppen deren Kern aus Schweizern bestand». 3 Doch auch Verbindungen in entgegengesetztem Sinne lassen sich zwischen der Schweiz und Indien finden: Kurz vor dem Ersten Weltkrieg wurde die Schweiz zu einem Zentrum des indischen antikolonialen Freiheitskampfes. Um die teils nur für kurze Zeit in die Schweiz exilierten indischen Aktivisten Shyamji Krishnavarma ( ), Lala Har Dayal ( ) und Champakaraman Pillai ( ) entspann sich in den 1910er Jahren ein antikoloniales Netzwerk. Dieses brachte in die Schweiz geflüchtete RevolutionärInnen aus Irland, England, Java, Ägypten und Indien zusammen. Ab Sommer 1914 publizierte Pillai von Zürich aus eine antibritische Zeitung mit dem Titel»Pro India». Schon zuvor wurden mehrere seiner Artikel in der Zeitung»Der Wanderer«veröffentlicht, einer deutschsprachigen linken, dem Pazifismus und kulturellem Austausch verpflichteten Publikation, die eine Redaktions- und Produktionsfiliale in Zürich besaß. Missionare und Industrielle Dass sich weltliche und spirituelle Globalisierung gegenseitig vorantrieben, lässt sich an einem weiteren Basler Beispiel veranschaulichen: Seit 1834 waren Basler Missionare in der damaligen Madras Presidency in Südindien aktiv. Die BaslerInnen durften gemäß Direktive der britischen Kolonialregierung nur an denjenigen Orten missionieren, an denen keine britischen MissionarInnen arbeiteten. Ab Mie der 1850er Jahre unterhielt die Basler Mission an der Westküste der Präsidentschaft Madras mielgroße Webereien und Ziegeleien, nachdem ein erster Versuch mit einer Uhrenmacherei kläglich gescheitert war. Andere Missionsgesellschaften unterhielten ähnliche Werke, doch seien die BaslerInnen, so schreibt der indische Historiker Jaiprakash Raghaviah, in ihrem Unternehmen außergewöhnlich gewesen: Seit dem Einrichten ihrer Fabriken seien diese zum Schweizer kämpften in einem entscheidenden Kolonialkrieg auf englischer Seite Begründete den Reichtum der Ciba: Serpasil Kern und Motor der baslerischen Missionierung in Indien geworden. Die Schweizer begründeten den Aufbau dieser privatwirtschaftlich funktionierenden Unternehmen mit der Befürchtung, dass indische KonvertitInnen mit dem Übertri zum Christentum ihre gesamte Community und somit auch ihren Lebensunterhalt verlieren würden. Mit den Missionsfabriken erhielten die neuen Mitglieder der christlichen Gemeinschaft die Möglichkeit, sich ein existenzsicherndes Einkommen zu erarbeiten. Dieses über lange Zeit Foto: iz3w-archiv tradierte Argument war jedoch bei weitem nicht der einzige Grund. Auch»disziplinierende«Absichten und der ökonomische Nutzen spielten für die Missionsgesellschaft eine wichtige Rolle. Im Jahr 1913 erwirtschaftete die Mission aus all ihren Unternehmungen in Asien und Afrika rund 1,3 Millionen Schweizer Franken, knapp die Hälfte davon floss direkt in ihre Generalkasse. Nicht nur für MissionarInnen, sondern auch für Schweizer Industrieund Handelsunternehmen schien der indische Subkontinent vielversprechend. Bereits 1947, im Jahr der indischen Unabhängigkeit, bildeten Schweizer Firmen in Indien eine der größten Gruppen ausländischer InvestorInnen. Der Deckmantel der»unschuld«, das Bild des schweizerischen Kleinstaats ohne Kolonien, und etwas später das von der Schweizer Politik propagierte Narrativ der»guten Dienste«und der»schweizer 41

42 42 Neutralität«, erleichterten Schweizer HändlerInnen und Unternehmen den Zugang zu kolonialen und nachkolonialen Wirtschaftsräumen. So importierte etwa das Winterthurer Handelshaus Gebrüder Volkart seit Mie des 19. Jahrhunderts Gewürze, Kokosöl, Kaffee und Baumwolle aus Britisch-Indien nach Europa und exportierte im Gegenzug europäische Konsumgüter für die indische und britische Oberschicht. Gegen Ende des 19. Jahrhunderts zählte die Firma Volkart zu den größten Exporteuren von Baumwolle aus Indien. Dank der boomenden Baumwollindustrie war der Subkontinent auch für die Basler Chemieunternehmen Ciba und Geigy ein interessanter Ort. Geigys Geschichte mit (Britisch-) Indien reicht zurück bis in die erste Hälfte des 19. Jahrhunderts, in die Zeit der Hochblüte des britischen Kolonialismus. Damals stieg der Prokurist und Mitinhaber der Firma, Karl Geigy ( ), in den Farbwarenhandel ein und begann, Indigo zu importieren. Wie die meisten Chemieunternehmen zu dieser Zeit begründete Geigy sein Fabrikationsunternehmen durch die Herstellung von Farben für die aufkommende Textilindustrie. Die Firma Geigy beteiligte sich damit an einem Netzwerk von ausländischen und lokalen Handelshäusern und somit an einem Warenhandel von typisch kolonialem Muster: Aus der Kolonie wurden Rohstoffe und Wissen gewonnen, in Basel zu Produkten verarbeitet und diese, spätestens seit den 1870er Jahren, zurück in die Kolonie verschifft, um sie der lokalen Oberschicht und den KolonialherrInnen zu verkaufen. Pagle ki booti, die Goldgrube der Ciba Ciba nutzt»indien«, um ihre Geschichte als Fortschriserzählung zu präsentieren Die Firma Geigy war nicht die einzige Basler Chemiefirma, die bereits zur Zeit der britischen Kolonialregierung Geschäftsfilialen in Indien einrichtete. Auch die Ciba handelte gegen Ende des 19. Jahrhunderts mit Farben in Britisch-Indien. Im Juni 1928 gründete sie ihre eigene Vertriebsgesellschaft, die Ciba (India) Limited in Bombay; die Firmen Roche und Sandoz taten es ihr später nach. Nach dem Zweiten Weltkrieg intensivierten die Basler Chemiebetriebe ihre Investitionen in die Forschung und die Entwicklung pharmazeutischer Produkte. Auf der Suche nach einer Substanz, die den Blutdruck zu senken vermag, stießen ChemikerInnen der Ciba zu Beginn der 1940er Jahre auf Forschungsberichte indischer Mediziner, in denen die Wirkungsbereiche der in Indien wachsenden Pflanze Rauwolfia Serpentina (in Sanskrit: Sarpagandha) diskutiert wurden. Der in Nordindien als»pagle ki booti«(hindi, dt. Pflanze der Verrückten) bekannte Strauch wurde in der indischen Medizin schon seit langem zur Behandlung psychischer Beschwerden und erhöhten Blutdrucks eingesetzt. Fasziniert ob der Berichte der indischen WissenschaftlerInnen, versuchten die ChemikerInnen der Ciba ihr Glück mit diesem Rohstoff. Nach mehreren erfolglosen Experimenten und einer intensiv geführten Debae mit Forschenden in Indien, den USA und der Schweiz gelang es ihnen anfangs der 1950er Jahre, die sedierende Substanz der Sarpagandha-Wurzel als einzelnes Alkaloid zu isolieren. Damit konnten sie nun ein Medikament mit einer standardisierten Menge des beruhigenden Wirkstoffes Reserpin herstellen. Im September 1953 kam Serpasil auf den Markt. Ein Jahr später war es bereits der Kassenschlager der Ciba und wurde in über hundert Ländern verkauft. Die Erfolgswelle hielt noch einige Jahre an: Nach dem gelungenen Start in der Schulmedizin wurde der Wirkstoff 1954 auch für die Psychiatrie entdeckt. Das Nachfolgeprodukt Ser-Ap-Es führte auch noch fünfzehn Jahre später die Verkaufsrangliste der Ciba-Pharmazeutika an. (Post)koloniale Medikamente Offensichtlich stolz auf ihr Produkt, ließ die Ciba mehrere Werbebroschüren herstellen, in denen die Geschichte des Medikaments Serpasil dargestellt wird. Und obwohl bald auch die damalige Kolonie Belgisch-Kongo zu einem wichtigen Bezugsort des Rohstoffes Rauwolfia wurde, nahm die Ciba in ihren Serpasil-Broschüren immer wieder Bezug auf Indien. Dabei nutzte die Firma die Folie»Indien«, um die Geschichte ihres Medikamentes als Fortschriserzählung zu präsentieren:»the Rauwolfia Story: From Primitive Medicine To Alkaloid Therapy«lautet der Titel eines kleinen Buches, das 1954 der firmeneigenen Geschichte von Serpasil gewidmet wurde. Dass die Ciba ihr»indisches Erbe«derart hervorhob, ist keineswegs zufällig. Mit der Betonung, Serpasil beruhe auf medizinischem Wissen und Behandlungsmethoden, die in Indien seit Jahrhunderten praktiziert werden, konnte»tradition«hergestellt werden. Mit dieser»traditionsgeschichte«sollte sich das Medikament von ähnlichen Produkten anderer Firmen abheben. Zugleich diente dieses Narrativ der Ciba dazu, das Präparat als»moderne«und»wissenschaftliche Therapie«in den Kontrast zur»primitiven Medizin«einer anderen Zeit und eines anderen Ortes zu setzen. Diese Differenz, die vom Topos»Barbarismus versus Zivilisation«gespeist wird, bildet die Grundlage für die klassische eurozentrische Erzählung der Moderne, deren zentrale Marksteine die Französische (und nicht die Haitianische) sowie die europäische»industrielle Revolution«bilden. Es ist eine Erzählung, in der eine»entwicklungsskala«entworfen wird, gemäß der nichtwestliche Gesellschaften im Vergleich zu westlichen Gesellschaften zum Aufholen verdammt seien. Zudem betont die Referenz auf die indische Medizin den globalen Anspruch der Firma: Sie figuriert als wichtiger Aspekt der Selbstwahrnehmung ebenso wie des Auftris nach außen hin als»global Player«in der pharmazeutischen Industrie.

43 Foto: iz3w-archiv Postkolonialismus Die Firma Geigy produzierte Insektizide wie DDT Handel von Rohstoffen aus dem globalen Süden oder mit internationalen Medikamententests ein Bereich der Pharmaforschung, der zunehmend in den globalen Süden ausgelagert wird. Genau hier besteht nach wie vor ein Mangel an Aufarbeitung. Dieser Mangel ist nicht dem fehlenden Interesse der Forschenden zuzuschreiben, sondern eher der mangelnden Bereitschaft der Firmen, ihre Archive für Studien dieser Art zu öffnen. Bis es dazu kommt, bleibt der Öffentlichkeit nichts anderes übrig, als sich an den Fotografen und Literaten Teju Cole zu halten: Im Wissen darum, dass die Dunkelheit nicht leer ist, sondern Information im Wartezustand. In der Broschüre der Ciba steht nichts zum genauen Arbeitsaufwand bezüglich der Kultivierung der Pflanze durch indische FeldarbeiterInnen. Ebenso wenig wird erwähnt, dass die Ciba zur Produktion von Serpasil riesige Mengen an Rauwolfia-Pflanzen aus Indien und Belgisch-Kongo nach Basel verschiffen ließ geschweige denn, dass die Pflanze in Indien kurz nach der Marktlancierung des Medikaments beinahe ausgeroet war verhängte die indische Regierung ein Embargo auf den Export von Wurzel und Stamm der Pflanze. Im damaligen Belgisch-Kongo fand die Ciba dann eine Rauwolfia-Pflanze, die sogar einen höheren Reserpin-Gehalt aufwies als jene aus Indien. Den Rohstoff für ihren Blockbuster bezog die Firma von da an zu einem großen Teil aus der belgischen Kolonie. Die Dunkelheit ist nicht leer Dass die Firma Ciba ihren ökonomischen Höhenflug nicht zuletzt medizinischem Wissen und einer Pflanze aus Indien zu verdanken hae, ist für die Schweizer Wirtschafts- und Wissensgeschichte keine Besonderheit. Wie aktuelle Studien zu Geschichte und Aktualität der»internationalen Verflechtung«(Müller 2012) der Schweizer Wirtschaft zeigen, waren und sind unzählige Menschen außerhalb der Schweizer Grenzen in die Prosperität von Schweizer Wirtschaft und Wissenschaft involviert: als ProduzentInnen und VermilerInnen von Wissen, als Arbeitskräfte in der Produktion, Basler Konzerne beteiligten sich an Warenhandel von typisch kolonialem Muster Verarbeitung oder Distribution von Rohstoffen und Konsumgütern sowie als KonsumentInnen und Testpersonen. Was heute unter dem Schlagwort»Globalisierung«gebündelt wird, hat folglich eine Geschichte. Und diese Geschichte ist direkt mit der europäischen und damit auch mit der schweizerischen Geschichte von Kolonialismus und Imperialismus verstrickt. In diesem Sinne bringen die jungen postkolonialen Studien Licht ins finstere Schweizer Herz (Purtschert/ Fischer-Tiné 2015): Sie berichten von kolonialen und nachkolonialen Verflechtungen von schweizerischen AkteurInnen und schweizerischem Kapital sowie vom ökonomischen und kulturellen Nachwirken solcher Beziehungen. 4 In der Expansion multinationaler Unternehmen mit Sitz in der Schweiz setzt sich diese Geschichte fort: etwa mit dem Abbau und Anmerkungen 1 Das Präfix»post-«verweist dabei nicht auf den temporalen Umstand, dass wir heute in einer Zeit leben, in der Kolonialimperien der Vergangenheit angehören. Vielmehr deutet es auf die nach wie vor seh- und spürbaren Nachwirkungen ehemaliger kolonialer Formationen hin, sei es in der Politik, Wissenschaft, Kultur oder Wirtschaft. Kurz: Das Präfix»post«verweist auf die Aktualität der Kolonialgeschichte. 2 Die Schlacht bei Plassey, durch welche die EIC den letzten unabhängigen Nawab (Herrscher) von Bengalen entmachtete, gilt als Beginn der britischen Vorherrschaft in Indien. Bengalen war damals dank florierender Landwirtschaft und Rohstoffproduktion eine der reichsten Provinzen Indiens. Mit der Eroberung des Gebiets verfügte das koloniale Großbritannien nun über einen vortrefflichen Ausgangspunkt zum Ausbau seiner Macht (Anm. d. Red.). 3 Schweizer Söldner beteiligten sich auch unter niederländischer und französischer Krone an kolonialen Kriegen und Unternehmungen in Asien. Das Ausmaß dieser Beteiligung ist nach wie vor Gegenstand historischer Untersuchung: Ein aktuelles Forschungsprojekt geht von rund Schweizer Söldnern aus, die alleine während des 19. Jahrhunderts in der niederländischen Kolonialarmee gedient haen. 4 Mit der Frage, wie koloniale rassistische Muster Schweizer Medien und Alltag bis heute prägen, befasst sich die Historikerin Jovita dos Santos Pinto (dos Santos Pinto 2014, unveröffentlichte Lizentiatsarbeit). Vgl. die Rezension von Rohit Jain: Kosmopolitische Pioniere.»Inder_innen der zweiten Generation«aus der Schweiz zwischen Assimilation, Exotik und globaler Moderne. Bielefeld Literatur Andreas Eckert/Shalini Randeria: Geteilte Globalisierung. In: Dies. (Hg.): Vom Imperialismus zum Empire. Nicht-westliche Perspektiven auf Globalisierung. Frankfurt a. M. 2009, S Margrit Müller: Internationale Verflechtung. In: Patrick Halbeisen et al. (Hg.): Wirtschaftsgeschichte der Schweiz im 20. Jahrhundert. Basel 2012, S Patricia Purtschert/Harald Fischer-Tiné (Hg.): Colonial Switzerland: Rethinking Colonialism from the Margins. Basingstoke 2015 Patricia Purtschert et al. (Hg.): Postkoloniale Schweiz: Formen und Folgen eines Kolonialismus ohne Kolonien. Bielefeld 2012 Shalini Randeria: Geteilte Geschichte und verwobene Moderne. In: Jörn Rüsen et al. (Hg.): Zukunftsentwürfe: Ideen für eine Kultur der Veränderung. Frankfurt 1999, S t t Anja Suter ist Doktorandin am Historischen Seminar der Universität Basel. Sie forscht zur Geschichte der Firmen Ciba und Geigy in Bombay und Basel. Der Artikel basiert auf einem Beitrag in der Ausgabe 72 der Zeitschrift»Widerspruch Beiträge zu sozialistischer Politik«zu»Postkoloniale Verstrickungen der globalen Schweiz«(2018). Dort finden sich eine ausführliche Literaturliste sowie weitere Quellenverweise. 43

44 »Weltbaustelle«in Remscheid Foto: Caritas»Erreichen wir eigentlich etwas?«interview mit Simon Ramirez-Voltaire über Eine-Welt-Arbeit 44 Dieses Jahr feiert die Arbeitsgemeinschaft der Eine Welt-Landesnetzwerke in Deutschland (agl) ihr zwanzigjähriges Bestehen. Die agl ist der bundesweite Zusammenschluss der 16 Eine Welt-Landesnetzwerke und vernetzt rund entwicklungspolitische Initiativen, Gruppen und Vereine. Damit ist die agl eine der bedeutendsten entwicklungspolitischen Akteurinnen in Deutschland. Wir nahmen den Geburtstag zum Anlass, um mit agl-geschäftsführer Simon Ramirez-Voltaire über Erfolge und Misserfolge von Eine-Welt-Arbeit zu sprechen. iz3w: Welchen politischen Ansatz verfolgen die agl und die Eine Welt-Landesnetzwerke? Simon Ramirez-Voltaire: Wir setzen uns mit Bildungsarbeit und Projekten für Bewusstseinsveränderungen in Deutschland ein und zwar mit einer globalen, kritischen Perspektive. Das heißt, wir fragen immer danach, was wir hier tun können, damit sich die globalen Lebensverhältnisse in Richtung Nachhaltigkeit und Gerechtigkeit entwickeln. Wir thematisieren die Zusammenhänge etwa von Klimawandel, unfairen Produktionsbedingungen und Ungleichheit. Momentan engagieren wir uns in der bundesweiten Kampagne»Initiative Lieferkeengesetz«, an der mehr als 60 Organisationen aus allen gesellschaftlichen Bereichen beteiligt sind. Es gibt auch viele internationale Partnerschaften in unserem Netzwerk. Eine Besonderheit der agl als Verband ist, dass sie von unten nach oben aufgebaut ist. Den großen Teil der inhaltlichen Arbeit machen die Landesnetzwerke und ihre Mitglieder in den Bundesländern. Es ist unglaublich, was es dort an Engagement gibt. Ein tolles Projekt sind die»weltbaustellen«vom Eine Welt Netz NRW. Da werden in den Städten Wandbilder zum Thema Nachhaltigkeit gestaltet und drumherum gibt es Aktionen und Auseinandersetzung mit Bürger*- innen. Ein anderes ist der»glückshafen«eine faire Losbude, die das Eine Welt Netz Bayern zusammen mit der AWO (Arbeiterwohlfahrt) Nürnberg entwickelt hat und die schon mehrfach bei Volksfesten eingesetzt wurde. Hier werden Leute, die mit Eine Welt-Arbeit nichts am Hut haben, direkt bei ihrem Fest erreicht zu gewinnen gibt es fair gehandelte Artikel. Ein anderes Beispiel ist die konsequente Arbeit des Berliner Entwicklungspolitischen Ratschlags zur Dekolonisierung Berlins, vom antirassistischen Training bis zur Straßenumbenennung. Welchen konkreten Erfolg konntet ihr bei eurem Lobbying verzeichnen? Dass wir das Eine Welt-Promotor*innenprogramm aufgebaut haben und es von Bund und Ländern gefördert wird. Seit den 1990er Jahren sagen einige Menschen, wir brauchen in der Eine Welt-Arbeit neben kleinteiligen Projektförderungen auch ein strukturiertes zivilgesellschaftliches Programm mit Personalstellen für Multiplikator*innen, die in ganz Deutschland die Arbeit in die Fläche tragen und so noch mehr Wirkungen entfalten. Es sind viele kleinere Ver-

45 Solidarität eine, die nun diese Förderung erhalten. Derzeit arbeiten mehr als 150 Promotor*innen in dem Programm. Sicher, es muss noch weiter ausgebaut werden, sodass wir wirklich eine Flächendeckung erreichen. Aber es ist gut, dass es das Programm gibt. Die agl setzt sich aber auch für eine allgemeine Erhöhung der Miel in diesem Bereich ein im formalen Haushaltssprech nennt sich das»förderung entwicklungspolitischer Bildung«. Auch hier wurde erreicht, dass heute deutlich mehr Miel für zivilgesellschaftliche Projekte zur Verfügung stehen als noch vor zehn Jahren. In dieser Zeit wurde der Topf von 12 Millionen Euro auf heute 45 Millionen pro Jahr angehoben. Momentan setzen wir uns wieder für eine Erhöhung ein. Uns schwebt eine Art Bildungsoffensive mit lokalen zivilgesellschaftlichen Protagonist*innen vor. Die agl ist ähnlich wie viele andere NGOs und Verbände stark auf zivilgesellschaftliche Teilhabe orientiert. Dem liegt ein liberales Politikverständnis zugrunde, das kooperativ sta konfrontativ ausgerichtet ist, das von der Kraft des besseren Arguments ausgeht und das wie Kritiker*innen monieren nur vorgaukelt, im Geflecht starker herrschaftsförmiger Interessen von Staat und Kapital eine relevante Rolle zu spielen. Wie seht ihr das? Gute Argumente reichen natürlich nicht aus. In der Zivilgesellschaft und insbesondere in den agl-netzwerken entsteht aber kritisches Wissen, das durch die vielen Akteur*innen auch zirkuliert. Es sind also Räume der kritischen Debae, des Lernens und des Meinungsaustausches. Wenn solches Wissen in die Politik eingebracht wird, kann dadurch öffentlicher Druck entstehen, der etwas bewegt. Momentan können wir das gut in der Klimaschutzdebae sehen, die Fridays for Future haben viel bewegt. Zivilgesellschaft ist so immer auch ein Korrektiv zur Politik. Wir brauchen Räume, die plural und partizipativ sind, denn wir wollen eine Gesellschaft, die so gestaltet ist. Und wir brauchen Organisationen, die diese Räume bieten mit Workshops, Konferenzen, Projekten, Publikationen oder in sozialen Netzwerken. Gleichzeit beobachten wir einen globalen Trend, dass zivilgesellschaftliche Räume eingeschränkt werden. Man denke nur an Brasilien, wo die Regierung Bolsonaro allen Protest zu unterbinden versucht. In den NGOs wird das unter dem Stichwort»Shrinking Spaces«diskutiert. Auch hierbei sind Organisationen wichtig, die dem etwas entgegen setzen.»viele Aktive berichten, dass sie vor Ort mit rechten Positionen konfrontiert sind«wie funktioniert euer entwicklungspolitisches Lobbying? Wir setzen uns mit Projekten für unsere Ziele ein, aber auch mit vielen Politiker*innen-Gesprächen, Briefen oder Veranstaltungen auf allen Ebenen vom Kiez übers Bundesland bis zur Bundesebene. Es gibt Runde Tische, Initiativen für Globales Lernen in Schulen oder Messen und Konferenzen die Bandbreite ist riesig. Insofern ist der Begriff»Lobbyarbeit«nicht ganz richtig, denn wir setzen uns öffentlich und transparent für unsere Ziele ein. Wenn, dann machen wir»lobbyarbeit«für global gerechte und nachhaltige Entwicklung. Wichtig ist die Mitwirkung der Landesnetzwerke bei entwicklungspolitischen Leitlinien in Bundesländern, damit sich auch die Länder in Sachen Entwicklungszusammenarbeit stärker engagieren. Welche Misserfolge musstet ihr einstecken? Klar, es gibt Enäuschungen. Beispielsweise setzen sich NGOs seit Jahren für verbindliche Regeln für die Wirtschaft zugunsten fairer Produktion ein, und in der Politik wird dann häufig nur auf die Freiwilligkeit der Unternehmen gesetzt. Das geht nicht weit genug und deshalb fordern wir jetzt einen gesetzlichen Rahmen für verpflichtende Regeln. Auch ist die Überzeugungsarbeit für die Bedeutung der entwicklungspolitischen Bildung in Zeiten von Klimawandel, offenem Rassismus und unfairen Löhnen ganz schön zäh. Das Potenzial von entwicklungspolitischer Bildungsarbeit wird noch nicht genug erkannt. Jahr für Jahr gibt es viele Workshops und Diskussionen zur Antirassismusarbeit, und dann erstarkt ein Rassismus, der bis in die sogenannte Mie der Gesellschaft reicht. Da fragen wir uns schon: Erreichen wir eigentlich etwas? Wen erreichen wir? Und vor allem: Müssen wir diese Arbeit verstärken? Gab es Situationen, in denen ihr euch wie ein zivilgesellschaftliches Feigenbla vorgekommen seid? Wo eigentlich im Machtzentrum von Wirtschaft und Politik alles längst entschieden war, aber der Anschein der Partizipation gewahrt werden sollte? Es gehört zur Standarderfahrung von NGOs, dass man bei Kooperationen sehr achtsam sein muss. Es kommt schon vor, dass andere Akteur*innen, auch staatliche, sie bisweilen funktionalisieren möchten. Dass man sie dabei haben will, um Kontakte und Wissen der Zivilgesellschaft zu nutzen oder deren Beteiligung vorzuzeigen. Unter uns überlegen wir immer, wie weit können wir gehen, wo machen wir mit und wo nicht. Als vor einigen Jahren der damalige BMZ-Minister Dirk Niebel einen»deutschen Entwicklungstag«in 16 Städten organisierte, verweigerten sich zahlreiche NGOs und übten massiv Kritik. Viele haben das als eine Show betrachtet, die viel kostet, wenig bringt und NGOs für PR-Zwecke einsetzt. Wichtig für uns ist die Frage der Augenhöhe. NGOs machen häufiger die Erfahrung, dass sie für eine Kooperation angefragt werden, wenn Konzepte und Programm bereits feststehen. Oder dass eine gemeinsame Aktivität im Erscheinungsbild eines staatlichen Akteurs dargestellt werden soll dann hinterfragen wir schon, welche Rolle wir darin spielen sollen und drängen auf partnerschaftliche Darstellung. Es ist immer von Fall zu Fall zu entscheiden, ob eine Beteiligung etwas für unsere Ziele bringt. Damit leben wir und es gehört zu unserem Engagement dazu, die Augenhöhe bei Kooperationen auszuhandeln. Es gibt aber auch einfach gute staatliche Förderung für gute zivilgesellschaftliche Arbeit und gute Kooperationen. Ich finde es wichtig, das anzuerkennen und nicht nur die problematischen Seiten zu sehen. Das Promotor*innenprogramm zum Beispiel arbeitet ziemlich frei. In Deutschland ist ein Rechtsruck zu spüren, etwa beim Umgang mit Geflüchteten. Wirkt sich das auf euer Standing in der Politik aus? Hat beispielsweise die AfD in Länderparlamenten oder im Bundestag versucht, Haushaltsmiel für Eine Welt-Arbeit zu streichen? Viele Aktive berichten, dass sie vor Ort mit rechten Positionen konfrontiert sind. Es ist offenbar schwer, Menschen, die in ihrer eigenen Biografie gesellschaftliche Solidarität vermissen, dazu anzuregen, eine globale Perspektive einzunehmen, mit anderen Menschen solidarisch zu sein oder gar Geld dafür auszugeben. Öfter geht das schon richtig ins Aggressive und führt zu Gewalt gegen Eine Welt-Engagierte. Ein Verein aus unserem Netzwerk ist seit Mai schon zweimal angegriffen worden, mit Pflastersteinen und Bierflaschen. t 45

46 Solidarität 46 Aber auch politisch ist das inzwischen deutlich spürbar, derzeit vor allem in Form von parlamentarischen Anfragen der AfD zur Entwicklungszusammenarbeit. Diese Kräfte haben die EZ als Thema entdeckt und versuchen, die globale Solidarität in Frage zu stellen. Der»Glückshafen«der AWO Nürnberg Der Begriff»Eine Welt«wurde, als er in den 1990er Jahren aufkam, vielfach kritisiert. Er suggeriere in versöhnlerischer Weise die Einheit einer Welt, die vielfach gespalten sei, in Nord und Süd, arm und reich oder Schwarz und Weiß. Warum haltet ihr an diesem Begriff fest? Ich sehe den Begriff nicht als Zustandsbeschreibung, sondern als Ansatz, der die eine gemeinsame Welt, die wir alle teilen, in den Blick nimmt. Immer wieder fragen wir uns, ob er zeitgemäß ist. Ob in der Eine Welt-Arbeit oder überhaupt in der Gesellschaft man muss immer auf beide Kräfte Antworten geben, auf das Gemeinsame und das Diverse. Jeder Mensch ist Teil eines Größeren, aber auch in vielen Faceen divers. Gesellschaftspolitisch ist das für mich eine der großen Herausforderungen, gerade in Deutschland, wo die Vorstellung von homogenen Gruppen total»normal«ist und die Vorstellung von einem diversen Deutschland nicht allen leicht fällt. Der aktuelle Nationalchauvinismus zeigt, wie viele für ihn empfänglich sind und wie schnell er in Aggressivität mündet. Interessant sind bei uns gerade die Debaen, wie Diversität gestärkt werden kann in den Strukturen, aber auch im Diskurs und in den Konzepten. In unserem Fachforum Migration, Diaspora und Entwicklung werden gerade spannende Impulse aus den Neuen Deutschen Organisationen zur»gesellschaft der Vielen«diskutiert mit der Frage, ob wir sie für Eine Welt-Arbeit fruchtbar machen können. Vielleicht reden wir ja bald schon von der»einen Welt der Vielen«. Gab es nicht schon einen besseren Begriff als den der»einen Welt«, nämlich den der»drien Welt«? Er hae ursprünglich eine herrschaftskritische Bedeutung, nimmt auf den revolutionär aufbegehrenden Drien Stand Bezug und wurde nicht umsonst von einem antikolo nialen Theoretiker wie Frantz Fanon popularisiert. Ist es nicht ein Rückschri, solche emanzipatorischen Begriffe fallen zu lassen? Ist der Begriff wirklich emanzipativ? Er klassifiziert und hierarchisiert die Welten doch und wird deshalb zu Recht stark kritisiert. Auch die damit verbundene Vorstellung, im Norden wisse man, wie sich der Süden zu entwickeln habe. Da ist doch der Begriff der Einen Welt viel besser, auch wenn wir den damit verbundenen Anspruch nicht einlösen können. Fanon hat aber wichtige Texte geschrieben. Vor allem seine psychologischen Studien zum Kolonialverhältnis sind wichtige Grundlagen, etwa für die Analyse von Rassismus. Der Begriff»Entwicklung«ist in euren Selbstdarstellungen nicht der prominenteste, aber er taucht immer wieder auf. Hat die Post-Development-Debae mit ihrer Fundamentalkritik an der Entwicklungsidee bei der agl keine Spuren hinterlassen? Und welche Reaktionen kommen aus der PoC-/Critical Whiteness-Community? Sie hat Spuren hinterlassen. Die Idee der entwicklungspolitischen Bildungsarbeit in Deutschland und auch des Eine Welt-Promotor*innenprogramms hat ja gerade den Kerngedanken, dass nicht andere Länder, etwa des Südens, zu Objekten von Entwicklungs expert*innen des Nordens werden. Sondern es geht um gesellschaftliche Veränderungen, die im Norden nötig sind, um globale nachhaltige Entwicklung zu fördern. Sicher sind dazu noch viele Diskussionen auch in unseren Netzwerken nötig. Die Eine Welt-Arbeit hat aber zur Kritik des Entwick lungsbegriffs viel beigetragen und diese von Anfang an geprägt. Die agl hae zum Beispiel ein Projekt namens»entwicklungsland D«. Kritische Töne aus der PoC- und Critical Whiteness- Community bekommen wir natürlich zu hören. Die Diskussion um Diversität gibt es auch in unseren Netzwerken, etwa hinsichtlich unserer Visionen, Sprache, Arbeitsweise und Strukturen. Es gibt da noch viel zu tun. Wichtig ist eine fortlaufende Debae darüber, was wir unter Diversität verstehen, und einen selbstkritischen Blick auf weiße Strukturen zu bekommen. Dazu gehört, die Kritik von PoC und Critical-Whiteness-Akteure*innen auszuhalten und aufzunehmen. Ich möchte nicht verhehlen, dass das nicht immer einfach ist. In Strukturen gibt es immer auch Widerstände gegen Veränderung. Es ist überhaupt nicht einfach, kritisch und gemeinsam über das eigene Weißsein zu reflektieren. Und das, obwohl Antirassismus vom Grundsatz her Konsens ist. Foto: AWO Gibt es Themen und Ansätze, über die ihr euch innerhalb der agl streitet? In einem pluralen Netzwerk ist es normal, dass nicht alle die gleichen Schwerpunkte und Standpunkte haben. Manche setzen sich primär für fairen Konsum und faire Produktion, manche für Antirassismus oder kritische Globalgeschichte ein, andere sind stark im Globalen Lernen. Die Landesnetzwerke treffen sich drei Mal im Jahr, um sich auszutauschen und Projekte abzustimmen, dabei wird immer wieder um gemeinsame Ansätze gerungen. Aber die Landesnetzwerke legen großen Wert auf ihr eigenes Profil. Die agl ist kein einheitlicher Zusammenschluss, sondern von unten nach oben aufgebaut. Der Weg zu mehr Diversität bedarf aber noch vieler Diskussionen und Schrie. Simon Ramirez-Voltaire ist einer der Geschäftsführer der agl und Projektleiter des Eine Welt-Promotor*innen-Programmes. Er arbeitete journalistisch zu Lateinamerika und promovierte am Berliner Oo-Suhr-Institut für Politikwissenschaft über Dezentralisierungsprozesse in Bolivien, bevor er 2012 zur agl kam. Das Interview führte Christian Stock (iz3w) per .

47 ...Rezensionen Antifeminismus als Gegenbewegung Der Begriff»Antifeminismus«wurde erstmals im deutschen Kaiserreich durch Hedwig Dohm verwendet, um GegnerInnen der Frauenbewegung und des Frauenwahlrechts zu beschreiben. Er geriet dann allerdings wieder in Vergessenheit. Erst seit den 1990er Jahren findet er durch die Sozialwissenschaften als analytisches Konzept wieder Verwendung. Dabei wurde Antifeminismus aber meist als nur Teilaspekt der Forschung zur (extremen) Rechten und nicht als Phänomen an sich betrachtet. In ihrem Buch Angst um die Vormachtstellung widmet sich die Soziologin Rebekka Blum ganz konkret dem reaktionären Phänomen des Antifeminismus, der Grundlage für fast alle rechten Strömungen ist. Das Buch ist eine systematische Überblicks- und Grundlagenarbeit, anhand derer sich heutige Dynamiken, Diskursstrategien und Charakteristika des Antifeminismus erklären lassen. Doch es kann auch praxisnahes Wissen für feministische Kämpfe daraus gezogen werden. Die Autorin grenzt Antifeminismus von anderen Formen des Sexismus, der Feminismuskritik oder der Misogynie ab aufgrund des meist hohen Organisationsgrades antifeministischer Gruppierungen und seiner Nähe zu anderen Ungleichheitsideologien wie Antisemitismus, Rassismus oder Homo- und Transfeindlichkeit. Vor allem aber macht Blum eine starke Korrelation aus zwischen dem Erstarken antifeministischer Diskurse und Bewegungen auf der einen Seite und feministischen Errungenschaften auf der anderen. Blum stellt anschaulich dar, wie gerade letztere in den vergangenen drei bis vier Jahrzehnten in Deutschland die Gesellschaft veränderten, und charakterisiert aktuelle antifeministische AkteurInnen, die das Rad diesbezüglich zurück drehen wollen. Die Geschichte des Antifeminismus im deutschen Kaiserreich und seit den 1990er Jahren zeichnet Blum durch eine umfassende Analyse der Forschungslite ratur nach, mit dem Ziel der Systematisierung des Begriffes. Auch wenn dieser zeitliche Sprung zunächst Unvollständigkeit vermuten lässt, schafft es die Autorin, plausibel den Bogen vom Kaiserreich bis in die jüngere Geschichte zu schlagen. Antifeminismus im Nationalsozialismus wird von ihr als eigener Forschungsbereich ausgeklammert. In ihrem Fazit schreibt Blum, dass das Erstarken des Antifeminismus auch auf eine Schwäche des derzeitigen Feminismus zurückgeführt werden kann: Sie kritisiert das Ausbleiben grundlegender Kapitalismuskritik und sozialer Solidarität bei vielen FeministInnen. Somit bietet die Autorin neben einer strukturierten theoretischen Analyse auch Schlussfolgerungen für die politische Praxis an, was eine große Stärke ihrer Arbeit ist. Julia Schuster Rebekka Blum: Angst um die Vormachtstellung. Zum Begriff und zur Geschichte des deutschen Antifeminismus. Marta Press, Hamburg Euro, 140 Seiten. Schreiben gegen das Vergessen Eine der brutalsten Verbrechen des sogenannten Islamischen Staates war der Genozid 2014 an den JesidInnen im Nordirak. Detailliert skizziert der Wiener Politikwissenschaftler Thomas Schmidinger die Verbrechen, das Ausbleiben von Hilfe und die Verzweiflung der Angehörigen. Die Stärke seines Buches Die Welt hat uns vergessen sind die zahlreichen Interviews im Anhang des Buches, die den JesidInnen eine Stimme verleihen. Die langjährige intensive Feldforschung des Autors spiegelt sich aber nicht nur hier wider. Die ersten Teile des Buches behandeln die Geschichte der JesidInnen und tragen die gängige Literatur und mündliche Überlieferungen zusammen. Schon hier zeigt sich eine erste Annäherung zum Buchtitel: Die hauptsächlich mündlich überlieferte Religion und Geschichte der JesidInnen birgt in der modern-positivistischen Geschichtsschreibung die Gefahr des Vergessenwerdens. Wer keine verbriefte Geschichtsschreibung vorlegen kann, fällt unter den Tisch. Und in der Gebirgsregion des Sinjar-Gebirges im Nordirak blieben JesidInnen weitgehend unter sich. Hinzu kommt ihre historische Marginalisierung, die bis heute anhält: Die Weigerung kurdischer Milizen und arabischer Gruppen, den JesidInnen gegen den IS beizustehen, entwickelte sich aus der traditionellen räumlichen Isolation im Grenzland, aus der Zerteilung in vielfache Interessensgruppen sowie aus den Vorurteilen, die sich über Generationen hielten. Die Brandmarkung von JesidInnen als vorgebliche»teufelsanbeter«oder»schmutzige, unzivilisierte Menschen«sind Ausdruck dieser Marginalisierung. Das Buch hat demgegenüber das klare Anliegen, an das Leid und die Verfolgung der JesidInnen zu erinnern. Das ist notwendig: Als beispielsweise US-Präsident Trump jüngst die jesidische Friedensnobelpreisträgerin Nadia Murad empfing, musste sie ihm den Grund für ihren Aktivismus erst erklären. Das bezüglich Fachbegriffen und geographischen Orten dicht geschriebene Buch häe von einem Glossar, mehr detaillierten Karten und einem intensiveren Lektorat profitiert. Doch der Autor stößt wichtige Fragen an, etwa: Gibt es einen Standard für ethnische Gruppen, der sie erinnerungswürdig macht? Das Buch liefert somit einen Beitrag zur Auseinandersetzung mit der Frage, wie man Minoritäten schützen kann. Dies meint neben militärischem Beistand auch den soziokulturellen Erhalt der Geschichte und Integrität einer Gruppe. Indem Schmidinger sich der Kultur und Geschichte der JesidInnen nähert, schafft er Aufmerksamkeit für eine auch im Publikationswesen marginalisierte Minderheit. Johannes Schmihenner t t Thomas Schmidinger:»Die Welt hat uns vergessen«. Der Genozid des»islamischen Staates«an den JesidInnen und die Folgen. Mandelbaum Verlag, Wien Seiten, 20 Euro. 47

48 Rezensionen... Kritische Theorie des Geschlechts So wichtig die frühe Kritische Theorie, verbunden mit Werken wie»dialektik der Aufklärung«oder»Der eindimensionale Mensch«und Namen wie Pollock, Löwenthal, Horkheimer, Adorno, Fromm oder Marcuse, bis in die Gegenwart hinein ist, so deutlich wird immer wieder betont, dass sie bedeutende Leerstellen aufweist. Eine davon macht Barbara Umrath zum Ausgangspunkt ihrer Dissertation Geschlecht, Familie, Sexualität. Ihrem im Untertitel verdeutlichten Anliegen,»die Entwicklung der Kritischen Theorie aus der Perspektive sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung«nachzuzeichnen, widmet sie sich anhand von Darstellungen in der Sekundärliteratur,»derzufolge sich die Kritische Theorie mit der Geschlechterthematik allenfalls am Rande auseinandergesetzt hat«, oder vermiels feministischer Rezeptionen, in denen»die analytischen Werkzeuge als unzureichend«kritisiert werden. Umrath sieht diese Kritik hauptsächlich im fragmentarischen Charakter der Auseinandersetzung der Kritischen Theorie mit Geschlecht begründet: Im Gegensatz zu anderen Fragen habe es im Umfeld des Instituts für Sozialwissenschaft kaum grundlegende begrifflich-konzeptuelle Debaen zu Geschlecht gegeben. Die dennoch vorhandenen Fragmente rekonstruiert Umrath entlang der Auseinandersetzungen der Kritischen Theorie mit der bürgerlich-kapitalistischen Gesellschaft sowie mit Autorität und Sexualität als»schlüssel«zum Verständnis gesellschaftlicher Totalität. Die Autorin begnügt sich nicht mit oberflächlichen Lesarten. Sie benennt vom Standpunkt gegenwärtiger feministischer Auseinandersetzungen die Lücken und Probleme der untersuchten Arbeiten deutlich und zieht sich nicht auf eine wohlwollende Interpretation zurück. Ihre Analyse führt sie dennoch immer wieder zum Schluss, dass die Auseinandersetzung mit Geschlechterverhältnissen von Beginn an in das gesellschaftstheoretische Projekt der Kritischen Theorie eingebeet war und in gewisser Weise ein intersektionales Forschungsprogramm avant la lere darstellt. Umrath kann zeigen, dass die Kritische Theorie nicht ohne die Auseinandersetzung mit dem Geschlechterverhältnis verstanden werden kann und dass umgekehrt die aktuelle Geschlechterforschung von ihren Arbeiten lernen kann. Dass es Umrath gelingt, Verbindungen herzustellen und gleichzeitig die Notwendigkeit einer kritisch-theoretischen Geschlechterforschung deutlich zu machen, ist ein Kontrast zu Tendenzen, die Arbeiten der Kritischen Theorie nur noch als historische Beispiele oder umgekehrt überhistorisch als der Weisheit letzter Schluss aus dem Schrank zu nehmen. Auch wenn das Buch den Charakter einer akademischen Arbeit hat und sich vorrangig an sozialwissenschaftlich geschulte LeserInnen wendet: Dank aufwendiger Recherchen und umfangreicher Analysen ist Umraths Darstellung gelungen. Sie bildet ein Fundament für die Aktualisierung der Kritischen Theorie in wissenschaftlichen wie politischen Auseinandersetzungen. Christoph Panzer Barbara Umrath: Geschlecht, Familie, Sexualität. Die Entwicklung der Kritischen Theorie aus der Perspektive sozialwissenschaftlicher Geschlechterforschung. Campus, Frankfurt/New York Seiten, 34,95 Euro. Kriegsverbrecher auf Spitzendeckchen 48 In Rezensionen war immer wieder zu lesen, Saša Stanišićs Herkunft sei ein Buch über ein»land, das es nicht mehr gibt«, über Jugoslawien. Das stimmt nicht. Herkunft ist ein Buch über Erinnerungen und Erfindungen, Sprache, Ankommen und Zurechtkommen. Aber vor allem ist es ein Buch über das Erzählen. Wie schreibt man? Worüber? Und warum eigentlich? Ist die Fiktion nicht die bessere Realität? Das sind Fragen, die in diesem wunderbaren Roman manchmal direkt aufgeworfen werden, aber auch dann, wenn sie nicht gestellt werden, die Handlung als Hintergrundrauschen begleiten. Ja, Stanišić wurde in Jugoslawien geboren, kam als Jugendlicher auf der Flucht vor dem Bosnienkrieg nach Heidelberg und hat heute einen deutschen Pass. Und natürlich erzählt er auch davon in»herkunft«, diesem absurden autobiografisch-fiktionalen Roman. Reduziert man aber das Buch auf die Fluchtgeschichte oder das»herkunftsland«jugoslawien, tappt man in die Falle der Zuschreibungen und Überhöhungen, gegen die Stanišić anschreibt. Das Buch beginnt nicht zufällig mit den Schwierigkeiten, vor denen der Autor steht, als er zur Erlangung der deutschen Staatsbürgerschaft der Ausländerbehörde einen handgeschriebenen Lebenslauf vorlegen soll.»herkunft«ist ein Buch über die Zumutung der Frage nach selbiger. Und es ist ein Buch über Stanišićs Großmuer Kristina. Ihre Demenz liefert die Rahmenhandlung: Während sie ihre Erinnerungen verliert, macht der Enkel sich auf, Erinnerungen zu sammeln. Durch die Auseinandersetzung mit ihr begibt er sich auf die Suche nach Familiengeschichten, wird manchmal fündig und manchmal nicht. Seine Suche beginnt in Oskoruša, einem kleinen Dorf in Bosnien, in dem der Großvater aufgewachsen ist. Von dort braucht die Erzählung ein bisschen, bis sie Fahrt aufnimmt, aber dann lässt sie die LeserInnen nicht mehr los. Stanišić schreibt nicht linear, sondern sammelt Geschichten und diese Geschichten machen süchtig. Er warnt zu Beginn:»Diese Geschichte beginnt mit dem Befeuern der Welt durch das Addieren von Geschichten. Nur noch eine! Nur noch eine! Ich werde einige Male ansetzen und einige Enden finden, ich kenne mich doch. Ohne Abschweifung wären meine Geschichten überhaupt nicht meine.«diese Abschweifungen machen den Reiz des Buches aus, genauso wie Stanišićs liebevoll beiläufiger Stil. Das Buch ist voller

49 Besserer Sex im Sozialismus t t»wenn er richtig gemacht ist, führt Sozialismus zu ökonomischer Unabhängigkeit, besseren Arbeitsbedingungen, einem ausgewogenerem Arbeits- und Familienleben und ja, sogar zu besserem Sex«. So lautet Kristen R. Ghodsees reißerisch klingende These in Why Women have Beer Sex Under Socialism. Die US-amerikani sche Ethnologin zeigt, wie sehr materielle Umstände die sexuelle Selbstbestimmung beeinflussen und analysiert das Sexleben von vor allem heterosexuellen Frauen (und einigen Männern). Dabei demaskiert sie nicht nur die kapitalistische Gesellschaft, indem sie zeigt, wie finanzielle Abhängigkeiten zu spezifischen Geschlechterrollen und einem weniger befriedigenden Sexleben führen. Sie verdeutlicht auch, wie sich die Wende vom Realsozialismus zum Kapitalismus in den osteuropäischen Staaten auf das Sexleben auswirkte. Ghodsee argumentiert, dass im Kapitalismus Frauen auf dem Arbeitsmarkt diskriminiert werden. Ihre Arbeit sei weniger wert, etwa weil sie schwanger werden könnten. In heterosexuellen Kleinfamilien bleiben häufig die Frauen zu Hause und verrichten die Care-Arbeit, die nicht bezahlt wird und die Frauen in die Abhängigkeit vom Partner drängt. Als Gegenleistung offerieren sie sich als Sexpartnerin, als Muer oder als sorgende Frau. Im Sozialismus würde dieses Verhältnis durch staatliche Eingriffe dahin modifiziert, dass Sex nicht mehr als Leistung, sondern als gegenseitiges Begehren gesehen wird. Ghodsee führt aus, dass gleiche Ausbildungs- und Berufschancen gekoppelt mit einer Frauenquote (wie in Skandinavien) zu gleichen Einkommen führen. Zudem fangen staatliche Programme wie Krankenkassen, Muerschutz oder Kindergeld viele ökonomische Probleme auf, die nicht mehr in Liebesbeziehungen ausgehandelt werden müssen. Das führt laut Ghodsee zu besseren Lebenssituationen von Frauen. Nicht ohne Grund heißt der Untertitel des Buches:»And Other Arguments For Economic Independence«. Ihre Argumentation unterfüert Ghodsee mit vielen Beispielen aus Osteuropa. Dabei verherrlicht sie weder den Realsozialismus mit seinen autoritären Regimen, noch verschweigt sie die schwierigen Lebensbedingungen von Frauen etwa in Rumänien (wo zum Beispiel Schwangerschaftsabbrüche verboten waren). Subjektive Zufriedenheit ist kaum zu messen. Allerdings nennt Ghodsee Studien, laut denen Frauen in der DDR häufiger einen Orgasmus haen als Frauen in der BRD. Frauen und Männer waren in der DDR etwa gleich zufrieden mit ihrem Sexleben, wohingegen in der BRD nur halb so viele Frauen wie Männer zufrieden waren. Ghodsees Überblick reicht bis zur Französischen Revolu tion zurück. Er richtet sich vor allem an ein US-amerikanisches Publikum mit seinen starken Abneigungen gegen den Sozialismus, um ihm dessen mögliche Vorteile aufzuzeigen. Ghodsee geht dabei vor allem auf staatliche Veränderungen von Geschlechterverhältnissen ein, das Privatleben mit der zwischenmenschlichen Aushandlung von patriarchalen Strukturen bleibt ungenannt. Sie hat nicht den Anspruch, mit dem Sozialismus das Patriarchat abzuschaffen, sondern in einzelnen Bereichen ein gleichberechtigtes Leben zu gestalten. Annika Lüner Kristen R. Ghodsee: Why Women Have Beer Sex Under Socialism. And Other Arguments For Economic Independence. The Bodley Head, London Seiten, Ab auf deutsch bei Suhrkamp. Sätze, die so schön sind, dass man sie sich sofort irgendwo notieren möchte. Zum Beispiel:»Dann kam der Sozialismus und diskutierte die Rolle der Frau, und die Frau ging aus der Diskussion nach Hause und hängt die Wäsche auf.«selbst wichtige Details und teilweise brutale Feststellungen werden oft ganz beiläufig erwähnt beispielsweise, wenn Stanišić das Wohnzimmer von Bekannten seiner Großmuer in Oskoruša beschreibt und im Regal nicht nur einen Fernseher und eine Fliege ausmacht, sondern auch die gerahmten Bilder zweier serbischer Kriegsverbrecher auf Spitzendeckchen. Und sich dann erst mal setzen muss. Wie schon in Stanišićs Erstling»Wie der Soldat das Grammophon repariert«werden Grausamkeiten durch diese Art zu schreiben erträglicher und unerträglicher zugleich. Erträglicher, weil man das Menschliche hinter den Gräueltaten besser erkennen kann, unerträglicher, weil man sich dabei ertappt, über Gräuel zu lachen und oder sich über eine großartige Formulierung darüber zu freuen. Klar geht es in dem Buch auch um Jugoslawien und seinen Zerfall, um schwieriges Ankommen in Deutschland, um Nationalismus und um das Bedürfnis, dazu zugehören. Aber»Herkunft«läuft niemals Gefahr, sich im Klischee der zerrissenen Zuwanderer- Biografie zu verfangen. Vielmehr beharrt der Roman auf der Zufälligkeit selbiger:»jedes Zuhause ist ein zufälliges. Dort wirst du geboren, hierhin vertrieben, da drüben vermachst du deine Niere der Wissenschaft. Glück hat, wer den Zufall beeinflussen kann.«doch Stanišić weiß auch, dass man immer wieder auf Herkunft zurück geworfen wird, ganz gleich wie unwichtig sie für einen selbst ist. Deshalb schadet es vermutlich nicht, sie zumindest zu kennen. Um von Herkunft zu erzählen, erzählt Stanišić von Roter Stern Belgrad und Ivo Andrić, vom Heidelberger Stadeil Emmertsgrund, von Hans Fallada und Jospeh von Ajhendorf, der irgendwann zu Eichendorff wird. Die schönsten Geschichten handeln von der ARAL-Tankstelle in Emmertsgrund, jene»soziale Einrichtung«, die sich am stärksten für die Integration der Jugendlichen im Ort eingesetzt hat und wo die Begeisterung des Autors übers geschriebene Wort mit»aral-literatur«seinen Anfang nahm. Und von der Heimat, die für Stanišić ein Zahnarzt ist. Am Ende tauchen sogar noch Drachen auf Stanišić erzählt in»herkunft«konsequent miels der Vergangenheit über die Gegenwart und hat dabei einen Roman geschaffen, der zugleich wunderbar unterhaltsam und kritisch ist. Er ist vielleicht das Beste, was es aktuell über Nationalismus zu lesen gibt. Larissa Schober t t Saša Stanišić: Herkunft. Luchterhand Literatur Verlag, München Seiten, 22 Euro. 49

50 Szene Die Arabisch-Deutschen Literaturtage vom 25. bis 26. Oktober haben das Thema Verfemte Sprachen. SchriftstellerInnen aus Ägypten, Syrien, Tunesien, Palästina, Österreich und Deutschland präsentieren in Berlin zeitgenössische Prosa, Lyrik und Comics. Im Begleitprogramm soll unter anderem darüber diskutiert werden, warum arabischsprachige Literatur in Deutschland so wenig verbreitet ist. Beim politischen Filmfestival Globale werden vom 1. bis 16. November in der Region Mielhessen Filme zur kritischen Auseinandersetzung mit den Auswirkungen der Globalisierung und globaler Gerechtigkeit gezeigt. An 16 Spielorten sind rund 70 Filme zu sehen. Der Verein zur Förderung politischen Handelns organisiert die WochenendAkademie Politik zum Thema Von rechts ausgebremst? Die Klimapolitik rechtspopulistischer Parteien in Europa. Vom 8. bis 10. November werden in Bonn die Kampagnen rechtspopulistischer Kräfte gegen Klimaschutz vorgestellt und die dagegen gerichteten Handlungsmöglichkeiten von Klima-AktivistInnen diskutiert. Vom 22. bis 24. November organisiert die Landesstiftung Berlin der Heinrich Böll Stiftung ein Seminar zum Umgang mit Umwelt- und Ressourcenkonflikten. Mit praktischen Übungen und anhand von Beispielen aus Peru, Sierra Leone und Deutschland werden vor allem Konflikte auf lokaler Ebene thematisiert. hps://calendar.boell.de/de/event/umgang-mit-umwelt-und-ressourcenkonflikten Der Internationale Arbeitskreis (IAK) organisiert vom 18. bis 24. November eine politische Reise in die Ukraine. Die Teilnehmenden besuchen NGOs und Initiativen, um mehr über deren Arbeit zu erfahren. Sie lernen die Herausforderungen kennen, denen sich ukrainische StadtaktivistInnen gegenübersehen: zentralisierte Entscheidungen wie die Orientierung auf das Auto in der Stadtplanung, der Ausschluss schutzbedürftiger Gruppen aus dem öffentlichen Raum, Mangel an bezahlbarem Wohnraum und Umweltschäden durch die Industrie. Die Amadeu-Antonio-Stiftung publizierte die Handreichung: Demokratie in Gefahr. Handlungsempfehlungen zum Umgang mit der AfD. Umfassend werden sowohl die Entstehung der Partei erklärt als auch die Gefahr, die diese für die Demokratie darstellt. Die Infografik»Mit Rechtsradikalen diskutieren«bringt auf den Punkt, wie man sich gegen Hetze wehrt. Der Schaenbericht Berliner Zustände kritisiert das Vorgehen von Strafverfolgungsbehörden im Umgang mit Rechtsextremismus. Er liefert alternative Sichtweisen zu staatlichen Perspektiven auf Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus in Berlin. Zivilgesellschaftliche Initiativen und Projekte kommentieren in dem Bericht gesellschaftliche Entwicklungen. Der Uranatlas, herausgegeben von der Rosa Luxemburg Stiftung, beleuchtet den gefährlichen Rohstoff aus verschiedenen Perspektiven. Die EU-Staaten bleiben weiterhin größter Verbraucher von Uran, wobei die Umwelt- und Gesundheitsrisiken in den Globalen Süden externalisiert werden. Ebenfalls von der Rosa Luxemburg Stiftung herausgegeben sind die Standpunkte 09/2019 zum Kampf gegen Uranabbau in Namibia. Vielsagender Titel: Allein auf weiter Flur. Vorschau: iz3w 376 Smartphones t Ein Themenschwerpunkt, der einzig um ein elektronisches Gerät kreist? Das ist ein Novum für eine süd-nord-politische Zeitschrift wie die iz3w. Gerechtfertigt ist es durch die riesige Bedeutung, die Smartphones und alles, was damit zusammenhängt weltweit erlangt haben. Sie sind nicht nur bei der Kommunikation mit Family & Friends kaum mehr wegzudenken, sondern bringen tiefgreifende Veränderungen wirtschaftlicher, politischer und kultureller Beziehungen mit sich. Herausgeberin t Aktion Drie Welt e.v. informationszentrum 3. welt, Kronenstraße 16a (Hinterhaus), D Freiburg i. Br. Telefon: 0761 / , Fax: 0761 / [email protected] Bürozeiten: Montag bis Freitag 10 bis 16 Uhr Redaktion t Martina Backes, Katrin Dietrich, Friedemann Köngeter, Elena Kolb, Rosaly Magg, Eva-Maria Österle, Winfried Rust, Johannes Schmihenner, Larissa Schober, Christian Stock, Leon Strnad Copyright t bei der Redaktion und den AutorInnen Vertrieb für den Buchhandel t Prolit Verlagsauslieferung GmbH, Postfach 9, D Fernwald (Annerod), Fax: 0641/ , [email protected] Satz und Gestaltung t Büro MAGENTA. Freiburg Herstellung t schwarz auf weiss, Freiburg Gedruckt auf FSC-zertifiziertem Papier. Jahresabonnement (6 Ausgaben) Impressum t Inland: 36,- (für Geringverdienende 28,-), Förderabonnement ab 52,- t Ausland: Europa 43,- oder Übersee 49,- t Kündigungen bis zum Erhalt des letzten Hef tes. Sonst automatische Verlängerung. t Aboverwaltung: [email protected] Konto (Aktion Drie Welt e.v.) t GLS Bank (D) Konto-Nr , BLZ IBAN: DE BIC: GENODEM1GLS Spenden t Steuerlich abzugsfähige Spenden bie mit Verwendungszweck:»Spende«auf das Konto der Aktion Drie Welt e.v. bei der GLS-Bank IBAN: DE BIC: GENODEM1GLS Anzeigenschluss für Ausgabe Nr. 376 t (Druckfertige Vorlagen) Für die Inhalte von Anzeigen und Beilagen in der iz3w sind allein die jeweiligen UrheberInnen verantwortlich.

51 Kritische Wissenschaft Forschen, Reflektieren, Diskutieren Gen-ethisches Netzwerk e.v. Tel Fax Stephanstr Berlin VERLAG WESTFÄLISCHES DAMPFBOOT Wir besteuern uns selbst für entwicklungspolitische Arbeit im In- und Ausland Jetzt bestellen! Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 250 August 2019 Einzelausgabe 8,50 Euro Jahresabo (4 Ausgaben) 35 Euro Michael Mießner / Mahias Naumann (Hrsg.) Kritische Geographien ländlicher Entwicklung Globale Transformationen und lokale Herausforderungen (Raumproduktionen: Theorie und gesellschaftliche Praxis Band 33) Seiten 33,00 ISBN Mach mit damit Gerechtigkeit wächst! ZEITUNG FÜR SOZIALISTISCHE BETRIEBS- & GEWERKSCHAFTSARBEIT Ausgabe 8-9/19 u.a.:»disziplin sta Diskussion?«über Hintergründe zur Abmahnung eines ver.di-kollegen wegen Verbreitung eines express-artikels Peter Birke:»Frühling im Herbst«Deutung der Septemberstreiks 1969 Birgit Daiber:»Ach je, Frank«Böckelmanns tumultöser Weg nach rechts Florian Butollo:»Die Hölle friert zu«strukturelle Bedingungen des Organizings bei RyanAir Wolfgang Völker:»Hamburg traut sich was...«preis des mutigen Löwen für Abschaffung von Hartz IV Slave Cubela:»Don t believe the hype«plädoyer für eine kritische Rezeption v. J. McAleveys Buch»Keine halben Sachen«Probelesen?! Kostenfreies Exemplar per mail oder Telefon anfordern Niddastr. 64 VH FRANKFURT Tel. (069) [email protected]

52 ISSN E 3477 t iz3w informationszentrum 3. welt Kronenstraße 16a, D Freiburg IN 24 SEITEN um die Welt Deutsche Ausgabe Deutsche Ausgabe September /25. Jahrgang Deutschland: 4,70 EUR Ausland: 5,00 EUR Viereck der Allianzen: Christophe Jaffrelot über die Beziehungen zwischen Indien und Iran, Pakistan und Saudi-Arabien S. 4/5 Holger Niehaus Modell Portugal: Mickaël Correia über den Weg aus der Krise, das prekäre Wirtschaftswunder und neue Schwierigkeiten S. 10/11 Ohne Titel, 2000, Farbfotografie, 63 x 88 cm (zum Künstler siehe Seite 3) Die Internationale Konsumismus in Bolivien: Maëlle Mariee über die neue indigene Mielschicht und ihre Entfremdung von der sozialistischen Regierung S. 12/13 Hongkong Woher die Wut? von Martine Bulard Kopftuch Regierungschefin Carrie Lam hat endlich reagiert. Nach vier Monaten massenhafter und teils gewaltsamer Demonstrationen hat sie den Gesetzentwurf zur Auslieferung von Straftätern zurückgezogen. Die große Frage ist, ob dieser Schri einen endgültigen Ausweg aus der Krise eröffnet. und Nation: Charloe Wiedemann über das Frauenbild in Iran und die Selbstbehauptung gegenüber dem Westen S. 14/15 Korruption als System: Tony Wood über die Herkunft der russischen Oligarchie und Beamte, die sich Unternehmen kaufen S. 21 chung der Hongkonger Justiz. Sie waren die Ersten, die im April und Mai demonstrierten. Ihre Aktivitäten kamen aber auch den Immobilien- und Finanzmagnaten zupass, die das Recycling der mehr oder auch weniger legalen Kapitalflüsse aus Festlandchina kontrollieren. Diese Tycoons sind wenig begeistert von der Aussicht, Peking könnte künftig seine große Nase in ihre Angelegenheiten stecken. Die Fackel des Protests wurde von den Studierenden übernommen, die Analysen, Alternativen und Geschichten, die Sie anderswo nicht finden: Einmal im Monat lesen Sie in Le Monde diplomatique, was auf der Welt passiert und was dabei auf dem Spiel steht. Gewaltfantasien entwickelte Sturm auf den Legislativrat (LegCo), Angriffe auf Polizeireviere, Blockade des Flughafens, machte die Regierungschefin Ernst mit der Gewalt. Die Proteste wurden mit Tränengas, Wasserwerfern und Gummigeschossen niederschlagen; mehr als 600 festgenommene Aktivisten wanderten ins Gefängnis. Zugleich versprach Lam finanzielle Entlastungen in Höhe von 19,1 Milliarden Hongkong-Dollar (2,2 Milliarden Euro), etwa durch Sen- inkl. Prämie taz Verlags- und Vertriebs-GmbH Friedrichstr Berlin Welt in Bewegung inklusive ebook Zeitung, App und Audio für 60 /Jahr monde-diplomatique.de/kombiabo